08.09.2023

Aktuelle Entwicklungen des hessischen Polizeirechts in den Jahren 2016 bis 2023

Die Jahre 2021 bis 2023 Teil II B

Aktuelle Entwicklungen des hessischen Polizeirechts in den Jahren 2016 bis 2023

Die Jahre 2021 bis 2023 Teil II B

Änderungen des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG)| © christophe papke  - stock.adobe.com
Änderungen des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG)| © christophe papke - stock.adobe.com

Die nachfolgenden Ausführungen befassen sich mit den Änderungen des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) in den Jahren 2021 bis 2023. Die Änderungen der Jahre 2016 bis 2020 sind im Teil I A und B behandelt worden.

Fortsetzung des Teils II A

Das Hessische Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) gilt derzeit in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Januar 2005 (GVBl. I S. 14), zuletzt geändert durch Art. 2 und 4 des Gesetzes vom 29.06.2023 (GVBl. S. 456).


V-Personen und verdeckt ermittelnde Personen

Neben der Folgeänderung aufgrund des neuen § 12a HSOG sind in § 16 HSOG vier Absätze eingefügt worden. Mit diesen zusätzlichen Bestimmungen wird der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung entsprechend den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts gestärkt.1Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 9. Dezember 2022, 1 BvR 1345/121. Danach dürfen beispielsweise zum Aufbau eines Vertrauensverhältnisses keine engsten persönlichen Bindungen begründet werden. Es werden ausführliche Regelungen für den Abbruch und die Fortführung eines Einsatzes getroffen sowie die Löschung von Erkenntnissen aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung vorgeschrieben. Die neuen Regelungen entsprechen dem § 12 Abs. 4 bis 7 HVSG.2Hessisches Verfassungsschutzgesetz vom 25.06.2018 (GVBl. S. 302), geändert durch Gesetz vom 29.06.2023 (GVBl. S. 456).

Anerkennung richterlicher Anordnungen anderer Länder

Ein neu eingefügter § 16a HSOG regelt die Anerkennung, also die Geltung einer richterlichen Anordnung, die in einem anderen Bundesland auf der Grundlage des Polizeirechts dieses Bundeslandes ergangen ist, im Land Hessen. Voraussetzung ist, dass die richterliche Anordnung derselben Maßnahme auch in Hessen nach den Vorschriften über die personenbezogene Datenerhebung nach den §§ 14 bis 16 HSOG hätte getroffen werden können.

Identitätsfeststellungen

Die Regelung über Identitätsfeststellungen zur vorbeugenden Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität in § 18 Abs. 2 HSOG ist geändert worden. Nunmehr müssen stets entsprechende Lageerkenntnisse vorliegen. Polizeiliche Erfahrungen genügen nicht mehr. Darüber hinaus ist in der geänderten Regelung bestimmt worden, dass jede Polizeibehörde die Örtlichkeiten, die die Voraussetzungen nach § 18 Abs. 2 Nr. 6 Satz 1 HSOG erfüllen, für ihren Zuständigkeitsbereich unter Angabe der Gründe in einem ständig zu aktualisierenden Verzeichnis zu benennen hat und dass Einzelheiten über die Durchführung der Kontrollen in einer ministeriellen Verwaltungsvorschrift zu regeln sind.

Datenweiterverarbeitung

Aufgrund einer Änderung des § 20 Abs. 6 HSOG hängt die Weiterverarbeitung von Daten einer Person, die einer Straftat verdächtig ist, von der Annahme ab, dass zukünftig Strafverfahren gegen diese Person geführt werden; das Entfallen des Tatverdachts hat eine Löschungspflicht zur Folge. Zudem wird festgelegt, dass Einzelheiten über die Übermittlung von Verfahrensausgängen und Einstellungsbegründungen seitens der Staatsanwaltschaft an die Polizei in einer gemeinsamen ministeriellen Verwaltungsvorschrift zu regeln sind.

