04.10.2021

Ansprüche auf Entschädigung wegen flächendeckender Öffnungsverbote (3)

BDVR-Rundschreiben 1/2021 – Teil 3

Ansprüche auf Entschädigung wegen flächendeckender Öffnungsverbote (3)

BDVR-Rundschreiben 1/2021 – Teil 3

Ein Beitrag aus »BDVR-Rundschreiben« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
Ein Beitrag aus »BDVR-Rundschreiben« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV

Betroffene von Maßnahmen zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten aufgrund des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) können Anspruch auf Entschädigung des hierdurch entstandenen Verdienstausfalls haben. In der aktuellen Pandemie spielen entsprechende Anträge auf Entschädigung eine zunehmende Rolle, nachdem die maßgebliche Anspruchsgrundlage im IfSG bislang eher ein Nischendasein gefristet hat. Doch nicht allein, wer durch behördliche Anordnung abgesondert wurde oder seine Kinder wegen der Schließung von Schulen und Kitas selbst betreuen muss, erhebt Anspruch auf Ersatz der hierdurch entstandenen finanziellen Einbußen.

VI. Zur bisherigen Rechtsprechung

Mittlerweile liegen die ersten Gerichtsentscheidungen zur Entschädigungsfrage vor, die eine klare Tendenz erkennen lassen. Wenn auch mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung und voneinander abweichendem Prüfungsaufbau haben sämtliche Gerichte die geltend gemachten Entschädigungsansprüche vollumfänglich abgelehnt. Damit wird die in diesem Beitrag vertretene Auffassung, dass sich Entschädigungsansprüche weder aus dem IfSG noch aus allgemeinem Gefahrenabwehrrecht oder aus dem allgemeinen Staatshaftungsrecht ergeben, bestätigt. Ein näherer Blick zeigt, dass die den Urteilen der Landgerichte Heilbronn, Hannover, Berlin und Stuttgart zugrunde liegenden Sachverhalte eine große Bandbreite unterschiedlicher Branchen betrafen. Streitgegenständlich waren Öffnungsverbote für einen Friseursalon,85 für Betreiber und Betreiberinnen von Theatern,86 Restaurants,87 Kinos und Hotels, für den Inhaber eines Escape-Rooms, einen Zahnarzt88 sowie ein Yoga-Studio89.

Das soweit ersichtlich erste Urteil sprach das Landgericht Heilbronn bereits im April 2020. Dort begehrte die Klägerin den Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Entschädigung von reklamierten Einbußen durch die Schließung ihres Friseursalons. Da das Gericht um einstweiligen Rechtsschutz angerufen wurde, unterscheidet sich die Entscheidung aus prozessualer Sicht von den weiteren hier diskutierten Urteilen.90 Das Landgericht Heilbronn sah mangels Dringlichkeit bereits keinen Grund, eine Entschädigung im Eilverfahren zuzusprechen. Weil die notwendige Existenzgefährdung – insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Klägerin bereits 9.000 € Soforthilfe erhalten hatte – nicht hinreichend dargelegt worden sei, lehnte das Gericht eine schnelle Entscheidung mangels Verfügungsgrundes ab.91 Schließlich vermochte das Gericht – wenn auch unter Zugrundelegung des im Eilverfahren nur reduzierten Prüfungsmaßstabs und dementsprechend knapper Begründung – auch keinen Verfügungsanspruch zu erkennen.92 In sämtlichen Urteilen besteht Einigkeit, dass § 56 IfSG weder in unmittelbarer noch in analoger Anwendung eine rechtliche Grundlage für Entschädigungszahlen bietet, wobei hierzu die fehlende Anspruchsberechtigung sowie die mangelnde (planwidrige) Regelungslücke angeführt wird.


