26.11.2021

Legal Tech im Studium

Wie die Praxis einen wichtigen Teil der Ausbildung übernimmt

Legal Tech im Studium

Wie die Praxis einen wichtigen Teil der Ausbildung übernimmt

Für eine bessere juristische Ausbildung streiten: Die Strukturen bestehen und die Bereitschaft ist groß. | © Tierney - stock.adobe.com
Für eine bessere juristische Ausbildung streiten: Die Strukturen bestehen und die Bereitschaft ist groß. | © Tierney - stock.adobe.com

Während im klassischen Jurastudium Themen rund um Digitalisierung oft vernachlässigt  werden, bieten studentische Initiativen oder Kanzleien, die sich dem Thema Innovation widmen, eine gute Möglichkeit für Studierende, in das Thema Innovation einzusteigen und wertvolle Erfahrungen zu sammeln.

Bereits zu Beginn meines Jurastudiums war es mir wichtig, neben der umfangreichen Theorie aus den Vorlesungssälen und den vielen Lehrbüchern auch praktische Erfahrungen zu sammeln. Daher arbeitete ich zwischen Oktober 2018 und Oktober 2020 als studentischer Mitarbeiter im Compliance und Innovation Team des Münchner Büros von Baker McKenzie, bis ich den darauffolgenden Winter für ein Auslandsstudium nach Paris zog. Seit Juli 2020 bin ich außerdem Mentee des Career Mentorship Program der Kanzlei. Nachwuchsjuristinnen und -juristen werden hier erfahrene Mentorinnen und Mentoren zur Seite gestellt, als Ansprechpartner bei wichtigen Fragen rund ums Studium, den Berufseinstieg und Co.

Innovation und Digitalisierung

Meine Tätigkeit im Compliance und Innovation Team der Kanzlei ermöglichte mir eine Reihe spannender Einblicke ins Wirtschaftsstrafrecht und in das Thema Legal Tech. Im Compliance Bereich setzt sich unser Team unter anderem mit internen Untersuchungen, der Implementierung und Digitalisierung von Compliance Programmen und anderen strafrechtlichen Fragen auseinander.


Bei Legal Tech geht es um die Innovation und Digitalisierung des Rechts und um die Frage, wie juristische Prozesse durch innovative Ansätze und moderne Technologien digital umgesetzt, automatisiert oder neu konzipiert werden können. Was Legal Tech zusätzlich spannend macht, ist die Tatsache, dass es sämtliche Rechtsgebiete betrifft. Ob Compliance, IT-Recht, Arbeitsrecht oder IP, in allen Abteilungen lassen sich gewisse juristische Prozesse digitalisieren. Die meisten Innovations- und Digitalisierungsprojekte ermöglichen daher eine enge Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen aus den unterschiedlichsten Rechtsgebieten, häufig auch standortübergreifend. Während die Digitalisierung also eine immer wichtigere Rolle in der Praxis einnimmt, musste ich gleichzeitig feststellen, dass die Universitäten dem Thema Legal Tech in der juristischen Ausbildung bis dato nur wenig oder oft gar keine Beachtung schenken. In den Grundkursen und großen Scheinen und auch in den meisten Schwerpunktbereichen des „klassischen“ Jurastudiums vermisste ich die Auseinandersetzung mit Themen rund um die Digitalisierung.

Ich beschloss daher, der Munich Legal Tech Student Association (MLTech) beizutreten und wurde 2019 für ein Jahr zum Vorstandsvorsitzenden des Vereins gewählt. MLTech ist eine studentische Initiative an der LMU, die sich zum Ziel gesetzt hat, Studierenden der Rechtswissenschaft Legal Tech durch die Teilnahme an zahlreichen Vorträgen, Workshops und Hackathons näherzubringen.

Meine Tätigkeit als studentischer Mitarbeiter in der Kanzlei ergänzten sich sehr gut mit meiner Position bei MLTech, nicht zuletzt wegen einer engen Zusammenarbeit zwischen der Kanzlei und dem Verein. Im Folgenden berichte ich über meine Erfahrungen, die ich in der Kanzlei und im Verein sammeln konnte.

