15.03.2024

Neuere Entwicklungen im niedersächsischen Katastrophenschutzrecht

Zukunftsweisende Änderungen - Teil 2

Neuere Entwicklungen im niedersächsischen Katastrophenschutzrecht

Zukunftsweisende Änderungen - Teil 2

Der Begriff Bevölkerungsschutz wird zunehmend auch als Oberbegriff für Zivilschutz und Katastrophenschutz verwendet.  | © Robert Kneschke
Der Begriff Bevölkerungsschutz wird zunehmend auch als Oberbegriff für Zivilschutz und Katastrophenschutz verwendet. | © Robert Kneschke

Fortsetzung des ersten Teils

In den letzten Jahren wurde das Niedersächsische Katastrophenschutzgesetz (NKatSG) mehrfach geändert, teilweise in sehr eiligen Gesetzgebungsverfahren, die mit den jeweils zu bewältigenden Krisen (COVID-19-Pandemie, russischer Angriffskrieg in der Ukraine) einhergingen. Durch die gesetzlichen Änderungen wurde tief in die Struktur des Katastrophenschutzrechts eingegriffen; die Umsetzung in der Praxis hat teilweise erst begonnen, insbesondere was den immer bedeutsamer werdenden Schutz kritischer Infrastrukturen (KRITIS) angeht. Dieser Beitrag soll die wichtigsten gesetzlichen Änderungen im Zusammenhang darstellen und erläutern; er schließt mit einem Ausblick auf kommende Veränderungen im Katastrophenschutzrecht.

C. Verantwortung des Landes bei atomaren Unfällen

Im Jahr 2017 ist erstmals eine originäre Landeszuständigkeit für bestimmte Einsatzlagen neben die traditionelle Zuständigkeit der Kreisebene gestellt worden. Das Land ist seither verpflichtet, bei Katastrophenfällen in der Umgebung von kerntechnischen Anlagen, Anlagen zur Endlagerung radioaktiver Abfälle und gleichgestellten Anlagen1Zu diesen Begriffen ausführlich LT-Drs. 17/8718, S. 3 f. die zentrale Leitung zu übernehmen. Der Gesetzentwurf der Landesregierung hatte sich noch darauf beschränkt, bei solchen Katastrophenfällen für die Ermittlung und Bewertung der radiologischen Lage und die Koordinierung der Öffentlichkeitsarbeit einen Interministeriellen Krisenstab (IMKS) vorzusehen.2LT-Drs. 17/6435, S. 8, 12 ff. Im Landtag wurde indes die Forderung der AG der kommunalen Spitzenverbände nach der zentralen Leitung des Landes3LT-Drs. 17/6435, S. 8; vgl. auch NLT-Information 2017, 53, 57. aufgegriffen und in § 27 Abs. 4 Satz 1 NKatSG verankert.4LT-Drs. 17/8702, S. 6; 17/8718, S. 1, 6 f. Dies hat zu Folgeänderungen im Gesetz geführt: Zum einen erfordert die Vorbereitung der zentralen Leitung eine landesweite, einheitliche und operativ führbare Einsatzplanung; daher ist das MI (im Vorgriff auf § 100 StrlSchG) verpflichtet worden, eine landesweite Notfallplanung für atomare Katastrophenfälle zu erstellen (§ 10 c Abs. 1 Sätze 1 und 2 NKatSG)5LT-Drs. 17/8718, S. 2 f. und die sich daraus ergebenden Kosten zu tragen (§ 10 c Abs. 3 NKatSG).6Von der Alternative, die Kosten auf die Betreiber der Anlagen abzuwälzen, hat der Gesetzgeber aus verfassungsrechtlichen Gründen abgesehen; dazu LT-Drs. 17/8718, S. 5 f. Zum anderen ist im Gesetz geregelt worden, dass das MI die zentrale Leitung auch ausüben, insbesondere den Katastrophenfall selbst feststellen kann (vgl. § 27 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 NKatSG).7LT-Drs. 17/8718, S. 6 f. In dieser originären Zuständigkeit des Landes liegt ein Paradigmenwechsel, denn zuvor hat die Mittelinstanz (früher Bezirksregierung, seit 2004 Polizeidirektion) lediglich als Fachaufsicht das Recht gehabt, nach § 27 Abs. 2 NKatSG die Oberleitung bzw. koordinierende Leitung zu übernehmen, d. h. die untere Katastrophenschutzbehörde bei der Ausübung der zentralen Leitung zu unterstützen8Die begrifflich unklare Oberleitung (dazu LT-Drs. 8/2500, S. 32), die bereits 1978 von der AG der kommunalen Spitzenverbände kritisiert wurde (vgl. Materialien zum NKatSG (o. Fn. 22), S. 297), ist 2017 durch die inhaltlich identische koordinierende Leitung ersetzt worden (dazu LT-Drs. 17/6435, S. 12). oder von ihrem Selbsteintrittsrecht nach § 27 Abs. 3 NKatSG Gebrauch zu machen.9Dazu LT-Drs. 8/2500, S. 32. Wegen der erforderlichen konzeptionellen Vorarbeiten – und aus Gründen der Haushaltsplanung – wurden die Änderungen erst am 01.01.2019 in Kraft gesetzt.10Vgl. LT-Drs. 17/8718, S. 12.


