25.03.2024

Wolfsentnahmen in Bayern

Unionsrechtliche Problematiken

Wolfsentnahmen in Bayern

Unionsrechtliche Problematiken

Ein Beitrag aus »Bayerische Verwaltungsblätter« | © emmi - Fotolia / RBV
Ein Beitrag aus »Bayerische Verwaltungsblätter« | © emmi - Fotolia / RBV

Mit der Bayerischen Wolfsverordnung (BayWolfV) vom 25. April 2023 wagt sich die Bayerische Staatsregierung auf rechtlich fragwürdiges Terrain. Im Unterschied zu der kürzlich veröffentlichten Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste im Bundestag konzentriert sich dieser Beitrag auf die unionsrechtlichen Problematiken. Der Verfasser regt eine restriktive Handhabung der BayWolfV an, die praktisch kaum Raum für rechtmäßige Entnahmen von Wölfen lassen dürfte.

A. Ausgangslage

Ein exponentielles Wachstum der Population, ansteigende Risszahlen und damit einhergehende wirtschaftliche Schäden sowie Ängste: Der Wolf fasst zusehends Fuß in Deutschland wie auch allmählich in Bayern. Mittlerweile mehren sich diejenigen Stimmen innerhalb der Bayerischen Staatsregierung, die den Wolf als Problem begreifen und seinen strengen Schutzstatus einschränken oder gar streichen möchten. Der Wahlkampf in Bayern im Vorfeld der Landtagswahl im September 2023, angeheizt durch den Angriff eines Bären im Trentino, spiegelt den rauer werdenden Ton gegenüber Großkarnivoren wider. Spätestens seit diesem tragischen Vorfall gehören Forderungen nach Wolfsentnahmen zur politischen Programmatik von CSU und Freien Wählern, die fernab des urbanen Raums nicht selten Zuspruch erfahren. Ein nicht zu unterschätzender Teil der Bevölkerung, der weder wirtschaftliche noch persönliche Interessen im Bereich der Weidetierhaltung verfolgt, steht großen Beutegreifern skeptisch gegenüber. Dementsprechend liegt auf der Hand, dass ihr Schutz gerade in ländlich geprägten Regionen wie dem bayerischen Alpenraum, wo Begegnungen wahrscheinlicher werden, unter einem im Wesentlichen auf Vorurteile zurückzuführenden Legitimationsdefizit leidet. Als natürlicher Regulator von Wildbeständen ist der Wolf dem Gleichgewicht des Ökosystems dienlich und leistet einen Beitrag zur Biodiversität. Ferner sind Übergriffe auf Menschen äußert selten.

Für die auf den wirtschaftlichen Erfolg ihres Tuns angewiesenen Weidetierhaltenden dürften diese Erwägungen nichtsdestotrotz höchstens bedingt zufriedenstellend sein. Tatsächlich sorgen Wolfsrisse für nicht unerheblichen finanziellen Mehraufwand. Abwegig ist die Forderung, die Entnahme von Wölfen zu erleichtern, von diesem Standpunkt aus mitnichten. Vielmehr könnten einerseits Rissschäden minimiert und andererseits kostenintensive Präventionsmaßnahmen vernachlässigbar werden. § 45 Abs. 7 Satz 4 und 5 BNatSchG eröffnet dahingehend begrenzt Möglichkeiten, die einige Länder bereits für die Etablierung eines stärker an menschlichen Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen orientierten Wolfsmanagements nutzten. Neu hinzugetreten ist nun die BayWolfV, der die im Vorspann erwähnte Ausarbeitung jüngst Unions- und Bundesrechtswidrigkeit bescheinigte. In absehbarer Zeit dürfte ein Normenkontrollverfahren nach Art. 4 Satz 1 BayAGVwGO, § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO vor dem BayVGH bevorstehen.


Im Folgenden werden die für Entnahmen zu beachtenden Vorgaben des Unionsrechts anhand des § 45 Abs. 7 Satz 1 und 2 BNatSchG näher beleuchtet (B.I.), und darauf aufbauend wird eine Bewertung der BayWolfV vorgenommen (B.II.). Der Fokus liegt dabei auf einer rechtlichen Analyse auf der Basis der Art. 12, 16 Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) sowie der hierzu ergangenen Rechtsprechung des EuGH. Ein Ausblick (C.) beschließt den Beitrag.

B. Unionsrechtliche Würdigung der BayWolfV vom 25. April 2023

Grundsätzlich ist der Wolf (canis lupus) eine nach § 7 Abs. 2 Nr. 14 lit. b BNatSchG i. V. m. Anhang IV lit. a FFH-RL streng geschützte Art, deren Schutzniveau sich aus § 44 Abs. 1 BNatSchG beziehungsweise Art. 12 Abs. 1 FFH-RL ergibt. Demnach sind etwa alle absichtlichen Formen des Fangs oder der Tötung, also Entnahmen, von aus der Natur entnommenen Exemplaren untersagt. Nach Maßgabe des § 45 Abs. 7 Satz 1 und 2 BNatSchG beziehungsweise des Art. 16 Abs. 1 FFH-RL können hiervon jedoch unter gewissen Bedingungen Ausnahmen zulässig sein.