Zu kurz greift insoweit aber die Argumentation der 2. Zivilkammer des Landgerichts Berlins, die über den Entschädigungsanspruch eines Gaststättenbetreibers zu entscheiden hatte. Um eine analoge Anwendung von § 56 IfSG zu verneinen, genügt nicht allein der Verweis darauf, dass der Kläger nicht Erkrankter oder Erkrankungsverdächtiger ist.93 Ebenso einig ist sich die bisherige Rechtsprechung darüber, dass auch § 65 IfSG weder unmittelbar noch analog Anwendung findet und dass Ansprüche nach dem allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht mit Verweis auf die Sperrwirkung des IfSG abzulehnen sind.94 Auch Amtshaftungsansprüche nach § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG werden von allen Gerichten überzeugend verneint, sei es mit Verweis auf die Rechtmäßigkeit der Eindämmungsmaßnahmen95 oder aber mit Verweis auf die fehlende individuelle Betroffenheit i. S. v. § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB.96 Während das abschließende Entschädigungsregime des IfSG von einigen Gerichten auch in Bezug auf Aufopferungsansprüche ausdrücklich angenommen wird97 mit der Folge, dass ein enteignender Eingriff von vornherein ausscheidet, wird die Frage der Sperrwirkung in anderen Entscheidungen nicht angesprochen und eine Entschädigung aus anderen Gründen verneint98. Unterschiedlich bewertet wird dabei, ob durch die (vorübergehenden) Betriebsschließungen eine Beeinträchtigung des Eigentums anzunehmen ist. Während das Landgericht Heilbronn dies mangels verfestigter Eigentumsposition pauschal ablehnt99 und das Landgericht Berlin jedenfalls angesichts des vorübergehenden Charakters der Maßnahmen skeptisch ist,100 tendiert das Landgericht Hannover dazu, einen Eingriff in den Schutzbereich von Art. 14 Abs. 1 GG zu bejahen, wobei dies letztlich offengelassen wurde.101 Bereits im Sommer 2020 wies das Landgericht Hannover die Klage eines Restaurantbetreibers ab.102

Ende des Jahres folgte ein weitgehend identisches Urteil, in dem über die Ansprüche von rund einem Dutzend Klägerinnen und Klägern entschieden wurde.103 Dass diese unterschiedlichen Branchen (Kinos, Hotels, Escape-Room-Be- treiber, Zahnarzt) angehörten, machte für die rechtliche Bewertung keinen Unterschied. Schließlich scheiterten die Entschädigungsansprüche spätestens am Vorliegen eines Sonderopfers. Übereinstimmend mit der in diesem Beitrag vertretenen Auffassung bietet der enteignende Eingriff auch nach Ansicht der bisherigen Rechtsprechung keine taugliche Rechtsgrundlage, um massenhafte und flächendeckende Schäden auszugleichen. Überwiegend wird mit Verweis auf den weiten Personenkreis, der von den Maßnahmen betroffen ist, ein individuelles Sonderopfer überzeugend verneint.104 Ohne Auseinandersetzung mit dem flächendeckenden Charakter der Maßnahmen verweist die 2. Zivilkammer des Landgerichts Berlin allerdings darauf, dass es mit dem Grundgesetz nur schwer vereinbar sei, wenn ein Nichtstörer für eine Maßnahme keinen Entschädigungsanspruch habe, den er hätte, wenn er Störer wäre.105 Diese Argumentation kann vor dem Hintergrund des Schutzzwecks des IfSG keinen Bestand haben. Die auf den besonderen Fall ausgerichteten Entschädigungsregelungen des IfSG sollen gerade den Störer motivieren, hervorzutreten, um zu verhindern, dass dieser aus Sorge vor Umsatz- und Gewinneinbußen von der Meldung einer Erkrankung oder (möglichen) Ansteckung absieht. Zuzustimmen ist der 2. Zivilkammer des Landgerichts Berlins allerdings darin, dass sie das Vorliegen eines Sonderopfers im von ihr zu entscheidenden Fall auch angesichts der nur vorübergehenden Betriebsschließungen und der staatlichen Zuwendungen ablehnt.106 Die erlittenen Nachteile seien regelmäßig nicht als ein solches unzumutbares Sonderopfer anzusehen, sondern bewegten sich vielmehr noch im Bereich eines tragbaren allgemeinen Lebens- und Unternehmerrisikos.107 Gleichermaßen wird die Entschädigung auch in den anderen Fällen mangels konkreter Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz verneint.108

