19.05.2023

Das neue Kommunalwahlrecht in Baden-Württemberg

Das Land setzt auf die Liberalisierung des Wahlalters

Das neue Kommunalwahlrecht in Baden-Württemberg

Das Land setzt auf die Liberalisierung des Wahlalters

Wahlberechtigte wohnungslose Menschen können zukünftig auch Einwohneranträge und Bürgerbegehren unterzeichnen und bei Bürgerentscheiden abstimmen.  | ©Lena Balk - stock.adobe.com
Wahlberechtigte wohnungslose Menschen können zukünftig auch Einwohneranträge und Bürgerbegehren unterzeichnen und bei Bürgerentscheiden abstimmen. | ©Lena Balk - stock.adobe.com

Die amtierende Regierungskoalition von Bündnis 90/Die Grünen und CDU in Baden-Württemberg hat sich im Koalitionsvertrag für die Jahre 2021–2026 „JETZT FÜR MORGEN“ auf wesentliche Änderungen im Kommunalwahlrecht verständigt. Die darin getroffenen Vereinbarungen wurden mit der Kommunalwahlrechtsnovelle (Gesetz vom 04.04.2013, GBl. S. 137 vom 14.04.2023)[1] inzwischen auch und damit rechtzeitig vor den Kommunalwahlen 2024 durch den Landtag umgesetzt. Bundesweite Beachtung dürfte dabei die politisch und juristisch nicht unumstrittene Einführung des passiven Wahlrechts ab 16 Jahren bei den kommunalen Gremienwahlen finden.

Der Autor fasst nachfolgend die wesentlichen Änderungen im kommunalen Verfassungs- bzw. Wahlrecht von Baden-Württemberg in einer knappen Übersicht zusammen. Eine ausführliche Darstellung der Kommunalwahlrechtsnovelle von Ministerialrat Gerd Armbruster, Leiter des Referats Kommunales Verfassungsrecht und Dienstrecht beim Innenministerium Baden-Württemberg, ist in den Verwaltungsblättern für Baden-Württemberg (VBlBW) vorgesehen.[2]

Passives Wahlrecht ab 16 Jahren bei Gremienwahlen

Mit der Absenkung des passiven Wahlrechts in § 28 Abs. 1 Gemeindeordnung (GemO) auf 16 Jahre sind nun alle wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger auch in den Gemeinderat wählbar. Baden-Württemberg nimmt damit eine Vorreiterrolle in Deutschland ein.[3]


Minderjährige sind danach wahlrechtlich voll handlungsfähig, weshalb eine Kandidatur zum Gemeinderat keiner Zustimmung der Erziehungsberechtigten bedarf. Auch bei der Ausübung des Mandats sind sie handlungsfähig, soweit sich nicht aus Gesetzen etwas anderes ergibt, und bedürfen auch insoweit keiner Zustimmung der Erziehungsberechtigten (§ 32 Abs. 2a GemO).

Minderjährige Gemeinderäte können aber nicht Mitglieder in Aufsichtsräten kommunaler Gesellschaften und Verwaltungsräten der Sparkassen sein. Da die Ausübung dieser Ämter die Geschäftsfähigkeit von deren Inhabern voraussetzt, können minderjährige Gemeinderäte auch nicht stellvertretende Bürgermeister, Ortsvorsteher und stellvertretende Ortsvorsteher werden.

Der Gesetzgeber setzt darauf, dass in der kommunalen Praxis die besondere Situation minderjähriger Mandatsträgerinnen und Mandatsträger bspw. bei der Terminierung und Dauer der Sitzungen angemessen berücksichtigt wird.

Die Bestimmungen für die Wahl und Mandatswahrnehmung Minderjähriger gelten auch für Wahlen und Mandate in den Kreistagen (§ 23 Abs.1, § 26 Abs. 2 a Landkreisordnung – LKrO), Ortschaftsräten, Bezirksbeiräten und den Verband der Region Stuttgart (§ 10 Abs. 1 Gesetz über die Errichtung des Verbands Region Stuttgart – GVRS9).

Wahlrecht wohnungsloser Personen

In Baden-Württemberg waren bereits bislang wohnungslose Menschen zu den Landtagswahlen aktiv und passiv wahlberechtigt (§§ 7 und 9 Landtagswahlgesetz).

