21.10.2021

„Die Platzvergabe auf dem Weihnachtsmarkt“

Übungsklausur zum Verwaltungsrecht - Teil 1

„Die Platzvergabe auf dem Weihnachtsmarkt“

Übungsklausur zum Verwaltungsrecht - Teil 1

Ein Beitrag aus »apf Baden-Württemberg« | © eyetronic - stock.adobe.com
Ein Beitrag aus »apf Baden-Württemberg« | © eyetronic - stock.adobe.com

Aufgrund von Umbauarbeiten auf dem Marktplatz der Gemeinde K entschließt sich diese dazu, ihren jährlich auf dem Marktplatz stattfindenden Weihnachtsmarkt im Jahr 2019 nur mit einem beschränkten Platzangebot von zehn anstatt wie bisher mit 25 Ständen anzubieten. Nach den Vorstellungen der Gemeinde K soll es drei Essens- und zwei Getränkestände, drei Stände mit weihnachtlichen Artikeln und zwei Kinderattraktionen geben.

Da lange nicht absehbar war, ob infolge der Umbauarbeiten auf dem Marktplatz überhaupt ein Weihnachtsmarkt stattfinden kann, begann die Bewerbungsfrist deshalb erst am 01.09.2019 und endete am 30.09.2019. Der Weihnachtsmarkt fand in der Zeit vom 30.11.2019 bis einschl. 24.12.2019 um 14 Uhr statt. In dem Bewerbungsaufruf war der Hinweis enthalten, dass die Bewerbung keinen Rechtsanspruch auf Zulassung zum Markt begründet und dass die Auswahl der Bewerber auf der Grundlage der Jahrmarktsatzung der Gemeinde K in Verbindung mit den Zulassungsrichtlinien erfolgt. Neben 30 anderen bewarb sich auch W – wie in den vergangenen Jahren – mit Schreiben vom 02.09.2019 um einen Platz auf dem Weihnachtsmarkt in der Rubrik „Essensstand“.

Am 20.09.2019 fasste der Gemeinderat der Gemeinde K die Jahrmarktsatzung sowie die Zulassungsrichtlinien neu und änderte dabei auch die Auswahlkriterien. Die Änderungen wurden formal ordnungsgemäß im Amtsblatt der Gemeinde K am 22.09.2019 veröffentlicht. Denjenigen Bewerbern, die sich bis zum Ablauf des 30.09.2019 ordnungsgemäß beworben haben, wurden die Änderungen noch schriftlich mitgeteilt mit der Möglichkeit, bis zum 15.10.2019 ergänzende Angaben zu ihrer Bewerbung zu machen.


Die Auswahlkriterien sahen z. B. die Frontlänge ds Standes (je kürzer desto besser), die bauliche Gestaltung, Dekoration und Beleuchtung als auch das Warenangebot, das Merkmal „bekannt und bewährt“ und sonstige weitere Merkmale (wie z. B. Umweltschutz) vor. Die bei den einzelnen Kriterien erzielten Punkte wurden sodann mit einem Faktor multipliziert. Diesen Gewichtungsfaktor (z. B. für die Frontlänge 4 oder das Warenangebot 5) hat die Gemeinde K weder ortsüblich bekannt gemacht noch den Bewerbern mitgeteilt, obwohl eine Entscheidung darüber bereits am 20.09.2019 im Gemeinderat der Gemeinde K gefasst worden war. Die Gemeinde K stellte sich auf den Standpunkt, dass die Offenlegung für die Bewerber keinen Mehrwert habe und sie deshalb zur Offenlegung nicht verpflichtet sei.

Am 18.10.2019 hat W eine ablehnende Entscheidung über seine Bewerbung erhalten. Völlig erbost darüber, was die Gemeinde K da gemacht hat und wohl in den Folgejahren mit ihm machen wird, fertigte er noch am selben Tag einen Widerspruch, welcher ihm mit Widerspruchsbescheid vom 25.10.2019 am 26.10.2019 ordnungsgemäß zugestellt und zurückgewiesen wurde. Am 27.10.2019 erhebt W – auf Anraten seines Freundes B, welcher im 6. Semester Jura studiert – Klage beim zuständigen Verwaltungsgericht.