D. Erweiterung der Einsatzanlässe

Von der AG der kommunalen Spitzenverbände wurde seit den Erfahrungen der Hochwasserereignisse 2017 und des Moorbrands 2018 angeregt, im NKatSG den Katastrophenvoralarm als weiteren Einsatzanlass zu regeln, um bereits unterhalb des Katastrophenfalls überörtliche Hilfe heranführen zu können.11NLT-Information 2018, 118, 119; 187, 188 f.; Schwind, NdsVBl. 2020, 293, 297. Durch das COVID-19-Pandemiegesetz 202012Dazu oben B.II. wurde der geforderte Katastrophenvoralarm (§ 1 Abs. 4 NKatSG) und zusätzlich das außergewöhnliche Ereignis (§ 1 Abs. 3 NKatSG) neben den Katastrophenfall (§ 1 Abs. 2 NKatSG) gestellt. Diese Trichotomie der Einsatzanlässe – die nach § 27 a NKatSG jeweils auch von landesweiter Tragweite sein können – ist bundesweit einmalig. Andere Landeskatastrophenschutzgesetze kennen, soweit überhaupt ein Einsatzanlass unterhalb des Katastrophenfalls geregelt ist,13Nicht der Fall ist dies in Bayern, Bremen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Thüringen. entweder einen Katastrophenvoralarm14Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein. oder ein Großschadensereignis15Berlin, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Saarland; dazu näher unten Fn. 85.. Seit Juni 2022 ist die Feststellung des außergewöhnlichen Ereignisses oder des Katastrophenvoralarms nicht mehr auf bestimmte Krisensituationen (Pandemie/ Ukrainekrieg) beschränkt.16Dazu oben B.II.

I. Außergewöhnliches Ereignis

1 Abs. 3 NKatSG definiert das außergewöhnliche Ereignis als „eine Gefahr für Leben, Gesundheit, die lebenswichtige Versorgung der Bevölkerung, die Umwelt oder erhebliche Sachwerte, die mit den Mitteln der örtlichen Gefahrenabwehr nicht mehr zu bewältigen ist, einen Katastrophenfall nach sich ziehen kann und deren Bekämpfung eine zentrale Unterstützung durch die zuständigen Behörden und die notwendigen Einsatzkräfte und -mittel des Katastrophenschutzes erfordert“.17Vgl. dazu LT-Drs. 18/6482, S. 28; 18/7034, S. 51 f. Das außergewöhnliche Ereignis ist demnach eine konkrete Gefahr i. S. d. § 2 Nr. 1 des Niedersächsischen Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes (NPOG),18LT-Drs. 18/7034, S. 51. die in dreifacher Weise qualifiziert ist.19Vgl. zu qualifizierten Gefahrenbegriffen allgemein Denninger, in: Lisken/ Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 6. Aufl. 2018, D Rn. 53 ff. Erstens muss der Schaden den abschließend genannten Rechtsgütern drohen; sonstige Schäden für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung genügen nicht. Zweitens muss zumindest die Möglichkeit bestehen, dass die Sachlage einen Katastrophenfall nach sich zieht; hat die Sachlage kein solches Eskalationspotenzial (mehr), liegt kein außergewöhnliches Ereignis (mehr) vor. Und drittens muss die Bekämpfung der Gefahr die Mittel der örtlichen Gefahrenabwehr überfordern und daher eine zentrale Unterstützung durch die genannten Ressourcen des Katastrophenschutzes erfordern.