Durch eine Neuregelung in § 14 Abs. 3 GemO sind Menschen, die keine Wohnung haben, zukünftig auch bei den Gemeindewahlen aktiv und passiv wahlberechtigt. Dies, sofern sie seit mindestens drei Monaten ihren gewöhnlichen Aufenthalt im jeweiligen Wahlgebiet haben und die übrigen Wahlrechtsvoraussetzungen erfüllen.

Entsprechende Regelungen wurden auch für die Kreistagswahlen (§10 Abs. 7 LKrO) und die Wahl der Regionalversammlung des Verbands der Region Stuttgart (§ 9 Abs. 4 GVRS) eingeführt.

Wahlberechtigte wohnungslose Menschen können zukünftig auch Einwohneranträge und Bürgerbegehren unterzeichnen und bei Bürgerentscheiden abstimmen. Indes sind sie nicht gleich den Bürgern zur Übernahme einer ehrenamtlichen Tätigkeit verpflichtet.

Wegfall der Altersgrenzen für Kandidaten bei Bürgermeisterwahlen

Durch Änderung des § 46 Abs. 1 GemO wurde das Mindestalter für die Wählbarkeit zum Bürgermeister vom vollendeten 25. Lebensjahr auf das vollendete 18. Lebensjahr abgesenkt.[4] Die bisherige Höchstaltersgrenze von 68 Jahren ist entfallen. Künftig, also nicht für Bürgermeister, die sich zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Änderungsgesetzes im Amt befinden, entfällt die beamtenrechtliche Ruhestandsaltersgrenze, die mit dem vollendeten 73. Lebensjahr erreicht wurde.

Das Mindestalter von 18 Jahren ist dadurch begründet, dass der Bürgermeister als gesetzlicher Vertreter der Gemeinde uneingeschränkt geschäftsfähig sein muss.

Für Landräte (§ 38 Satz 1 LKrO) und Beigeordnete (§ 50 Abs.1 a GemO) bleibt es bei der bisherigen Altersgrenze für die Wählbarkeit und der Ruhestandsaltersgrenze (§ 36 Abs. 4 Landesbeamtengesetz – LBG – n. F.).

Nicht beschlossen wurde vom Landtag, entgegen der Regelung in den meisten Bundesländern[5], die von der SPD-Fraktion beantragte Möglichkeit der Abwahl eines amtierenden Bürgermeisters.[6]

Stichwahl statt Neuwahl bei Bürgermeisterwahlen

Wie in der überwiegenden Zahl der anderen Länder auch[7] führt Baden-Württemberg die Stichwahl für den Fall ein, dass im ersten Wahlgang keine Person die erforderliche Mehrheit von mehr als der Hälfte der gültigen Stimmen erhalten hat (§ 45 Abs. 2 GemO). Diese findet zwischen den beiden Personen statt, die bei der ersten Wahl die meisten Stimmen erhalten haben. Im zweiten Wahlgang entscheidet dann die einfache Mehrheit.

Einführung eines Rückkehrrechts für Landesbeschäftigte nach der Amtszeit als Bürgermeister

Hauptamtliche Bürgermeister, die zuvor Beamte, Richter oder Tarifbeschäftigte des Landes Baden-Württemberg waren, haben nach Ende der Amtszeit einen Anspruch auf Rückübernahme in den Landesdienst (§ 52 a GemO). Dadurch soll die Attraktivität des Bürgermeisteramts erhöht werden. Dieser Anspruch besteht also für ehemalige Beschäftigte der Kommunen und für Beigeordnete nicht. Ebenfalls betrifft diese Regelung keine länderübergreifenden Sachverhalte. Sie gilt nicht für Landesbeschäftigte, die das Amt des Bürgermeisters in einem anderen Bundesland außerhalb Baden-Württembergs ausgeübt haben und nach Ende der Amtszeit wieder in den Landesdienst in Baden-Württemberg zurück möchten.

Diese Regelung gilt auch nur für Bürgermeister, die ihr Amt erst nach Inkrafttreten des Gesetzes am 15.04.2023 angetreten haben.

