18.08.2021

Dichtezentren – Win-win für Windenergie und Artenschutz?

Dichtezentren haben aus fachlicher Sicht Vorteile

Dichtezentren – Win-win für Windenergie und Artenschutz?

Dichtezentren haben aus fachlicher Sicht Vorteile

Die vom Windenergieausbau betroffenen Arten – Vögel und Fledermäuse – sind ein sehr „dynamisches“ Schutzgut. ©j-mel - stock.adobe.com
Die vom Windenergieausbau betroffenen Arten – Vögel und Fledermäuse – sind ein sehr „dynamisches“ Schutzgut. ©j-mel - stock.adobe.com

Beim Ausbau der Windenergie setzen einige Bundesländer auf die Ausweisung von Dichtezentren für windenergiesensible Vogel- und Fledermausarten. Durch sie sollen ein wirkungsvoller Populationsschutz verwirklicht und artenschutzrechtliche Verbotstatbestände frühzeitig berücksichtigt werden können.

Der rechtliche Rahmen: Artenschutz für Vögel und Fledermäuse

Vögel und Fledermäuse unterliegen dem besonderen Artenschutzrecht. Die Schutzvorschriften sind auf europäischer Ebene in der Vogelschutz-Richtlinie (2009/147/EG) und der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (92/43/EWG) verankert. Die strengen Normen verbieten das Töten, Fangen und Verletzten von Arten, ihre Störung und die Beeinträchtigung ihrer Fortpflanzungsstätten. Diese Regelungen zum besonderen Artenschutz wurden auch im Bundesnaturschutzgesetz in § 44 Absatz 1 Nr.1 bis 3 verankert. Danach ist für einzelne Exemplare einer Art zu prüfen, ob das Vorhaben artenschutzrechtliche Zugriffsverbote verletzt.

Herausforderungen der individuenbezogenen Prüfung von Tötungsrisiken

Die Prüfung der Auswirkungen von Windenergieanlagen auf einzelne Exemplare einer Art stellt eine große Herausforderung dar. Die vom Windenergieausbau betroffenen Arten – Vögel und Fledermäuse – sind ein sehr „dynamisches“ Schutzgut. Sie sind nicht ortsfest, sondern verändern ihre Standorte und Jagdareale. Ihr Verhalten wird von zahlreichen Faktoren beeinflusst und ist schwer zu prognostizieren: Wo halten sich die Vögel im Umfeld des Brutplatzes mit welcher Häufigkeit auf? Wie verhalten sie sich gegenüber Windenergieanlagen – weichen sie aus? In welchen Fällen kollidieren sie?


Die Beurteilung, wann für einzelne Exemplare ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko vorliegt, ist mit Unsicherheiten behaftet. In den meisten Bundesländern fehlt es an konkreten Beurteilungsmaßstäben für die Signifikanzprüfung und damit an Eindeutigkeit der Entscheidung. Die Ergebnisse der artenschutzrechtlichen Prüfung bieten daher immer wieder Anlass und Gelegenheit, gerichtlich gegen Windenergievorhaben vorzugehen.

Wodurch sind Dichtezentren gekennzeichnet?

Anstatt sich also an der individuenbezogenen Prüfung von Tötungsrisiken für einzelne Exemplare abzuarbeiten, kann eine populationsbezogene Beurteilung der Risiken nicht nur Genehmigungsprozesse erleichtern, sondern auch das für den Artenschutz erfolgreichere Konzept sein. Es bildet die Voraussetzung dafür, dass sich der Erhaltungszustand der Art nicht verschlechtert.

Dichtezentren zeichnen sich durch eine besonders hohe Brut- oder Revierpaardichte pro Flächeneinheit aus. Angesichts der Brutplatzdichte wird davon ausgegangen, dass die Reproduktionsbedingungen günstig sind und unter anderem eine gute Nahrungsversorgung gegeben ist. Unter diesen Voraussetzungen fungiert der Bestand in den Dichtezentren als Quellpopulation: Ein Überschuss an Jungvögeln kann den Verlust einzelner Individuen an anderer Stelle ausgleichen. Somit wären Individuenverluste, die mit der Ausnahmegenehmigung einhergehen können, eher hinnehmbar.

Dichtezentren auf Planungsebene

Die Freihaltung von Dichtezentren zielt auf den Schutz von (Quell-) Populationen und weniger auf den Schutz einzelner Individuen. So können Dichtezentren auf der vorgelagerten Planungsebene dazu beitragen, artenschutzrechtliche Konflikte mit windenergiesensiblen Vogel- und Fledermausarten frühzeitig auszuschließen oder zu vermindern. Bei der Ausweisung von Vorranggebieten für die Windenergie werden die für den Populationserhalt wichtigen Reproduktionsräume ausgespart.

Durch den Blick auf die Population können Artenschutzkonflikte adressiert werden, ohne dass jedes einzelne Brutvorkommen auf der Regionalplanungsebene vollständig erfasst werden müsste. Durch die Betrachtung größerer Vorkommenszahlen erweisen sich Dichtezentren zudem als stabiler als die Betrachtung von Einzelbrutvorkommen.

