28.09.2023

Janhsen: „Die Ausbildung muss auf die tatsächlichen Probleme des juristischen Alltags vorbereiten“

Interview mit Frederik Janhsen, Vorsitzender Bundesverband rechtswissenschaftlicher Fachschaften e.V.

Janhsen: „Die Ausbildung muss auf die tatsächlichen Probleme des juristischen Alltags vorbereiten“

Interview mit Frederik Janhsen, Vorsitzender Bundesverband rechtswissenschaftlicher Fachschaften e.V.

Themen, die in der modernen Gesellschaft immer mehr an Bedeutung gewinnen, werden durch manche juristischen Ausbildungsstrukturen nicht ausreichend berücksichtigt.  |  © Manoj - stock.adobe.com
Themen, die in der modernen Gesellschaft immer mehr an Bedeutung gewinnen, werden durch manche juristischen Ausbildungsstrukturen nicht ausreichend berücksichtigt. | © Manoj - stock.adobe.com

PUBLICUS-Interview zum Reformbedarf des Jura-Studiums sowie den Anforderungen in juristischen Staatsprüfungen.

PUBLICUS: Die Struktur der juristischen Ausbildung stammt in ihren Grundzügen aus dem 19. Jahrhundert. Ist das nicht beruhigend in einer sich ansonsten rasant verändernden Welt?

Frederik Janhsen: Auf keinen Fall. Dass es nur wenige Anpassungen in den letzten 150 Jahren gegeben hat, merkt man an allen Ecken der juristischen Ausbildung. Themen, die in unserer modernen Gesellschaft immer mehr an Bedeutung gewinnen, werden durch diese alten Ausbildungsstrukturen nicht ausreichend berücksichtigt. So merken wir, dass der psychische Druck, welcher im Jurastudium – auch im Vergleich zu anderen Studiengängen – als sehr hoch wahrgenommen wird, in den aktuellen Strukturen keine wirkliche Beachtung findet.


Auch die Chancengleichheit in der juristischen Ausbildung wird nicht ausreichend gewährleistet. Obwohl besonders in den juristischen Berufen die Vielfalt der Gesellschaft widergespiegelt werden muss, um das Vertrauen in den Rechtsstaat beizubehalten, steht das Jurastudium längst nicht uneingeschränkt Interessierten aller verschiedenen sozialen Hintergründe offen.

All dies ist – besonders vor dem Hintergrund des Juristen- und Juristinnenmangels – sehr beunruhigend, sodass weitreichende Reformen der juristischen Ausbildung in Betracht gezogen werden sollten.

PUBLICUS: Sie fordern in einer aktuellen Stellungnahme Ihres Verbandes eine zeitgemäße und realitätsnahe juristische Ausbildung: Was verstehen Sie unter realitätsnah?

Janhsen: Die juristische Ausbildung ist realitätsnah, wenn nach der zweiten Staatsprüfung ein Übergang in die Praxis ohne die Notwendigkeit einer tiefgreifenden Umstellung im Denken und der Arbeitsweise möglich ist. Die Ausbildung muss auf die tatsächlichen Probleme des juristischen Alltags vorbereiten. Anstelle von umfangreichem Spezialwissen muss das grundlegende juristische Handwerkszeug vermittelt werden. Nur so kann eine Ausbildung zum Einheitsjuristin, der oder die sich in unbekannte Rechtsgebiete einarbeiten kann, gelingen.

PUBLICUS: Und wie sähe aus Ihrer Sicht eine zeitgemäße juristische Ausbildung aus?

Janhsen: Aus meiner Sicht sollte eine zeitgemäße juristische Ausbildung an unsere moderne Gesellschaft angepasst sein. Sie muss mit der Zeit gehen, indem sie sich beispielsweise digitalisiert, und zudem Antworten darauf liefern, wie wir die gesellschaftliche Diversität auch in der juristischen Welt durchsetzen können. Weiter muss die Möglichkeit bestehen, aktuelle Themengebiete der Rechtswissenschaften wie Legal Tech oder Klimaschutzrecht in die Ausbildung zu implementieren.

PUBLICUS: Die schleichende Entwicklung in Deutschland hin zum „case law“ und weg vom kodifizierten Recht, nicht nur im Steuerrecht, – lässt sich dies auch in Prüfungen feststellen?

Janhsen: Eine solche Entwicklung in Richtung „case law“ lässt sich definitiv in den Prüfungen feststellen. So ist es beispielweise bekannt, dass es immer wieder Aufgabenstellungen in den schriftlichen Aufsichtsarbeiten der staatlichen Pflichtfachprüfung gibt, die nur mit der Kenntnis des entsprechenden Falles aus der Rechtsprechung lösbar sind.

