25.03.2024

Die Aufhebung teilweise rechtswidriger drittbegünstigender Verwaltungsakte

Einblick in das Verhältnis von Prozessrecht und materiellem Verwaltungsrecht - Teil 3

Die Aufhebung teilweise rechtswidriger drittbegünstigender Verwaltungsakte

Einblick in das Verhältnis von Prozessrecht und materiellem Verwaltungsrecht - Teil 3

Das Prozessrecht steht nicht für sich allein, sondern hat eine den materiellen Rechten der Prozessbeteiligten dienende Funktion. | © rcfotostock - stock.adobe.com
Das Prozessrecht steht nicht für sich allein, sondern hat eine den materiellen Rechten der Prozessbeteiligten dienende Funktion. | © rcfotostock - stock.adobe.com

Fortsetzung des zweiten Teils

Die subjektive Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG und das Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG stehen in einem Spannungsverhältnis zueinander.1Vgl. etwa Wahl, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand: August 2022, Vorbemerkung, § 42 Abs. 2 VwGO Rn. 4 ff. Üblicherweise wird dieses sicht- und spürbar, wenn mit den Mitteln des subjektiven Rechtsschutzsystems der Verwaltungsgerichtsordnung ein objektiv rechtswidriges staatliches Handeln nicht erfolgreich gerichtlich angegriffen werden kann.2Zu den Ausnahmen von der Geltendmachung einer Verletzung subjektiver Rechte R. P. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 42 Rn. 180 ff. Besonders eindrücklich tritt es z. B. in baurechtlichen Nachbarklagen zutage, wenn eine objektiv rechtswidrige Baugenehmigung nicht gegen nachbarschützende Vorschriften verstößt. In diesen Fällen bleibt die Spannung in der Regel unaufgelöst: Die weit überwiegende Subjektivität des Individualrechtsschutzes gebietet es, die Erfolglosigkeit gerichtlichen Rechtsschutzes gegen allein objektiv rechtswidriges staatliches Handeln hinzunehmen. Das Spannungsverhältnis kann indes auch dort auftreten, wo die Subjektivität des gerichtlichen Rechtsschutzes eigentlich nur den teilweisen Erfolg eines Rechtsmittels gebieten würde, das hierdurch geschaffene Ergebnis indes gegen Art. 20 Abs. 3 GG verstieße. Konkret ist dabei an Anfechtungsklagen (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) Drittbetroffener („Nachbarn“) gegen begünstigende Verwaltungsakte in Gestalt komplexer, in der Regel bauordnungsrechtlicher bzw. immissionsschutzrechtlicher Vorhaben- bzw. Anlagengenehmigungen zu denken, die im Hinblick auf § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO eigentlich nur insoweit zu einer gerichtlichen Kassation der Genehmigung führen dürften, wie sie rechtswidrig sind und den Kläger in seinen Rechten verletzen. Mit den hierdurch aufgeworfenen Fragen setzen sich die nachfolgenden Ausführungen auseinander.

2. Teilbarkeit in Bezug auf die Vermeidung schädlicher Umwelteinwirkungen

Für die Genehmigungen von Anlagen, von denen schädliche Umwelteinwirkungen ausgehen, stellt sich insbesondere die Frage, ob sie im Hinblick auf das betriebsbedingte Überschreiten bestimmter Grenz- bzw. Richtwerte teilbar sind.


