15.12.2010

Milliardenschäden durch Korruption & Co

PwC-Studie empfiehlt Kontrollsysteme in der öffentlichen Verwaltung

Milliardenschäden durch Korruption & Co

PwC-Studie empfiehlt Kontrollsysteme in der öffentlichen Verwaltung

Über die Kriminalität im öffentlichen Sektor lagen bisher keine Studien vor. | © Andreas Haertle - Fotolia
Über die Kriminalität im öffentlichen Sektor lagen bisher keine Studien vor. | © Andreas Haertle - Fotolia

Die Wirtschaftskriminalität in der Privatwirtschaft ist bereits intensiv erforscht – zuletzt durch die Studie „Wirtschaftskriminalität 2009“ der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC. Aber über die Kriminalität in der deutschen öffentlichen Verwaltung lagen bislang noch keine Erhebungen vor. Mit der Studie „Kriminalität im öffentlichen Sektor 2010“ schließt PwC jetzt diese Lücke. Im Ergebnis belaufen sich die geschätzten finanziellen Schäden durch Straftaten auf über zwei Milliarden Euro jährlich. Wir gehen von rund 20.000 Verdachtsfällen pro Jahr allein für den Tatbestand Korruption aus. Jede zweite Behörde (insgesamt 52 %) war in den Jahren 2008 bis 2010 von kriminellen Handlungen betroffen, für jede dritte Behörde ließen sich Straftaten nachweisen, und 44 % gaben konkrete Verdachtsfälle zu Protokoll.

Wie teuer die direkten finanziellen Schäden die Behörden und damit auch die Steuerzahler zu stehen kommen, beziffert unsere Studie eindrucksvoll: Für die Jahre 2008 bis 2010 werden Durchschnittsbeträge für Subventionsbetrug in Höhe von 7.131.600 Euro ermittelt, für wettbewerbswidrige Absprachen 2.325.300 Euro, für Vermögensdelikte 412.500 Euro und für Vorteilsnahme/Bestechlichkeit 234.900 Euro. Die Verdachtsfälle mitgerechnet beläuft sich der durchschnittliche Gesamtschaden, hochgerechnet auf alle Bundes-, Landes- und Kommunalbehörden, auf mindestens 274 Millionen Euro, nicht berücksichtigt die vielen unentdeckten Delikte. Schätzungen öffnen den Blick für ein weites Dunkelfeld. Wenn wir davon ausgehen, dass gerade bei schwer feststellbaren Betrugsdelikten auf eine entdeckte Straftat mindestens zehn unentdeckte Straftaten kommen, dann erscheint uns die oben genannte Schätzung des jährlichen finanziellen Schadens in Höhe von zwei Milliarden Euro als kaum übertrieben.

Im Vergleich zu den Ergebnissen unserer Studie über Wirtschaftskriminalität 2009 in der Privatwirtschaft steht die öffentliche Verwaltung hier nun doch wesentlich besser da: Mit 48 % liegt das Niveau der Belastung mit Straftaten in der Privatwirtschaft mehr als doppelt so hoch wie in der Verwaltung (22 %).


Behörden und Bürger im Spannungsfeld

Zwischen Mai und Juli 2010 wurden Korruptionsbeauftragte aus 500 Bundes-, Landes- und Kommunalverwaltungen für unsere repräsentative Studie befragt. Die teilnehmenden Behördenvertreter beantworteten standardisierte Fragen nach Formen der Korruption, Vermögensdelikten, Urkundenfälschungen, wettbewerbswidrigen Absprachen und Subventionsbetrug. Der behördlichen Selbsteinschätzung stellte die Studie noch die Fremdeinschätzung von 1.000 Bundesbürgern gegenüber, denen dieselben Fragen zur Einschätzung der Kriminalitätsrisiken für die öffentliche Verwaltung in Deutschland vorgelegt wurden.

Wie sich zeigt, klaffen die Einschätzungen der beiden Gruppen weit auseinander: Ganze 53 % der Bevölkerung halten Vermögensdelikte innerhalb der deutschen Verwaltung für sehr häufig, während dies nur 21 % der Behördenvertreter für die eigene Branche vermuten.

Auch für Korruption malt die Bevölkerung ein wesentlich düsteres Bild als die Verwaltung. So sind fast 50 % der befragten Bundesbürger, aber nur rund 30 % der Behörden der Meinung, dass Korruption im öffentlichen Dienst stark verbreitet ist. Die Zahlen spiegeln nur die Schätzwerte von Behörden und Bundesbürgern, nicht die Realität. Doch sie demonstrieren eindrucksvoll, dass der Blick der Behörden auf das eigene Haus zu schön gefärbt und das Bild, das die Bevölkerung von ihrer Verwaltung hat, allzu negativ ausfällt. Im Ergebnis entsteht ein Zerrbild mit Folgen: Bürger, die ihrer Verwaltung misstrauen, werden diese künftig nicht mehr nur für kriminell halten, sondern auch so behandeln – eine weitere Stufe abwärts auf der Skala der Wertschätzung.