Wie auch beim Katastrophenfall kommt es beim außergewöhnlichen Ereignis nicht auf den Ursprung der Gefahrenlage an.20Als Auslöser kommen sowohl Naturereignisse (Überschwemmung, Schneefall, Orkan, Erdrutsch, Erdbeben usw.), Großbrände (Waldbrand, Moorbrand usw.), technisch bedingte Ereignisse (Anlagenstörfall, Eisenbahn- oder Flugzeugunglück, Gebäudeeinsturz, großflächiger Stromausfall usw.) als auch Seuchen in Betracht; vgl. Schmidt, NKatSG, Kommentar, 2020, § 1 Erl. 2.2; Kloepfer (o. Fn. 10), § 1 Rn. 3 ff. Kennzeichnend für das außergewöhnliche Ereignis und zugleich maßgeblich für die Abgrenzung zum Katastrophenfall ist das Erfordernis der zentralen Unterstützung,21LT-Drs. 18/7034, S. 52. insbesondere durch die mit ehrenamtlichen Helferinnen/Helfern besetzten Einheiten und Einrichtungen des Katastrophenschutzes.22LT-Drs. 18/6482, S. 28. Der Katastrophenfall erfordert indes eine zentrale Leitung23Dazu gehören insbesondere die Beurteilung der Gesamtlage, die Lagemeldungen an übergeordnete Behörden und Unterrichtung beteiligter Stellen, die Bestimmung Technischer Einsatzleiter, die Fernmeldeführung, die Erfassung, Versorgung und Ablösung der Einsatzkräfte, die Anforderung und Heranführung von Verstärkungen, die Bereitstellung von Reserven, die Warnung der Bevölkerung, Evakuierungsmaßnahmen und die Unterrichtung der Öffentlichkeit; LT-Drs. 8/2500, S. 27 f.; 17/8718, S. 7. durch die/den HVB der unteren Katastrophenschutzbehörde unter Beteiligung des Katastrophenstabs (§ 21 NKatSG), setzt also voraus, dass die eigentlich zuständige Einsatzleitung überfordert oder überlastet ist.24Gusy, GSZ 2020, 101; Kloepfer (o. Fn. 10), § 1 Rn. 26 f. Tatbestandsmerkmal des Katastrophenfalls ist mithin das Erfordernis einer Kompetenzverschiebung, Rechtsfolge der Feststellung des Katastrophenfalls ist die Auslösung ebendieser Kompetenzverschiebung.25Vgl. Gusy, DÖV 2011, 85, 88 f.; ders., GSZ 2020, 101. Eine solche Kompetenzverschiebung gibt es bei einem außergewöhnlichen Ereignis weder auf Tatbestands- noch auf Rechtsfolgenseite – weil sie nicht erforderlich ist, um die Gefahr abzuwehren. Zwar setzt auch das außergewöhnliche Ereignis eine Überforderung voraus, aber nicht im Hinblick auf die Einsatzleitung, sondern auf die zur Verfügung stehenden Einsatzmittel. Eine Gefahr für die in § 1 Abs. 2 und 3 NKatSG genannten Rechtsgüter begründet folglich keinen Katastrophenfall, sondern nur ein außergewöhnliches Ereignis, wenn die Einsatzleitung mit der Bewältigung der Lage nicht überfordert oder überlastet ist, zur effektiven Gefahrenabwehr aber auf zusätzliche Mittel aus dem Ressourcenpool des Katastrophenschutzes zugreifen muss (für deren Einsatz sie nach § 31 Abs. 4 NKatSG die Kosten zu tragen hat26Dazu LT-Drs. 18/6482, S. 30.).