a) Regelungstechnisch wird der Schutz der Nachbarschaft vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Nebenbestimmungen – häufig in Gestalt von Auflagen – nach § 36 Abs. 1 (L)VwVfG bewerkstelligt,3BVerwG, Beschl. v. 27.01.1998, NVwZ 1998, 1067, und Urt. v. 21.12.2011, NVwZ 2012, 636, 639; vgl. allgemein Ottl, NVwZ 2020, 1392, 1393; zur 18. BImSchV Hesselbarth, Sportanlagenlärmschutzverordnung, 2. Online- Aufl. 2019, Rn. 15. wenn es sich bei der Genehmigung um eine gebunden Entscheidung handelt.4Wird etwa eine Baugenehmigung unter Erteilung einer Ausnahme oder Befreiung nach § 31 Abs. 1 bzw. Abs. 2 BauGB erteilt, können Nebenbestimmungen auch nach § 36 Abs. 2 LVwVfG erlassen werden, um die von der Baugenehmigungsbehörde getroffenen Ermessenserwägungen abzusichern, Hesselbarth (Fn. 38), Rn. 15. Sie dienen dazu, die Einhaltung der – zumeist normativ konkretisierten – Vorgaben zur Erheblichkeit schädlicher Umwelteinwirkungen nach §§ 6 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG bzw. § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG sicherzustellen. Dies ist der Funktion des Einzelgenehmigungsverfahrens geschuldet, diejenigen Nutzungskonflikte zu lösen, die bauplanerisch noch nicht abschließend bewältigt worden sind.5BVerwG, Urt. v. 11.03.1988, NVwZ 1989, 689. Hierzu werden in der Regel Grenz- bzw. Richtwerte für bestimmte Immissionspunkte in der Nachbarschaft festgelegt, die nicht überschritten werden dürfen. Ferner müssen die Nebenbestimmungen in Bezug auf diese Grenzen Vorgaben dazu enthalten, wie sie auf der Emissionsseite im Betrieb eingehalten werden, denn die Nebenbestimmungen dürfen nicht nur eine Konfliktbewältigung „auf dem Papier vortäuschen“.6NdsOVG, Urt. v. 25.11.1994 – 1 M 4954/94 – juris Rn. 15, 18; Weiß, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 36 Rn. 78. Dies ist zumeist durch verschiedene Maßnahmen möglich. Dazu zählen nicht nur Betriebszeitenregelungen oder Kapazitätsbeschränkungen, sondern etwa auch aktive bauliche Schutzmaßnahmen (z.B. Fugenschließungen, Verwendung bestimmter Werkstoffe, besondere Lüftungsvorrichtungen usw.). Maßgeblich ist, dass die Vorgaben in Bezug auf die Einhaltung der Grenz- oder Richtwerte an den Immissionsorten tatsächlich wirksam sind. Denn ist zu befürchten, dass von einer Anlage schädliche Umwelteinwirkungen ausgehen, darf sich die Genehmigungsbehörde nicht darauf beschränken, dem Antragsteller in der Genehmigung in Gestalt von Auflagen aufzugeben, die den Nachbarn nach den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen zumutbaren Werte einzuhalten. Es ist vielmehr erforderlich, aber auch ausreichend, eine realistische Immissionsprognose anzustellen.7Vgl. zu Schallemissionen BVerwG, Urt. v. 27.02.1992 – 4 C 50.89 – juris Rn. 20. Demnach ist es Sache des Antragstellers, im Genehmigungsverfahren auf seine Kosten den Nachweis zu erbringen, dass die zur Genehmigung gestellte Anlage die einschlägigen Zumutbarkeitskriterien einhält.8Vgl. zu Schallemissionen HessVGH, Beschl. v. 30.01.2012 – 4 B 2379/ 11 – juris Rn. 9. 45 BVerwG, Urt. v. 08.02.1974 – IV C 73.72 – juris Rn. 17, 19 f., 22; VGH BW, Beschl. v. 19.10.1999, NVwZ-RR 2000, 413, 415, sowie Urt. v. 03.07.2012 (Fn. 32), Rn. 35. Dies ist in der Regel durch sachverständige Prognosen zu bewerkstelligen.

Solche Nebenbestimmungen, die schädliche Umwelteinwirkungen zum Nachteil der Nachbarschaft vermeiden sollen, bestimmen regelmäßig auch den Inhalt der Genehmigung. Sie sind daher untrennbar mit dieser verbunden.9BVerwG, Urt. v. 08.02.1974 – IV C 73.72 – juris Rn. 17, 19 f., 22; VGH BW, Beschl. v. 19.10.1999, NVwZ-RR 2000, 413, 415, sowie Urt. v. 03.07.2012 (Fn. 32), Rn. 35.

b) Ist die Genehmigung in Bezug auf die Vermeidung schädlicher Umwelteinwirkungen teilweise rechtswidrig, weil sie entweder die Grenz- bzw. Richtwerte für die Nachbarschaft fehlerhaft bestimmt oder anhand der Prognosen nicht hinreichend sicher beurteilt werden kann, ob die zutreffenden Grenz- bzw. Richtwerte eingehalten werden, stellt sich in der Konstellation der Drittanfechtungsklage ebenfalls die Frage, ob insoweit nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nur eine teilweise Aufhebung in Betracht kommt. Besonderes Augenmerk ist hierbei darauf zu richten, dass schädliche Umwelteinwirkungen auf die Nachbarschaft allein durch – häufig komplexe – Nebenbestimmungen, insbesondere Auflagen, vermieden werden können. Würden sie ersatzlos teilweise aufgehoben werden, bliebe in der Regel der auf den schädlichen Umwelteinwirkungen beruhende Nutzungskonflikt ungelöst.

