20.09.2021

Ansprüche auf Entschädigung wegen flächendeckender Öffnungsverbote (1)

BDVR-Rundschreiben 1/2021 – Teil 1

Ansprüche auf Entschädigung wegen flächendeckender Öffnungsverbote (1)

BDVR-Rundschreiben 1/2021 – Teil 1

Ein Beitrag aus »BDVR-Rundschreiben« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
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Betroffene von Maßnahmen zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten aufgrund des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) können Anspruch auf Entschädigung des hierdurch entstandenen Verdienstausfalls haben. In der aktuellen Pandemie spielen entsprechende Anträge auf Entschädigung eine zunehmende Rolle, nachdem die maßgebliche Anspruchsgrundlage im IfSG bislang eher ein Nischendasein gefristet hat. Doch nicht allein, wer durch behördliche Anordnung abgesondert wurde oder seine Kinder wegen der Schließung von Schulen und Kitas selbst betreuen muss, erhebt Anspruch auf Ersatz der hierdurch entstandenen finanziellen Einbußen.

Auch Inhaber von Geschäftsbetrieben und Einrichtungen sowie Veranstalter, die den allgemeinen Öffnungsverboten zur Eindämmung des neuartigen Corona-Virus unterliegen, begehren Entschädigung für die hierdurch entstandenen Verluste. Allerdings erfüllen entsprechende Anträge an die nach Landesrecht zuständigen Behörden weder die tatbestandlichen Voraussetzungen der bestehenden gesetzlichen Bestimmungen in unmittelbarer oder analoger Anwendung noch von gewohnheitsrechtlich anerkannten Aufopferungsansprüchen.

I. Einleitung

Die zur Bekämpfung des neuartigen Corona-Virus SARS-CoV- 2 ergriffenen Maßnahmen finden ihre Grundlage in den Vorschriften des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG).1 Die von den Landesregierungen seit Beginn der Pandemie (und weiterhin) erlassenen Rechtsverordnungen stützen sich auf die Verordnungsermächtigung in § 32 Satz 1 IfSG, die wiederum auf die gesetzlichen Voraussetzungen für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31 IfSG verweist. Hierunter fallen insbesondere die zur Eindämmung des neuartigen Corona-Virus ergangenen konkret-individuellen, zunehmend aber auch mittels Allgemeinverfügung angeordneten Absonderungen nach § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG. Weitere Einschränkungen des öffentlichen und privaten Lebens wie Schließungsgebote für Betriebe und Verkaufsstellen, Verbote von Ver-, Ansammlungen und Zusammenkünften sowie Ausgangssperren fußen auf der Bekämpfungsgeneralklausel des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG. Verstärkt seitens der rechtswissenschaftlichen Literatur vorgetragener, aber auch von den Verwaltungsgerichten geäußerter Kritik an einer fehlenden, hinreichend bestimmten (parlaments-)gesetzlichen Grundlage für derart weitreichende und intensive Eingriffe in Grundrechte ist der Gesetzgeber zuletzt mit Einführung des § 28 a IfSG begegnet.2 Die Vorschrift sanktioniert insbesondere in ihrem Absatz 1 die seit März 2020 zwischen Bundeskanzlerin und Ministerpräsidentinnen und -präsidenten abgestimmten, sodann von den einzelnen Landesregierungen ergriffenen Maßnahmen ex post mittels Regelbeispielstechnik.


Darüber hinaus setzt § 28 a Abs. 3 IfSG der Beschränkung von Freiheitsrechten mit besonderem Gewicht für das demokratische Gemeinwesen höhere materiell-rechtliche Hürden, als dies während des ersten „Lockdowns“ der Fall war. Abseits drängender verfassungsrechtlicher Fragen betreffend die Vereinbarkeit von Eindämmungsmaßnahmen mit Grundrechten sowie mit Grundsätzen der Bestimmtheit und des Gesetzesvorbehalts, rückt zunehmend die Sekundärebene, mithin Fragen nach Grundlage und Umfang möglicher Ansprüche auf Entschädigung der von diesen Maßnahmen betroffenen Personen und Betriebe, in den Fokus von Behörden und Gerichten.

