22.09.2021

Inoffizielle Mitteilung zum Volksentscheid „Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen“

Meinungsbeitrag zur amtlichen Mitteilung des Volksentscheids

Inoffizielle Mitteilung zum Volksentscheid „Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen“

Meinungsbeitrag zur amtlichen Mitteilung des Volksentscheids

Die dringend notwendige Debatte über den Erhalt einer lebenswerten, durchmischten Stadt und die dafür erforderlichen städtebaulichen Maßnahmen sollte wieder sachlicher geführt werden. ©Andrey Popov - stock.adobe.com
Die dringend notwendige Debatte über den Erhalt einer lebenswerten, durchmischten Stadt und die dafür erforderlichen städtebaulichen Maßnahmen sollte wieder sachlicher geführt werden. ©Andrey Popov - stock.adobe.com

Volksentscheid „Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen“

Am 26.09.2021 werden die Berliner Wählerinnen und Wähler im Wege eines Volksentscheids über einen Beschlussentwurf abstimmen, den die „Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen“ eingebracht hat. Mit dem Beschluss würde der Senat von Berlin aufgefordert, alle Maßnahmen einzuleiten, um folgende Ziele zu erreichen:

  • Vergesellschaftung der Bestände aller privatwirtschaftlichen Wohnungsunternehmen mit über 3.000 Wohnungen im Land Berlin. Ausgenommen Unternehmen in öffentlichem Eigentum, kommunale Wohnungsbaugesellschaften in privater Rechtsform und Bestände in kollektivem Besitz der Mieter*innenschaft,
  • gemeinwirtschaftliche, nicht profitorientierte Verwaltung der Wohnungsbestände durch eine Anstalt des öffentlichen Rechts,
  • Verwaltung der in Gemeineigentum überführten Bestände unter mehrheitlicher, demokratischer Beteiligung von Belegschaft, Mieter*innen und Stadtgesellschaft,
  • Verbot der Reprivatisierung dieser Wohnungsbestände in der Satzung der AöR,
  • Zahlung einer Entschädigung deutlich unter Verkehrswert an die betroffenen Wohnungsunternehmen.

In den letzten Wochen haben alle Berliner Haushalte die „amtliche Mitteilung zum Volksentscheid“ in ihrem Briefkasten gefunden, welche auch online einsehbar ist. Die Trägerin des Volksbegehrens legt in dieser amtlichen Mitteilung ausführlich ihre Sicht der Dinge dar. Die ebenfalls enthaltene Stellungnahme des Senats ist kurz und wenig aussagekräftig. Da zwei der drei Regierungsparteien das Volksbegehren unterstützen, ist dies nicht weiter verwunderlich. Das Berliner Abgeordnetenhaus war auch berechtigt, Stellung zu nehmen. Es konnte sich jedoch nicht fristgerecht auf einen Text einigen. Die von einer potentiellen Enteignung betroffenen Unternehmen kommen in der amtlichen Mitteilung nicht zu Wort.

Argumente für eine Abstimmung mit „Nein“

Insgesamt ist die amtliche Mitteilung zum Volksentscheid daher leider unausgewogen. Um diese Unausgewogenheit etwas zu entschärfen, zählt der Autor nachfolgend einige Argumente auf, die für eine Abstimmung mit „Nein“ sprechen. Es handelt sich um die Wiedergabe der persönlichen Meinung des Autors. Er wünscht sich, dass diese Liste in allen Haushalten gemeinsam mit der amtlichen Mitteilung gelesen wird.