Automatisierte Anwendung zur Datenanalyse

§ 25a HSOG, der die die Weiterverarbeitung personenbezogener Daten mittels einer automatisierten Anwendung zur Datenanalyse erlaubt, ist neu gefasst worden. Das Bundesverfassungsgericht hat Anfang 2023 entschieden, dass § 25a Abs. 1 Alternative 1 HSOG, in der zum Zeitpunkt der Entscheidung geltenden Fassung, nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Die Regelung war nicht präzise genug gefasst, um die Verhältnismäßigkeit einer Datenanalyse in jedem Einzelfall sicherstellen zu können. Dieser Fehler soll mit der Neuregelung behoben werden.3Begründung des Änderungsantrages Landtagsdrucksache 20/11235 vom 20.06.2023. Die neugefasste Vorschrift hat einen erheblichen Umfang. In ihr wird detailliert insbesondere festgelegt, was unter dem Begriff „automatisierte Anwendung zur Datenanalyse“ zu verstehen ist, zum Schutz welcher Rechtsgüter und unter Beachtung welcher Eingriffsschwellen die Datenanalyse erfolgen darf und welche Daten zu diesem Zweck zusammengeführt werden dürfen. Es wird zudem darauf hingewiesen, dass es sich dabei um ein technisches Hilfsmittel handelt, welches auf einer von Menschen definierten Abfolge von Analyse- und Verarbeitungsschritten abläuft und dass eine direkte Anbindung an das Internet unzulässig ist. In einer Verwaltungsvorschrift ist zu gewährleisten, dass die Zweckbindung und der Grundsatz der hypothetischen Datenneuerhebung eingehalten werden.4Verwaltungsvorschrift zur Ausführung des § 25a HSOG vom 12.07.2023 (Staatsanzeiger für das Land Hessen 2023 S. 946)

Aussonderungsprüffristen 

Die Vorschrift des § 27 Abs. 4 HSOG, die eine Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung über Aussonderungsprüffristen enthält und deren Inhalt näher bestimmt, ist geändert worden. Es wird nunmehr grundsätzlich gesetzlich festgelegt, dass in Fällen von geringerer Bedeutung kürzere Aussonderungsprüffristen vorzusehen sind und die Fristen bei Erwachsenen, die im Verdacht stehen, Straftaten von erheblicher Bedeutung begangen zu haben, nach Ablauf der Frist verlängert werden können, sofern der Verdacht für eine solche Straftat weiterhin fortbesteht. Dabei werden für bestimmte Sexualstraftaten und für terroristische Straftaten längere Aussonderungsprüffristen gestattet.

Elektronische Aufenthaltsüberwachung bei häuslicher Gewalt 

Aufgrund einer Änderung des § 31 Abs. 2 HSOG kann die in § 31a HSOG geregelte elektronische Aufenthaltsüberwachung (EAÜ) nunmehr auch in Fällen von häuslicher Gewalt erfolgen. Eine EAÜ ist als zusätzliche Maßnahme erlaubt, wenn bereits eine Wohnungsverweisung, ein Betretungsverbot oder ein Kontaktverbot angeordnet worden sind und anzunehmen ist, dass die betroffene Person sich der angeordneten Maßnahme widersetzen wird.  Im Übrigen finden die Bestimmungen des § 31a HSOG entsprechende Anwendung. Die Maßnahme muss also insbesondere richterlich angeordnet werden.

Elektronische Aufenthaltsüberwachung

In der Befugnisnorm des § 31a HSOG, die die elektronische Aufenthaltsüberwachung betrifft, ist durch eine ergänzende Regelung die Pflicht der betroffenen Person aufgenommen worden, ein zur Verfügung gestelltes Mobiltelefon mit sich zu führen. Durch die Möglichkeit eines Telefongesprächs sollen eventuelle Problemlagen niedrigschwellig gelöst werden können.5Gesetzesbegründung Landtagsdrucksache 20/ 8129 vom 22.03.2022

Neue Polizeibehördenbezeichnung

§ 91 HSOG, in dem die hessischen Polizeibehörden aufgeführt werden, ist geändert worden. Das bisherige Hessische Bereitschaftspolizeipräsidium hat aufgrund des Gesetzes zur Umorganisation der hessischen Bereitschaftspolizei die Bezeichnung Hessisches Polizeipräsidium Einsatz erhalten.6Art. 3, § 1 des Gesetzes zur Änderung sicherheitsrechtlicher Vorschriften und zur Umorganisation der hessischen Bereitschaftspolizei vom 29.06.203 (GVBL. S. 456); gemäß Art. 9 Satz 2 dieses Gesetzes tritt sein Art. 3 am 01.11.2023 in Kraft. Die neue Behördenbezeichnung wird im HSOG umgesetzt.

Hessisches Polizeipräsidium Einsatz

§ 93 ist im Zuge der Umorganisation der hessischen Bereitschaftspolizei geändert worden. Der Polizeibehörde mit der neuen Behördenbezeichnung Hessisches Polizeipräsidium Einsatz (HPE) sind als neue Aufgaben die Bearbeitung polizeilicher Einsatzlagen sowie die Bearbeitung weiterer polizeilicher Aufgaben von landesweiter Bedeutung übertragen worden. Die Wahrnehmung einer solchen Aufgabe hängt jedoch davon ab, dass sie allgemein durch Rechtsverordnung oder im Einzelfall durch ministerielle Weisung angeordnet wird. Zudem sind dem HPE durch das Gesetz zur Umorganisation der hessischen Bereitschaftspolizei weitgehend die Aufgaben der Spezialeinheiten sowie ihre Aus- und Fortbildung übertragen worden.