Es ist zwar nachvollziehbar, wenn die Gerichte zur Ablehnung eines Sonderopfers auch auf die Begrenztheit der einzelnen Maßnahmen verweisen. Jedoch ist im Auge zu behalten, dass angesichts der Sperrwirkung des IfSG auch bei Kumulation der Eindämmungsmaßnahmen bzw. längerfristigen Beeinträchtigungen kein Raum für einen enteignenden Eingriff wäre. Als zusätzliches Argument führt die 14. Zivilkammer des Landgerichts Berlin, die über die Klagen von Betreiberinnen von Theatern, politischem Kabarett und Varietés inklusive gastronomischer Leistungen zu befinden hatte, an, dass ein Sonderopfer schon deshalb abzulehnen sei, weil die Umsatz- und Gewinneinbußen der Klägerinnen keineswegs allein durch Eindämmungsmaßnahmen entstanden seien. Vielmehr hätten große Teile der Bevölkerung auf den Besuch von Kultureinrichtungen ohnehin aufgrund der Gefahrenlage verzichtet.109 Während diese Argumentation allenfalls in Bezug auf die Höhe einer Entschädigung überzeugen könnte, scheint jedoch Vorsicht geboten, Ansprüche Betroffener gegenüber dem Staat aufgrund spekulativer Überlegungen vollständig abzulehnen. Zustimmung verdient allerdings das Argument der 14. Zivilkammer, dass bei dogmatischer Betrachtung des Aufopferungsrechts eine vollständige Bewahrung vor wirtschaftlichen Schäden nicht geboten ist.110 Das Landgericht Hannover hatte schließlich noch über eine Verfahrensaussetzung nach Art. 100 Abs. 1 GG zu entscheiden,  weil die Klägerinnen und Kläger des dortigen Verfahrens hilfsweise beantragt hatten, dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorzulegen, ob das IfSG insoweit mit Art. 12 und 14 GG vereinbar sei, als es keine angemessenen Entschädigungsregelungen vorsehe.111 Das Gericht lehnte eine Vorlage ab und begründete dies überzeugend mit einer restriktiven Auslegung des verfassungsrechtlichen Instituts der ausgleichspflichtigen Inhalts- und Schrankenbestimmung aufgrund dessen Ausnahmecharakter.112 Neben den Urteilen des Landgerichts Hannover, die sich durch ihre ausführliche Diskussion möglicher Anspruchsgrundlagen unter erschöpfender Berücksichtigung der bislang erschienenen Literatur ausweisen, sticht das Urteil des Landgerichts Stuttgart heraus, das über die Klage einer Yoga-Studio-Betreiberin zu befinden hatte. Die Entscheidung setzt die richtigen Schwerpunkte und überzeugt sowohl durch seine klare Struktur als auch durch eine präzise und schnörkellose Argumentation und Sprache.

VII. Fazit

Die Frage nach einem Anspruch auf Entschädigung wegen flächendeckender Verbote und Einschränkungen des kulturellen und wirtschaftlichen Lebens in der Corona-Pandemie wurde bislang – und wird weiterhin – kontrovers diskutiert. Ein Grund hierfür mag sein, dass der Gesetzgeber den Entschädigungsregelungen im Bundesseuchen- und Infektionsschutzrecht bis heute nicht die notwendige Beachtung geschenkt hat. Sie blieben über die Jahrzehnte hinweg nahezu unverändert, während sich das Rechtsgebiet stetig, wenn auch in kleinen Schritten weiterentwickelte, um vor den Gefahren bislang unbekannter oder zurückkehrender Krankheitserreger besser gewappnet zu sein. Die Corona-Pandemie traf Behörden und Gerichte wegen ihres Ausmaßes und ihrer weitreichenden Folgen gleichwohl unvorbereitet. Die bisherigen Erfahrungen mit der Anwendung und Auslegung der Regelungen der §§ 56ff. IfSG legen die Notwendigkeit einer grundlegenden Reform nahe, sobald das Virus eingedämmt und der Alltag wieder eingekehrt ist. Dies ändert gleichwohl nichts daran, dass nach aktueller Rechtslage keine Grundlage für einen umfassenden Ausgleich von Umsatz- und Gewinneinbußen derjenigen Betriebsinhaber besteht, deren Geschäfte, Einrichtungen und Veranstaltungen während beider Lockdowns schließen oder abgesagt werden mussten. Dieser Auffassung hat sich die bisherige zivilgerichtliche Rechtsprechung einhellig angeschlossen. Es bleibt abzuwarten, ob die Verwaltungsgerichtsbarkeit, die in Zukunft dazu berufen ist, über Entschädigungsklagen zu befinden, diese Linie fortführen wird.

 

Ein Beitrag aus dem BDVR-Rundschreiben 1/2021

Anmerkung der Redaktion: Der Beitrag wird fortgesetzt.

 

85 LG Heilbronn, Urt. v. 29.04.2020 – I 4 O 82/20 –, juris.

86 LG Berlin, Urt. v. 02.11.2020 – 14 O 151/20.

87 LG Hannover, Urt. v. 09.07.2020 – 8 O 2/20 –, juris, sowie LG Berlin, Urt. v. 13.10.2020 – 2 O 247/20 –, BeckRS 2020, 26417.

