15.12.2010

Kommunale Derivatgeschäfte vor Gericht

OLG Stuttgart verurteilt Großbank wegen fehlerhafter Anlageberatung

Kommunale Derivatgeschäfte vor Gericht

OLG Stuttgart verurteilt Großbank wegen fehlerhafter Anlageberatung

Spekulative Finanzgeschäfte sind den Gemeinden verwehrt. | © kalligra - Fotolia
Spekulative Finanzgeschäfte sind den Gemeinden verwehrt. | © kalligra - Fotolia

Neuartige Finanzierungs- und Anlagestrategien sind in den letzten Jahren auch bei den Kommunen und bei kommunalen Unternehmungen auf fruchtbaren Boden gefallen, haben aber inzwischen nicht nur zur Ernüchterung, sondern häufig regelrecht zu Katzenjammer geführt: große Mühe bereiten die Abwicklung oder Rückgängigmachung bzw. Refinanzierung des viel gerühmten US-Cross-Border-Leasings, mit dem die Kommunen bis zu einem Verbot solcher Geschäfte durch die US-amerikanischen Steuerbehörden „Barwertvorteile“ für ihre Haushalte zu sichern suchten. Viele weitere Millionen haben deutsche Kommunen auch dadurch „versenkt“, dass sie Zertifikate der 2008 insolvent gewordenen Anteile der Lehman Brothers Bank erworben hatten. Und als wäre das noch nicht genug, rächt sich jetzt auch noch der Abschluss derivativer Finanzgeschäfte durch Kommunen und kommunale Unternehmen und führt angesichts deren negativer Marktwertentwicklung zu ganz erheblichen Risiken für die kommunalen Haushalte.

Spekulative Zins-Swap-Geschäfte

Prototyp solcher spekulativen Finanzgeschäfte ist der so bezeichnete CMS Spread Ladder Swap. Hierbei handelt es sich um ein Zins-Swap-Geschäft, also ein Tauschgeschäft, bei dem die Bank und ihr Vertragspartner auf einen fiktiven Geldbetrag gegenseitig Zinsen zahlen, und zwar die Bank einen festen Zinssatz und ihr Vertragspartner einen variablen Zinssatz; die Differenz wird über Ausgleichszahlungen abgerechnet. Der variable Zinssatz errechnet sich auf der Grundlage einer komplexen Formel, in die maßgeblich der Zinssatz der Vorperiode einerseits sowie die Differenz – der spread – eines Zehnjahreszinssatzes und eines Zweijahreszinssatzes andererseits eingehen. Die Differenz von fixem Zins und variablem Zins wird vervielfacht und das Produkt zum Zinssatz der Vorperiode addiert mit der Folge, dass in die Vorperiode fallende negative Entwicklungen fortwirken. Die Bank hat aufgrund der vertraglichen Gestaltung keine höheren Ausgleichsleistungen als den vereinbarten fixen Zinssatz zu zahlen und kann die Vereinbarung jederzeit ohne Sonderzahlungen kündigen. Begrenzungen der Ausgleichszahlungen des Vertragspartners der Bank sind demgegenüber nicht vorgesehen, so dass ihn grundsätzlich ein unbegrenztes Verlustrisiko trifft.

Solche Zins-Swap-Geschäfte haben in den vergangenen Jahren zunächst auf Klagen privater Anleger und jetzt auch auf Klagen von Kommunen und kommunalen Unternehmen wiederholt die Gerichte beschäftigt. Dabei stand bisher die Frage im Vordergrund, ob die Banken, die dieses Finanzprodukt angeboten haben, den ihnen obliegenden Beratungspflichten gerecht geworden sind oder aber ihre Vertragspartner wegen Verletzung dieser Pflichten von deren Zahlungsverpflichtungen freistellen müssen und ihnen darüber hinaus Schadensersatz schulden. Eine grundlegende höchstrichterliche Entscheidung ist zu diesem Themenkomplex bisher nicht ergangen, wird jedoch auf Klage eines privaten Anlegers gegen eine deutsche Großbank für Anfang nächsten Jahres erwartet.


Keine anlagegerechte Beratung

Besonders streng und sehr grundsätzlich ist jüngst das OLG Stuttgart speziell mit den „CMS Spread Ladder Swaps“ zu Gericht gegangen. Bereits durch Urteil vom 26. 02. 2010 (WM 2010, 756 = ZIP 2010, 716) hatte es die Deutsche Bank auf die Klage eines mittelständischen Unternehmens wegen fehlerhafter Beratung beim Abschluss eines solchen Zins-Swap-Geschäfts zu (Rück-)Zahlung und Schadensersatz verurteilt. Die Bank hätte darüber aufklären müssen, dass die Gewinn- und Verlustchancen von Swap-Verträgen nur auf der Grundlage von Wahrscheinlichkeitsberechnungen mit Risikomodellen beurteilt werden könnten. Gerade bei dem hier interessierenden Swap handele es sich um ein synthetisches, von der Bank unfair zu ihren Gunsten kon-struiertes Finanzinstrument und um ein Glücksspiel, dessen Chancen und Risiken derart intransparent seien, dass sie von Außenstehenden nicht einzuschätzen seien. Insbesondere dürfe die Bank bei der zu fordernden objektgerechten Beratung nicht den falschen Eindruck vermitteln, der Kunde könne die Erfolgsaussichten der angebotenen Verträge auf der Grundlage seiner „Zinsmeinung“ über die voraussichtliche Entwicklung der Interbankensätze sowie mittels „Taschenrechner“ abschätzen.