Diese Fragen stellen sich nicht allein Arbeitnehmern und Selbstständigen, die – als Adressaten konkret- individueller infektionsschutzrechtlicher Anordnungen, insbesondere solcher zur Absonderung wegen eines Ansteckungsverdachts – einen Verdienstausfall erleiden, da sie während der Dauer der Maßnahmen ihrer jeweiligen beruflichen Tätigkeit nicht nachgehen können. Forderungen nach einem Ersatz erlittener finanzieller Einbußen erheben daneben auch Inhaber von Betrieben, deren (Laden-)Geschäfte oder (Kultur und Freizeit-)Einrichtungen einem Öffnungsverbot unterliegen oder deren Dienstleistungen nicht angeboten werden dürfen. Eine Debatte um mögliche Rechtsgrundlagen für derartige Ansprüche entwickelte sich bereits im Zuge der ersten Welle der Pandemie ab Mitte März 2020; mit Verhängung des zweiten „leichten“, sodann erneut strengeren Lockdowns dürfte sie weiter relevant bleiben. Das IfSG selbst enthält in seinem 12. Abschnitt Regelungen für Ansprüche auf Entschädigung in besonderen Fällen. Allerdings bieten dessen zentrale Vorschriften §§ 56 und 65 IfSG – die Rechtmäßigkeit der ergriffenen Eindämmungsmaßnahmen unterstellt – weder in unmittelbarer noch in analoger Anwendung eine rechtliche Grundlage für den in zahlreichen Fällen beantragten Ersatz erlittener Einbußen (hierzu unter II.).

Auch Ansprüche nach dem allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht bestehen insoweit nicht (sodann unter III.). Zuletzt liegen die Voraussetzungen gewohnheitsrechtlich anerkannter Ansprüche aufgrund von Aufopferung nicht vor (hierzu unter IV.). Bei Geltendmachung von Ansprüchen auf Entschädigung (auch) nach infektionsschutzrechtlichen Bestimmungen stellen sich besondere Fragen zu Verwaltungsverfahren und Rechtsweg (hierzu unter V.). Erste Entscheidungen einzelner Zivilgerichte liegen vor; weitere Gerichtsverfahren sind anhängig, demnächst auch vor den Verwaltungsgerichten (hierzu unter VI.).

II. Ansprüche nach dem IfSG

Die tatbestandlichen Voraussetzungen für infektionsschutzrechtliche Ansprüche auf Entschädigung für Betroffene flächendeckender und branchenbezogener Öffnungsverbote sind nicht gegeben.

  1. Entschädigung gemäß § 56 IfSG

Dies gilt für die zentrale Entschädigungsvorschrift des 12. Abschnitts des Gesetzes, die in ihren Absätzen 1 und 1a die rechtlichen Grundlagen für einen Ersatz erlittenen Verdienstausfalls definiert. Insbesondere erhält nach § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG Entschädigung in Geld, wer aufgrund dieses Gesetzes als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 2 IfSG Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet. Zwar sind die abstraktgenerellen Verbote zur Eindämmung der Pandemie in Rechtsverordnungen der jeweiligen Landesregierung nach § 32 Satz 1 IfSG geregelt und damit auf Grundlage des IfSG ergangen. Selbst unterstellt, die zur Bekämpfung der Pandemie ergriffenen Maßnahmen wären als Tätigkeitsverbot i. S. v. § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG einzustufen,3 ist der Kreis der Entschädigungsberechtigten gleichwohl auf infektionsschutzrechtliche Störer und damit auf natürliche Personen begrenzt; juristische Personen fallen nicht hierunter.4

