08.06.2023

Janda: „Auch hinter einem wirr formulierten Schreiben kann sich ein berechtigtes Anliegen verbergen“

Intensivpetenten als Herausforderung für die Verwaltung und Gerichte (Teil 2)

Janda: „Auch hinter einem wirr formulierten Schreiben kann sich ein berechtigtes Anliegen verbergen“

Intensivpetenten als Herausforderung für die Verwaltung und Gerichte (Teil 2)

Ein Beitrag aus »Publicus« | © emmi - Fotolia / RBV
Ein Beitrag aus »Publicus« | © emmi - Fotolia / RBV

Über das Phänomen sogenannter Intensivpetenten, die mit ihrem Verhalten regelmäßig einen extrem hohen Bearbeitungsaufwand seitens der Behörden verursachen, sprachen wir mit Prof. Dr. Constanze Janda, Inhaberin des Lehrstuhls für Sozialrecht und Verwaltungswissenschaft an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer sowie Mitherausgeberin eines kürzlich erschienenen Ratgeberbandes zum Thema. Den ersten Teil des Interviews finden Sie hier.

PUBLICUS: Welche konkreten Auswirkungen hat das Tun von Intensivpetenten Ihrer Erfahrung nach auf den Behördenalltag, aber auch auf die einzelnen Personen, die auf der „Empfängerseite“ davon betroffen sind?

Janda: Zu beobachten ist zum einen ein schlichtes Anwachsen des Arbeitsanfalls – je mehr Anfragen, Anträge, Rückfragen, Anrufe, Widersprüche oder Klagen es gibt, umso mehr Personen und umso mehr Zeit werden in Anspruch genommen, denn „Abheften“ ist keine Option; alle Anträge müssen beschieden werden.


Über diesen Aspekt – der sich organisatorisch vermutlich bewältigen ließe – hinaus sind die Personen auf der „Empfängerseite“ aber auch persönlich betroffen. Sie haben das Gefühl, dass einzelne Intensivpetenten sie von ihrer Arbeit abhalten, wissen nicht, wie sie adäquat reagieren sollen und dürfen, spüren zuweilen nicht genügend Rückhalt durch die Führungsebene. Das kann zu Gefühlen von Machtlosigkeit und schlimmstenfalls auch zu psychischen Problemen führen, insbesondere wenn Gewalt und Drohungen im Raum stehen.

PUBLICUS: Im alltäglichen Umgang mit Intensivpetenten: Welche Verhaltensweisen und Strategien würden Sie den betroffenen Personen empfehlen?

Janda: Das Verwaltungsverfahrensrecht verbietet ein Ignorieren der Anliegen von Intensivpetenten, sodass sie sich inhaltlich und fachlich damit auseinandersetzen müssen; der Umgang mit Intensivpetenten lässt sich also schlicht nicht vermeiden. Wenig hilfreich ist es zudem, die betreffenden Personen pauschal als krank, „gestört“ oder „verrückt“ abzuqualifizieren, da sich auch hinter einem wirr formulierten Schreiben ein berechtigtes Anliegen verbergen kann.

Für die betroffenen Beschäftigten kann bereits das Wissen hilfreich sein, dass sie mit ihrem Problem nicht allein sind. Sie sollten sich Unterstützung suchen, vor allem im Kreis der Kolleginnen und Kollegen, um sich über Erfahrungen auszutauschen und einander gegenseitig Unterstützung anzubieten – etwa bei Terminen mit schwierigen Menschen in Rufnähe zu bleiben. Sehr wichtig ist aber auch, die Vorgesetzten zu informieren, damit das Problem strukturell angegangen werden kann. Ausreichender Ausgleich in der Freizeit und Selbstfürsorge dürfen ebenfalls nicht zu kurz kommen; aber auf sich allein gestellt lassen sich schwierige Vorfälle und belastende Vorgänge nicht „aussitzen“.

PUBLICUS: Worauf sollten diese Betroffenen beispielsweise in ihrer Kommunikation, aber auch in der weiteren Fallbearbeitung aus Ihrer Sicht besonders achten?