Diese Voraussetzungen eines außergewöhnlichen Ereignisses hat die/der HVB vor der Feststellung nach § 20 Abs. 1 Satz 1 NKatSG sorgfältig zu prüfen und abzuwägen.27LT-Drs. 18/6482, S. 29. Als Anwendungsfälle kommen insbesondere krisenhafte Lagen in Betracht, die nicht von einem Moment auf den anderen eintreten, sondern sich aus fachlichen Einsatzlagen entwickeln (z. B. Hochwasser/Überschwemmung, langanhaltender Vegetationsbrand, Pandemiebekämpfung, Unterbringung zahlreicher Menschen), und den Einsatz umfangreicher Kräfte gebieten, um eine Eskalation zum Katastrophenfall zu verhindern. Zur Bekämpfung eines festgestellten außergewöhnlichen Ereignisses kommen nach § 20 Abs. 2 NKatSG im Rahmen der zentralen Unterstützung grundsätzlich dieselben Maßnahmen in Betracht wie bei der Katastrophenbekämpfung, allerdings nicht die Bestimmung einer technischen Einsatzleitung (§ 22 NKatSG), die Erklärung eines Sperrgebiets (§ 26 NKatSG) und die Heranziehung zur persönlichen Hilfeleistung (§ 28 NKatSG). Im Vergleich zum Katastrophenfall soll die Feststellung des – auch sprachlich weniger spektakulären – außergewöhnlichen Ereignisses dazu beitragen, die mediale Aufmerksamkeit in Grenzen zu halten sowie Panikreaktionen in der Bevölkerung zu vermeiden, und vermitteln, dass die Lage kritisch ist, aber beherrschbar erscheint.

Das außergewöhnliche Ereignis wird nur in Niedersachsen so bezeichnet.28Soweit andere Landesgesetze überhaupt eine „kleine“ Katastrophe regeln, wird sie in der Regel als „Großschadenslage“ bezeichnet; vgl. § 1 Abs. 2 KatSG Berlin, § 1 Abs. 2 Satz 2 LKatSG M-V, § 18 a Abs. 1 Satz 2 HmbKatSG, § 16 Abs. 1 SBKG; ähnlich § 1 Abs. 2 Nr. 1 BbgBKG („Großschadensereignisse“). Da ein Schaden noch nicht zwingend eingetreten sein muss, sondern noch bevorstehen kann, ist allerdings der Begriff „Großeinsatzlage“ (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 BHKG NRW) treffender. Dadurch wird eine begriffliche Verwechslung mit dem 2012 eingeführten29Dazu oben B.II. Großschadensereignis30Vgl. zu diesem Begriff allgemein Kloepfer (o. Fn. 10), § 1 Rn. 33. i. S. d. § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 NRettDG vermieden. Dessen Bewältigung gehört zum Sicherstellungsauftrag des Rettungsdienstes,31LT-Drs. 16/3826, S. 7; LT-Drs. 16/4480, S. 2; Freese, in: Ufer/Schwind, NRettDG, Kommentar, § 5 Erl. 3.2. obwohl dabei ergänzend Einheiten und Einrichtungen des Katastrophenschutzes eingesetzt werden (vgl. § 7 Abs. 5 NRettDG).32Dazu näher Schwind, in: Ufer/Schwind (o. Fn. 88), § 7 Erl. 6.2.1. Das Großschadensereignis wird vom Katastrophenfall nicht materiell abgegrenzt, sondern formal durch die Feststellung nach § 20 Abs. 1 NKatSG.33LT-Drs. 16/4480, S. 1; Schwind, in: Ufer/Schwind (o. Fn. 88), § 2 Erl. 3.1.4. Für das außergewöhnliche Ereignis ist gesetzlich weder eine materielle noch eine formelle Abgrenzung vom rettungsdienstrechtlichen Großschadensereignis vorgesehen. Sie ist auch nicht notwendig, weil bei einem außergewöhnlichen Ereignis anders als im Katastrophenfall keine Zuständigkeitsverschiebung eintritt. Es ist mithin möglich, dass bei der Bewältigung eines Großschadensereignisses (nach Rettungsdienstrecht) zugleich zentrale Unterstützung (nach Katastrophenschutzrecht) geleistet wird.34Wer in solchen Fällen die Einsatzkosten trägt, richtet sich nach § 31 Abs. 4 NKatSG (vgl. dazu LT-Drs. 18/6482, S. 30).