Hat die Klage des W Aussicht auf Erfolg? Gehen Sie bei Ihrer Lösung davon aus, dass Entscheidungszeitpunkt über die Klage bereits das Jahr 2020 ist.

Die Klage des W hat Aussicht auf Erfolg, wenn der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, die Klage zulässig und begründet ist.

 

I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs

Die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs bestimmt sich nach § 40 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Danach ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nicht verfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind.

1. Öffentlich-rechtliche Streitigkeit

Problematisch ist hier allein die Frage, ob es sich bei dem Sachverhalt um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit handelt. Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn die streitentscheidenden Normen solche des öffentlichen Rechts sind.[1] Bei der Zulassung zu einem (Jahr-)Markt, welcher von der Gemeinde veranstaltet wird, ist die sog. Zwei-Stufen-Theorie anzuwenden. Handelt es sich bei der Streitigkeit um die Entscheidung über die Zulassung zur öffentlichen Einrichtung (das „Ob“), so handelt es sich grundsätzlich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit. Anders verhält es sich nur, wenn es um das „Wie“ der Zulassung geht, da auch privat-rechtliche Vereinbarungen denkbar sind.[2] Vorliegend geht es darum, dass W überhaupt einen Platz auf dem Weihnachtsmarkt erhält, mithin um das „Ob“ der Zulassung und damit um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit.

2. Streitigkeit nicht verfassungsrechtlicher Art

Die Streitigkeit ist vorliegend nicht verfassungsrechtlicher Art, da keine zwei am Verfassungsleben unmittelbar Beteiligte um ihre Rechte und Pflichten aus der Verfassung streiten.[3]

3. Abdrängende Sonderzuweisung

Anhaltspunkte für eine abdrängende Sonderzuweisung liegen nicht vor.

4. Zwischenergebnis

Der Verwaltungsrechtsweg ist gem. § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet.

II. Zulässigkeit der Klage

Die Klage des W müsste zulässig sein.

1. Statthafte Klageart

Fraglich ist vorliegend die statthafte Klageart.

1.1 Situation am 27.10.2019 bis 30.11.2019

W hat am 27.10.2019 Klage erhoben. Zu diesem Zeitpunkt hat zwischen W und denjenigen Bewerbern, die einen Essensstand auf dem Weihnachtsmarkt erhalten haben, eine Konkurrenzsituation vorgelegen. Diese Fälle von Streitigkeiten werden deshalb als Konkurrentenstreitverfahren bezeichnet. Problematisch ist hierbei die richtige Klageart, welche sich primär am Ziel des Klägers orientiert. Geht es W darum, anstelle eines anderen Bewerbers einen Platz auf dem Weihnachtsmarkt zu erhalten, liegt ein Fall der sog. Konkurretenverdrängungsklage vor.[4] Bei dieser Klage hat W eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zu erheben.[5] Die isolierte Erhebung einer Verpflichtungsklage führt den W nicht an sein Ziel, da die Plätze auf dem Weihnachtsmarkt beschränkt sind.[6] Somit muss W zumindest die positiven Zusagen der Bewerber (mit-)anfechten, welche einen Platz in der Kategorie „Essensstand“ erhalten haben. Nur dann ist es möglich, dass W – unter Aufhebung der bereits erteilen Zusagen – einen Platz erhält. Damit war im Zeitpunkt der Klageerhebung am 27.10.2019 eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage die statthafte Klageart.

1.2 Situation nach dem 30.11.2019

Nachdem am 30.11.2019 der Weihnachtsmarkt begonnen hat, die Klage des W allerdings weiterhin unentschieden beim VG anhängig war, stellt sich die Frage, ob W prozessuale Erklärungen abgeben muss, um auf die geänderten Bedingungen zu reagieren.