Auch die gesetzliche Grundlage für die Untersagung der Ausübung bestimmter beruflicher Tätigkeiten ist ihrem Wortlaut nach auf (natürliche) Personen beschränkt, vgl. § 31 IfSG. Bei den von den Verboten betroffenen Betrieben und Veranstaltungen fehlt es aber ohnehin bereits an einem hinreichenden Ansteckungsverdacht; vielmehr dürften deren Inhaber, Mitarbeiter und Benutzer Nichtstörer sein. Zur Feststellung eines Ansteckungsverdachts bedürfte es nach § 2 Nr. 7 IfSG mindestens der Annahme, dass – etwa von Personen, die in den jeweiligen Betrieben oder Einrichtungen arbeiten oder einkaufen – Krankheitserreger aufgenommen worden sind. Voraussetzung dafür ist wiederum die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Kontakts zu einer infizierten Person. Dabei sind – unter Berücksichtigung der jeweils aktuellen epidemiologischen Erkenntnisse5 – an die Wahrscheinlichkeit einer Infektion umso geringere Anforderungen zu stellen, je (hoch-)ansteckender der jeweilige Krankheitserreger ist und je schwerwiegender eine Erkrankung im Falle einer Ansteckung verlaufen würde.6

Die Schließung einzelner Branchen während beider Lockdowns erfolgte bzw. erfolgt weiterhin jedoch allein zur allgemeinen Reduzierung sozialer Kontakte, nicht hingegen zum Schutz von Gewerbetreibenden, Arbeitnehmern und Kunden vor auf eine bestimmte Person konkretisierten infektionsschutzrechtlichen Gefahren. Als Grundlage für eine Entschädigung ebenso wenig in Betracht kommt der mit (Erstem) Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite7 eingeführte § 56 Abs. 1 a Satz 1 IfSG. Danach sind auch erwerbstätige Personen im Falle einer Schließung von Einrichtungen zur Betreuung von Kindern, Schulen oder Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen anspruchsberechtigt, wenn keine anderweitige zumutbare Betreuungsmöglichkeit besteht und durch die deshalb erforderliche Betreuung ein Verdienstausfall eintritt.

  1. Entschädigung nach § 65 IfSG

Auch § 65 Abs. 1 Halbs. 1 IfSG als die zweite zentrale Entschädigungsvorschrift des IfSG kommt als Anspruchsgrundlage in der gegenwärtigen Pandemie nicht in Betracht. Danach ist eine Entschädigung zu leisten, soweit aufgrund einer Maßnahme nach den §§ 16f. IfSG Gegenstände vernichtet, beschädigt oder in sonstiger Weise in ihrem Wert gemindert werden oder ein anderer nicht nur unwesentlicher Vermögensnachteil verursacht wird. Die von den Landesregierungen ergriffenen, in Landesrechtsverordnungen geregelten Maßnahmen dienen jedoch der Bekämpfung, nicht (mehr) allein der Verhütung des neuartigen Coronavirus, weshalb insbesondere die Generalklausel des § 16 Abs. 1 Satz 1 IfSG keine Anwendung findet. Danach trifft – wenn Tatsachen festgestellt werden, die zum Auftreten einer übertragbaren Krankheit führen können, oder anzunehmen ist, dass solche Tatsachen vorliegen – die zuständige Behörde die notwendigen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr.

In dem Zeitpunkt, zu dem die ersten Allgemeinverfügungen und Rechtsverordnungen der Bundesländer ergangen sind, war COVID-19 hingegen bereits von der WHO zur globalen Pandemie erklärt, im gesamten Bundesgebiet aufgetreten und somit der Anwendungsbereich des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG eröffnet,8 dessen tatbestandliche Voraussetzung die Feststellung infektionsschutzrechtlicher Störer ist. Dafür, dass die Generalklauseln des § 16 Abs. 1 Satz 1 IfSG einerseits und § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG andererseits zueinander im Verhältnis der Exklusivität stehen9, spricht insbesondere die Gesetzessystematik, die zwischen Maßnahmen zur Verhütung (4. Abschnitt) und zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten (5. Abschnitt) unterscheidet. Jedenfalls mit Eintritt einer pandemischen Situation durfte der Verordnungsgeber – wie dies auch in allen Bundesländern geschehen ist – seine Maßnahmen auf die Bekämpfungsgeneralklausel stützen; ein Rückgriff (allein) auf § 16 Abs. 1 Satz 1 IfSG wäre ihm verwehrt gewesen.

