01.06.2023

Janda: „Umgang mit Intensivpetenten auch eine wichtige Führungsaufgabe“

Intensivpetenten als Herausforderung für die Verwaltung und Gerichte (Teil 1)

Janda: „Umgang mit Intensivpetenten auch eine wichtige Führungsaufgabe“

Intensivpetenten als Herausforderung für die Verwaltung und Gerichte (Teil 1)

Ein Beitrag aus »Publicus« | © emmi - Fotolia / RBV
Ein Beitrag aus »Publicus« | © emmi - Fotolia / RBV

Über das Phänomen sogenannter Intensivpetenten, die mit ihrem Verhalten regelmäßig einen extrem hohen Bearbeitungsaufwand seitens der Behörden verursachen, sprachen wir mit Prof. Dr. Constanze Janda, Inhaberin des Lehrstuhls für Sozialrecht und Verwaltungswissenschaft an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer sowie Mitherausgeberin eines kürzlich erschienenen Ratgeberbandes zum Thema. Den zweiten Teil des Interviews präsentieren wir Ihnen in der nächsten Woche.

PUBLICUS: Warum können sogenannte Intensivpetenten ein Problem für die öffentliche Verwaltung werden?

Constanze Janda: In ihrem Arbeitsalltag sind die Beschäftigten in der Verwaltung mit sehr vielen, sehr unterschiedlichen Menschen konfrontiert, die ihre Anliegen auf verschiedene Weise verfolgen. Darauf gilt es sich einzustellen. Es wird immer Vorgänge geben, die sich zügig und unkompliziert erledigen lassen, während andere mehr Zeit, Aufwand und Engagement einfordern. Zum Problem werden Intensivpetenten, wenn sie Zeit und Personal in so großem Umfang beanspruchen, dass die Beschäftigten ihre Aufgaben dadurch nicht mehr angemessen erledigen können und die Verwaltung regelrecht „lahmgelegt“ wird. Hinzu kommt die persönliche Belastung der Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter, wenn die Petenten Dienstaufsichtsbeschwerden einlegen, Vorgesetzte oder Dritte informieren oder Vorgänge in der Verwaltung skandalisieren und in die Öffentlichkeit tragen. Schlimmstenfalls stehen Beleidigungen, Bedrohungen oder gar gewalttätiges Verhalten im Raum, wodurch die Beschäftigten in der Verwaltung nachhaltig verunsichert und eingeschüchtert werden können.


PUBLICUS: Sie haben vor Kurzem gemeinsam mit Professor Ulrich Stelkens einen Ratgeber für den Umgang mit Intensivpetenten veröffentlicht. Wer kann aus Ihrer Sicht besonders von den Erkenntnissen des Buches profitieren?

Janda: Das Buch richtet sich in erster Linie an die Beschäftigten in der Verwaltung. Es soll Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeitern Wege aufzeigen, wie sie rechtskonform agieren können, und zugleich erklären, welche Motive und Beweggründe Intensivpetenten antreiben. Darüber hinaus finden sich Vorschläge zum individuellen Umgang mit konkreten, schwierigen Situationen. Aus den Erfahrungsberichten können sie sehen, dass sie mit dem Problem nicht allein sind, sondern dass Intensivpetenten in allen Behörden, aber auch in Gerichten und in sehr unterschiedlichen Sachzusammenhängen auftreten.

Profitieren kann und soll aber auch die Leitungsebene. Der Umgang mit Intensivpetenten darf nämlich nicht allein als operatives Problem angesehen werden, sondern ist auch eine wichtige Führungsaufgabe. Die Behördenleitung ist gefragt, organisatorische Lösungen zu finden, um Belastungen der Beschäftigten abzuwenden – und überdies treffen sie dienst- und arbeitsrechtliche Schutzpflichten, die in dem Handbuch ebenfalls aufgezeigt werden.