Landeskoordinierungsstelle

§ 95 Abs. 1 HSOG ist geändert worden. Aufgrund einer entsprechenden Streichung ist die Aufgabe einer Landeskoordinierungsstelle für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben nicht mehr vom Hessischen Polizeipräsidium für Technik wahrzunehmen. Diese Aufgabe obliegt jetzt dem Hessischen Ministerium des Innern und für Sport, weil es im Hinblick auf erhebliche Schnittmengen mit dem Aufgabenprofil der Ministerin für Digitale Strategie und Entwicklung sinnvoller ist, dass die erforderlichen Abstimmungsprozesse unmittelbar zwischen den obersten Dienstbehörden erfolgen.7Gesetzesbegründung Landtagsdrucksache 20/ 8129 vom 22.03.2022

Legitimations- und Kennzeichnungspflicht

In einem neuen § 98a HSOG ist eine Legitimationspflicht, also die Pflicht, sich auszuweisen, und eine Kennzeichnungspflicht aufgenommen worden. Diese Pflichten waren bisher in Verwaltungsvorschriften geregelt. Die Pflichten gelten für Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamte sowie Angehörige der Wachpolizei und des Freiwilligen Polizeidienstes des Landes Hessen.8Zur Wachpolizei, s. § 13 der Verordnung zur Durchführung des HSOG und des Hessischen-Freiwilligen-Polizeidienstgesetzes vom 12.06.2007 (GVBl. I S. 323, zuletzt geändert durch Verordnung vom 02.12.2021 (GVBl. S. 819); zum Freiwilligen Polizeidienst, s. Hessisches-Freiwilligen-Polizeidienstgesetz vom 13.06.2000 (GVBl. I S. 294), zuletzt geändert durch Art. 9 des Gesetzes vom 05.10.2017 (GVBl. S. 296). Die Ausweispflicht gilt nur auf Verlangen einer betroffenen Person. Kennzeichnung erfolgt in Form eines Namensschildes und bei Einsätzen geschlossener Einheiten durch eine fünfstellige Zahl jeweils auf der Dienstkleidung. Ausnahmen von diesen Pflichten bestehen, wenn der Zweck der Amtshandlung oder schutzwürdige Belange der die Amtshandlung ausführenden Personen beeinträchtigt werden. Näheres ist durch eine ministerielle Verwaltungsvorschrift zu regeln.

 

Dirk Fredrich

Ministerialrat a.D. Dirk Fredrich, vormals Referatsleiter im Hessischen Ministerium des Innern und für Sport
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  • 1
    Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 9. Dezember 2022, 1 BvR 1345/121.
  • 2
    Hessisches Verfassungsschutzgesetz vom 25.06.2018 (GVBl. S. 302), geändert durch Gesetz vom 29.06.2023 (GVBl. S. 456).
  • 3
    Begründung des Änderungsantrages Landtagsdrucksache 20/11235 vom 20.06.2023.
  • 4
    Verwaltungsvorschrift zur Ausführung des § 25a HSOG vom 12.07.2023 (Staatsanzeiger für das Land Hessen 2023 S. 946)
  • 5
    Gesetzesbegründung Landtagsdrucksache 20/ 8129 vom 22.03.2022
  • 6
    Art. 3, § 1 des Gesetzes zur Änderung sicherheitsrechtlicher Vorschriften und zur Umorganisation der hessischen Bereitschaftspolizei vom 29.06.203 (GVBL. S. 456); gemäß Art. 9 Satz 2 dieses Gesetzes tritt sein Art. 3 am 01.11.2023 in Kraft.
  • 7
    Gesetzesbegründung Landtagsdrucksache 20/ 8129 vom 22.03.2022
  • 8
    Zur Wachpolizei, s. § 13 der Verordnung zur Durchführung des HSOG und des Hessischen-Freiwilligen-Polizeidienstgesetzes vom 12.06.2007 (GVBl. I S. 323, zuletzt geändert durch Verordnung vom 02.12.2021 (GVBl. S. 819); zum Freiwilligen Polizeidienst, s. Hessisches-Freiwilligen-Polizeidienstgesetz vom 13.06.2000 (GVBl. I S. 294), zuletzt geändert durch Art. 9 des Gesetzes vom 05.10.2017 (GVBl. S. 296).
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