  1. Analoge Anwendung infektionsschutzrechtlicher Vorschriften?

Darüber hinaus scheidet auch eine entsprechende Anwendung insbesondere von § 56 IfSG zugunsten der von flächendeckenden Öffnungsverboten Betroffenen aus. Ein „Erstrecht- Schluss“ aus der gesetzlich vorgesehenen Entschädigung infektionsschutzrechtlicher Störer auf eine Pflicht zur Entschädigung auch von Nichtstörern lässt sich nicht ziehen.10 Denn es fehlt an einer planwidrigen Regelungslücke. So entsprach es schon dem Willen des seuchenrechtlichen Gesetzgebers, dass eine Entschädigung für erlittenen Verdienstausfall nach § 49 Abs. 1 Bundes-Seuchengesetz (BSeuchG)11 reinen Billigkeitserwägungen entspringt.12 Bereits dies gebietet eine enge Auslegung der Vorschrift.

Das BSeuchG sah zudem von Beginn an keine Ansprüche auf Entschädigung bei – nicht gegen Störer gerichteten – „Maßnahmen gegen die Allgemeinheit“ nach § 43 BSeuchG vor, deren Voraussetzungen getrennt von Absonderung und Tätigkeitsverboten eigenständig geregelt waren. Die Vorschrift fand zwar später Eingang in die neu geschaffene Bekämpfungsgeneralklausel. 13 Diese Reform bezweckte jedoch allein eine effektivere Bekämpfung von Infektionskrankheiten,14 während das Entschädigungsregime unverändert blieb. Für die Annahme einer Regelungslücke spricht auch nicht, dass die Vorschriften des BSeuchG nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers nicht abschließend sein sollten; Entschädigungspflichten in anderen Fällen aufgrund anderweitiger Rechtsvorschriften oder aus Gewohnheitsrecht wollte er nicht ausgeschlossen sehen.15 Denn bei Überführung des Bundesseuchenrechts in das Infektionsschutzrecht machte der Gesetzgeber im Gegensatz hierzu deutlich, dass die Entschädigungsregelungen des IfSG Aufopferungsansprüche umfassend ersetzen und Letzteren insoweit keine lückenschließende Funktion mehr zukommen sollte.16 Zugleich erweiterte er den Kreis der anspruchsberechtigten Personen um Krankheitsverdächtige, die unter Geltung des alten BSeuchG noch ohne Anspruch auf Entschädigung geblieben waren, selbst wenn sie nicht erkrankt waren; im Übrigen wurde § 49 BSeuchG ohne Änderung übernommen.17

Zwar mögen dem Gesetzgeber im Zeitpunkt der Verabschiedung des Infektionsschutzrechts Pandemien mit den Ausmaßen des gegenwärtigen COVID-19-Ausbruchs nicht vor Augen gestanden haben. Ihm war – unter dem Eindruck der HIV/AIDS-Krise der 1980er-Jahre sowie im Bewusstsein des globalen Bevölkerungswachstums, der hohen Mobilität der Menschen und der Migration großer Bevölkerungsgruppen – gleichwohl klar, dass neue aggressive Varianten von bekannten oder bislang unbekannten Krankheitserregern Teile der oder die Gesamtbevölkerung bedrohen könnten.18 Das Erstattungs- und Entschädigungsrecht, auf den Ausgleich besonderer, durch zielgerichtete individuelle Maßnahmen geschaffener („punktueller“19) Schadenslagen ausgelegt, zur flächendeckenden Restitution aller wirtschaftlichen und sozialen Folgen einer Pandemie aber ungeeignet, ließ er trotzdem unangetastet. Hätte der Bundesgesetzgeber abweichend hiervon eine Grundlage für Ansprüche auf Entschädigung auch für flächendeckend betroffene Gewerbetreibende schaffen wollen, hätten mittlerweile bereits drei umfassende Reformen des Infektionsschutzrechts seit Beginn der aktuellen Pandemie hinreichend Gelegenheit geboten.

