05.08.2021

Besser Lernen im Referendariat

Lernstrategien und Klausurentraining

Besser Lernen im Referendariat

Lernstrategien und Klausurentraining

Die kontinuierliche Bewertung des Lernprozesses gibt immer wieder Anlass, die Lernstrategien und das Lernarrangement anzupassen. ©pusteflower9024 - stock.adobe.com
Die kontinuierliche Bewertung des Lernprozesses gibt immer wieder Anlass, die Lernstrategien und das Lernarrangement anzupassen. ©pusteflower9024 - stock.adobe.com

Es mag seltsam anmuten, ReferendarInnen nach etwa 20 Jahren institutionalisierter Bildungserfahrungen, nach Abitur, Studium und Erster juristischer Prüfung noch etwas über das Lernen nahebringen zu wollen. Gerade für Juristen ist das selbständige Lernen Kern der Ausbildung. Selbstreguliertes Lernen ist allerdings mehr. Es ist eine bewusste Praxis des Lernens, die auch im Referendariat für den Erfolg von hoher Bedeutung ist.

Selbstreguliertes Lernen meint den vom Lernenden eigenmotiviert initiierten Lernprozess, der auf eigene Ziele hin ausgerichtet und für den er eigenständig Lernstrategien auswählt. Ein solcher Lernprozess mag – genauso wie der Unterricht eines Dozierenden – mehr oder weniger erfolgreich verlaufen und manchmal unbeabsichtigte Nebenfolgen haben. Die kontinuierliche Bewertung des Lernprozesses gibt dann immer wieder Anlass, die Lernstrategien und das Lernarrangement anzupassen. Wie lässt sich ein solcher Lernprozess im Referendariat bewusst gestalten?

Die Lernaufgabe

Wollen Sie zu Beginn des Referendariats oder zumindest der heißen Lernphase etwa ein halbes Jahr vor dem Examen noch einmal Optimierungspotentiale im Lernprozess ausloten, dann ist es zunächst hilfreich, sich zu vergegenwärtigen, welche Aufgaben im Lernprozess gelöst werden müssen. Wenn das zentrale Lernziel der Examensvorbereitung die erfolgreiche Bearbeitung einer Examensklausur ist, dann muss geklärt werden, welches Wissen und welche Fertigkeiten dazu benötigt werden. Wie aber bekommen Sie das heraus?


Es hilft wenig, die Juristenausbildungsordnungen zu konsultieren, denn die Angaben dort sind viel zu unbestimmt. So wie sich das tatsächlich geltende Recht nur über eine Analyse der Rechtsprechung der Gerichte erschließen lässt, lassen sich die tatsächlichen Prüfungsanforderungen nur über eine Analyse der Beurteilung von realen Klausurbearbeitungen vor dem Hintergrund der jeweiligen Lösungshinweise des Landesjustizprüfungsamts ermitteln. Darauf haben Sie üblicherweise keinen direkten Zugriff. Aber es gibt trotzdem Möglichkeiten, sich intensiv mit Klausuren im zweiten Examen, ihrer Korrektur und den sich daraus ergebenden Anforderungen vertraut zu machen: Musterlösungen und Lösungshinweise

Eine Möglichkeit ist die Nachfrage bei fortgeschrittenen Referendaren nach Übungsklausuren mit Musterlösungen und den jeweiligen Bearbeitungen und Korrekturen. Nur so lässt sich das Niveau und die Beurteilungskriterien erschließen. Auch wenn die Handschriften der ReferendariatskollegInnen zuweilen schwer zu lesen sind, sollte man sich die Mühe machen, Klausurlösung und Korrektur im Detail nachzuvollziehen. Es sollte für die ReferendarInnen eines Ausbildungsstandortes selbstverständlich werden, bei jeder Übungsklausur anonymisiert eine gut, mittel und schlecht bewertete Klausur mit Musterlösung (oder Lösungshinweisen) einzuscannen und so einen Pool von Klausuren, Lösungen und Bewertungen aufzubauen, die andere ReferendarInnen zur Analyse und Einschätzung ihres Leistungsstandes nutzen können.

