09.01.2024

Fotografieren einer bekleideten Frau im Vorraum einer Damentoilette

LG Stuttgart, Beschluss vom 13.02.2023

Fotografieren einer bekleideten Frau im Vorraum einer Damentoilette

LG Stuttgart, Beschluss vom 13.02.2023

Ein Beitrag aus »Neues Polizeiarchiv« | © emmi - Fotolia / RBV
Ein Beitrag aus »Neues Polizeiarchiv« | © emmi - Fotolia / RBV

Die Staatsanwaltschaft beantragte einen Strafbefehl gegen den Angeschuldigten wegen der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches durch Bildaufnahmen gemäß § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB. Nach den polizeilichen Ermittlungen begab sich der Angeschuldigte unberechtigt in die Damentoilette eines Einkaufszentrums und fotografierte dort die 15-jährige Geschädigte unbefugt mit seinem Handy, nachdem diese nach dem Toilettengang im Vorraum der Damentoilette gerade die Hände gewaschen hatte.

Das Amtsgericht lehnte den Antrag der Staatsanwaltschaft Stuttgart auf Erlass des Strafbefehls aus rechtlichen Gründen mangels hinreichenden Tatverdachts ab. Der Tatbestand des § 201a Abs. 1 StGB sei nicht erfüllt, da von diesem nur der „letzte Rückzugsbereich des Einzelnen“ geschützt werde. Es komme nach der Schutzrichtung des Tatbestands auf den Sichtschutz an, wobei z. B. Toiletten, Umkleidekabinen oder ärztliche Behandlungszimmer gemeint seien. Dieser Intimbereich sei vorliegend bei der Ablichtung der Geschädigten im Vorraum einer Damentoilette nicht betroffen, insbesondere weil der Vorraum einer breiten Öffentlichkeit zugänglich und diese Örtlichkeit nicht mit dem Entkleiden der Person verbunden sei. Zudem sei der höchstpersönliche Lebensbereich der vollständig bekleideten und zudem maskierten Geschädigten nicht verletzt.

Der hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerde der Staatsanwaltschaft blieb der Erfolg versagt.


StGB – §§ 201, 205

Die Fotografie einer vollständig bekleideten Person ist – ohne das Hinzutreten weiterer, hier nicht gegebener Umstände – nicht als Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs der abgebildeten Person anzusehen.

Aus den Gründen

Die zur Last gelegte Tat ist jedoch nicht strafbar gemäß § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB. Dabei kann offenbleiben, ob der Vorraum einer Damentoilette ein gegen Einblick besonders geschützter Raum im Sinne der Norm ist oder ob von der Norm nur Räumlichkeiten erfasst werden, die von vornherein dazu bestimmt sind, einen Menschen vor den Blicken eines jeden anderen und damit auch vor Bildaufnahmen zu schützen (…). Es fehlt vorliegend jedenfalls an der Strafbarkeitsvoraussetzung der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs der Geschädigten des Erfolgsdelikts des § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB.

Nach der Gesetzesbegründung (Bundestagsdrucksache 15/2466, S. 5) kann sich der Begriff des höchstpersönlichen Lebensbereichs inhaltlich an dem durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verwendeten und in der zivilrechtlichen Rechtsprechung näher ausgeformten Begriff der Intimsphäre orientieren. Die Intimsphäre stellt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dabei den engsten Persönlichkeitsbereich dar. Sie beschreibt den Kernbereich der höchstpersönlichen Lebensgestaltung und umfasst den letzten unantastbaren Bereich menschlicher Freiheit (…). Nach der Gesetzesbegründung (…) sind der Intimsphäre vor allem die Bereiche Krankheit, Tod und Sexualität zuzuordnen. Die Intimsphäre umfasst aber grundsätzlich auch die innere Gedanken- und Gefühlswelt mit ihren äußeren Erscheinungsformen wie vertraulichen Briefen und Tagebuchaufzeichnungen sowie die Angelegenheiten, für die ihrer Natur nach Anspruch auf Geheimhaltung besteht, beispielsweise Gesundheitszustand, Einzelheiten über das Sexualleben sowie Nacktaufnahmen.

Gemessen hieran ist die Fotografie einer vollständig bekleideten Person – ohne das Hinzutreten weiterer, hier nicht gegebener Umstände – nicht als Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs der abgebildeten Person anzusehen (…). Dafür spricht, wenngleich nicht zwingend, auch die Gesetzesbegründung (…), die das Beispiel „Benutzung von Toiletten“ in den Zusammenhang mit den dort aufgeführten weiteren Beispielen gynäkologischer Untersuchungen sowie Umkleidekabinen stellt; diese Beispiele lassen erkennen, dass es dem Gesetzgeber in erster Linie um den Schutz einer zumindest teilweise entkleideten Person geht. Der Schutz vor Nacktaufnahmen bildet damit korrespondierend auch einen zentralen Aspekt des Schutzes der Intimsphäre in der bisherigen Rechtsprechung (…). Die Geschädigte war demgegenüber zur Tatzeit vollständig bekleidet, einschließlich geschlossenem Anorak, und trug zudem eine Mund-Nasen-Bedeckung.

Die – nach dem Wortlaut der Gesetzesbegründung mögliche – Argumentation der Staatsanwaltschaft Stuttgart, wonach die in der Gesetzesbegründung als Beispiel genannte „Benutzung von Toiletten“ auch den Vorraum der Toilette und Bildaufnahmen einer vollständig bekleideten Person insgesamt erfasse und nicht auf die Benutzung der Toilettenkabine beschränkt sei, überdehnt demgegenüber den Begriff der Intimsphäre. Bei dem von der Staatsanwaltschaft angeführten Waschen, Kämmen und Schminken im Toilettenvorraum handelt es sich nicht um Tätigkeiten des vollständig unantastbaren Kernbereichs privater Lebensgestaltung. Betroffen ist insoweit vielmehr das in Abgrenzung zur Intimsphäre bestehende Recht auf Achtung der Privatsphäre, das jedermann einen autonomen Bereich der eigenen Lebensgestaltung zugesteht, in dem er seine Individualität unter Ausschluss anderer entwickeln und wahrnehmen kann. Dazu gehört in diesem Bereich auch das Recht, für sich zu sein, sich selbst zu gehören und den Einblick durch andere auszuschließen (…). Eine Verletzung der Privatsphäre ist zwar rechtswidrig und zivilrechtlich verfolgbar; sie erfüllt aber nicht den Tatbestand des § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB.

Die zur Last gelegte Tat ist auch nicht nach § 33 KunstUrhG strafbar, weil ein zur Verwirklichung des Tatbestandes erforderliches „Verbreiten“ oder „Öffentlich-zur-Schau-Stellen“ der Bildaufnahme der Geschädigten durch den Angeschuldigten nicht stattgefunden hat.

Eine Strafverfolgung wegen Hausfriedensbruchs gemäß § 123 StGB kommt schon mangels zwingend erforderlichen Strafantrags nicht in Betracht.

Landgericht Stuttgart (Beschl. v. 13.02.2023 – 5 Qs 8/23 – Verlags-Archiv Nr. 23-11-06)

Entnommen aus NPA 11/2023, Lz. 333.

 

Dr. Matthias Goers

Vorsitzender Richter am Landgericht, Hof
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