Wirklichkeitsnahe Schätzwerte für Verdachtsfälle

Aber weder das Bild, das die Bürger von ihrer Verwaltung haben, noch das Selbstbild der Behörden entspricht der Wirklichkeit. Behörden unterschätzen gemeinhin die Risiken, besonders für sich selbst. Sie stufen das Korruptionsrisiko für die eigene Behörde fast dreimal so niedrig ein (10 %) wie für die deutsche Verwaltung generell (29 %). Wir schließen daraus, dass die behördeninternen Kontroll- und Präventionsmaßnahmen im Allgemeinen stark vernachlässigt werden – man hält sich ja selbst für weitgehend immun. Andererseits: Der Blick auf die deutschlandweite Verwaltung ist unbefangener und dürfte dadurch der Wirklichkeit wesentlich näher kommen. Der Schätzwert für das deutschlandweite Risiko entspricht nämlich im Großen und Ganzen dem Schätzwert für konkrete Verdachtsfälle in der eigenen Behörde. Wir empfehlen daher den Behörden, sich bei der Bewertung ihrer Risiken stärker an der Zahl der Verdachtsfälle zu orientieren. Die gefühlte Sicherheit im eigenen Haus trügt. Sie steht weniger für ein geringes Risiko als für einen Mangel an Kontrollmaßnahmen.

Die eigentlichen Schäden

Anders als direkte finanzielle Schäden lassen sich Reputationsverlust und der für das Schadensmanagement erforderliche Zeitaufwand nicht in Zahlen fassen – dafür sind aber die Folgen umso nachhaltiger. Jede vierte der befragten Behörden berichtet über einen gravierenden Ansehensverlust in der Öffentlichkeit als Folge von Vermögensdelikten, jede zweite spricht von indirekten Schäden für sich selbst durch Fälle von Vorteilsnahme und Bestechlichkeit. Für 64 % ist der Zeitaufwand am gravierendsten, für 29 % ist es der Reputationsverlust, für 24 % der wachsende politische Druck auf die Behörde. Und je hochrangiger der in ein Delikt verwickelte Behördenvertreter desto häufiger leidet das Image der Behörde. Es wird deutlich, dass es sich bei diesen mittelbaren Auswirkungen von Kriminalität in vielen Fällen um die eigentlichen Schäden handelt.

Lange Behördenzugehörigkeit erhöht Anfälligkeit

Was die Täterprofile angeht, so sind überwiegend Bedienstete der unteren Ränge (42 %), aber auch Beamte (44 %) und höherrangige Bedienstete an Korruptionsdelikten beteiligt. Auffälliges Merkmal: Die Täter sind in der Behörde „groß geworden“, d.h. sie arbeiten dort schon viele Jahre. Im Durchschnitt befinden sie sich zwölf Jahre auf ihrer Position. Die Korruptionstäter befinden sich zu 16 % auf Leitungsebene, 17 % gehören dem höheren Dienst an. Jedoch: Auch die übrigen Bediensteten-Gruppen erweisen sich keineswegs als korruptionsresistent. Es gibt, so unser Fazit, keine Gruppe, der man aufgrund ihres Alters, ihres Ranges und ihres Beschäftigtenstatus ein besonderes Vertrauen entgegenbringen kann.

Hohe Anzeigenbereitschaft

Wer in Behörden krimineller Handlungen überführt wird, muss in der Regel mit einer Strafanzeige rechnen. Im Vergleich zur Anzeigenbereitschaft in der Privatwirtschaft ist die Quote in der Verwaltung mit 81 % gegenüber von nur ­
50 % in der Privatwirtschaft außerordentlich hoch.

Dass es in Behörden wie übrigens auch in der Privatwirtschaft zur Aufdeckung von Straftaten kommen kann, geht zu 70 % auf interne und externe Tippgeber zurück. Nur 10 % der Straftaten werden von der Polizei ermittelt, 5 % werden durch Kontrollen der Innenrevision und ganze 3 % durch ein Hinweisgebersystem aufgedeckt. Dies zeigt, dass die Aufdeckung von Straftaten weitgehend zufallsgetrieben ist. Wo aber der Zufall bestimmt, wie viele Taten ans Licht kommen (und wie viele nicht), hat die Behörde ihre Hausaufgaben nicht gemacht: nämlich dafür Sorge zu tragen, dass das Problem im eigenen Haus erkannt und mithilfe wirksamer Kontrollen möglichst klein gehalten wird. Kontroll- und Präventionsinstanzen sind in der Verwaltung jedoch selten. Wären interne Kontrollmechanismen allgemein verbreitet, würde die Entdeckungsquote wesentlich höher liegen und die Bereitschaft zur Delinquenz selbst erheblich zurückgehen. Deshalb sind Hinweisgebersysteme oder Mitarbeiterschulungen zur Kriminalprävention auch in Zeiten angespannter Budgets unabdingbar und eine lohnende Zukunftsinvestition.

Fazit

In der Wahrnehmung der bundesdeutschen Bevölkerung erscheint der öffentliche Sektor krimineller als er faktisch ist. Die Verwaltung selbst wiederum unterschätzt die Kriminalitätsrisiken und hat den Ausbau von internen Kontrollsystemen bislang vernachlässigt. Dabei könnte beispielsweise schon die bloße Existenz eines Hinweisgebersystems in Behörden dazu beitragen, bei potenziellen Straftätern das subjektive Entdeckungsgefühl zu erhöhen. Die beste Prävention besteht aber darin, ein Klima der sozialen Missbilligung für kriminelle Handlungen im Arbeitsumfeld der Täter zu schaffen, um bei allen Mitarbeitern das notwendige Problembewusstsein zu formen. Denn Prävention ist nicht zuletzt eine Frage der Organisationskultur.

 

Rainer Heck

Senior Manager, PwC Stuttgart Governance, Risk und Compliance
 

Frank Weise

Partner, PwC Berlin Public Management Consulting
n/a