PUBLICUS: Der Begriff „Intensivpetent“ ist ja, bislang jedenfalls, nicht ohne Weiteres geläufig. Was verstehen Sie und die anderen Autorinnen und Autoren des Bandes eigentlich genau unter Intensivpetenten, und welche Verhaltensweisen oder Merkmale zeichnen solche Personen typischerweise aus?

Janda: Sogenannte Intensivpetenten gehen ihren Anliegen überaus hartnäckig nach. Sie nehmen jeden sich bietenden Anlass, um mit der Verwaltung in Kontakt zu treten. Dies muss nicht immer aus einer aggressiven Grundhaltung heraus geschehen, sondern kann durchaus in einem mehr oder weniger geordneten Rahmen ablaufen. Intensivpetenten stellen eine Vielzahl von Anträgen, legen eine Vielzahl von Rechtsbehelfen ein – auch offenkundig unzulässige, etwa gegen Einladungen zu Terminen – , stellen eine Vielzahl von Auskunfts- und Informationsersuchen und nehmen die behördliche Reaktion darauf zum Anlass für weitere Intervention. Teilweise agieren sie sehr förmlich, beispielsweise mit eigenen Formularen oder Eingangsstempeln, teilweise sehr diffus, sodass auf den ersten Blick oft nicht klar wird, welches Anliegen sie eigentlich verfolgen.

PUBLICUS: In dem Buch wird auch immer wieder davor gewarnt, den Ausdruck „Intensivpetent“ umstandslos mit anderen, wenig schmeichelhaften Bezeichnungen wie „Querulant“ oder Ähnlichem gleichzusetzen. Weshalb ist Ihnen diese Abgrenzung so wichtig?

Janda: Die Bezeichnung als „Querulant“ oder die Diagnose „Querulantenwahn“ mag vormals durchaus üblich gewesen sein. Wir distanzieren uns jedoch davon, denn Intensivpetenten werden dadurch fälschlich und unnötig pathologisiert. Das wiederum kann dazu führen, dass nicht angemessen auf sie reagiert wird, indem ihre Anliegen von vornherein nicht ernst genommen, sondern als „verrückt“ abqualifiziert werden. Das kann auch zur weiteren Eskalation beitragen. Die Anliegen von Intensivpetenten sind aber im Kern oft berechtigt. Sie verhalten sich nicht immer rational, etwa weil sie existenzielle Sorgen haben, sich im Recht fühlen oder ihre Interessen nicht wahrgenommen sehen. Und das kann natürlich wiederum mit den Erwartungen einer strukturiert vorgehenden, rein sachlich agierenden Verwaltung kollidieren, und führt so daher fast schon zwangsläufig zu Problemen.

PUBLICUS: Man stellt sich unter Intensivpetenten ja in erster Linie einen bestimmten Persönlichkeitstypus vor. Was gibt es denn darüber hinaus – also neben den in der individuellen Person liegenden Merkmalen – für strukturelle und auch rechtliche Faktoren, die ein solches Verhalten im Einzelfall besonders begünstigen können?

Janda: Manche Entwicklungen in jüngerer Zeit haben sicherlich dazu beigetragen, dass Intensivpetenten mehr Gelegenheiten für ihr Tun finden. So ist die Verwaltung zu mehr Transparenz angehalten; mit dem Informationsfreiheitsgesetz wurden Ansprüche geschaffen, Auskünfte über Sachverhalte einzufordern, die früher als Interna verstanden wurden. Auch die Einsetzung von Bürgerbeauftragten hat eine sehr wichtige Öffnung der Verwaltung bewirkt. Diese sind gerade dafür da, sich mit den Anliegen der Bürger auseinanderzusetzen, sodass Intensivpetenten in ihnen einen Ansprechpartner finden, zu dem sie häufig in Kontakt treten können. Durch die Online-Präsenz vieler Behörden sind die zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ihre Kontaktdaten im Übrigen auch leicht zu finden, sodass die Schwelle zur Kontaktaufnahme abgesenkt ist.