Dichtezentren haben zudem auch aus fachlicher Sicht Vorteile: Die wichtigen Reproduktionsräume der Arten würden freigehalten und nicht nur Einzelvorkommen geschützt. Durch den populationsbezogenen Ansatz würde eine wichtige Voraussetzung für den Bestandserhalt der Art geleistet. Sofern dann durch Planung für einzelne Exemplare ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko festgestellt würde, könnte in diesem Fall eine Ausnahme nach § 45 Absatz 7 Bundesnaturschutzgesetz erteilt werden, ohne dass dies bilanziell nachteilig für den Bestandserhalt wäre.

Für welche Arten werden Dichtezentren ermittelt?

In Sachsen-Anhalt bezog sich die Ermittlung nur auf den Rotmilan, der dort stark verbreitet ist. In Thüringen wurden Dichtezentren für insgesamt acht windenergiesensible Arten abgegrenzt. In Hessen wurden Dichtezentren nicht nur für ausgewählte Greifvogelarten, sondern auch für ausgewählte Fledermausarten ermittelt. In Baden-Württemberg stand wiederum der Rotmilan im Zentrum, in Schleswig-Holstein der Seeadler. Diese Beispiele zeigen, dass es vorrangig von der Verbreitung der Arten im Bundesland abhängt, für welche Arten Dichtezentren ermittelt werden. Darüber hinaus spielen auch die Datenverfügbarkeit und die Kapazitäten der zuständigen Stellen eine Rolle bei der Frage, wie umfassend das Konzept angelegt werden kann.

Räumlicher Bezug der Dichtezentrenabgrenzung

Die Bundesländer wenden unterschiedliche Methoden für die Ermittlung von Dichtezentren an. Diese können hier nur exemplarisch erläutert werden. In Sachsen-Anhalt und Thüringen werden Dichtezentren mit einer stochastischen Methode, der Kerndichteschätzung, abgegrenzt. In Hessen, Baden-Württemberg und Bayern bilden die Raster der Topografischen Karte im Maßstab 1:25.000 (TK25) die Bezugsgröße. Es wird ermittelt, wie viele Revierpaare pro TK25 oder pro TK25-Quadrant vorkommen. Dieses ist gegenüber der Kerndichteschätzung ein etwas gröberer Ansatz, da die Rastergrenzen nur bedingt mit den Reviergrenzen der Art übereinstimmen.

Dreh- und Angelpunkt der Dichtezentrenausweisung ist die Verfügbarkeit von aktuellen und mit ausreichender Detailschärfe vorgenommener Brutplatzkartierungen. Große Flächenländer haben hier einen höheren Aufwand als kleinere. Hilfsweise kommen auch repräsentative Brutstandortkartierungen auf Teilflächen des Landes in Frage, auf deren Grundlage dann Brutstandortdichten hochgerechnet werden können.

Schwellenwerte für Dichtezentren

Die Länder, die eine Kerndichteschätzung vornehmen, haben zunächst die landesweit mittlere Brutpaardichte als Referenzwert ermittelt. Als Dichtezentren gelten diejenigen Bereiche, in denen die Brut- oder Revierpaardichte um das 1,5-Fache über der landesweit mittleren Dichte liegt.

Bei den Ländern, die mit einem rasterbasierten Ansatz arbeiten, liegen den Dichtezentren unterschiedliche Brutplatzdichten für ein und dieselbe Art zugrunde. So liegt die Schwelle für den Rotmilan in Hessen bei mehr als vier Revierpaaren pro TK25-Quadrant, in Baden-Württemberg läge der Schwellenwert bei mehr als sieben Brutpaaren pro TK25-Blatt und in Bayern bei mehr als acht Brutpaaren pro TK25-Blatt.

Die Schwellenwerte, ab welcher Brutpaardichte ein Dichtezentren vorliegt, müssen in Abhängigkeit von der Verteilung und der Häufigkeit der Arten in den Ländern festgelegt werden. Eine Festlegung auf bundesweit einheitliche Schwellenwerte wäre nicht fachgerecht. Dennoch sind die Maßstäbe der Schwellenwertfestlegung transparent darzulegen und fachlich zu begründen.

Herausforderungen im Umgang mit Dichtezentren

Sofern Dichtezentren Bestandteil verbindlicher Planung werden und/oder sie eine der Voraussetzungen für die Erteilung von Ausnahmegenehmigungen erfüllen sollen, müssen sie einer kritischen fachwissenschaftlichen Überprüfung standhalten.

So ist die Aussage, Dichtezentren könnten als Quellpopulationen dienen und etwaige Individuenverluste ausgleichen, durch begleitende Studien zu verifizieren. Des Weiteren sollten Dichtezentren die Verhältnisse in der Natur möglichst realistisch abbilden, zumal ihre Abgrenzung Rückwirkungen auf die Planung und auch auf die Genehmigung von Windenergieanlagen haben kann. Expertinnen und Experten sind sich darüber einig, dass die Einbeziehung der Habitateignung im Umfeld zu einer realistischeren und belastbareren Dichtezentrenabgrenzung führen kann. Sie einzubeziehen, bedeutet allerdings einen höheren Aufwand als bei einer rein rasterbezogenen Darstellung von Bruthäufigkeiten. Es wird also auch eine Frage der Steuerung finanzieller und personeller Kapazitäten sein, ob und wie die Habitateignung berücksichtigt werden kann.

 

Dr. Elke Bruns

Leiterin Fachinformation KNE Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende Berlin
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