11.08.2021

Betrieb mehrerer Photovoltaikanlagen als ein Betrieb gewerblicher Art

Finanzgericht Münster, Urteil vom 21.4.2021 (13 K 3663/18 K, G)

Betrieb mehrerer Photovoltaikanlagen als ein Betrieb gewerblicher Art

Finanzgericht Münster, Urteil vom 21.4.2021 (13 K 3663/18 K, G)

Photovoltaikanlagen dienen einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, da der produzierte Strom gegen Entgelt in das allgemeine Stromnetz eingespeist wird. © electriceye – Fotolia.com
Photovoltaikanlagen dienen einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, da der produzierte Strom gegen Entgelt in das allgemeine Stromnetz eingespeist wird. © electriceye – Fotolia.com

Sachverhalt

Die Gemeinde G betrieb in den Streitjahren (2012 bis 2016) sechs Photovoltaikanlagen auf verschiedenen Schuldächern sowie auf den Dächern des städtischen Bauhofes, der Feuerwehr und des Klärwerks.

Die G ging davon aus, dass es sich bei den sechs Photovoltaikanlagen jeweils um selbständige Betriebe gewerblicher Art (BgA) i.S.v. § 4 Abs. 1 KStG handelte, und reichte daher für jede Anlage gesondert eine Körperschaftsteuererklärung ein. Das jeweils durch Einnahme-Überschuss-Rechnung ermittelte Einkommen erklärte die Klägerin wie folgt:

 

2012 2013 2014 2015 2016
Schule 1 4.705,00 4.079,00 4.732,00 5.193,00 5.125,00
Bauhof 2.253,00 823,00 1.342,00 1.468,00 1.341,00
Feuerwehrhaus 3.298,00 2.959,00 2.971,00 3.343,00 2.167,00
Schule 2 5.898,00 -2.773,00 3.237,00 3.794,00 3.493,00
Schule 3 2.872,00 2.706,00 3.215,00 3.653,00 3.567,00
Klärwerk 1.789,00 1.754,00 2.254,00 2.475,00 2.478,00

 

Das Finanzamt erließ zunächst erklärungsgemäße Körperschaftsteuerbescheide. In diesen Bescheiden berücksichtigte das Finanzamt den Freibetrag gem. § 24 Abs. 1 Satz 1 KStG, sodass sich in den meisten Fällen eine Körperschaftsteuer von 0,00 € ergab. Die Körperschaftsteuerbescheide standen gem. § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.


Nach Durchführung einer Außenprüfung vertrat das Finanzamt die Auffassung, dass die sechs Photovoltaikanlagen der G als einheitliche Einrichtung und damit als ein BgA i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 1 KStG zu behandeln seien. Zur Begründung führte es aus, dass die Photovoltaikanlagen als ein einheitlicher BgA anzusehen seien. Der Betrieb der sechs Photovoltaikanlagen betreffe denselben Gewerbezweig; die Stromlieferungen erfolgten an dasselbe Versorgungsunternehmen. Die Tätigkeit sei somit gleichartig. Die Photovoltaikanlagen befänden sich in räumlicher Nähe zueinander. Weiterhin sei nicht erkennbar, dass die einzelnen Photovoltaikanlagen wirtschaftlich, finanziell und organisatorisch selbständig seien; im Gegenteil trage die G selbst vor, dass die Verwaltung, Abrechnung und Buchführung durch dieselbe Abteilung, nämlich das Bau- und Planungsamt, erfolge.

Das Finanzamt erließ deshalb geänderte Körperschaftsteuerbescheide für die Jahre 2012 bis 2016. Die Bescheide wurden der G für ihren „BgA Photovoltaik” bekannt gegeben. Zur Ermittlung des zu versteuernden Einkommens addierte das Finanzamt die von der G jeweils gesondert für die Photovoltaikanlagen erklärten Gewinne; den Freibetrag gem. § 24 KStG zog das Finanzamt hiervon lediglich einmalig ab. Außerdem erließ das Finanzamt Gewerbesteuer-Messbescheide für 2012 bis 2016; den Freibetrag nach § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 GewStG berücksichtigte das Finanzamt ebenfalls nur einmal.