Mit seinem aktuell auf Klage eines oberschwäbischen Abwasserzweckverbands ergangenen Urteil vom 27.10. 2010 (Az.: 9 U 148/08; ZIP 2010) hat der 9. (Banken-)Senat des OLG Stuttgart seine bisherige Rechtsprechung bestätigt und, für die Kommunen besonders wichtig, das Verdikt einer nicht anlegergerechten Beratung maßgeblich auf das „kommunalrechtliche Spekulationsverbot“, dem der Kläger als kommunaler Zweckverband unterliege, gestützt sowie darauf, dass das (hoch-)spekulative Swap-Geschäft nicht dem Risikoprofil eines kommunalen Anlegers entspreche. Zur Konkretisierung des kommunalrechtlichen Spekulationsverbotes, auch und gerade bei der Eingehung derivativer Finanzgeschäfte, hat das Oberlandesgericht auf den Derivaterlass des Innenministeriums Baden-Württemberg von 1998 Bezug genommen. Dieser erklärt zinsbezogene Derivatgeschäfte dann, wenn sie in Ansehung konkreter Grundgeschäfte (Kredite) Zinsänderungsrisiken absichern oder der Zinsoptimierung dienen sollen (Grundsatz der Konnexität), für zulässig. Finanzgeschäfte zur Erwirtschaftung separater Gewinne sind dagegen als Finanzspekulation unzulässig. Hierunter fallen zinsbezogene Derivatgeschäfte, die, losgelöst vom konkret zugrunde liegenden Kreditgeschäft, abgeschlossen werden. Diese Geschäfte, so das Oberlandesgericht, seien mit der Zweckbindung kommunaler Haushaltsmittel nicht zu vereinbaren. Da die Deutsche Bank gegenüber dem klagenden Abwasserverband und auch sonst gegenüber den Kommunen erklärtermaßen als Expertin für kommunales Finanzmanagement aufgetreten sei und vorliegend sogar nach ihrem eigenen Vortrag auf den Derivaterlass des Innenministeriums und die sich hieraus ergebenden Zulässigkeitsvoraussetzungen und -grenzen hingewiesen habe, sei die Empfehlung der spekulativen CMS Spread Ladder Swaps nicht anlegergerecht gewesen.

Die in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte unterschiedlich beantwortete Frage, ob eine Bank auf das Bestehen eines allgemeinen (kommunalrechtlichen) Spekulationsverbots oder auf die Frage einer möglichen Unvereinbarkeit des beabsichtigten Geschäfts mit diesem Verbot generell hinweisen muss (verneinend: OLG Bamberg, WM 2009, 1082; OLG Frankfurt, WM 2010, 1790; bejahend: OLG Naumburg, WM 2005, 1313), konnte wegen des tatsächlichen Verhaltens der Deutschen Bank im konkreten Fall vom OLG Stuttgart offen gelassen werden. Die Revision wurde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen.

Ultra-vires-Doktrin des BGH

Speziell bei den Kommunen kann sich die Möglichkeit zu einem Ausstieg aus den Zins-Swap-Geschäften und zur Rückforderung der darauf geleisteten Zahlungen aber nicht nur aus einem Beratungsverschulden, sondern auch daraus ergeben, dass die Kommunen bei diesen Finanzspekulationen „ultra vires“, also außerhalb ihres gesetzlichen Zuständigkeitsbereichs, gehandelt haben. Der BGH hat die sog. „ultra-vires“-Doktrin bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts – dazu gehören auch die Gemeinden – bereits 1956 ausdrücklich bestätigt und hieraus die Unwirksamkeit der „ultra vires“ abgeschlossenen Geschäfte gefolgert (BGHZ 20, 119). Die ganz herrschende Auffassung im Schrifttum billigt diesen Ansatz. Bei der rechtlichen Bewertung von Zins-Swap-Geschäften, die mit privatrechtlich organisierten kommunalen Unternehmen abgeschlossen wurden, hat die Rechtsprechung bisher allerdings die Maßgeblichkeit der „ultra-vires“-Doktrin verneint (so etwa OLG Frankfurt, WM 2010, 1790  m.w.Nw.). Das LG Wuppertal hat darüber hinaus die Auffassung vertreten, die gemeindliche Finanz decke auch den Abschluss hochspekulativer Finanzgeschäfte und sei daher nicht „ultra vires“ (WM 2008, 1637). Obergerichtlich oder gar höchstrichterlich ist bisher noch nicht entschieden. Darüber hinaus wäre zu prüfen, ob der Abschluss hochspekulativer Finanzgeschäfte nicht auch als sittenwidrig und daher jedenfalls dann als nichtig anzusehen wäre, wenn aufgrund des Abschlusses von Zins-Swap-Geschäften Risiken drohen, die geeignet sind, den kommunalen Haushalt „zu sprengen“ und deshalb „in krassem Widerspruch zum Gemeinwohl“ stehen (so BGH, WM 2006, 1110).

Fazit

Der Weg ins Casino ist Gemeinden verwehrt. Denn: Die Bank gewinnt immer. Ob allerdings auch vor Gericht, muss sich erst noch erweisen.

 

Prof. Dr. Christian Kirchberg

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Karlsruhe
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