Ein dynamisches Umfeld

Das Innovation-Team der Sozietät besteht aus mehreren PartnerInnen, Associates und studentischen bzw. wissenschaftlichen MitarbeiterInnen, die parallel zu ihrer Arbeit in den jeweiligen Abteilungen einen besonderen Fokus auf Innovations- und Digitalisierungsprojekte richten. Zusätzlich dazu gibt es an allen Standorten in sämtlichen Abteilungen sog. Reinvent-Ambassadors, neben Anwältinnen und Anwälten auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Assistenzbereich, dem Business Development oder der Personalabteilung, die innerhalb ihrer Teams gesondert für das Thema Legal Tech zuständig sind und innovative Projekte fachspezifisch fördern.

Dabei steht dem Innovation-Team und den Reinvent-Ambassadors eine Reihe teilweise sehr spezifischer Legal-Tech-Tools zur Verfügung, darunter vor allem Anwendungen zur automatisierten Vertragserstellung, digitalen Implementierung von Entscheidungsbäumen oder Standardisierung und Abbildung von komplexen Workflows.

Als studentischer Mitarbeiter war meine Tätigkeit sehr divers. Im Fokus standen vor allem Digitalisierungsprojekte mit Bezug zu wirtschaftsstrafrechtlichen Themen, bei denen ich mit vielen der erwähnten Tools arbeiten konnte.

Ein konkretes Projekt bestand z. B. in der Digitalisierung von Compliance-Richtlinien. Das Besondere an diesem Projekt war nicht die reine Digitalisierung einer bereits (in Papierform) bestehenden Richtlinie. Im konkreten Fall konzipierten wir vielmehr eine vollkommen neue Richtlinie „from scratch“ und arbeiteten dabei ausschließlich digital. Die Herausforderung bestand darin, eine nutzerfreundliche, für den Mandanten nachhaltige, zugänglichere und zugleich rechtssichere Lösung zu entwickeln.

Im Rahmen eines weiteren spannenden Projekts (diesmal im Bereich IT-Recht) erstellten wir ein Tool für die Berechnung von Bußgeldern bei Verstößen gegen die DSGVO. Dabei war besonders interessant zu sehen, an welche Grenzen eine Automatisierung von juristischen Prozessen geraten kann. Bei der Bußgeldbemessung spielen häufig Wertungsfragen eine zentrale Rolle, was zu einer gewissen Komplexität führt und eine „menschliche Instanz“ unabdingbar macht.

Eine weitere Besonderheit meiner Tätigkeit im Innovation-Team war die enge Zusammenarbeit mit dem Legal Innovation Hub Reinvent Law mit Sitz in Frankfurt, zu dessen Gründungspartnern Baker McKenzie gehört. Das Reinvent Law vernetzt die wichtigsten Akteure der Legal Tech Branche, indem es Workshops, Wettbewerbe und Vorträge mit Kanzleien, Startups, Rechtsabteilungen von Unternehmen, Universitäten und studentischen Legal Tech Initiativen veranstaltet. Das Team im Reinvent Law verfügt neben einer sehr coolen Location vor allem aber über ein starkes Know-how im Bereich Legal Tech, welches für die interdisziplinären Projekte von zentraler Bedeutung ist und für unsere Projekte im Innovation-Team eine große Bereicherung bietet.

Die Bedeutung von studentischen Initiativen

Viele meiner Tätigkeiten in der Kanzlei überschnitten und ergänzten sich mit meiner Position als Vorstandsvorsitzender der studentischen Initiative MLTech, die aktuell mehr als 100 Mitglieder zählt. In engem Austausch mit anderen deutschlandweiten Legal Tech Initiativen versuchen wir die Lücke, die die Universität derzeit noch in der juristischen Ausbildung im Bereich Legal Tech hinterlässt, nach und nach zu füllen und Studierenden den Einstieg in das Thema Digitalisierung und Innovation zu ermöglichen.

Unterstützt von unseren Sponsoren und Kooperationspartnern organisieren wir bei MLTech u. a. Coding Kurse für Juristinnen und Juristen, Legal Tech Vorträge und Workshops, bei denen die Teilnehmenden mit Legal Tech Tools arbeiten können, um eigene praktische Erfahrungen zu sammeln. So veranstalteten wir in den letzten Monaten neben vielen weiteren Projekten eine digitale Vortragsreihe zu aktuellen Themen wie z. B. „Automatisiertes (Un)Recht“ oder „Legal Tech im Berufsalltag – Wunschtraum oder Wirklichkeit?“ und organisierten unter anderem einen Legal Design Workshop mit Baker und einen Workshop zur Digitalisierung von M&A Prozessen mit einer anderen Großkanzlei.