Nichtamtliche Leitsätze

  1. Betreibt eine Gemeinde mehrere Photovoltaikanlagen, sind diese als einheitlicher BgA i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 KStG zu behandeln, wenn sie eine funktionelle Einheit bilden.
  2. Die wirtschaftliche Hervorgehobenheit i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 KStG ist auch bei Umsätzen von nicht mehr als 35.000 € (vgl. R 4.1 Abs. 5 Satz 1 KStR 2015) gegeben, wenn die juristische Person des öffentlichen Rechts mit ihrer Tätigkeit zu Unternehmen der Privatwirtschaft unmittelbar in Wettbewerb tritt.

Das Finanzgericht Münster bestätigte in seinem Urteil die Auffassung des Finanzamts. Die von der G betriebenen Photovoltaikanlagen seien als einheitlicher BgA i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 KStG zu qualifizieren.

Unstreitig sei, dass die Photovoltaikanlagen der G einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 KStG dienen, da der produzierte Strom gegen Entgelt in das allgemeine Stromnetz eingespeist werde. Es handele sich insbesondere nicht um einen Hoheitsbetrieb i.S.d. § 4 Abs. 5 KStG, da die G bei dem Betrieb der Photovoltaikanlagen nicht anders als ein privater Anbieter agiere.

Entgegen der Auffassung der G seien die Photovoltaikanlagen als eine einheitliche Einrichtung i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 KStG anzusehen. Nach der Rechtsprechung des BFH sei eine Einrichtung jede funktionelle Einheit, die sich von dem sie organisatorisch tragenden Hoheitsbetrieb als gesonderte selbständige Betätigung abgrenzen lasse, im Rahmen einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit der Erzielung von Einnahmen diene und geeignet sei, den Wettbewerb zu beeinträchtigen, also wettbewerbsrelevant sei (BFH, Urteil vom 22.9.1976, BStBl. II 1976 S. 793; BFH, Urteil vom 14.4.1983, BStBl. II 1983 S. 491; BFH, Urteil vom 27.6.1990, BFH/NV 1991 S. 628). Eine funktionelle Einheit könne sich nach allgemeiner Auffassung z. B. aus einer besonderen Leitung, einem geschlossenen Geschäftskreis, der Buchhaltung oder aus einem ähnlichen auf eine Einheit hindeutenden Merkmal ergeben. Verschiedene wirtschaftliche Tätigkeiten einer juristischen Person des öffentlichen Rechts seien nach Auffassung der Finanzverwaltung dann als Einheit zu behandeln, wenn dies der Verkehrsanschauung entspreche (R 4.1 Abs. 3 Satz 3 KStR 2015).

Unter Berücksichtigung der vorstehend dargestellten Rechtsgrundsätze seien die Photovoltaikanlagen als eine einheitliche Einrichtung i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 KStG zu qualifizieren, da sie eine funktionelle Einheit im Sinne der BFH-Rechtsprechung bilden. Ausweislich des Haushaltsplanes der G sei die Verantwortung für sämtliche Photovoltaikanlagen bei einem einzigen Mitarbeiter der G konzentriert. Ein ergänzendes Indiz für das Bestehen einer funktionellen Einheit liege darin, dass die Photovoltaikanlagen in den Jahresberichten der G als eigenständiger Geschäftskreis geführt werden. Die Annahme, dass es sich bei den sechs Photovoltaikanlagen um eigenständige BgA – also im Wortsinn um „eigenständige“ Betriebe – handele, erscheine angesichts der Gleichartigkeit der wirtschaftlichen Betätigung und ihrer organisatorischen Zusammenfassung bei der G gekünstelt.

Für die Qualifikation der Photovoltaikanlagen der G als einheitlicher BgA spreche weiterhin, dass diese Sichtweise in Einklang mit den allgemeinen gewerbesteuerrechtlichen Grundsätzen stehe. Danach sei bei gleichartigen Betätigungen im Regelfall von einem einheitlichen Betrieb auszugehen, soweit ein zumindest geringfügiger wirtschaftlicher, organisatorischer und finanzieller Zusammenhang bestehe. Diese Voraussetzungen lägen im Streitfall vor. Es handele sich bei dem Betrieb der Photovoltaikanlagen durch die G unbestreitbar um gleichartige Tätigkeiten. Diese weisen zudem einen zumindest geringfügigen wirtschaftlichen, organisatorischen und finanziellen Zusammenhang auf, da die Verantwortung für die Photovoltaikanlagen bei einem Verwaltungsmitarbeiter gebündelt sei und da die Ergebnisse der Photovoltaikanlagen auch in der Buchführung der G zusammengefasst dargestellt werden.

