15.12.2010

Informationsfreiheitsrecht im Spagat

Das rechte Maß zwischen Informationszugang und Interessenschutz

Informationsfreiheitsrecht im Spagat

Das rechte Maß zwischen Informationszugang und Interessenschutz

Abwägung: Informationszugang und der Schutz berechtigter Interessen. | © styf - Fotolia
Abwägung: Informationszugang und der Schutz berechtigter Interessen. | © styf - Fotolia

Vor nunmehr fast fünf Jahren ist das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes (IFG) in Kraft getreten. Die Verwaltungsgerichte hatten mittlerweile vielfach Gelegenheit, sich zu Rechtsfragen zu positionieren, die den allgemeinen und voraussetzungslosen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen betreffen. Die Rechtsprechung hat durchweg einen sehr informationszugangsfreundlichen Ansatz zugrunde gelegt, der auch in solchen Fällen festzustellen ist, die nicht unmittelbar mit Ansprüchen nach dem IFG zusammenhängen, die aber allgemein in das Recht des Informationszugangs einzuordnen sind. Dies gilt etwa für den Zugang zu den Verträgen über die Privatisierung der Berliner Wasserbetriebe, die Gegenstand eines Urteils des Verfassungsgerichtshofs Berlin (Urteil vom 14.07.2010 – VerfGH 57/08) sowie eines Volksbegehrens („Berliner Wassertisch“) sind und die sogar eine Änderung des Berliner IFG veranlasst haben.

Eine höchstrichterliche Klärung vieler durch das IFG ausgelöster Rechtsfragen durch das BVerwG steht indes noch aus – ein guter Anlass und Zeitpunkt, eine Zwischenbilanz zu ziehen und das Informationsfreiheitsrecht dabei kritisch auf Fehlentwicklungen hin abzuklopfen.

Das IFG ist eines der rot-grünen Reformprojekte, das zunächst in der Ressortabstimmung steckengeblieben war und erst – aber immerhin – kurz vor den Bundestagswahlen 2005 verabschiedet werden konnte, die zur Ablösung der Regierung Schröder / Fischer durch die Große Koalition geführt haben. Das Gesetz trat am 01.01.2006 in Kraft und dient nach der Gesetzesbegründung dazu, das Verwaltungshandeln des Bundes durch erleichterten Informationszugang transparenter zu gestalten und die demokratischen Beteiligungsrechte der Bürgerinnen und Bürger zu stärken.


Regelungsstruktur des IFG

Das IFG sieht einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen vor, der voraussetzungslos gilt: Ein Antragsteller ist demnach nicht gehalten, ein besonderes, etwa rechtliches oder sonst wie geartetes Interesse am Zugang zu den Informationen nachzuweisen. Der Begriff der amtlichen Informationen wird denkbar weit verstanden und umfasst letztlich alles, was Bestandteil des behördlichen Vorgangs werden soll. Es kommt nicht darauf an, von wem die Informationen stammen, wer also ihr Urheber ist. Anders als im Anwendungsbereich des Umweltinformationsgesetzes (UIG) ist der Zugang nicht auf bestimmte Informationen, wie dort auf Umweltinformationen, begrenzt.

Neben einigen Verfahrensregelungen hält das IFG vor allem eine Reihe von Ausnahmetatbeständen oder Schutzbestimmungen (§§ 3 bis 6 IFG) bereit. Besondere öffentliche Belange wie etwa die Arbeit der Geheimdienste oder die öffentliche Sicherheit, der behördliche Entscheidungsprozess, der Schutz personenbezogener Daten oder auch der Schutz des geistigen Eigentums oder von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen begrenzen den Anspruch auf Informationszugang bzw. können ihm im Einzelfall entgegenstehen. Der Bundesgesetzgeber hat diese Schutzbestimmungen differenzierten Anforderungen unterworfen: Teilweise sind öffentliche Belange nur dann betroffen, wenn das Bekanntwerden der Information nachteilige Auswirkungen haben kann, teilweise unterliegt der Schutz zeitlichen Grenzen, teilweise darf der Zugang nur gewährt werden, wenn das Informationsinteresse überwiegt. Abgesehen von letzterem Fall, der sich auf den Schutz personenbezogener Daten bezieht (§ 5 IFG), kommt es auf eine Abwägung aber nicht an.