Übersicht über ausgewählte weitere Änderungen

Aufgrund eines fraktionsübergreifenden Antrags der Fraktionen von Grünen, CDU und SPD wurde in der GemO der nicht mehr als zeitgemäß angesehene Begriff des „Amtsverwesers“ durch die Begriffe „bestellter Bürgermeister“ (§ 48 Abs. 3 Satz 1) und „Amtsverwalter“ (§ 48 Abs. 2) ersetzt.

In § 39 Abs. 6 LKrO wird der Begriff „Amtsverweser“ durch die Bezeichnung „bestellter Landrat“ ersetzt.

Für den Fall, dass der bisherige Bürgermeister nicht erneut zur Wahl antritt und der neu gewählte Bürgermeister aufgrund einer Wahlanfechtung das Amt vorerst nicht antreten kann, kommt für die Interimszeit sowohl eine Fortführung der Geschäfte durch den bisherigen Amtsinhaber (§ 42 Abs. 5 Satz 1 GemO) als auch die Bestellung des gewählten Nachfolgers zum bestellten Bürgermeister in Betracht (§ 48 Abs. 5 Satz 1 GemO).

Ist eine ordnungsgemäße Durchführung der Bürgermeisterwahl voraussichtlich aufgrund einer Naturkatastrophe, aus Gründen des Infektionsschutzes oder wegen einer sonstigen außergewöhnlichen Notsituation nicht möglich, kann die Wahl mit Zustimmung der Rechtsaufsichtsbehörde über den in Satz 1 bestimmten Zeitraum von drei Monaten hinaus bis zu weiteren sechs Monaten aufgeschoben werden (§ 47 Abs. 1 Satz 2 GemO).

Aus den gleichen Erwägungen heraus kann die Wahl durch die Rechtsaufsichtsbehörde unter bestimmten Bedingungen abgesagt werden (§ 29 Satz 1 KomWG).

Durch einen Änderungsantrag der Fraktionen der Grünen, CDU und SPD wurden nun auch für Bewerbungen zur Bürgermeisterwahl in Gemeinden bis zu 20 000 Einwohnern das Erfordernis von Unterstützungsunterschriften eingeführt (§ 10 Abs. 2 KomWG).

Bei Ortschaftsratswahlen konnten die Bewerber in einer Versammlung der wahlberechtigten Mitglieder oder Vertreter der Partei in der Gemeinde gewählt werden, wenn die Zahl der wahlberechtigten Mitglieder in der Ortschaft nicht zur Bildung einer Mitgliederversammlung ausreichte. Dies ist bei weniger als drei Mitgliedern der Fall. Diese sogenannte Hochzonung ist nun auch möglich, wenn in einer ordnungsgemäß einberufenen Sitzung der Versammlung der wahlberechtigten Mitglieder in der Ortschaft nicht die zur Bildung einer Mitgliederversammlung notwendige Anzahl von Mitglieder erschienen ist (§ 9 Abs. 2 KomWG).

[1] Vgl. auch LT-Drs. 17/4079 und 17/4495.

[2] Die Darstellung erscheint voraussichtlich in Heft 8/2023.

[3] Am 12.05.2023 lehnte bspw. der Landtag von Rheinland-Pfalz eine entsprechende Gesetzesinitiative der Landesregierung ab. Vgl. u. a. https://www.ffh.de/nachrichten/hessen/wiesbaden/362083-wahlalter-wird-in-rheinland-pfalz-nicht-auf-16-jahre-abgesenkt.html.

[4] Vgl. zu den Altersgrenzen in anderen Bundesländern die Übersicht bei https://de.wikipedia.org/wiki/ Bürgermeister (abgerufen am 12.05.2023). Zu Altersbeschränkungen bei Bürgermeistern vgl. auch https://kommunal.de/buergermeister-altersgrenze (abgerufen am 12.05.2023).

[5] Vgl. hierzu u.a. Gern/Brüning, Deutsches Kommunalrecht, 4. Auflage 2019, Rn. 509 ff.

[6] Vgl. LT-Drs. 17/4495.

[7] Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Bürrgermeister.

Dr. Herbert O. Zinell

Dr. Herbert O. Zinell

Senator E.h. Dr. Herbert O. Zinell, Ministerialdirektor a.D. und Oberbürgermeister a.D
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