Tatsächlich hat er allein § 56 Abs. 1a IfSG neu eingefügt. Die Vorschrift ermöglicht gar eine Entschädigung von – im Gegensatz zu den Inhabern von Betrieben und Veranstaltern – nur mittelbar von Eindämmungsmaßnahmen betroffenen Personenkreisen (z. B. berufstätige Eltern) und ist insoweit Fremdkörper im Regelungsgefüge der Norm.20 Seit seiner Einführung hat der Gesetzgeber den sachlichen Anwendungsbereich der Vorschrift kontinuierlich erweitert und um Betretungsverbote aufgrund einer Absonderung21 sowie um die Anordnung von Schul- oder Betriebsferien und die Aufhebung der Präsenzpflicht aus Infektionsschutzgründen22 ergänzt. Zudem sieht das IfSG an anderer Stelle – gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG für Fälle einer gesundheitlichen Schädigung durch Schutzimpfung und nach § 65 Abs. 1 IfSG bei Vernichtung, Beschädigung oder Wertminderung eines Gegenstandes aufgrund behördlicher Inanspruchnahme – eine Entschädigungsregelung für ein Sonderopfer ausdrücklich vor. Dass der Gesetzgeber an entsprechende Maßnahmen weitreichendere Entschädigungsansprüche knüpft als im Falle von Anordnungen zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten, rechtfertigt sich allerdings durch die niedrigschwelligeren Eingriffsvoraussetzungen der Verhütungsgeneralklausel des § 16 Abs. 1 Satz 1 IfSG.23

Aus der Feststellung des Ausbruchs einer Krankheit erwächst zudem die Pflicht Betroffener von Eindämmungsmaßnahmen, hoheitliche Eingriffe in größerem Umfang zu dulden als in einer Phase der bloßen Pandemievermeidung.24 Eine entsprechende Anwendung von § 65 Abs. 1 IfSG scheidet aus den genannten gesetzessystematischen Gründen aus, die der Annahme einer planwidrigen Regelungslücke entgegenstehen.25 Eine extensivere Auslegung von § 56 Abs. 1 Satz 1 und § 65 Abs. 1 IfSG ist auch nicht von Verfassung wegen aufgrund eines Eingriffs insbesondere in Art. 14 Abs. 1 GG geboten.26 Erachtete man die erlassenen Verbote zur Eindämmung des neuartigen Coronavirus als ausgleichspflichtige Inhalts- und Schrankenbestimmung der Eigentumsgarantie und somit nur dann als verhältnismäßig, wenn zugleich eine Entschädigung zugesprochen wird, obläge die Entscheidung über deren Art und Umfang dem Gesetzgeber, nicht dem Rechtsanwender auf Sekundärebene.27

III. Keine Anwendung von Entschädigungsregelungen des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts

Die soeben dargestellten Überlegungen, die einer analogen Anwendung bestehender Vorschriften zur Entschädigung von Nichtstörern entgegenstehen, gelten in gleicher Weise im Hinblick auf die allgemeinen Entschädigungsregelungen in den landesrechtlichen Polizei- und Sicherheitsgesetzen. Auf sie, die den Aufopferungsgedanken verkörpern,28 kann bereits gerade deswegen nicht subsidiär zurückgegriffen werden, weil der Gesetzgeber mögliche Ansprüche von Nichtstörern abschließend spezialgesetzlich geregelt hat. Namentlich Aufopferungsansprüche sollen daneben nicht zur Anwendung kommen.29 Darüber hinaus sieht das Sicherheits- und Ordnungsrecht einzelner Bundesländer – als Ausdruck dieses Rechtsgedankens – Regelungen vor, wonach der Entschädigungsanspruch bei der Nichtstörerhaftung keine Anwendung findet, soweit die Entschädigungspflicht in anderen (spezial-)gesetzlichen Vorschriften geregelt bzw. ausgeschlossen ist.30

 

Ein Beitrag aus dem BDVR-Rundschreiben 1/2021

Anmerkung der Redaktion: Der Beitrag wird fortgesetzt.