Dies ist besonders problematisch, da hier folglich das reine Auswendiglernen von Urteilen und nicht – wie es eigentlich sein sollte – die Anwendung des juristischen Handwerkszeuges belohnt wird. Eine Lösung des Falls, die jedoch nicht von der Lösungsskizze gedeckt ist, wird bei solchen Aufgabenstellungen zudem nicht honoriert, obwohl die Ausbildung Juristen und Juristinnen hervorbringen sollte, die selbstständig denken und ihre Entscheidungen begründen können.

PUBLICUS: Während – überspitzt formuliert – in den 50er Jahren die Lektüre der NJW für Examenskandidaten fast ausgereicht hat, sind Studierende mittlerweile mit einer überbordenden Rechtsprechung konfrontiert. Welche Reaktionsmöglichkeiten sehen Sie hier für Prüflinge?

Janhsen: Die Prüflinge haben im aktuellen System leider sehr wenig Möglichkeiten, wie sie auf diese Entwicklung reagieren können. Das schlichte Auswendiglernen der Rechtsprechung erscheint obligatorisch. Trotzdem sollten die Prüflinge die Rechtsprechung mit Blick auf die Herleitung der Entscheidungen analysieren und auf Grundlage des juristischen Handwerkszeuges verstehen.

Mehr Innovation von den Justizprüfungsämtern erwartet

Wir sehen hier jedoch in erster Linie die (Landes-)Justizprüfungsämter in der Verantwortung, die Aufgabenstellung innovativer zu gestalten, sodass Falllösungen, die durch die Arbeit mit dem juristischen Handwerkszeug entwickelt wurden, mehr honoriert werden.

PUBLICUS: Nicht nur die Rechtsprechung wächst und wächst, sondern auch der Pflichtfachstoff. Welche Reformüberlegungen haben Sie hier?

Janhsen: Der aktuelle Pflichtfachstoffkatalog, auf den sich die Länder im Jahr 2016 geeinigt haben, ist unserer Meinung nach deutlich zu umfangreich. Dies sehen auch die Absolventinnen und Absolventen, die an unserer fünften bundesweiten Absolvent:innenbefragung teilgenommen haben: 76,30 % halten die Anzahl und den Umfang der Rechtsgebiete für zu hoch.

Mittlerweile steigt jedoch auch die Bereitschaft in den (Landes-)Justizprüfungsämtern, diesem Umstand entgegenzuwirken. Wir als BRF fordern, im Namen der Jurastudierenden, dass die Länder den gemeinsamen Pflichtfachstoffkatalog einer kritischen Evaluation unterziehen und hierbei die verschiedenen Akteure der juristischen Ausbildung mit einbeziehen.

„Ziel sollte die Verringerung des Pflichtfachstoffs sein“

Ziel sollte hierbei die Verringerung des Pflichtfachstoffes sein. Dies kann erreicht werden, indem Rechtsgebiete, die an praktischer Relevanz verloren haben, gestrichen werden oder nicht mehr umfassend beherrscht werden müssen. In einer solchen Evaluation sollte man auch untersuchen, ob neue Rechtsgebiete oder Themenschwerpunkte aufgrund ihrer gestiegenen Relevanz hinzugefügt werden sollten. Dies darf aber nicht zur Wiederherstellung des gleichen Stoffumfangs führen, sondern dieser muss im Resultat weiterhin deutlich reduziert sein.

Denn wenn eine Verringerung des Pflichtfachstoffes erfolgreich gelingt, wird es die Qualität der Ausbildung nicht mindern. Vielmehr ermöglicht ein weniger umfangreicher Pflichtfachstoffkatalog, das juristische Handwerkszeug intensiver zu lernen, sodass auch Fallkonstellationen aus bisher unbekannten Rechtsgebieten selbstständig gelöst werden können.

“Beim E-Examen ist deutlich Luft nach oben“

PUBLICUS: Die Präsidentin des Justizprüfungsamtes in Baden-Württemberg sagt, Ziel aller JPA sei es, die Ausbildung „auf der Höhe der Zeit zu halten“, was durch die Einführung der elektronischen Prüfung zum Ausdruck komme. Stimmt Sie das nicht zuversichtlich?

Janhsen: Selbstverständlich ist die Einführung der Möglichkeit der elektronischen Anfertigung von Aufsichtsarbeiten ein wichtiger Schritt für eine zeitgemäße Ausbildung. Diese lässt jedoch auch in einigen Ländern noch sehr auf sich warten. Wie bereits erwähnt, gibt es viele andere Stellen, an denen im Hinblick auf eine zeitgemäße Ausbildung Optimierungsbedarf besteht.

