04.08.2021

Ende einer Anbaustraße und Erschlossensein eines Grundstücks am Ortsrand

BayVGH, Beschluss v. 16.02.2021 – 6 CS 20.3153

Ende einer Anbaustraße und Erschlossensein eines Grundstücks am Ortsrand

BayVGH, Beschluss v. 16.02.2021 – 6 CS 20.3153

Ein Straßenzug ist nur eine beitragsfähige Erschließungsanlage i.S.d. § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB, wenn und soweit er zum Anbau bestimmt ist. ©Lichtfexx - stock.adobe.com
Ein Straßenzug ist nur eine beitragsfähige Erschließungsanlage i.S.d. § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB, wenn und soweit er zum Anbau bestimmt ist. ©Lichtfexx - stock.adobe.com

I. Ausgangsfall

Die Gemeinde stellt die im unbeplanten Innenbereich verlaufende X-Straße erstmals endgültig her; sie hat eine planersetzende Entscheidung gemäß § 125 Abs. 2 BauGB getroffen. Die X-Straße geht am Ortsrand im Osten in eine Außenbereichsstraße über. Der Eigentümer E wendet sich gegen seine Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag der Höhe nach und macht geltend: Entgegen der Ansicht der Gemeinde habe das mit einem Wohnhaus bebaute, ca. 750 qm große und 30 m tiefe Grundstück seines östlichen Nachbarn N einschließlich dessen sich östlich an das Wohngebäude anschließenden Hausgartens noch in die Aufwandsverteilung einbezogen werden müssen, weil die X-Straße insoweit noch zum Anbau bestimmt sei und das Grundstück des Herrn N noch dem Innenbereich zuzuordnen sei. Das Verwaltungsgericht stimmt Herrn E teilweise zu und erkennt, das Grundstück des Herrn N zähle noch bis zur östlichen Außenwand des auf ihm errichteten Wohnhauses zum Innenbereich und sei insoweit bei der Aufwandsverteilung zu berücksichtigen.

Das wirft Fragen auf zum Ende einer zum Anbau bestimmten Straße am Ortsrand sowie zur Abgrenzung zwischen Innen- und Außenbereich bei einem an eine solche Straße angrenzenden Grundstück.

II. Ende einer beitragsfähigen Anbaustraße am Ortsrand

Ein Straßenzug ist nur eine beitragsfähige Erschließungsanlage i.S.d. § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB, wenn und soweit er zum Anbau bestimmt ist, d.h. wenn und soweit an ihn rechtlich angebaut werden darf und tatsächlich angebaut werden kann. Folglich verliert er seine Bestimmung zum Anbau und damit zugleich seine Eigenschaft als beitragsfähige Erschließungsanlage insbesondere dort, wo er beidseitig endgültig in den Außenbereich oder einen durch planerische Festsetzungen der Bebauung entzogenen Bereich übergeht.


Das Ende der beitragsfähigen Anlage wird – bei verallgemeinernder Betrachtung – regelmäßig nicht durch die letzte Gebäudewand im Innenbereich markiert, sondern bei durchschnittlich großen Grundstücken durch das Ende der üblichen wohnakzessorischen Nutzung, d.h. einer Nutzung z.B. als Terrasse und Hausgarten.[1] Auf der Grundlage dieser Annahme wird das Ende einer beitragsfähigen Anbaustraße typischerweise durch die Grenze des letzten Anliegergrundstücks markiert. Endet der Bebauungszusammenhang auf der einen Straßenseite früher als auf der anderen, endet die Anbaustraße erst mit dem letzten bebauten Grundstück.[2]

III. Erschlossensein eines Grundstücks am Ortsrand

Grundstücke im Außenbereich sind – bei der gebotenen verallgemeinernden Betrachtung – im Sinne des § 133 Abs. 1 Satz 2 BauGB nicht bebaubar und unterliegen deshalb keiner Erschließungsbeitragspflicht. Um eine dem Baugesetzbuch zuwiderlaufende Belastung der Gemeinden zu vermeiden, müssen Außenbereichsgrundstücke schon bei der Aufwandsverteilung unberücksichtigt bleiben.[3] Sie sind folglich als nicht erschlossen i.S. des § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB zu behandeln.

Das zwingt für die Ermittlung der an der Aufwandsverteilung teilnehmenden Grundstücksflächen bei Grundstücken am Ortsrand zu einer Abgrenzung zwischen dem Innen- und dem Außenbereich, was häufig Schwierigkeiten bereitet. Maßgeblich ist insoweit, wie weit sich das einzelne Grundstück noch in einem Bebauungszusammenhang befindet, der einem Ortsteil angehört (vgl. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB). Das hängt allein von den tatsächlichen Gegebenheiten ab. Aus der Sicht des Erschließungsbeitragsrechts steht dabei weniger der Grundsatz im Vordergrund, dass der Bebauungszusammenhang in der Regel am letzten Baukörper der Ortslage endet. Entscheidend ist vielmehr, dass die typische wohnakzessorische Nutzung bebauter Grundstücke, insbesondere ein angemessener Hausgarten, regelmäßig noch ganz oder teilweise zum Innenbereich gehört.[4]

Daraus folgt für den Fall eines mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks: Das Erschlossensein endet nicht unmittelbar an der in Richtung Außenbereich zeigenden Hauswand. Es umfasst vielmehr auch den angrenzenden Hausgarten mit seiner ortsüblichen Ausdehnung und erstreckt sich demnach bei einem Baugrundstück mit „normaler“ Größe auf die gesamte Grundstücksfläche.[5]

IV. Ergebnis

Das Ende einer beitragsfähigen Erschließungsanlage wird bei Anbaustraßen im unbeplanten Innenbereich am Ortsrand regelmäßig durch die Grenze des letzten erschlossenen Anliegergrundstücks zum Außenbereich markiert. Die letzte erschlossene Grundstücksfläche am Ortsrand umfasst bei einem bebauten Grundstück „normaler“ Größe mit einem sich an das Gebäude zum Außenbereich anschließenden Hausgarten in der Regel die gesamte Grundstücksfläche. Da das Grundstück der Herrn N im Ausgangsfall eine normale Größe (ca. 750 qm) aufweist und sich ein der ortsüblichen Größe entsprechender Hausgarten anschließt, ist Herrn E in der Annahme beizupflichten, entgegen der Ansicht der Gemeinde und des Verwaltungsgerichts sei das Grundstück des Herrn N in vollem Umfang in die Aufwandsverteilung einzubeziehen.

[1] BayVGH, Beschluss v. 16.02.2021 – 6 CS 20.3153.

[2] Schmitz, Erschließungsbeiträge, § 6 Rn. 28.

[3] BVerwG, u.a. Urteil v. 14.02.1986 – 8 C 115.84 – KStZ 1986,90 = NVwZ 1986,568.

[4] Vgl. BVerwG, Urteil v. 12.11.2014 – 9 C 7.13 – BVerwGE 150,316 = NVwZ 2015,298.

[5] BayVGH, Beschluss v. 16.02.2021 – 6 CS 20.3153.

Prof. Dr. Hans-Joachim Driehaus

Prof. Dr. Hans-Joachim Driehaus

Rechtsanwalt und Wirtschaftsmediator, vormals Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht, Berlin
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