15.10.2010

Kündigung bei psychischer Behinderung

Erforderlichkeit der Zustimmung des Integrationsamts

Kündigung bei psychischer Behinderung

Erforderlichkeit der Zustimmung des Integrationsamts

Arbeitnehmer und Arbeitgeber: Hürden auf beiden Seiten. | © cxvalentina - Fotolia
Arbeitnehmer und Arbeitgeber: Hürden auf beiden Seiten. | © cxvalentina - Fotolia

Die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen bedarf stets der Zustimmung des Integrationsamtes. Handelt es sich um einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund, wirft das Vorliegen einer psychischen Behinderung gerade bei einer außerordentlichen Kündigung viele Fragen auf.

Besondere Schutzvorschriften nach SGB IX

Das Arbeitsverhältnis schwerbehinderter und ihnen gleichgestellter Menschen unterliegt besonderen Schutzvorschriften. Gemäß §§ 85 ff. Sozialgesetzbuch – Neuntes Buch (SGB IX) kann es nur gekündigt werden, wenn das Integrationsamt zuvor seine Zustimmung erteilt hat.

Bei diesem Sonderkündigungsschutz, der neben dem allgemeinen arbeitsrechtlichen Schutz des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) besteht, handelt es sich um einen sogenannten Nachteilsausgleich. Es werden die Nachteile ausgeglichen, die für einen schwerbehinderten Menschen ­
im Arbeitsleben bestehen, wie z. B. die Gefahr, dass sein Arbeitsverhältnis eher gekündigt wird als das eines nicht behinderten Kollegen. Konsequenz dieses Gedankens des Nachteilsausgleiches ist aber auch, dass der besondere Kündigungsschutz an Intensität verliert, je weniger die Kündigung im Zusammenhang mit der anerkannten Behinderung steht. Augenfällig wird dies im § 91 Abs. 4 SGB IX: Die Zustimmung soll erteilt werden, wenn die Kündigung aus einem Grund erfolgt, der nicht im Zusammenhang mit der Behinderung steht. Bei Verfehlungen am Arbeitsplatz wird der schwerbehinderte Mensch damit genau so gestellt wie jeder andere Arbeitnehmer, der die Möglichkeit hat, sich vor dem Arbeitsgericht gegen die Kündigung zur Wehr zu setzen.


Schwierigkeiten bereiten die Sachverhalte, in denen – allein oder neben anderen Behinderungen – eine psychische Beeinträchtigung vorliegt. Es ist stets zu prüfen, ob ein Zusammenhang zum Kündigungsgrund besteht. Verneint das Integrationsamt in unzutreffender Weise einen Zusammenhang, begeht es einen Ermessensfehler, der zur Aufhebung seiner Entscheidung durch die Verwaltungsgerichte führen kann. Die ausgesprochene Kündigung wird nachträglich unwirksam und der Arbeitgeber sieht sich mit einem Weiterbeschäftigungsanspruch sowie Ansprüchen auf Lohnnachzahlung konfrontiert.

„Die“ psychische Behinderung gibt es nicht

Die Unklarheiten resultieren aus der Feststellung, dass es verschiedenste Arten einer psychischen Behinderung gibt. In den Bescheiden der Versorgungsämter werden unterschiedliche Formulierungen verwandt, so z. B. Anpassungsstörung, seelisches Leiden, Depression oder Psychose. Aufschluss, welches Krankheitsbild sich dahinter verbirgt, bringt in manchen Fällen die Beiziehung der Versorgungsamtsakte.

Hinzu kommt eine nicht einheitliche Rechtsprechung. Ein Zusammenhang zwischen festgestellter psychischer Behinderung und Kündigungsgrund ist nach einem Urteil des Verwaltungsgerichtshofes (VGH) Baden-Württemberg vom 05.07.1989 bereits dann gegeben, wenn zwischen Behinderung und Kündigung auslösendem Verhalten eine Kausalität besteht, nach der sich ein Zusammenhang nicht völlig ausschließen lässt. Das Bestehen eines Zusammenhangs ist demnach nicht streng nach Kausalitätsgrundsätzen zu prüfen. Es kann vielmehr auch nach allgemeiner Lebensanschauung aufgrund einer weiten Auslegung des Begriffes vermutet werden.

Nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.01.2009, ist dieses Verständnis zu weitgehend. Es reicht nicht jedweder Einfluss der Behinderung auf das Verhalten des Behinderten aus. Der erforderliche Zusammenhang ist vielmehr erst dann gegeben, wenn die jeweilige Behinderung unmittelbar oder mittelbar zu Defiziten in der Einsichtsfähigkeit und/oder Verhaltenssteuerung des schwerbehinderten Arbeitnehmers geführt hat, denen behinderungsbedingt nicht entgegengewirkt werden konnte. Zudem muss das einer Kündigung aus wichtigem Grund zugrunde liegende Verhalten des schwerbehinderten Arbeitnehmers gerade auf diese behinderungsbedingte, mangelhafte Verhaltenssteuerung zurückzuführen sein.

Der Zusammenhang Behinderung – Kündigung liegt nicht immer vor

Die Auffassung des OVG Nordrhein-Westfalen vermag zu überzeugen. Es ist nicht so, dass jede psychische Behinderung per se immer im Zusammenhang mit dem verhaltensbedingten Kündigungsgrund steht. Für einen Menschen mit einer anerkannten Depression ist es kein typisches Verhalten, wenn er in die Firmenkasse greift. Eine Psychose kann vielfältige Ursachen haben, steht aber nicht automatisch im Zusammenhang mit einer Tätlichkeit am Arbeitsplatz. Gerade bei einer psychischen Behinderung kann es jedoch unter Umständen im wohlverstandenen Interesse des antragstellenden Arbeitgebers liegen, einen Zusammenhang auch dann anzunehmen, wenn das Vorliegen der strengeren Kriterien des OVG Nordrhein-Westfalen zweifelhaft ist. Ansonsten droht eine Aufhebung der zustimmenden Entscheidung des Integrationsamtes durch die Verwaltungsgerichte, was zu den bereits genannten negativen Konsequenzen führen kann.

Wie schmal der Grat in manchen Fällen ist, verdeutlicht eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts (VG) Köln vom 25.02.2010. Der schwerbehinderte Mensch besitzt einen anerkannten GdB von 100, u. a. aufgrund Depression. Er wurde vom Werksschutz dabei entdeckt, als er aus einem Fahrzeug des Arbeitgebers Diesel abzapfte und in mitgebrachten Kanistern mit seinem Auto abtransportieren wollte. Er räumte den Tatvorwurf ein, gab jedoch an, er habe das Fahrzeug am vorangegangenen Tag gesehen und festgestellt, dass der Tank nicht mit einem Schloss versehen gewesen sei. Ihm sei nicht erklärlich, warum er sich am Abend spontan entschieden habe, den Kraftstoff zu entwenden. Sowohl das Integrationsamt als auch der Widerspruchsausschuss sahen keinen Zusammenhang zur Behinderung des Klägers. Anders das Verwaltungsgericht: Nach seiner Auffassung lässt schon die Möglichkeit eines Zusammenhanges die Anwendung der gesetzlichen Regelung des § 91 Abs. 4 SGB IX entfallen. Berücksichtige man alle Aspekte, scheine es möglich zu sein, dass die Entscheidung der Tat und ihre Durchführung aus der psychischen Behinderung des Klägers folge. Dafür, dass ein solcher Zusammenhang nicht vorliege, trage das Integrationsamt die Beweislast. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.

Die geschilderte Rechtsprechung ist Arbeitgebern nur schwer zu vermitteln. Das OVG Nordrhein-Westfalen weist jedoch einen guten Weg, wie sowohl den Interessen des schwerbehinderten Menschen als auch des Arbeitgebers Rechnung getragen werden kann.

 

Christoph Beyer

Jurist beim LVR-Integrationsamt, Köln
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