Hohe Anforderungen für Geltendmachung von Ausnahmen

Es sind diese Ausnahmetatbestände, die im Mittelpunkt der gerichtlichen Auseinandersetzungen stehen. Dabei hat die Rechtsprechung zunächst klargestellt, dass es auf die Motivation des Informationssuchenden nicht ankommt. Es kann also offen bleiben, für welchen Zweck die Informationen begehrt werden – und ob überhaupt ein (rechtlich anerkannter) Zweck dahinter steht. Dementsprechend kann die informationsverpflichtete Behörde dem Bürger nicht entgegenhalten, wenn er die Informationen zur Vorbereitung eines Schadensersatzprozesses gegen eine Behörde nutzen möchte. Dies betrifft etwa Nachweise der Baumkontrollen in Berlin, die für die Einschätzung erforderlich sind, ob ein Schadensersatzanspruch gerichtlich weiterverfolgt werden soll (VG Berlin, Urteil vom 07.10.2010 – VG 2 K 71.10).

Ungeachtet der im Einzelnen bestehenden Streitfragen (etwa: handelt es sich bei der BaFin um eine Behörde, die Kontroll- oder Aufsichtsaufgaben im Bereich des Finanz-, Wettbewerbs- und Regulierungsrechts wahrnimmt; vgl. VG Frankfurt/M., Urteil vom 23.01.2008 – 7 E 3280/06) stellt die Rechtsprechung an die Darlegung eines Ausnahmetatbestands hohe Anforderungen. So seien die Ausnahmen vom Zugang zu Informationen grundsätzlich eng auszulegen. Und der informationsverpflichteten Behörde obliege die Darlegungslast, die Voraussetzungen der in Anspruch genommenen Schutzbestimmung nachzuweisen. Je nach Ausnahmetatbestand heißt dies, dass die Behörde konkret und im Einzelnen nachweisen muss, dass das Bekanntwerden der Information konkrete Nachteile hat. Führe die Behörde allerdings einen solchen Nachweis nicht, kann sie also nicht präzise darlegen, warum welche Teile des Vorgangs geheim zu halten sind, müssen die Informationen herausgegeben werden bzw. der Zugang hierzu ist zu gewähren.

Die Rechtsprechung betont hierbei zwar, die Darlegung konkreter Nachteile dürfe nicht so detailliert erfolgen, dass aus den so gegebenen Erklärungen auf den Inhalt der Informationen selbst geschlossen werden kann. Andererseits verlangt sie, dass die begehrten Informationen jeweils einzeln darauf zu überprüfen sind, ob sie einem Ausnahmetatbestand unterfallen, weil sonst ein teilweiser Informationszugang zu gewähren ist. Wo die Grenzen konkret verlaufen, und ob sich die Behörde nicht in bestimmten Fallkonstellationen auch pauschal auf die Geheimhaltungsbedürftigkeit bestimmter Informationen berufen kann, ist bisher nicht geklärt und Gegenstand lebhafter Diskussion.

Diese Fragen haben sich bisher vor allem im Zusammenhang mit Informationsansprüchen gegenüber der BaFin gestellt. Mit Blick auf die dort vorhandenen Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der beaufsichtigten Finanzinstitute (etwa: Geschäftsunterlagen von Banken; vgl. VGH Kassel, Beschluss vom 05.11.2010 – 27 F 1081/19) wird vor allem befürchtet, dass die Zusammenarbeit mit der BaFin unter der sehr extensiven, maßgeblich am Sinn und Zweck des Gesetzes orientierten Auslegung Schaden nimmt. Die Aufsichtstätigkeit der BaFin lebt in wesentlichen Teilen von der vertraulichen Kooperation zwischen Behörde und Instituten. Zwischenzeitlich wurde daher sogar erwogen, die BaFin mittels einer Bereichsausnahme von einer Bindung an das IFG auszunehmen.