aa) Nebenbestimmungen, die zur Vermeidung schädlicher Umwelteinwirkungen unzureichend und damit rechtswidrig sind und den klagenden Nachbarn in seinen Rechten verletzen, können nach dem oben dargestellten Grundsatz der Unteilbarkeit aufgrund ihres inhaltsgestaltenden Charakters nicht nur teilweise aufgehoben werden. Ihre isolierte Aufhebung würde dazu führen, dass die Rechtsverletzung des klagenden Nachbarn weiter vertieft werden würde. Denn in der Folge einer isolierten Teilaufhebung gälten dann zu Lasten des Nachbarn und zugunsten des Genehmigungsinhabers überhaupt keine Nebenbestimmungen zur Vermeidung schädlicher Umwelteinwirkungen mehr.10Vgl. BVerwG, Urt. v. 08.02.1974 – IV C 73.72 – juris Rn. 17, das aus diesem Grund die Teilanfechtung einer solchen Inhaltsbestimmung durch den Bauherrn mangels materiell-rechtlicher Teilbarkeit verneint. Eine solche prozessuale Teilaufhebung würde mithin den aus der Rechtsverletzung folgenden materiell-rechtlichen Aufhebungsanspruch des Klägers nicht erfüllen.

bb) Sind die Grenz- bzw. Richtwerte zulasten der Nachbarn rechtswidrig zu hoch bestimmt worden, könnte in Betracht kommen, die Genehmigung insoweit teilweise aufzuheben, als mit ihr gerade die Überschreitung der rechtmäßigen – niedrigeren – Grenz- bzw. Richtwerte legalisiert wird. Dies setzt indes mit Blick auf die Rechtmäßigkeit der dann verbleibenden Genehmigung voraus, dass die Einhaltung der rechtmäßigen – niedrigeren – Grenz- bzw. Richtwerte durch Nebenbestimmungen gewährleistet und dies auf der Grundlage realistischer Prognosen nachgewiesen ist. Dabei ist zu beachten, dass der Genehmigungsbehörde im Hinblick auf diese Nebenbestimmungen nach § 36 Abs. 1 (L)VwVfG ein Entschließungs- und ein Auswahlermessen (§ 40 (L)VwVfG) zusteht.11Schröder, in: Schoch/Schneider (Fn. 1), § 36 VwVfG Rn. 110; Weiß (Fn. 42), Rn. 75; Störmer, in: Fehling/Kastner/ders., Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 36 VwVfG Rn. 63; Heitsch, DÖV 2003, 367, 369. Sie hat dann – auch unter Berücksichtigung der im gerichtlichen Drittanfechtungsverfahren gewonnenen Erkenntnisse – erneut fachlich zu prüfen, ob Nebenbestimmungen zur Einhaltung der rechtmäßigen – niedrigeren – Grenz- bzw. Richtwerte überhaupt verhältnismäßig sind, und – falls dies bejaht wird – welche Nebenbestimmungen etwa hinsichtlich Effektivität (Wirksamkeit, Emissionen zu reduzieren), Kosten-Nutzen-Verhältnis (Kosten und Wirkungsgrad der Maßnahme) und Vereinbarkeit mit dem vom Genehmigungsinhaber beabsichtigten Nutzungskonzept geeignet, erforderlich und angemessen sind, um schädliche Umwelteinwirkungen zu vermeiden.

c) Diese materiell-rechtlich erforderliche Prüfung führt dazu, dass in den Fällen einer Teilrechtswidrigkeit, die auf dem nur unzureichenden Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen beruht, prozessual allein eine Gesamtaufhebung in Betracht kommt.