Aber auch beim E-Examen ist noch deutlich Luft nach oben: So ist beispielsweise in mehreren Ländern geplant, dass die am Computer geschriebenen Arbeiten ausgedruckt und postalisch an die Prüferinnen und Prüfer versendet werden. Weiter müssen die Fakultäten in Kooperation mit den (Landes-)Justizprüfungsämtern jetzt bereits Angebote schaffen, die das E-Examen in den universitären Alltag holen.

So sollte auch in den universitären Prüfungen oder den Klausurenkursen in der Examensvorbereitung die Möglichkeit der elektronischen Anfertigung ermöglicht werden, um die Prüflinge auf die Prüfungsbedingungen in der staatlichen Pflichtfachprüfung vorzubereiten. All dies wird jedoch meist bei der Einführung der elektronischen Aufsichtsarbeiten außer Acht gelassen.

PUBLICUS: Was sollte sich darüber hinaus aus Sicht der Betroffenen im Prüfungsgeschehen ändern?

Janhsen: Über die bereits genannten Punkte hinaus müssen Prüfungskommissionen in den mündlichen Teilen der staatlichen Prüfungen diverser besetzt werden. Da es mittlerweile bekannt ist, dass nicht-männliche Personen bei rein männlich besetzten Prüfungskommissionen Nachteile erleiden, ist es notwendig, Anreize zu setzen, um dieser Ungleichbehandlung entgegenzuwirken.

Weiter sollte das Abschichten, welches erlaubt, die Aufsichtsarbeiten der staatlichen Pflichtfachprüfung über mehrere Kampagnen zu schreiben, bundesweit eingeführt werden. Dies würde den Prüflingen ermöglichen, sich nachhaltiger auf die verschiedenen Rechtsgebiete vorzubereiten und den psychischen Druck in der Examenszeit zu reduzieren.

PUBLICUS: Der Richard Boorberg Verlag gibt in Kooperation mit dem BRF seit diesem Jahr die Zeitschrift „Recht reloaded“ heraus, die sich an Jura-Studierende sowie Referendarinnen und Referendare richtet. Die Erstausgabe erscheint bundesweit am 28. September. Wie kam es eigentlich zu dem Titel?

Janhsen: Bei der Auswahl des Titels haben wir überlegt, was wir durch unsere Inhalte in der Zeitschrift vermitteln möchten. Für uns steht hier selbstverständlich Jura, beziehungsweise die juristische Ausbildung im Mittelpunkt. Mit „Recht reloaded“ möchten wir aber einen anderen – studentischen – Standpunkt vermitteln, welcher in den bisherigen Zeitschriften nicht ausreichend berücksichtigt wird. Nach etwas Brainstorming kamen wir dann auf „Recht reloaded“. Dieser Titel traf für uns genau diese Botschaft – und wurde auch vom Verlag gutgeheißen.

PUBLICUS: Welche Hoffnungen und Erwartungen verknüpft der BRF mit „Recht reloaded“?

Janhsen: Wir hoffen, dass wir Studierenden sowie Referendarinnen und Referendaren durch die Veröffentlichung von verschiedensten Inhalten, wie beispielsweise einer Hall of Fame zur digitalen Lehre oder einer Tabelle zum Überblick über die universitären Repetitorien in Deutschland, in ihrem Studium oder Referendariat unterstützen können.

Weiter würden wir uns zudem wünschen, dass wir durch „Recht reloaded“ mehr Interesse bei den Studierenden und Referendarinnen und Referendaren für ehrenamtliches Engagement in der juristischen Ausbildung wecken können, indem wir aufzeigen, dass sich das Einsetzen für Veränderungen lohnt. Die reformbedürftige juristische Ausbildung ist nicht unveränderbar, sondern kann von uns allen mitgestaltet werden.

Das Interview führte Marcus Preu.

© Frederik Janhsen

Zur Person:

Frederik Janhsen

Frederik Janhsen studiert Rechtswissenschaften (Staatsexamen) an der Universität Münster. Im Bundesverband rechtswissenschaftlicher Fachschaften e.V. ist er seit Juni 2022 aktiv, zuerst als Vorstand für IT und seit Juli 2023 als Vorsitzender des BRF.

Die Zeitschrift „Recht reloaded“ richtet sich an Jura-Studierende sowie Referendarinnen und Referendare. Die Erstausgabe ist bundesweit am 28. September erschienen.

 

Marcus Preu

Ltg. Lektorat und Redaktion, Rechtsanwalt
n/a