Mit Beginn des Weihnachtsmarktes am 30.11.2019 ist fraglich, ob sich das mit der Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO verfolgte Ziel, die Aufhebung der Zulassungsentscheidungen der Konkurrenten noch erreichen lässt. Hiergegen spricht, dass der Regelungsinhalt des Verwaltungsakts (hier Zulassungsentscheidung) mit Beginn des Marktes hinsichtlich der Konkurrenten gegenstandslos geworden ist. Entscheidend ist, ob sich die von W begehrte Aufhebung des bzw. der Verwaltungsakte erledigt hat. Erledigung ist dann anzunehmen, wenn der Verwaltungsakt (hier die ablehnende Entscheidung i. V. m. den positiven Zulassungsentscheidungen) seine Regelungswirkung verloren hat oder die mit dem Verwaltungsakt verbundene Beschwer nachträglich weggefallen ist.[7] Das ist vorliegend der Fall. Mit Aufhebung des bzw. der Zulassungsentscheidungen würde sich an der eingetretenen Situation nichts ändern, da die Konkurrenten weiterhin einen Stand auf dem Weihnachtsmarkt hätten und dieser bereits abgehalten wird. Deshalb musste W dieses Klagebegehren für erledigt erklären, § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO, damit seine ursprünglich zulässige (und ggf. begründete) Klage nicht infolge der Erledigung unzulässig und für W kostenpflichtig abgewiesen wird.[8]

Mit Beginn des Weihnachtsmarktes am 30.11.2019 konnte W allerdings auch sein mit der Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO begehrtes Rechtsschutzziel, einen Platz zu erhalten, nicht mehr erreichen. Da W allerdings in den nächsten Jahren eine vergleichbare Entscheidung erwartet, könnte hier ein Fall der sog. Fortsetzungsfestsetzungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog vorliegen.

Direkt anwendbar ist § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO nach seinem eindeutigen Wortlaut nur auf den Fall, wenn sich ein Verwaltungsakt (i. S. d. § 35 VwVfG) nach Erhebung einer Anfechtungsklage erledigt.[9] Diese prozessuale Situation wird ebenfalls auf Verpflichtungsklagen analog angewendet, da sich das mit einer Verpflichtungsklage verfolgte Verpflichtungsbegehren nach Erhebung einer entsprechenden Klage erledigen kann.[10] Ohne die Möglichkeit zur Änderung der eingangs erhobenen Verpflichtungsklage zur einer Fortsetzungsfeststellungsklage würde dies mit Eintritt des erledigenden Ereignisses unzulässig oder unbegründet werden.[11] Auf dieses kann der Kläger mit dem Übergang zu einer Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog reagieren.[12]

W müsste für den Übergang zu einer Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog ein berechtigtes Interesse[13] aufweisen. Ein berechtigtes Interesse ist dann anzunehmen, wenn es dem Kläger um die Feststellung für die Geltendmachung von Ansprüchen aus Amtshaftung geht,[14] bei Wiederholungsgefahr,[15] bei Rehabilitation[16] oder bei sich typischerweise kurzfristig erledigenden[17] und deshalb nicht aufhebbaren Verwaltungsakten.

In Betracht kommt vorliegend die Wiederholungsgefahr. Diese ist dann anzunehmen, wenn künftig unter im Wesentlichen unveränderten Umständen eine gleichartige behördliche Entscheidung wieder ergehen wird, der Gegenstand des Fortsetzungsfeststellungsbegehrens ist.[18] Es muss also eine Präjudizwirkung für künftig vergleichbare Rechtsverhältnisse vorliegen, weil sich dieselben kontroversen Rechtsfragen zwischen den Beteiligten in anderer Weise neu stellen werden.[19]

W wird sich in den Folgejahren, u. a. 2020 wieder um die Zulassung zum Weihnachtsmarkt bewerben. Da dieselben Kriterien zur Anwendung gelangen werden, die auch für die Zulassung zum Weihnachtsmarkt 2019 maßgeblich waren, ist eine Wiederholungsgefahr gegeben.