3. Gründe für die Gesamtaufhebung bei nur unzureichendem Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen

Für eine Gesamtaufhebung sprechen Gründe, die auf der Gewaltenteilung beruhen (a), das Verhältnis zwischen Genehmigungsbehörde und Antragsteller (Bauherr bzw. Anlagenbetreiber) (b), prozessökonomische Gründe (c) sowie die Interessen des Genehmigungsinhabers selbst (d).

a) Der erste Grund fußt auf der Gewaltenteilung und der – begrenzten – Reichweite der Pflicht des Verwaltungsgerichts, den Rechtsstreit entscheidungsreif zu machen. Das Verwaltungsgericht ist im Drittanfechtungsverfahren wegen des Grundsatzes der Gewaltenteilung nicht dazu befugt, anstelle der Genehmigungsbehörde und in Abstimmung mit dem Genehmigungsinhaber darüber zu entscheiden, ob im Hinblick auf die rechtmäßigen – niedrigeren – Grenz- bzw. Richtwerte der Erlass einer Nebenbestimmung überhaupt verhältnismäßig und wie diese ggf. auszugestalten ist, um den verbleibenden Teil der Genehmigung mit Blick auf die Vermeidung schädlicher Umwelteinwirkungen zu legalisieren. Anders als bei Entscheidungen über Verpflichtungsklagen nach § 113 Abs. 5 VwGO ist das Verwaltungsgericht im Drittanfechtungsverfahren generell nicht gehalten, die Sache hinsichtlich des verbleibenden Teils des angefochtenen Verwaltungsakts spruchreif zu machen.

Im Übrigen ist auch die Pflicht zur Herstellung der Spruchreife im Verpflichtungsverfahren dann nicht gegeben, wenn im Falle eines „steckengebliebenen Genehmigungsverfahrens“ eine weitere Sachverhaltsaufklärung vorzunehmen und die begehrte Genehmigung regelmäßig mit Nebenbestimmungen zu versehen ist.12Vgl. nur BVerwG, Urt. v. 14.04.1989, NVwZ 1990, 257, 258, und Beschl. v. 25.11.1997, NVwZ-RR 1999, 74; Riese (Fn. 4), Rn. 224. Hiermit ist die Sachlage vergleichbar, wenn eine um einen rechtswidrigen Teil beschnittene Genehmigung nicht aus sich heraus rechtmäßig ist, sondern hierfür weiterer fachlicher Aufklärung und ggf. nach § 36 Abs. 1 (L)VwVfG weiterer Nebenbestimmungen bedarf. Das Verwaltungsgericht ist auch dann weder verpflichtet noch befugt, anstelle der Behörde über das „Ob“ und ggf. das „Wie“ wirkungsvoller Nebenbestimmungen zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen zu entscheiden.13Zum „steckengebliebenen Genehmigungsverfahren“ BVerwG, Urt. v. 14.04.1989 (Fn. 48), 258; Riese (Fn. 4), Rn. 224.

b) Der zweite Grund beruht auf dem zweipoligen Verhältnis zwischen Genehmigungsbehörde und Genehmigungsinhaber. In diesem Verhältnis obliegt es allein dem Letzteren, Art und Umfang seines Vorhabens durch den Antrag auf Genehmigung festzulegen. Es ist auch seine Aufgabe, aus dem Befund, dass sein Vorhaben so wie er es beantragt und aus welchen Gründen auch immer materiell rechtswidrig ist, selbst die Konsequenzen zu ziehen und es im Rahmen eines neuen – ggf. auch um weitere fachliche Unterlagen ergänzten – Antrags so abzuändern, dass es genehmigt werden kann.14OVG NRW, Beschl. v. 17.06.2021 – 2 B 328/21 – juris Rn. 10. Auch im Verpflichtungsverfahren des Bauherrn gegen die Baurechtsbehörde kommt den Verwaltungsgerichten nicht die Befugnis zu, das zur Genehmigung gestellte Vorhaben inhaltlich zu modifizieren, um es am Maßstab der von der Baurechtsbehörde zu prüfenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften ganz oder teilweise genehmigungsfähig zu machen.15OVG Saarland, Beschl. v. 27.11.2019 – 2 A 287/19 – juris Rn. 12. Das Entsprechende muss dann aber auch im Drittanfechtungsverfahren im Falle der Teilrechtswidrigkeit der angefochtenen Genehmigung gelten.