Gegenseitiges Korrigieren

Ein Modell ist auch das gegenseitige Korrigieren von Klausuren in der Referendars- AG. Erst wenn man die Klausuren anderer liest, bekommt man einen Eindruck davon, wie unterschiedliche Klausuren geschrieben werden können und was eigentlich die Merkmale sein könnten, die für die Bewertung wichtig sind. Dafür bietet sich folgendes Verfahren an: Direkt nachdem die Übungsklausur in der AG geschrieben wurde, wird sie an einen/ r KorrekturpartnerIn übergeben. Möglichst wenige Tage nach Abgabe sollten die Klausurlösung und das Vorgehen und die Maßstäbe bei einer Korrektur (insbesondere die Gewichtung der verschiedenen Klausurteile) vom Dozierenden besprochen werden. Die KorrekturpartnerInnen fertigen dann auf der Grundlage der Klausurbesprechung (und im Idealfall einer Musterlösung) ihre Korrektur auf einem separaten Blatt und legen dieses der Klausur bei. Dann wird die Klausur an den Dozierenden zur Korrektur übergeben und von diesem wie üblich korrigiert und zurückgegeben. Im Anschluss sollten anhand von drei bis vier Beispielen Diskrepanzen zwischen den Korrekturen der KollegInnen und des Dozierenden exemplarisch besprochen und aufgeklärt werden.

Diese Beispielsfälle können bereits bei der Korrektur vom Dozierenden ausgesucht werden oder nach Rückgabe aufgrund der Nachfrage von ReferendarInnen. Ein solches Vorgehen setzt sehr viel Vertrauen voraus und ist aufwendig. Der Korrektor bzw. die Korrektorin muss die Beurteilungskriterien offenlegen und die eigene Korrektur daran messen lassen, die ReferendarInnen müssen bereit sein, ihre Bearbeitung einem Korrekturpartner und ggf. der Gruppe offenzulegen. Sie ist aber anderseits ein gutes Mittel, um alle ReferendarInnen zu vollem Engagement bei der Klausurlösung zu bringen. Denn nach meiner Erfahrung kranken eine Vielzahl von Klausurlösungen daran, dass die Übungsklausur von vornherein nicht ernstgenommen wird oder während der Bearbeitung Motivation und Konzentration verloren gehen und die zweite Hälfte der Klausur nur noch sehr flüchtig und oberflächlich bearbeitet wird. Dieses Vorgehen sollte man bei einer zweiten Klausur noch einmal wiederholen.

Private Lerngruppe

Lässt sich eine Korrekturübung nicht unter Einbeziehung des Dozierenden realisieren, ist ein solches Vorgehen auch in einer Lerngruppe möglich. Zwar fällt die wichtige Rückmeldung des Dozierenden dann weg, der Lerneffekt durch die intensive Auseinandersetzung mit der Klausur und den zentralen Klausurproblemen ist aber trotzdem hoch. Auch hier sollten Sie zumindest zwei Fälle ausformulieren und die Lösung auf allen Ebenen analysieren. Dann reichen Lösungsskizzen. Hier geht es also zunächst darum zu erfahren, was überhaupt die Anforderungen sind, was also eine gute Klausur ausmacht. Die Gütekriterien für eine Klausur müssen Sie anhand ihrer Erfahrungen und Klausuranalysen selbst erarbeiten. Erst dann haben Sie sie verstanden und entwickeln Ideen, wie Sie sie umsetzen können und was das Lernziel für ihren Lernprozess ist. Erst dann ist es sinnvoll, sich Gedanken darüber zu machen, welche Lernstrategie Sie zum Erfolg führt.

Lernstrategien im Referendariat

Es ist allenfalls zu Beginn des Referendariats ratsam, seine Lernstrategie noch einmal vollkommen auf den Prüfstand zu stellen und radikale Änderungen vorzunehmen. In aller Regel ist das mit erheblichen Anstrengungen verbunden, einem Gefühl der Verunsicherung und möglicherweise zunächst auch schlechteren Lernergebnissen, weil mehr Zeit und Aufmerksamkeit auf die Einübung neuer Lernformen verwendet werden muss. Auf der anderen Seite wird der Übergang in das Referendariat in der Regel als Bruch erlebt, der ohnehin eine Neuorientierung notwendig macht. Insofern bietet sich dieser Zeitpunkt an, um Neues auszuprobieren. Da Lernstrategien individuell ganz unterschiedlich sind, sollen hier nur die Punkte angesprochen werden, die aus meiner Sicht als langjähriger AG-Leiter besonders zu beachten sind: Zeitlich strukturieren Sie sollten Ihre Examensvorbereitung zeitlich strukturieren.