1.3 Einhaltung der Klagefrist

Die ursprüngliche als Verpflichtungsklage erhobene Klage war im Zeitpunkt ihrer Erhebung fristgerecht. Nach § 74 Abs. 2 i. V. m. § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO muss die innerhalb eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheids erhoben werden. Vorliegend hat W unmittelbar am nächsten Tag Klage erhoben, weshalb die Klagefrist eingehalten war.

2. Klagebefugnis

W müsste auch nach § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt sein. Vorliegend besteht die Möglichkeit, dass W in seinem Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung aus § 70 Abs. 1, Abs. 3 Gewerbeordnung (GewO) i. V. m. Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verletzt ist, weshalb W auch klagebefugt ist.

3. Sonstige Zulässigkeitsvoraussetzungen

Vom Vorliegen der sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen wie der Beteiligten- und Prozessfähigkeit nach den §§ 61, 62 VwGO ist mangels entgegenstehender Angaben auszugehen.

4. Zwischenergebnis

Die Klage in Form der Fortsetzungsfeststellungsklage ist zulässig.

 

Erschienen in apf Heft 11/12 2020

Dieser Beitrag wird fortgesetzt.

[1] Vgl. ausführlich zu den Abgrenzungslehren Ruthig, in: Kopp/Schenke, Kommentar zur VwGO, 26. Aufl. 2020, § 40 Rn. 11 ff.

[2] Vgl. BVerwG, NVwZ 1991, 59 (59); Ruthig, in: Kopp/Schenke (Fn. 1), § 40 Rn. 16.

[3] Vgl. Ruthig, in: Kopp/Schenke (Fn. 1), § 40 Rn. 32.

[4] Vgl. Ruthig, in: Kopp/Schenke (Fn. 1), § 42 Rn. 48.

[5] Vgl. BVerfG, NVwZ 2004, 718 (719); BayVGH, NVwZ-RR 2015, 929 (930).

[6] Eine isolierte Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage, d. h. ein bloßer Neubescheidungsantrag über seine Bewerbung kann ein abgelehnter Bewerber nur dann erheben, wenn er darauf vertrauen will, dass die Behörde aufgrund der gerichtlichen Entscheidung über sein Rechtsschutzbegehren – von Amts wegen – entscheidet, die Auswahlentscheidung(en) über die Zulassung der anderen Bewerber zu überprüfen und die abgeschlossenen Verwaltungsverfahren nach §§ 48, 49 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) mit dem Ziel einer Aufhebung der positiven Zulassungsakte wieder aufgreift, so NdsOVG, Beschl. v. 17.11.2009 – 7 ME 116/09 = BeckRS 2009, 41672. Gleiches muss für den Fall gelten, wenn eine Vielzahl der Entscheidungen an Drittbewerber anzufechten wäre.

[7] Vgl. Fechner, NVwZ 2000, 121 (121 f.).

[8] Vgl. Fechner (Fn. 7), 121 (122).

[9] Ebenda.

[10] Statt vieler BVerwG, NVwZ 2012, 51 (51) m. w. N.

[11] Vgl. BVerwG (Fn. 10), 2012, 51 (51).

[12] Vgl. NdsOVG, NJW 2003, 531 (532) zur Frage nach der Zulassung zu einem Jahrmarkt.

[13] Zum Inhalt des berechtigten Interesses BVerwG, NVwZ 2019, 649 (649).

[14] Vgl. BVerwG (Fn. 13), 649/649).

[15] Vgl. BVerfG, NJW 2004, 2510 (2512).

[16] Vgl. BVerwG, NVwZ 2013, 1550 (1551); KommJur 2015, 134 (135).

[17] Vgl. VG Freiburg, Urt. v. 23.02.2012 – 4 K 2649/10; zit. nach juris, Rn. 10.

[18] So BVerwG, Urt. v. 16.05.2013 – 8 C 20/12; zit. nach juris, Rn. 12.

[19] Ebenda.

 

Dr. Sonja Sojka

Rechtsanwältin, Dipl. Finanzwirtin (FH), Nürnberg
n/a