Die vorstehend dargestellten Rechtsgrundsätze stehen entgegen der Auffassung der G nicht in Widerspruch zur gesetzlichen Regelung des § 4 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 KStG, nach der gleichartige BgA durch die Steuerpflichtigen zusammengefasst werden dürfen. Denn die Prüfung, ob ein einheitlicher und eigenständiger BgA i.S.d. § 4 Abs. 1 KStG vorliege, sei der möglichen Zusammenfassung rechtlich eigenständiger BgA gem. § 4 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 KStG logisch vorgelagert und von dieser zu trennen. Deshalb werde die Regelung in § 4 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 KStG nicht gegenstandslos. Es seien durchaus Sachverhaltskonstellationen denkbar, in denen juristische Personen des öffentlichen Rechts zwar mehrere gleichartige wirtschaftliche Betätigungen ausüben, diese jedoch wegen eines fehlenden wirtschaftlichen, organisatorischen oder finanziellen Zusammenhangs ungeachtet ihrer Gleichartigkeit als eigenständige BgA i.S.d. § 4 Abs. 1 KStG zu qualifizieren seien. Der Regelung des § 4 Abs. 6 KStG verbleibe damit auch unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Senats ein hinreichender Anwendungsbereich.

Der Betrieb der Photovoltaikanlagen hebe sich auch – wie von § 4 Abs. 1 Nr. 1 KStG vorausgesetzt – innerhalb der Gesamtbetätigung der G hervor. Denn es handele sich um eine abgrenzbare wirtschaftliche Betätigung, durch welche die G unmittelbar in Wettbewerb zu privaten Wirtschaftsteilnehmern trete. Hinzu komme, dass die G durch den Betrieb der Photovoltaikanlagen nachhaltig Umsätze in erheblicher Höhe erziele. Die insoweit von der Finanzverwaltung aus Vereinfachungsgründen festgelegte Umsatzgrenze von 35.000 € (vgl. R 4.1 Abs. 5 Satz 1 KStR 2015) werde in Rechtsprechung und Literatur zumeist kritisch beurteilt. Einigkeit bestehe jedoch darin, dass das Tatbestandsmerkmal der wirtschaftlichen Herausgehobenheit auch bei geringeren Umsätzen regelmäßig dann erfüllt sei, wenn die juristische Person des öffentlichen Rechts mit ihrer Tätigkeit zu Unternehmen der Privatwirtschaft unmittelbar in Wettbewerb trete. Deshalb müsse der Betrieb von Photovoltaikanlagen zur Einspeisung in das allgemeine Stromnetz unabhängig von der Höhe der erzielten Umsätze stets als herausgehobene wirtschaftliche Betätigung i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 KStG angesehen werden. Denn es bestehe unzweifelhaft eine Wettbewerbssituation der jeweiligen juristischen Person des öffentlichen Rechts zu privaten Wirtschaftsteilnehmern, die dieselbe Tätigkeit ausüben. Auch wenn eine juristische Person des öffentlichen Rechts nur geringe Umsätze bzw. Gewinne aus dem Betrieb von Photovoltaikanlagen erziele, liege demnach zwingend ein BgA vor; die Steuerfreiheit des Gewinns könne sich allenfalls aus den Freibetragsregelungen gem. § 24 KStG und § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 GewStG ergeben, soweit der Gewinn den Betrag von 5.000,00 € pro Jahr nicht übersteige.

Die Revision zum BFH wurde vom Finanzgericht Münster zugelassen.

Anmerkung:

Im Urteilsfall war streitig, ob die G mit dem Betrieb der sechs Photovoltaikanlagen sechs einzelne BgA oder nur einen (einheitlichen) BgA unterhält. Die G war der Auffassung, dass insoweit sechs einzelne BgA gegeben seien, mit der Folge, dass die Freibeträge nach § 24 Satz 1 KStG und § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 GewStG – jeweils 5.000 € – bei jedem einzelnen BgA, also sechsmal, in Anspruch genommen werden können.