Das außergewöhnliche Ereignis ist zudem von der 2022 geschaffenen Möglichkeit der Einsatzleitung der Feuerwehr, nach § 24 a NBrandSchG um Unterstützung durch Einheiten des Katastrophenschutzes zu ersuchen,35Art. 2 Nr. 2 des Gesetzes vom 29.06.2022 (Nds. GVBl. S. 405). Vgl. LT-Drs. 18/11126, S. 33 f. (Gesetzentwurf), LT-Drs. 18/11421, S. 28 f. (Beschlussempfehlung) und LT-Drs. 18/8718, S. 22 f. (schriftl. Bericht). zu unterscheiden. Auch hier wird nicht materiell abgegrenzt, sondern formal. Stellt die Feuerwehreinsatzleitung über die Kreisbrandmeisterin/ den Kreisbrandmeister ein brandschutzrechtliches Ersuchen (§ 24 a NBrandSchG), hat die/der HVB der unteren Katastrophenschutzbehörde zu prüfen, ob aus Anlass des Ersuchens ein außergewöhnliches Ereignis festzustellen ist (§ 20 Abs. 1 NKatSG).36LT-Drs. 18/11126, S. 34. Nur, wenn dies nicht der Fall ist, z. B. weil der Lage das Potenzial fehlt, zum Katastrophenfall zu eskalieren, kann nach § 24 a Abs. 1 Satz 2 NBrandSchG der Einsatz der angeforderten Einheiten angeordnet werden – mit der Folge, dass für die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer die §§ 17 bis 19 NKatSG entsprechend gelten (§ 24 a Abs. 1 Satz 3 NBrandSchG). Wird hingegen ein außergewöhnliches Ereignis festgestellt, kann dem Ersuchen im Rahmen der zentralen Unterstützung nach NKatSG entsprochen werden. Die sich aus dieser Entscheidung ergebenden unterschiedlichen Kostenfolgen sind gesetzlich festgeschrieben: Bei einem außergewöhnlichen Ereignis hat die anfordernde Gemeinde die Einsatzkosten der Unterstützung zwingend zu erstatten (§ 31 Abs. 4 NKatSG). Ohne Feststellung des außergewöhnlichen Ereignisses steht es hingegen im Ermessen der unteren Katastrophenschutzbehörde, ob sie von der Gemeinde Kostenerstattung verlangt (§ 24 a Abs. 2 NBrandSchG).