c) Drittens sprechen auch prozessökonomische Gründe gegen eine Pflicht des Verwaltungsgerichts, im Drittanfechtungsverfahren die Sache hinsichtlich des verbleibenden rechtswidrigen Genehmigungsteils zugunsten des Genehmigungsinhabers spruchreif zu machen. Anderenfalls würde das subjektive Rechtsschutzverfahren des Klägers mit der Prüfung belastet werden, ob und unter welchen Voraussetzungen der nach der Rechtswidrigkeit der Nebenbestimmung verbleibende Teil des Vorhabens nach den einschlägigen Bestimmungen genehmigungsfähig ist. Hierzu müsste das Verwaltungsgericht – wie bereits ausgeführt – auch darüber entscheiden, ob und welche Nebenbestimmungen der Genehmigung zum Schutz des Klägers vor schädlichen Umwelteinwirkungen beizufügen wären. Diese Entscheidung würde im Rahmen des Drittanfechtungsprozesses eine weitere Amtsaufklärung – ggf. unter Inanspruchnahme sachverständiger Expertise – erfordern. Die Folge wäre eine Aufblähung des Prozessstoffes, die sich sowohl hinsichtlich der Verfahrensdauer als auch auf die Verfahrenskosten zum Nachteil des Klägers auswirken würde. Denn der Kläger wird in der Regel vorsorglich und ausgehend vom Grundsatz der Unteilbarkeit von Vorhabengenehmigungen die Aufhebung der gesamten Genehmigung beantragen. Würde das Gericht, nachdem es festgestellt hat, dass die dem Schutz des Klägers dienenden Nebenbestimmungen rechtswidrig sind, im Wege der Amtsermittlung weiter prüfen, ob und unter welchen Voraussetzungen die kupierte Genehmigung – wieder – rechtmäßig erteilt werden könnte, hätte der Kläger auch diese Kosten insoweit zu tragen, wie er mit seinem Klagantrag unterliegt, § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Ob § 155 Abs. 4 VwGO in einem solchen Fall zulasten des Beklagten Anwendung fände, weil dessen Behörde jedenfalls mittelbar durch eine mangelhafte Sachverhaltsaufklärung die Entscheidungsreife vereitelt hat, ist umstritten.16Dafür Olbertz, in: Schoch/Schneider (Fn. 1), § 155 VwGO Rn. 26; dagegen Wöckel, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 155 Rn. 13, weil das Verschulden i. S. d. § 155 Abs. 4 VwGO prozessbezogen sein müsse und die Sachaufklärungspflicht der Behörde im Verwaltungsverfahren nicht dazu diene, die Sache vor Gericht spruchreif zu machen.

d) Schließlich dürfte die gerichtliche Herstellung der Genehmigungsfähigkeit des verbleibenden Teils der Genehmigung auch den Interessen des Genehmigungsinhabers widersprechen. Setzt die Genehmigungsfähigkeit den Erlass neuer Nebenbestimmungen voraus, die im Ermessen der Genehmigungsbehörde stehen, würde der Rechtsschutz des Genehmigungsinhabers um das Widerspruchsverfahren und die erste gerichtliche Instanz verkürzt werden. Denn wäre der Genehmigungsinhaber mit der entsprechenden fachlichen Bewertung des Gerichts oder der ausgewählten Nebenbestimmung nicht einverstanden, bliebe ihm gegen das seine Genehmigung modifizierende Urteil nur der Antrag auf Zulassung der Berufung bzw. die Berufung.

4. Prozessuale Situation des Beigeladenen

Zeichnet sich im Drittanfechtungsprozess eine Teilrechtswidrigkeit der angefochtenen Genehmigung ab, darf der beigeladene Inhaber der Genehmigung nicht darauf vertrauen, sein Vorhaben ggf. mit einer kupierten Genehmigung und einem ergänzenden Nachtragsgenehmigungsverfahren verwirklichen zu können. Vielmehr droht ihm der Verlust der gesamten Genehmigung.

Zwar könnte der Beigeladene erwägen, bezüglich des rechtswidrigen und den Nachbarn in seinen Rechten verletzenden Teils der Genehmigung zu verzichten und der Anfechtungsklage des Nachbarn insoweit den Streitgegenstand zu entziehen. Ein solches Vorgehen ist bei fehlender materiell-rechtlicher Teilbarkeit jedoch nicht möglich. Die Wirksamkeit eines solchen Teilverzichts setzt nämlich die Teilbarkeit voraus.17BVerwG, Beschl. v. 08.11.2010 – 4 B 43.10 – juris Rn. 10 zu einer Baugenehmigung; NdsOVG, Urt. v. 21.08.2018 – 10 LB/34/18 – juris Rn. 40 zu einer Waldumwandlungsgenehmigung.