Zu beachten ist, dass die G selbst von sechs BgA ausgeht, obwohl jede einzelne Photovoltaikanlage die von der Finanzverwaltung (für das in § 4 Abs. 1 Satz 1 KStG geforderte wirtschaftliche Herausgehobensein) vorgegebene Umsatzgrenze von 35.000 € (R 4.1 Abs. 5 Satz 1 KStR 2015) wohl nicht überschritten hat (geht aus dem Sachverhalt nicht hervor, ist jedoch – zumindest für einzelne Photovoltaikanlagen – zu vermuten). Möglicherweise hat die G von ihrem „Wahlrecht“ in R 4.1 Abs. 5 Satz 3 und 4 KStR 2015 Gebrauch gemacht, wonach bei Umsätzen von nicht mehr als 35.000 € „besondere Gründe“ (z. B. eine Wettbewerbssituation) vorgetragen werden können. Diese Handlungsweise würde unter Geltung des § 2 Abs. 3 UStG (alte Rechtslage) im Hinblick auf den Vorsteuerabzug für die Errichtung der Photovoltaikanlagen Sinn machen, denn der Vorsteuerabzug besteht in diesen Fällen nur dann, wenn die G einen BgA unterhält und somit Unternehmer nach § 2 Abs. 3 UStG Unternehmer ist, dem grundsätzlich der Vorsteuerabzug i.S.d. § 15 UStG zusteht.

Unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung gingen das Finanzamt und schließlich auch das Finanzgericht Münster davon aus, dass im Streitfall nicht sechs BgA, sondern nur ein einheitlicher BgA vorliegt. Es handele sich um eine einheitliche „Einrichtung“ i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 KStG, weil die sechs Photovoltaikanlagen eine „funktionelle Einheit“ bilden. Dies ergebe sich insbesondere aus der Tatsache, dass die Photovoltaikanlagen unter einer einheitlichen Leitung stehen. Hinzu kommt noch, dass die Photovoltaikanlagen in den Jahresberichten der G als eigenständiger Geschäftskreis geführt werden.

Dem Einwand der G, dass die beim Tatbestandsmerkmal „Einrichtung“ in § 4 Abs. 1 Satz 1 KStG durchzuführende Prüfung, ob ein BgA vorliegt oder mehrere BgA gegeben sind, die Regelung in § 4 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 KStG, nach der gleichartige BgA zusammengefasst werden können, überflüssig machen würde, widerspricht das Finanzgericht. Die Prüfung des Tatbestandsmerkmals „Einrichtung“ in § 4 Abs. 1 Satz 1 KStG, also die Frage, ob ein einheitlicher und eigenständiger BgA gegeben ist, sei vor der Prüfung einer möglichen Zusammenfassung rechtlich eigenständiger BgA nach § 4 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 KStG durchzuführen.

Interessant sind auch die Ausführungen des Finanzgerichts Münster zu der von der Finanzverwaltung festgelegten Umsatzgrenze von 35.000 € (R 4.1 Abs. 5 Satz 1 KStR 2015) bei der Prüfung des Tatbestandsmerkmals „wirtschaftliches Herausheben“ in § 4 Abs. 1 KStG. Danach sei dieses Tatbestandsmerkmal auch bei Umsätzen von nicht mehr als 35.000 € erfüllt, wenn die juristische Person des öffentlichen Rechts mit ihrer Tätigkeit zu Unternehmen der Privatwirtschaft unmittelbar in Wettbewerb trete. Es liege in diesen Fällen zwingend ein BgA vor.

Das Urteil des Finanzgerichts Münster hat auch Konsequenzen für juristische Personen des öffentlichen Rechts, die mehrere gleichartige Tätigkeiten mit Umsätzen von nicht mehr als 35.000 € je Tätigkeit ausüben (z. B. der Betrieb mehrerer Photovoltaikanlagen oder Parkplätze) und die von ihrem „Wahlrecht“ nach R 4.1 Abs. 5 Satz 3 und 4 KStR 2015 keinen Gebrauch machen (kein Vortragen „besonderer Gründe“). Liegt in diesen Fällen eine vom Finanzgericht Münster beschriebene „funktionelle Einheit“ vor, könnte das Finanzamt – auch ohne Zustimmung der juristischen Person des öffentlichen Rechts – die einzelnen Tätigkeiten zu einer einheitlichen „Einrichtung“ iSd § 4 Abs. 1 Satz 1 KStG zusammenfassen und als einheitlichen BgA bewerten, wenn die Summe der Einnahmen/Umsätze der einzelnen Tätigkeiten mehr als 35.000 € beträgt.

 

Quelle: Finanzgericht Münster, Urteil vom 21.4.2021 (13 K 3663/18 K, G), www.fg-muenster.nrw.de, und Deutsche Steuerzeitung 2021 S. 555

 

Prof. Thomas Maier

Rechtsanwalt / Steuerberater,
Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl
n/a