II. Katastrophenvoralarm

Nach § 1 Abs. 4 NKatSG ist der Katastrophenvoralarm entweder „eine abstrakte Gefahr für Leben, Gesundheit, die lebenswichtige Versorgung der Bevölkerung, die Umwelt oder erhebliche Sachwerte“ (Nr. 1) oder „eine Sachlage, bei der die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit Nachbarschaftshilfe (§ 23 Abs. 1 und 2) angefordert oder überörtliche Hilfe (§ 23 Abs. 3 bis 5) angeordnet werden wird“ (Nr. 2), die (in beiden Fällen) „eine besondere Alarmbereitschaft der Einsatzkräfte und -mittel des Katastrophenschutzes zur Vorbereitung der Bekämpfung von Katastrophen und außergewöhnlichen Ereignissen erforderlich macht“. Beim Katastrophenvoralarm geht es also (noch) nicht um zentrale Leitung oder Unterstützung durch die untere Katastrophenschutzbehörde, sondern um die Herstellung einer besonderen Alarmbereitschaft zur Vorbereitung der Bekämpfung des erwarteten Ereignisses. Auch diese Regelung zielt v. a. auf die Freistellung der ehrenamtlichen Helferinnen/Helfer in den Einheiten und Einrichtungen des Katastrophenschutzes (§ 17 Abs. 3 Satz 2 NKatSG). Anlass für diese taktische Maßnahme37LT-Drs. 18/6482, S. 28. der unteren Katastrophenschutzbehörde ist entweder (Nr. 1) eine im eigenen Bezirk bestehende abstrakte Gefahr i. S. d. § 2 Nr. 6 NPOG38LT-Drs. 18/7034, S. 52; vgl. zu den Unterschieden zwischen konkreter und abstrakter Gefahr nur Denninger, in: Lisken/Denninger (o. Fn. 76), D Rn. 42 ff. für die genannten Rechtsgüter oder (Nr. 2) eine in fremdem Bezirk bestehende Sachlage, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zur Leistung von Nachbarschaftshilfe oder überörtlicher Hilfe führen wird.39LT-Drs. 18/7034, S. 52. Die Besonderheit der Nr. 2 besteht darin, dass die/der HVB der Katastrophenschutzbehörde bei der Entscheidung nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 NKatSG die Sachlage in einem fremden Bezirk beurteilen muss.

Der Beitrag stammt aus den Niedersächsischen Verwaltungsblättern Heft 8/2023, S. 255 ff. und wird fortgesetzt.

 