I. Richtlinienkonformes Verständnis des § 45 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG

Zunächst müssten hierfür die Voraussetzungen gemäß Art. 16 Abs. 1 FFH-RL (vgl. § 45 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG) kumulativ erfüllt sein. Zum einen darf keine anderweitige zufriedenstellende Lösung ersichtlich sein (1), und zum anderen müssen die Populationen der betroffenen Art in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet trotz der Ausnahmeregelung ohne Beeinträchtigung in einem günstigen Erhaltungszustand verweilen (2). Nur dann obliegt es dem Ermessen des jeweiligen Mitgliedstaats beziehungsweise dem der jeweils zuständigen Behörde, ob dieser beziehungsweise diese etwa von dem für Wölfe einschlägigen Art. 12 Abs. 1 FFH-RL abweichen darf. Im Übrigen bleibt der Mitgliedstaat an den Ausnahmenkatalog des Art. 16 Abs. 1 lit. a bis e FFH-RL gebunden; für nationale Alleingänge abseits dessen verbleibt insofern kein Raum. Ferner hat eine richtlinienkonforme Betrachtungsweise der nationalen Norm unter Beherzigung des effet utile-Grundsatzes gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV zu erfolgen. Somit ist der Inhalt des § 45 Abs. 7 Satz 1 und 2 BNatSchG nach Maßgabe des Art. 16 Abs. 1 FFH-RL auszulegen und zu verstehen.

1. Keine anderweitige zufriedenstellende Lösung

Eine Ausnahme nach Art. 16 Abs. 1 FFH-RL ist zu versagen, wenn das mit dieser Ausnahme verfolgte Ziel durch eine anderweitige zufriedenstellende Lösung erreicht werden kann. Die Anforderung gilt in Verbindung mit den Ausnahmetatbeständen nach Art. 16 Abs. 1 lit. a bis e FFH-RL als Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Insbesondere hinsichtlich der hierunter zu verstehenden Erforderlichkeit und der Angemessenheit ist zu beachten, dass eine Entnahme voraussetzt, dass kein milderes Mittel gleicher Effektivität existieren darf und die mit der Maßnahme verbundenen Nachteile für den Wolf nicht unangemessen sein dürfen.

Der in § 45 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG gewählte Begriff der „Zumutbarkeit“ darf im Endergebnis nicht zu einer Abweichung von dem unionsrechtlich gewährleisteten Schutzniveau des Art. 12 Abs. 1 FFH-RL führen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine Entnahme nicht schon dann die einzige zumutbare Lösung darstellt, wenn die anderweitige zufriedenstellende Alternative mit höheren Kosten beziehungsweise mit einem höheren Kontrollaufwand für den Staat verbunden wäre. Um der Begründungspflicht hinreichend nachzukommen, sind alle potenziellen Alternativen zwingend zu erörtern und sämtliche relevanten technischen, rechtlichen und wissenschaftlichen Daten bezüglich dieser Thematik zu berücksichtigen. Die Entnahme muss unter Beachtung der besten einschlägigen wissenschaftlichen und technischen Erkenntnisse sowie der Umstände des konkreten Falls das einzige erdenkliche Mittel sein, um das jeweilige Ziel zu erreichen.

Nach Auffassung des GA Saugmandsgaard Øe dürfte ferner die Tatsache, dass ein identisches Problem in anderen Mitgliedstaaten oder in einem anderen Mitgliedstaat ohne Rückgriff auf eine der Ausnahmen nach den Art. 16 Abs. 1 lit. a bis e FFHRL gelöst wurde, ein starkes Indiz dafür sein, dass das Vorhandensein einer Alternativlösung zu bejahen sein dürfte. Demzufolge ist etwa zu prüfen, ob eine Erhöhung der bereitgestellten Mittel für die Ausstattung mit elektrifizierten Zäunen, mit Herdenschutzhunden et cetera nicht denselben oder nahezu denselben Effekt wie eine Entnahme erzielen kann.

2. Natürliches Verbreitungsgebiet

In der Rs. C-88/19 stellte sich unter anderem die Frage, ob menschliche Siedlungen als natürlicher Lebensraum des Wolfs zu subsumieren sind. Mangels einer Legaldefinition widmete sich GAin Kokott in ihren Schlussanträgen ausführlich unter Einsatz der gängigen Interpretationsmethoden dieser Thematik und schloss im Ergebnis nicht aus, dass auch menschliche Siedlungen Teil des natürlichen Verbreitungsgebiets des Wolfs sein können. So spräche zwar der in Art. 12 Abs. 1 FFH-RL verwendete Begriff „natürlich“ prima facie gegen eine Subsumtion, sei aus wissenschaftlicher Perspektive aber uneindeutig. Dem Regelungszweck, dem Wortlaut und der Systematik widerspräche es hingegen nachdrücklich, wenn einer Art beziehungsweise einem Individuum nur deswegen der strenge Schutz entzogen werden könnte, weil sich diese beziehungsweise dieses innerhalb des menschlichen Siedlungsgebiets befände. Überdies sei Art. 1 lit. f FFH-RL für die Auslegung beachtlich, wonach das Habitat einer Art keinem starr und unveränderlich abgegrenzten Gebiet entspräche.

Für den Wolf bedeutet diese vonseiten des EuGH bestätigte Begriffsauslegung, dass theoretisch ganz Deutschland als das natürliche Verbreitungsgebiet im Sinn des Art. 12 Abs. 1 FFHRL infrage kommt, da sich die Art im Rahmen ihres natürlichen Verhaltens hierzulade nahezu allerorts aufhalten beziehungsweise ausbreiten könnte. Das natürliche Verbreitungsgebiet des Wolfs, und damit seinen strengen Schutz, auf gewisse Zonen zu reduzieren, um die Bevölkerung einer sehr dicht besiedelten Region wie Deutschland in Gänze vor Kontakten zu bewahren, steht folglich dem Unionsrecht entgegen.

[…]

Den vollständigen Beitrag lesen Sie in den Bayerischen Verwaltungsblättern Heft 22/2023, S. 761 ff.

 

Sven Ojak

Student an der FAU Erlangen-Nürnberg und an der FeU Hagen
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