88 Sämtlich in LG Hannover, Urt. v. 20.11.2020 – 8 O 4/20 –, juris.

89 LG Stuttgart, Urt. v. 05.11.2020 – 7 O 109/20 –, juris.

90 Vgl. auch Eibenstein NVwZ 2020, S. 930 (931).

91 LG Heilbronn, Urt. v. 29.04.2020 – I 4 O 82/20 –, juris Rn. 18ff.

92 LG Heilbronn, Urt. v. 29.04.2020 – I 4 O 82/20 –, juris Rn. 24ff.

93 LG Berlin, Urt. v. 13.10.2020 – 2 O 247/20 –,BeckRS 2020, 26417 Rn. 24.

94 Das LG Heilbronn musste hierüber im Eilverfahren mangels Geltendmachung nicht entscheiden, vgl. Eibenstein, NVwZ 2020, S. 930 (931).

95 So etwa LG Hannover, Urt. v. 09.07.2020 – 8 O 2/20 –, juris Rn. 101.

96 So etwa LG Stuttgart, Urt. v. 05.11.2020 – 7 O 109/20 –, juris Rn. 51.

97 LG Berlin, Urt. v. 02.11.2020 – 14 O 151/20 –, EA S. 6; LG Stuttgart, Urt. v. 05.11.2020 – 7 O 109/20 –, juris Rn. 45; vgl. auch LG Heilbronn, Urt. v. 29.04.2020 – I 4 O 82/20 –, juris Rn. 27.

98 Vgl. etwa LG Berlin, Urt. v. 13.10.2020 – 2 O 247/20 –, BeckRS 2020, 26417.

99 LG Heilbronn, Urt. v. 29.04.2020 – I 4 O 82/20 –, juris Rn. 27. Die Frage des Sonderopfers war für das Landgericht Heilbronn daher nicht mehr relevant.

100 Vgl. LG Berlin, Urt. v. 02.11.2020 – 14 O 151/20.

101 LG Hannover, Urt. v. 09.07.2020 – 8 O 2/20 –, juris Rn. 65 sowie Urt. v. 20.11.2020 – 8 O 4/20 –, juris Rn. 78. Nicht angesprochen wurde die Frage der Eigentumsbeeinträchtigung bei LG Berlin, Urt. v. 02.11.2020 – 14 O 151/20 – und LG Stuttgart, Urt. v. 05.11.2020 – 7 O 109/20.

102 LG Hannover, Urt. v. 09.07.2020 – 8 O 2/20 –, juris.

103 LG Hannover, Urt. v. 20.11.2020 – 8 O 4/20 –, juris.

104 So LG Hannover, Urt. v. 09.07.2020 – 8 O 2/20 –, juris Rn. 68 sowie Urt. v. 20.11.2020 – 8 O 4/20 –, juris Rn. 81; LG Stuttgart, Urt. v. 05.11.2020 – 7 O 109/20 –, juris Rn. 46, ebenso jüngst LG Köln, Urt. V. 12.01.2021 – 5 O 215/20 –, juris Rn. 43; diese Frage offenlassend LG Berlin, Urt. v. 02.11.2020 – 14 O 151/20 –, EA S. 7.

105 LG Berlin, Urt. v. 02.11.2020 – 14 O 151/20 –, EA S. 10.

106 LG Berlin, Urt. v. 13.10.2020 – 2 O 247/20 –, –, BeckRS 2020, 26417 Rn. 35; ebenso mit Verweis auf staatliche Unterstützungsleistungen LG Berlin, Urt. v. 02.11.2020 – 14 O 151/20 –, EA S. 7.

107 LG Berlin, Urt. v. 13.10.2020 – 2 O 247/20 –, –, BeckRS 2020, 26417 Rn. 34.

108 LG Stuttgart, Urt. v. 05.11.2020 – 7 O 109/20 –, juris Rn. 46; LG Hannover, Urt. v. 09.07.2020 – 8 O 2/20 –, juris Rn. 69 sowie Urt. v. 20.11.2020 – 8 O 4/20 –, juris Rn. 82.

109 LG Berlin, Urt. v. 02.11.2020 – 14 O 151/20 –, EA S. 6.

110 LG Berlin, Urt. v. 02.11.2020 – 14 O 151/20 –, EA S. 7.

111 Vgl. LG Hannover, Urt. v. 20.11.2020 – 8 O 4/20 –, juris Rn. 20.

112 LG Hannover, Urt. v. 20.11.2020 – 8 O 4/20 –, juris Rn. 125ff., 143.

 

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Die Serie: Ansprüche auf Entschädigung wegen flächendeckender Öffnungsverbote

 

 

 

Dr. Silvia Ernst

Rechtsanwältin in Berlin, Sozietät Geulen & Klinger
 

Dr. Max Putzer

Richter am Verwaltungsgericht Berlin
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