 

1 Art. 1 des Gesetzes zur Neuordnung seuchenrechtlicher Vorschriften (Seuchenrechtsneuordnungsgesetz – SeuchRNeuG) vom 20.07.2000, BGBl. I, S. 1045.

2 Vgl. Art. 1 Nr. 17 des Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite v. 18.11.2020, BGBl. I S. 2397.

3 So etwa Antweiler, NVwZ 2020, S. 584 (588 f.), a. A. zu Recht Bethge/Dombert, NordÖR 2020, S. 329 (331).

4 Vgl. Eckart/Kruse, in: BeckOK Infektionsschutzrecht, 2. Ed. 01.12.2020, § 56 Rn. 30.1; Kümper, DÖV 2020, S. 904 (908); Reschke, DÖV 2020, S. 423 (425 f.).

5 Vgl. Gabriel, in: BeckOK Infektionsschutzrecht, 2. Ed. 01.12.2020, § 2 Rn. 38.

6 Vgl. BVerwG, Urt. v. 22.03.2012 – 3 C 16/11 –, BVerwGE 142, 205, juris Rn. 31f.

7 Gesetz vom 27.03.2020, BGBl. I, S. 587.

8 Vgl. Johann/Gabriel, in: BeckOK Infektionsschutzrecht, 2. Ed. 01.12.2020, § 28 Rn. 18.1.

9 Vgl. OVG Niedersachsen, Urt. v. 03.02.2011 – 13 LC 198/08 –, juris Rn. 40; Seewald, NJW 1988, S. 2921 (2925), jeweils zu den niedrigschwelentsprechenden, inhaltlich im Wesentlichen gleichlautenden Generalklauseln des BSeuchG; ebenso Reschke, DÖV 2020, S. 423 (424f.).

10 So aber Rommelfanger, COVuR 2020, S. 178 (180); Struß/Fabi, DÖV 2020, S. 665 (671).

11 Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beim Menschen vom 18.07.1961, BGBl. I, S. 1012.

12 Vgl. BT-Drs. 3/1888 zu der Vorgängervorschrift des § 56 Abs. 1 IfSG, § 49 Abs. 1 BSeuchG.

13 Vgl. Viertes Gesetz zur Änderung des Bundes-Seuchengesetzes vom 18.12.1979, BGBl. I, S. 2248.

14 Vgl. BT-Drs. 8/2468, S. 27.

15 Vgl. BT-Drs. 3/1888, S. 27; hierauf gleichwohl pauschal abstellend Giesberts/Gayger/Weyand, NVwZ 2020, S. 417 (420); Rommelfanger, COVuR 2020, S. 178 (181).

16 Vgl. BT-Drs. 14/2530, S. 87.

17 Vgl. BT-Drs. 14/2530, S. 88.

18 Vgl. BT-Drs. 14/2530, S. 37.

19 Cornils, Corona, entschädigungsrechtlich betrachtet, Verfassungsblog v. 13.03.2020, abrufbar unter https://verfassungsblog.de/corona-entschaedigungsrechtlich-betrachtet/ (alle zitierten Internetseiten zuletzt abgerufen am 22.01.2021); Brenner, DÖV 2020, S. 660 (665 f.).

20 Vgl. Stöß/Putzer, NJW 2020, S. 1564 (1470); ebenso Kümper, DÖV 2020, S. 904 (906 f.).

21 Vgl. Drittes Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, BGBl. I 2020, S. 2397.

22 Vgl. Art. 4 a des Gesetzes über eine einmalige Sonderzahlung aus Anlass der COVID-19-Pandemie an Besoldungs- und Wehrsoldempfänger v. 21.12.2020, BGBl. I S. 3136.

23 Vgl. Stöß/Putzer, NJW 2020, S. 1465 (1467).

24 Vgl. Cornils, Verfassungsblog v. 13.03.2020.

 

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Die Serie: Ansprüche auf Entschädigung wegen flächendeckender Öffnungsverbote

 

 

 

Dr. Silvia Ernst

Rechtsanwältin in Berlin, Sozietät Geulen & Klinger
 

Dr. Max Putzer

Richter am Verwaltungsgericht Berlin
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