Janda: Es ist zu empfehlen, persönliche Angriffe und Grenzüberschreitungen zu verbalisieren und dem Intensivpetenten Grenzen zu setzen, gegebenenfalls auch das Gespräch zu beenden. Alle Gespräche und Schriftsätze sollten strikt auf die Sachebene geholt werden; man darf also keineswegs selbst beleidigend auf Beleidigungen reagieren. Eine wichtige Erkenntnis ist auch, dass Erklärungsversuche zuweilen nicht weiterhelfen, da Intensivpetenten eben nicht immer ausreichend rational reagieren, sondern emotional stark involviert sind.

PUBLICUS: Zu den Vorzügen des von Ihnen mitherausgegebenen Ratgebers gehört es ja auch, dass nicht nur die individuelle Ebene, sondern auch verwaltungsorganisatorische und nicht zuletzt dienstrechtliche Schutzmechanismen adressiert werden. Das ist natürlich ein sehr ausgreifendes Gebiet, aber dennoch: Welche Ansprüche haben Betroffene gegenüber ihrem Arbeitgeber oder Dienstherrn, was den Umgang mit Intensivpetenten anbelangt?

Janda: Dienstherrn und Arbeitgeber treffen Fürsorgepflichten gegenüber den in der Verwaltung Beschäftigten. Sie dürfen den Umgang mit Intensivpetenten daher nicht auf die Sachbearbeiter-Ebene abwälzen, sondern müssen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aktiv unterstützen. Sie schulden beispielsweise Aufklärung, ob Vorwürfe gegenüber Beamten und Beschäftigten auf Tatsachen beruhen; sie haben Beistand in strafrechtlichen Verfahren zu gewähren und gegebenenfalls eine Ehrenerklärung für die Beamten bzw. Beschäftigten abzugeben.

Aggressives Auftreten kann zudem durch verschiedene organisatorische Änderungen abgemildert werden, etwa indem Info-Theken eingerichtet werden, die einen zeitlichen Abstand zwischen – womöglich aufgebrachtem – Betreten der Behörde und der Konfrontation mit der Sachbearbeiterin oder dem Sachbearbeiter bewirken. Denkbar wäre es auch, die individuellen Durchwahlen oder E-Mailadressen nicht im Internet zu veröffentlichen, sondern lediglich eine allgemeine Kontaktadresse anzugeben. Als Ultima Ratio kann auch über Hausverbote nachgedacht werden.

PUBLICUS: In Ihrem eigenen Beitrag thematisieren Sie die Möglichkeiten und Grenzen der Veranlassung einer rechtlichen Betreuung von Intensivpetenten. Weshalb halten Sie solche Maßnahmen für untauglich, um das Wirken von Intensivpetenten effektiv „einzuhegen“?

Janda: Die Bestellung einer Betreuung setzt voraus, dass man wegen einer Krankheit oder Behinderung seine Angelegenheiten nicht mehr besorgen kann. Ihre Veranlassung geht also einerseits mit einer Pathologisierung des Gegenübers einher, die schon allein kommunikativ nicht weiterhilft. Zudem bringt das Verfahren der Betreuerbestellung viele neue Anlässe – Anhörungen, Bescheide usw. – mit sich, auf die Intensivpetenten reagieren können und werden. Schlussendlich führt die Betreuerbestellung nicht dazu, dass Anträge der betreuten Person unbeachtlich wären, denn die Betreuung tangiert nicht die Handlungsfähigkeit im Verwaltungsverfahren. Im schlechtesten Fall ist die Verwaltung dann mit unterschiedlichen Vorgängen konfrontiert, einerseits vom Betreuer, andererseits vom Betreuten, die sich unter Umständen widersprechen – und damit werden weitere Konfliktfälle geschaffen.

 

© fotostudio arlene knipper

Zur Person: Constanze Janda

Prof. Dr. jur. habil. Constanze Janda ist Professorin für Bürgerliches Recht, Medizinrecht sowie Deutsches und Europäisches Sozialrecht und Inhaberin des Lehrstuhls für Sozialrecht und Verwaltungswissenschaft an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer. Sie ist Mitherausgeberin des jüngst erschienenen Handbuchs „Intensivpetenten: Zwischen Engagement und Stalking – Ratgeber für den öffentlichen Sektor“ (mit Ulrich Stelkens; Richard Boorberg Verlag 2023).

 

 
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