Zwei Projekte lassen sich in diesem Kontext besonders hervorheben:

Zum einen der Legal Tech IP Hackathon, der 2019 von Reinvent Law veranstaltet wurde, und bei dem Mitglieder von MLTech mit einem eigenen Team antreten konnten. Ein Hackathon ist ein Wettbewerb, bei dem mehreren Teams eine technische Herausforderung gestellt wird und die Teams dann innerhalb von 24 Stunden einen Prototypen für ein Programm entwickeln sollen. Für viele Juristen war der Hackathon eine erste Gelegenheit, intensiv mit Informatikern an einem so konkreten Projekt zu arbeiten und letztlich ein eigenes, fertiges Produkt präsentieren zu können. Dabei war der interdisziplinäre Austausch eine spannende Erfahrung, um neue Denk- und Arbeitsweisen kennenzulernen.

Als zweites Projekt ist die virtuelle Legal Tech Summer Challenge zu nennen, die wir im Juli 2020 in Kooperation mit Baker McKenzie und den Rechtsabteilungen dreier Münchner Unternehmen veranstalteten. Die Teilnehmer der Challenge entwickelten an mehreren Terminen, verteilt über einen Zeitraum von fast sechs Wochen technische Lösungen für relevante Praxisprobleme, die von den Rechtsabteilungen präsentiert und betreut wurden. Dabei durchliefen die Teams einen Design Thinking Prozess, der aus mehreren Phasen bestand und nutzten unterschiedliche Legal Tech Programme.

Während eines der Teams diverse Richtlinien automatisierte, entwickelte ein anderes Team ein Selbsthilfe-Tool für Mitarbeiter der Rechtsabteilungen, welches den erleichterten Zugang zu relevanten juristischen Inhalten ermöglicht. Das dritte Team konzipierte einen umfangreichen Prozess für eine vollständig digitale Vertragserstellung, die bei der notwendigen Informationsbeschaffung beginnt, bei der Unterschrift endet und dabei im Unternehmen mehrere Abteilungen durchläuft. Neben den zahlreichen neuen inhaltlichen Erkenntnissen konnten die Teilnehmer der Legal Tech Summer Challenge insbesondere miterleben, wie umfangreiche Digitalisierungsprojekte in größeren Unternehmen erfolgreich durchgeführt werden können.

Call for action

Leider lassen sich noch immer viele Jurastudierende vom „Tech“ in „Legal Tech“ abschrecken, was bedauernswert ist, denn eine hohe Einstiegshürde gibt es nicht. Mit Offenheit und Interesse kann jeder in der jungen Legal Tech-Branche durchstarten.

Besondere technische Fähigkeiten oder fortgeschrittene Programmier-Kenntnisse sollten keine Grundvoraussetzung sein, um als Juristin oder Jurist das Thema Digitalisierung anzugehen. Natürlich sind solche Kenntnisse von Vorteil, aber als viel wichtiger habe ich es empfunden, dass man vor allem die Ansätze und Möglichkeiten zu verstehen lernt, die sich mit Hilfe digitaler Technologien ergeben. Und genau dafür eignen sich die meisten Veranstaltungen der Kanzlei oder MLTech sowie auch von den zahlreichen anderen studentischen Legal Tech-Initiativen, die mittlerweile an den meisten deutschen juristischen Fakultäten vertreten sind. Um nur einige wenige zu nennen, wären da die Legal Tech Labs in Frankfurt und Köln, eLegal in Göttingen, Recode Law aus Münster, Disrupt Law in Heidelberg und Legal Tech Tübingen sowie viele weitere.

Wer also in den Vorlesungssälen seiner Universität das Thema Legal Tech vermisst, der wird mit Sicherheit bei den vielen studentischen Initiativen und Kanzleien fündig, die das Thema Innovation vorantreiben. Sie haben in diesem Bereich eine wichtige Rolle in der Ausbildung der neuen Juristinnen- und Juristengeneration eingenommen.

Der Beitrag stammt aus dem »Der Wirtschaftsführer für junge Juristen«.

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Sofian Djebbari

LMU Munich & Panthéon-Assas Paris 2
n/a