  1. Eine Enteignung sollte in einem Rechtsstaat immer das letzte Mittel sein. Bestehen mildere Maßnahmen, um das Ziel zu erreichen, so sind diese auszuschöpfen. Die öffentliche Hand möchte mehr Wohnungen in ihr Eigentum bringen. Um nicht mehr und nicht weniger geht es bei dem Volksentscheid. Dieses Ziel kann die Stadt jedoch erreichen, indem sie Wohnungen kauft, selber Wohnungen baut oder Vorkaufsrechte ausübt. Auch der gezielte Erwerb von Aktienmehrheiten großer Unternehmen der Wohnungswirtschaft wäre ein gangbarer Weg. Eine Enteignung ist nicht erforderlich.
  2. Eine Enteignung ausschließlich solcher Unternehmen, die mehr als 3.000 Wohnungen in Berlin halten, ist willkürlich. Es bestehen insbesondere keinerlei Belege dafür, dass die großen Vermieter besonders hohe Mieten verlangen würden. Im Gegenteil liegen die Durchschnittsmieten bei den großen Vermietern im Durchschnitt niedriger als dies bei vielen mittleren und kleineren Vermietern der Fall ist. Es scheint aus Sicht der öffentlichen Hand auch nicht zielführend, ganze Bestände großer Unternehmen zu übernehmen, ohne zu prüfen, in welchen Lagen die Wohnhäuser liegen, welche Art von Wohnungen mit welcher Ausstattung vorzufinden sind und welche Art von Mietern in diesen derzeit wohnen.
  3. Die Trägerin des Volksbegehrens fordert die Schaffung einer gemeinwirtschaftlichen, nicht profitorientierten Anstalt des öffentlichen Rechts, welche Eigentümerin der deutlich über 200.000 in Rede stehenden Wohnungen werden soll. Diese Anstalt soll unter mehrheitlicher, demokratischer Beteiligung von Belegschaft, Mietern und Stadtgesellschaft verwaltet werden. Wie genau dies funktionieren soll, steht noch nicht fest. Dieses Experiment ist durchaus spannend. Es ist aber auch mit erheblichen rechtlichen und praktischen Problemen und Risiken behaftet. Diese Art der Wohnungsverwaltung sollte daher unbedingt zunächst in kleinerem Rahmen ausprobiert und erforscht werden. In Anbetracht der Tatsache, dass das Land Berlin bereits jetzt der größte Eigentümer von Wohnungen in der Stadt ist, böte es sich an, zunächst eigene Wohnungen für die Erprobung dieser neuen gemeinwirtschaftlichen Verwaltungsform zu verwenden.
  4. Die Trägerin des Volksbegehrens fordert, den zu enteignenden Unternehmen eine Entschädigung zu zahlen, die „deutlich unterhalb des Verkehrswertes“ liegt. Dies ist inakzeptabel. In einem Rechtstaat ist bei einer Enteignung immer eine Entschädigung zu gewähren, die es dem Enteigneten ermöglicht, sich einen vergleichbaren Gegenstand (hier Grundstück) an anderer Stelle zu beschaffen. Der Staat darf sich durch eine Enteignung nicht bereichern. Anderenfalls würden die Unternehmen nicht nur enteignet, sondern aktiv wirtschaftlich geschädigt. Es sollte gesellschaftlicher Konsens bestehen, dass dies nicht in Betracht kommt. Dies gilt im Besonderen, wenn Privatpersonen und Unternehmen, die „nur“ 2.000 Wohnungen halten, nicht von der Enteignung (und wirtschaftlichen Schädigung) betroffen sind.
  5. Ohne es so ausdrücklich zu benennen, hält auch der Senat eine Entschädigung deutlich unterhalb des Verkehrswertes nicht für realistisch. In der amtlichen Mitteilung schätzt er die Entschädigungskosten daher auf Grundlage einer (sehr groben) Berechnung des Verkehrswertes auf ca. 38 Mrd. Euro. Hinzu kämen nach Schätzung des Senats jährliche Finanzierungskosten von ca. 340 Mio. Euro. Nicht eingepreist sind die Kosten für jahrelange Rechtsstreitigkeiten. Bei einem Streitwert von 38 Mrd. Euro dürften auch diese Kosten nicht unerheblich sein. Der Senat geht nach eigenen Angaben zudem davon aus, dass die Entschädigung durch Kredite finanziert werden kann. Unklar ist, wer eine Finanzierung dieser Größenordnung, die mit erheblichen Risiken behaftet ist, übernehmen soll. Im Ergebnis ist eine Entschädigung auf Grundlage des Verkehrswertes schlicht nicht realistisch leistbar. Um das Offensichtliche an dieser Stelle auch nochmals deutlich auszusprechen: Würde man einen Bruchteil der über 38 Mrd. Euro in die Errichtung von zusätzlichem, staatseigenem Wohnraum in der Metropolregion Berlin-Brandenburg investieren, so würde man den bestehenden Problemen deutlich besser begegnen.
  6. Last but not least: Der Volksentscheid ist nicht umsetzbar. Wie sich aus der Lektüre der obenstehenden Argumente herauslesen lassen sollte, ist das von der Trägerin des Volksbegehrens gewünschte Gesetz mit hoher Wahrscheinlichkeit verfassungswidrig. Die behauptete Zulässigkeit nach Artikel 15 GG lässt sich bei näherer Betrachtung nicht bestätigen. Selbst die von der Senatsverwaltung durchgeführte Rechtsprüfung kam zu dem Ergebnis, dass nicht sicher festgestellt werden könne, ob das geforderte Gesetz mit der Verfassung vereinbar wäre oder nicht. Es würden also langjährige Rechtsstreitigkeiten zwischen den enteigneten Unternehmen und dem Land Berlin drohen. Für die betroffenen Mieter wäre in dieser Zeit unklar, an wen sie ihre Miete zu entrichten haben. Darüber hinaus ist offen, wie das Vorhaben finanziert werden soll. Auch verfügt das Land Berlin nicht annähernd über die personelle und organisatorische Ausstattung, um einen Wohnungsbestand dieser Größenordnung zu übernehmen und dann auch noch „unter mehrheitlicher, demokratischer Beteiligung von Belegschaft, Mietern und Stadtgesellschaft“ zu verwalten. Selbst wenn der Volksentscheid Erfolg haben sollte, wird es das geforderte Gesetz daher nicht geben. Leider wird dies in der öffentlichen Debatte bisher nicht hinreichend deutlich. In weiten Teilen der Stadtgesellschaft besteht die Hoffnung, dass tatsächlich ein Enteignungsgesetz erlassen wird und dies – wie auch immer – die bestehenden Probleme behebt. Der Frust wird ungleich größer sein wenn auch dieses Versprechen wieder nicht gehalten werden kann.

Fazit

Abschließend wünscht sich der Autor, dass die dringend notwendige Debatte über den Erhalt einer lebenswerten, durchmischten Stadt und die dafür erforderlichen städtebaulichen Maßnahmen wieder sachlicher geführt wird. Ziel muss es sein, in einem Schulterschluss von öffentlicher Hand und privaten Unternehmen ein langfristig funktionierendes Programm zu entwickeln. Unstreitig sollte dabei sein, dass auch die privaten Unternehmen auf einen Teil der kurzfristig möglichen Gewinne verzichten müssen, um langfristige Stabilität zu gewährleisten.

 

Jakob Hans Hien

Rechtsanwalt, Knauthe, Berlin
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