Dr. Dennis Miller

Ministerialrat, Referent beim Gesetzgebungs- und Beratungsdienst des Niedersächsischen Landtages
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  • 1
    Zu diesen Begriffen ausführlich LT-Drs. 17/8718, S. 3 f.
  • 2
    LT-Drs. 17/6435, S. 8, 12 ff.
  • 3
    LT-Drs. 17/6435, S. 8; vgl. auch NLT-Information 2017, 53, 57.
  • 4
    LT-Drs. 17/8702, S. 6; 17/8718, S. 1, 6 f.
  • 5
    LT-Drs. 17/8718, S. 2 f.
  • 6
    Von der Alternative, die Kosten auf die Betreiber der Anlagen abzuwälzen, hat der Gesetzgeber aus verfassungsrechtlichen Gründen abgesehen; dazu LT-Drs. 17/8718, S. 5 f.
  • 7
    LT-Drs. 17/8718, S. 6 f.
  • 8
    Die begrifflich unklare Oberleitung (dazu LT-Drs. 8/2500, S. 32), die bereits 1978 von der AG der kommunalen Spitzenverbände kritisiert wurde (vgl. Materialien zum NKatSG (o. Fn. 22), S. 297), ist 2017 durch die inhaltlich identische koordinierende Leitung ersetzt worden (dazu LT-Drs. 17/6435, S. 12).
  • 9
    Dazu LT-Drs. 8/2500, S. 32.
  • 10
    Vgl. LT-Drs. 17/8718, S. 12.
  • 11
    NLT-Information 2018, 118, 119; 187, 188 f.; Schwind, NdsVBl. 2020, 293, 297.
  • 12
    Dazu oben B.II.
  • 13
    Nicht der Fall ist dies in Bayern, Bremen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Thüringen.
  • 14
    Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein.
  • 15
    Berlin, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Saarland; dazu näher unten Fn. 85.
  • 16
    Dazu oben B.II.
  • 17
    Vgl. dazu LT-Drs. 18/6482, S. 28; 18/7034, S. 51 f.
  • 18
    LT-Drs. 18/7034, S. 51.
  • 19
    Vgl. zu qualifizierten Gefahrenbegriffen allgemein Denninger, in: Lisken/ Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 6. Aufl. 2018, D Rn. 53 ff.
  • 20
    Als Auslöser kommen sowohl Naturereignisse (Überschwemmung, Schneefall, Orkan, Erdrutsch, Erdbeben usw.), Großbrände (Waldbrand, Moorbrand usw.), technisch bedingte Ereignisse (Anlagenstörfall, Eisenbahn- oder Flugzeugunglück, Gebäudeeinsturz, großflächiger Stromausfall usw.) als auch Seuchen in Betracht; vgl. Schmidt, NKatSG, Kommentar, 2020, § 1 Erl. 2.2; Kloepfer (o. Fn. 10), § 1 Rn. 3 ff.
  • 21
    LT-Drs. 18/7034, S. 52.
  • 22
    LT-Drs. 18/6482, S. 28.
  • 23
    Dazu gehören insbesondere die Beurteilung der Gesamtlage, die Lagemeldungen an übergeordnete Behörden und Unterrichtung beteiligter Stellen, die Bestimmung Technischer Einsatzleiter, die Fernmeldeführung, die Erfassung, Versorgung und Ablösung der Einsatzkräfte, die Anforderung und Heranführung von Verstärkungen, die Bereitstellung von Reserven, die Warnung der Bevölkerung, Evakuierungsmaßnahmen und die Unterrichtung der Öffentlichkeit; LT-Drs. 8/2500, S. 27 f.; 17/8718, S. 7.
  • 24
    Gusy, GSZ 2020, 101; Kloepfer (o. Fn. 10), § 1 Rn. 26 f.
  • 25
    Vgl. Gusy, DÖV 2011, 85, 88 f.; ders., GSZ 2020, 101.
  • 26
    Dazu LT-Drs. 18/6482, S. 30.
  • 27
    LT-Drs. 18/6482, S. 29.
  • 28
    Soweit andere Landesgesetze überhaupt eine „kleine“ Katastrophe regeln, wird sie in der Regel als „Großschadenslage“ bezeichnet; vgl. § 1 Abs. 2 KatSG Berlin, § 1 Abs. 2 Satz 2 LKatSG M-V, § 18 a Abs. 1 Satz 2 HmbKatSG, § 16 Abs. 1 SBKG; ähnlich § 1 Abs. 2 Nr. 1 BbgBKG („Großschadensereignisse“). Da ein Schaden noch nicht zwingend eingetreten sein muss, sondern noch bevorstehen kann, ist allerdings der Begriff „Großeinsatzlage“ (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 BHKG NRW) treffender.
  • 29
    Dazu oben B.II.
  • 30
    Vgl. zu diesem Begriff allgemein Kloepfer (o. Fn. 10), § 1 Rn. 33.
  • 31
    LT-Drs. 16/3826, S. 7; LT-Drs. 16/4480, S. 2; Freese, in: Ufer/Schwind, NRettDG, Kommentar, § 5 Erl. 3.2.
  • 32
    Dazu näher Schwind, in: Ufer/Schwind (o. Fn. 88), § 7 Erl. 6.2.1.
  • 33
    LT-Drs. 16/4480, S. 1; Schwind, in: Ufer/Schwind (o. Fn. 88), § 2 Erl. 3.1.4.
  • 34
    Wer in solchen Fällen die Einsatzkosten trägt, richtet sich nach § 31 Abs. 4 NKatSG (vgl. dazu LT-Drs. 18/6482, S. 30).
  • 35
    Art. 2 Nr. 2 des Gesetzes vom 29.06.2022 (Nds. GVBl. S. 405). Vgl. LT-Drs. 18/11126, S. 33 f. (Gesetzentwurf), LT-Drs. 18/11421, S. 28 f. (Beschlussempfehlung) und LT-Drs. 18/8718, S. 22 f. (schriftl. Bericht).
  • 36
    LT-Drs. 18/11126, S. 34.
  • 37
    LT-Drs. 18/6482, S. 28.
  • 38
    LT-Drs. 18/7034, S. 52; vgl. zu den Unterschieden zwischen konkreter und abstrakter Gefahr nur Denninger, in: Lisken/Denninger (o. Fn. 76), D Rn. 42 ff.
  • 39
    LT-Drs. 18/7034, S. 52.
n/a