Die Genehmigungsbehörde könnte zwar den rechtswidrigen und den Nachbarn in seinen Rechten verletzenden Teil der Genehmigung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 (L)VwVfG zurücknehmen. Eine solche Rücknahme wäre bei fehlender materiell-rechtlichen Teilbarkeit zwar rechtswidrig, aber wohl nicht nach § 44 Abs. 1 (L)VwVfG nichtig, sodass sie – anders als der unwirksame Teilverzicht des Beigeladenen – der Drittanfechtungsklage den Streitgegenstand entziehen und die Erledigung des Verfahrens herbeiführen könnte. Ein solches Vorgehen verstieße aber gegen die Gesetzesbindung der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) und kann für den betreffenden Beamten eine Verletzung seiner Dienstpflichten nach §§ 33, 36 BeamtStG darstellen, wenn die rechtswidrige Teilrücknahme sehenden Auges allein zu dem Zweck erfolgt, dem Beigeladenen die Genehmigung im Übrigen zu erhalten.

Denkbar ist aber, parallel zum verwaltungsgerichtlichen Verfahren einen Antrag auf Erlass einer Nachtragsänderungsgenehmigung zu stellen, und ggf. vor diesem Hintergrund jedenfalls ein faktisches Ruhen des Verfahrens zu erreichen. Denn angesichts einer absehbaren Änderung der Genehmigung, die die Rechtswidrigkeit insoweit beseitigen könnte, wie ihr eine Rechtsverletzung des Klägers entspricht, wird ein Gericht in der Regel mangels Entscheidungsreife nicht über den Rechtsstreit entscheiden. Ein formales Ruhen setzt indes nach § 173 VwGO i. V. m. § 251 ZPO eine Zustimmung des Klägers und des Beklagten voraus, die der Kläger in der Regel nicht erteilen wird. Eine Aussetzung nach § 94 VwGO aufgrund des parallel laufenden Genehmigungsverfahrens kommt nicht in Betracht.

Eine hinsichtlich des Schutzes der Nachbarschaft vor schädlichen Umwelteinwirkungen „auf Kante genähte“ Genehmigung ist daher für den Beigeladenen in hohem Maße mit dem Risiko behaftet, im Rechtsschutzverfahren des Nachbarn in Gänze aufgehoben zu werden. Dieses Risiko muss bereits bei der Antragstellung und im Genehmigungsverfahren berücksichtigt werden. In Grenzfällen ist durch nachweisbar effektive Nebenbestimmungen ein Sicherheitspuffer hinsichtlich der Emissionen zu schaffen. Ist dies nicht möglich, muss dem Antragsteller bewusst sein, dass er ein hohes Risiko eingeht, die gesamte Genehmigung in einem Drittanfechtungsverfahren zu verlieren.

C. Zusammenfassung

Das materielle Recht kann es gebieten, eine Ausnahme vom Gleichlauf des prozessualen Teilaufhebungsanspruchs nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO mit dem materiell-rechtlichen Beseitigungsanspruch des Klägers zu machen. Trotz einer nur teilweisen Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts, die mit einer Rechtsverletzung des Klägers einhergeht, ist dann gleichwohl der gesamte Verwaltungsakt durch das Verwaltungsgericht aufzuheben, wenn der andernfalls verbleibende Rest nicht rechtmäßig bestehen bleiben und der Verwaltungsakt insgesamt daher nicht geteilt werden kann. Insbesondere bei Vorhabengenehmigungen mit komplexen Nebenbestimmungen, die dem Schutz der Nachbarschaft vor schädlichen Umwelteinwirkungen dienen sollen, ist das Verwaltungsgericht weder befugt noch verpflichtet, den verbleibenden Genehmigungsteil im Hinblick auf einen ausreichenden Schutz der Nachbarschaft spruchreif zu machen. Die Handlungsoptionen des beigeladenen Inhabers der Genehmigung, um den gesamten Verlust seiner teilrechtswidrigen Genehmigung zu vermeiden, sind begrenzt.

Entnommen aus den Verwaltungblättern für Baden-Württemberg Heft 8/2023, S. 309 ff.