Aber auch in anderen Fallkonstellationen stellt sich die Frage, ob die von der Rechtsprechung entwickelten, hohen Anforderungen für die Schutzgründe nicht zu einer Einschränkung der behördlichen Aufgabenerfüllung führen können. Am Beispiel des – von der Rechtsprechung gewährten – Informationszugangs zu Rechtsgutachten, die im Auftrag der informationsverpflichteten Behörde angefertigt worden und Gegenstand parallel laufender zivilgerichtlicher Verfahren sind, wird vielmehr deutlich, dass der Bundesgesetzgeber denkbare Konfliktlinien, etwa mit dem zivilprozessualen Beweisrecht, nicht hinreichend berücksichtigt hat. Denn in einem Zivilprozess gilt, dass die Behörde ebenfalls nur Prozesspartei ist; diese Stellung wird aber durch eine zu restriktive Auslegung der Bestimmungen zum Schutz laufender Gerichtsverfahren faktisch ausgehebelt, wenn Gutachten, aus denen sich möglicherweise Prozesstaktiken ableiten lassen, über das IFG eingesehen werden können – was über das Zivilprozessrecht hingegen nicht möglich ist. Dabei darf freilich bezweifelt werden, dass der Zugang aus Sicht des Zivilprozessrechts deshalb unbedenklich ist, weil doch mit den Gutachten eine richtige Entscheidung getroffen werden kann.

Fazit

Behörden werden auch in Zukunft mit IFG-Ansprüchen konfrontiert und werden intensiv zu prüfen haben, welche Ausnahmetatbestände nach der zugangsfreundlichen Rechtsprechung noch in Frage kommen und ob sie die Voraussetzungen der Schutzbestimmungen erfüllen. Dies gilt in gleichem, wenn nicht sogar höherem Maße auch für Unternehmen, deren Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse regelmäßig bei den zuständigen Aufsichtsbehörden vorhanden sind – und die nach der Systematik des IFG auch von der Konkurrenz eingesehen werden können. Gerade hieran zeigt sich – wie die gegen die BaFin geltend gemachten Ansprüche belegen – aber deutlich, dass das rechte Maß zwischen Informationszugang als Ausdruck einer transparenteren Verwaltung und einer stärkeren demokratischen Beteiligung einerseits und dem Schutz berechtigter (öffentlicher und/oder privater) Interessen andererseits noch nicht gefunden ist.

Ob dies, wie zwischenzeitlich mit Blick auf die BaFin diskutiert worden ist, zu einer Änderung des IFG selbst führen wird, erscheint derzeit fraglich. Rechtspolitisch dürfte es indes geboten sein, das IFG an bestimmten Stellen einzuschränken, um einen übermäßigen Informationszugang zu vermeiden, dem aufgrund der weiten Gesetzesfassung gerichtlich kaum Einhalt geboten werden kann. Zudem besteht die Gefahr, dass die Gerichte die Ansprüche auf Informationszugang auch zukünftig extensiv interpretieren werden. Eine Zwischenbilanz nach fünf Jahren IFG zeigt daher, dass ein sachgerechter Ausgleich der durch das IFG betroffenen Interessen kaum ohne ein erneutes Tätigwerden des Gesetzgebers möglich ist. Der Gesetzgeber ist aufgerufen, möglichen weiteren Fehlentwicklungen in diesem Rechtsbereich entgegenzuwirken.

 

Dr. Henning Berger

Rechtsanwalt, Partner White & Case LLP, Berlin
 

Dr. Benjamin Schirmer

Rechtsanwalt, Associate White & Case LLP, Berlin
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