Dazu können Sie einen Lernplan machen, in dem jeder Woche ein Thema zugeordnet ist. Oder Sie suchen sich die Lernmittel, die Sie benutzen wollen, und teilen die Bearbeitung auf die zur Verfügung stehende Zeit auf. Bedenken Sie aber: Ihnen stehen in der Regel in der Zivil-, Straf- und Verwaltungsstation nur ein bis zwei Tage in der Woche zum systematischen Lernen zur Verfügung. Die übrige Zeit beanspruchen die Arbeitsgemeinschaft und die Station. Sollten Sie nicht genug Zeit haben, sprechen Sie ggf. mit ihrem Ausbilder. Wenn Sie sich einmal in der Woche mit einer privaten AG zur Fallbearbeitung treffen, bleibt Ihnen also nur ein Tag in der Woche. Die Wiederholung des materiellen Rechts kann deshalb nur sehr kursorisch erfolgen.

Materielles Recht wiederholen

Aber auch im zweiten Examen spielt das materielle Recht die Hauptrolle. Bei der Bewertung entfallen maximal ¼ der Punkte auf das Prozessrecht, ¾ auf das materielle Recht. Sie sollten es daher im Laufe der 1 ½ Jahre bis zum Examen noch einmal in den Grundzügen wiederholen: Entweder, indem Sie darauf achten, dass die Übungsklausuren, mit denen Sie lernen, alle Rechtsbereiche abdecken, oder systematisch durch Einzelfälle aus entsprechenden Fallsammlungen.1

Denken Sie immer daran, bevor Sie in die Fallbearbeitung eines neuen Rechtsgebiets einsteigen, das Gesetz zumindest zu überfliegen, sich seine Systematik zu vergegenwärtigen und die zentralen Aufbauschemata in Erinnerung zu rufen. Sie können und sollten auch bei diesen Fällen mit den zugelassenen Kommentaren arbeiten. Die Übung im Umgang mit dem Kommentar ist wichtig! Visualisierung und Strukturierung helfen Wie bisher gilt: Nutzen Sie beim Erarbeiten eines neuen Gebietes möglichst viele Formen der Eigenstrukturierung des Stoffes z. B. mit Hilfe von Visualisierungen (Tabellen, Prüfungsabläufe, Mind Maps) und lernen Sie ausgehend vom Normalfall zu den problematischen Sonderfällen. Entwickeln Sie klare Strukturen für die methodisch anspruchsvollen Prüfungsteile: Die Auslegung von Willenserklärungen und Verträgen, die Abwägung von Interessen, die Darstellung unterschiedlicher Rechtsmeinungen und die Beweiswürdigung. Nutzen Sie Beispiele und Vorlagen aus der Rechtsprechung .2

Störung beim Lernen

Jeder ernsthaften Störung beim Lernen muss nachgegangen werden und hat Priorität vor dem Lernen. Die Störung muss geklärt werden, bevor es produktiv weitergehen kann: Ist eine Pause nötig? Bewegungsmangel? Ist die Aufgabe zu schwer oder zu leicht? Ist der Aufgabentyp für die zur Verfügung stehende Aufmerksamkeit dysfunktional (z. B. bloßes Lesen und Anstreichen statt Falllösung oder Gespräch in der Lerngruppe)? Bestehen zu viele Ablenkungen (soziale Medien, Serien, Computerspiele) oder ist man schlicht zu müde? Wenn Probleme immer wieder auftreten, muss möglicherweise das gesamte Lernarrangement verändert werden.

Primäre Lernmittel und konsequente Nacharbeitung

Primäre Lernmittel einer prüfungsorientierten Vorbereitung sind die Anleitungen zur Fallbearbeitung3 und die Klausurensammlungen zum Assessorexamen. Nutzen Sie ggf. auch die von ihrem Bundesland angebotenen Online-Klausurenkurse. Entscheidend für den Lerneffekt ist allerdings nicht die Zahl der geschriebenen Klausuren, sondern die konsequente Nacharbeitung: Was waren die Schwerpunkte der Klausur? Wie lassen sie sich aus dem Sachverhalt erschließen? Was wäre zu tun bzw. zu wissen gewesen, um die Klausur besser zu schreiben?