 

Dr. Felix Hornfischer

Richter am Verwaltungsgericht
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  • 1
    Vgl. etwa Wahl, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand: August 2022, Vorbemerkung, § 42 Abs. 2 VwGO Rn. 4 ff.
  • 2
    Zu den Ausnahmen von der Geltendmachung einer Verletzung subjektiver Rechte R. P. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 42 Rn. 180 ff.
  • 3
    BVerwG, Beschl. v. 27.01.1998, NVwZ 1998, 1067, und Urt. v. 21.12.2011, NVwZ 2012, 636, 639; vgl. allgemein Ottl, NVwZ 2020, 1392, 1393; zur 18. BImSchV Hesselbarth, Sportanlagenlärmschutzverordnung, 2. Online- Aufl. 2019, Rn. 15.
  • 4
    Wird etwa eine Baugenehmigung unter Erteilung einer Ausnahme oder Befreiung nach § 31 Abs. 1 bzw. Abs. 2 BauGB erteilt, können Nebenbestimmungen auch nach § 36 Abs. 2 LVwVfG erlassen werden, um die von der Baugenehmigungsbehörde getroffenen Ermessenserwägungen abzusichern, Hesselbarth (Fn. 38), Rn. 15.
  • 5
    BVerwG, Urt. v. 11.03.1988, NVwZ 1989, 689.
  • 6
    NdsOVG, Urt. v. 25.11.1994 – 1 M 4954/94 – juris Rn. 15, 18; Weiß, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 36 Rn. 78.
  • 7
    Vgl. zu Schallemissionen BVerwG, Urt. v. 27.02.1992 – 4 C 50.89 – juris Rn. 20.
  • 8
    Vgl. zu Schallemissionen HessVGH, Beschl. v. 30.01.2012 – 4 B 2379/ 11 – juris Rn. 9. 45 BVerwG, Urt. v. 08.02.1974 – IV C 73.72 – juris Rn. 17, 19 f., 22; VGH BW, Beschl. v. 19.10.1999, NVwZ-RR 2000, 413, 415, sowie Urt. v. 03.07.2012 (Fn. 32), Rn. 35.
  • 9
    BVerwG, Urt. v. 08.02.1974 – IV C 73.72 – juris Rn. 17, 19 f., 22; VGH BW, Beschl. v. 19.10.1999, NVwZ-RR 2000, 413, 415, sowie Urt. v. 03.07.2012 (Fn. 32), Rn. 35.
  • 10
    Vgl. BVerwG, Urt. v. 08.02.1974 – IV C 73.72 – juris Rn. 17, das aus diesem Grund die Teilanfechtung einer solchen Inhaltsbestimmung durch den Bauherrn mangels materiell-rechtlicher Teilbarkeit verneint.
  • 11
    Schröder, in: Schoch/Schneider (Fn. 1), § 36 VwVfG Rn. 110; Weiß (Fn. 42), Rn. 75; Störmer, in: Fehling/Kastner/ders., Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 36 VwVfG Rn. 63; Heitsch, DÖV 2003, 367, 369.
  • 12
    Vgl. nur BVerwG, Urt. v. 14.04.1989, NVwZ 1990, 257, 258, und Beschl. v. 25.11.1997, NVwZ-RR 1999, 74; Riese (Fn. 4), Rn. 224.
  • 13
    Zum „steckengebliebenen Genehmigungsverfahren“ BVerwG, Urt. v. 14.04.1989 (Fn. 48), 258; Riese (Fn. 4), Rn. 224.
  • 14
    OVG NRW, Beschl. v. 17.06.2021 – 2 B 328/21 – juris Rn. 10.
  • 15
    OVG Saarland, Beschl. v. 27.11.2019 – 2 A 287/19 – juris Rn. 12.
  • 16
    Dafür Olbertz, in: Schoch/Schneider (Fn. 1), § 155 VwGO Rn. 26; dagegen Wöckel, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 155 Rn. 13, weil das Verschulden i. S. d. § 155 Abs. 4 VwGO prozessbezogen sein müsse und die Sachaufklärungspflicht der Behörde im Verwaltungsverfahren nicht dazu diene, die Sache vor Gericht spruchreif zu machen.
  • 17
    BVerwG, Beschl. v. 08.11.2010 – 4 B 43.10 – juris Rn. 10 zu einer Baugenehmigung; NdsOVG, Urt. v. 21.08.2018 – 10 LB/34/18 – juris Rn. 40 zu einer Waldumwandlungsgenehmigung.
n/a