Strukturelle Ursachen für das Intensivpetententum bietet vor allem das Sozialrecht. Hier ist das Verwaltungsverfahren stark vereinfacht, um jedem Menschen den Zugang zu den Behörden zu erleichtern – und das ist auch wichtig und richtig, da es hier ja um existenzsichernde Leistungen gehen kann, von deren Inanspruchnahme niemand abgeschreckt werden soll. Hinzu kommen erleichterte Anforderungen an Rechtsmittel und – eine Besonderheit – die jederzeitige Überprüfbarkeit auch bestandskräftiger Verwaltungsakte oder die Kostenfreiheit des sozialgerichtlichen Verfahrens.

PUBLICUS: Was sind hierfür die eindrücklichsten Beispiele?

Janda: Offizielle bundesweite Statistiken gibt es nicht, aber unser Autor Dirk Bumann, Richter am Sozialgericht, hat sehr eindrücklich aufgezeigt, dass in manchen Sozialgerichten einige wenige Kläger für ein immenses Klageaufkommen verantwortlich sind. Eine Akte eines einzigen Vorgangs wog am Ende mehr als 20 Kilogramm.

Mit dem Phänomen der Intensivpetenten als solchen hat sich die Gerichtsbarkeit sehr selten auseinandergesetzt. Aber wir haben Einzelfälle im Handbuch dokumentiert, in denen sich die Verwaltung mit massenhaften Anrufen einzelner Personen, ausfälligen E-Mails oder dem absichtlichen Generieren von Lappalien auseinanderzusetzen hatte, mit denen wiederum Anlässe für Anträge oder Widersprüche und Beschwerden produziert werden sollten.

PUBLICUS: Ist bereits ersichtlich und wissenschaftlich untersucht, in welchem Ausmaß Intensivpetenten die Arbeit von Behörden und Gerichten beeinträchtigen?

Janda: Ein Antrag des Landes Hessen auf Einführung einer Kostenpflicht im sozialgerichtlichen Verfahren wurde damit begründet, dass ca. 20 Prozent aller Verfahren beim LSG Hessen von nicht einmal einem Prozent der Rechtsuchenden betrieben wurden. Leider fehlen systematische Untersuchungen zur bundesweiten Verteilung sowie zu den einzelnen Rechtsmaterien und den Auswirkungen auf die Arbeitsbelastung von Behörden und Gerichten. Wir haben aber aus vielen Gesprächen vor und nach der Tagung an der Universität Speyer – aus der das Buch ja hervorgegangen ist – den Eindruck gewonnen, dass viele Behörden und Gerichte bundesweit mit dem Problem konfrontiert sind. Eine wissenschaftliche Absicherung dieser anekdotischen Evidenz wäre von großer Bedeutung, zumal viele Beschäftigte in der Verwaltung glauben, dass nur sie allein mit solchen schwierigen Fällen zu tun haben, und dies zuweilen auch als ihr persönliches Versagen missverstehen.

PUBLICUS: Ist die Zahl der Intensivpetenten nach Ihrer Einschätzung eher konstant oder steigend?

Janda: Das ist schwer zu sagen, da es eben keine offiziellen Zahlen gibt. Die Zahlen dürften aber vermutlich steigen, da – wie oben schon erwähnt – auch mehr Instrumente geschaffen worden sind, um die Verwaltung über Bürgerbeauftragte zu erreichen oder Informationsfreiheitsrechte geltend zu machen. Allein dadurch gibt es schlichtweg mehr Anlässe.

© fotostudio arlene knipper

Zur Person: Constanze Janda

Prof. Dr. jur. habil. Constanze Janda ist Professorin für Bürgerliches Recht, Medizinrecht sowie Deutsches und Europäisches Sozialrecht und Inhaberin des Lehrstuhls für Sozialrecht und Verwaltungswissenschaft an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer. Sie ist Mitherausgeberin des jüngst erschienenen Handbuchs „Intensivpetenten: Zwischen Engagement und Stalking – Ratgeber für den öffentlichen Sektor“ (mit Ulrich Stelkens; Richard Boorberg Verlag 2023).

 

 
n/a