Klausurentraining

Alle ein bis zwei Wochen sollte eine Klausur auf Examensniveau bearbeitet werden. Zu Beginn ist es wichtig, zwei bis drei Klausuren komplett auszuformulieren und intensiv nachzuarbeiten, damit Sie die Form von Urteil und Beschluss lernen. Wenn Sie das können, reichen Lösungsskizzen. Nehmen Sie sich für die ersten Klausurlösungen Zeit und schreiben Sie diese als open book Klausuren,4 also unter Zuhilfenahme aller denkbaren Hilfsmittel. Sie müssen erst einmal die Form von Urteil und Beschluss komplett verstanden haben, bevor Sie die Routine entwickeln, um die Klausur in fünf Stunden zu schreiben. Praktische Lösungen und die genaue Einhaltung der Praxisformen sind zentral wichtig, Meinungsstreitigkeiten und akademische Erörterungen treten in den Hintergrund.

Assessorklausuren sind anders als Referendarsklausuren. Die Sachverhaltsarbeit wird wichtiger und aufwendiger: Ein Sachverhalt von zehn bis fünfzehn Seiten ist keine Seltenheit. Der Sachverhalt enthält dafür aber auch viele Hinweise zur Schwerpunktsetzung und zu den Rechtsfragen, die zu bearbeiten sind. Man muss sich daher die Methode und Zeiteinteilung noch einmal neu erarbeiten. So muss in der Regel vor der Niederschrift eine komplette Lösungsskizze vorliegen, die den Fall vollständig löst, weil im Urteil das Endergebnis am Anfang steht und auch nur so die Schwerpunktsetzung sinnvoll möglich ist. Eine Urteilsklausur ohne komplette Lösungsskizze niederzuschreiben, ist extrem risikoreich.

Anwaltsklausuren sind von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich. So sind in Norddeutschland – anders als z. B. in Baden-Württemberg – auch Anwälte an der Erstellung der Klausuren beteiligt. Für die Besonderheiten der Anwaltsklausur reicht deshalb in Baden-Württemberg zur Orientierung ein Artikel aus den Ausbildungszeitschriften, in den nördlichen Bundesländern können entsprechende Skripte oder eigene Fallsammlungen hilfreich sein. Auch bei den Aufgaben zum rechtlichen Gestalten gibt es ein entsprechendes Nord-Süd-Gefälle. Für die Assessorklausur – wie für die Referendarsklausur – gilt: Mindestens 50 % der Prüfung erfolgt im Behauptungsstil (ggf. mit einer begründenden Bezugnahme auf den Sachverhalt und unter Nennung aller einschlägiger Normen, aber ohne Definition und Subsumtion) und nur ein Teil im vollen Urteilsstil mit dem klar getrennten Dreischritt Ergebnis, Definition, Subsumtion unter Bezugnahme auf die Definition. Es werden im zweiten Examen exaktere Definitionen erwartet, weil die Kommentare zur Verfügung stehen.

Reflexion des Lernverhaltens

Von zentraler Bedeutung ist die Reflexion des Lernverhaltens. Das betrifft zum einen das intensive Nacharbeiten von Klausuren, das betrifft zum anderen aber auch den Lernfortschritt insgesamt. Blicken Sie z. B. am Wochenende auf die vergangene Woche zurück und bereiten Sie die nächste Woche vor. Ziehen Sie Konsequenzen aus Ihren Lernerfahrungen. Es macht keinen Sinn, sich zu überfordern oder immer ein schlechtes Gewissen mit sich herumzutragen, weil man doch immer noch mehr hätte machen können. Es gilt immer wieder, die bisherigen Lernerfahrungen auszuwerten, Anpassungen vorzunehmen und die eigene Work-Life-Balance auszutarieren – und auf das Stolz zu sein, was man bisher geschafft hat.

 

Hinweis der Redaktion: Der Beitrag entstammt aus dem »Der Wirtschaftsführer für junge Juristen«.

Um den Wirtschaftsführer auch unterwegs bequem lesen zu können, finden Sie hier unsere »Wirtschaftsführer-App«.

 

1) Hilfreich sind insoweit die Reihen Prüfe Dein Wissen oder Die Juristischen Fall-Lösungen (beide erscheinen bei C. H. Beck) oder die Reihe Schwerpunkt Klausurenkurse (von C. F. Müller).

2) Z.B. juris, beck-online, openjur etc.

3) Z.B. die Skripte von Kaiser/Kaiser/Kaiser, Die Zivilgerichtsklausur im Assessorexamen, 2 Bände, und dies., Materielles Recht im Assessorexamen.

4) Siehe hierzu auch den Beitrag von Kaulbach in dieser Ausgabe S. 14 ff.

 

Dr. Frank Bleckmann

Vors. Richter am Landgericht Freiburg i. Br.
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