15.09.2023

Notfallmedizinische Grundversorgung muss überall gesichert bleiben

Es braucht Entkommerzialisierung und öffentliche Trägerschaften im Gesundheitssystem

Notfallmedizinische Grundversorgung muss überall gesichert bleiben

Es braucht Entkommerzialisierung und öffentliche Trägerschaften im Gesundheitssystem

Gesundheitsversorgung wird sich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten verändern. Gleichzeitig muss die wohnortnahe Grundversorgung im Akutfall gesichert bleiben. | © xy - stock.adobe.com
Gesundheitsversorgung wird sich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten verändern. Gleichzeitig muss die wohnortnahe Grundversorgung im Akutfall gesichert bleiben. | © xy - stock.adobe.com

Die Gesundheitsversorgung wird sich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten verändern. Hierzu gehört sicherlich auch die Schließung einzelner Kliniken, um die Effizienz des Systems zu steigern und den Anforderungen, die sich aus Fachkräftemangel und Demografischem Wandel ergeben, gerecht zu werden. Gleichzeitig muss die wohnortnahe Grundversorgung im Akutfall gesichert bleiben. Daher ist gerade in der Notfallmedizin eine blinde Zentralisierung mit dem grundgesetzlichen Auftrag der Daseinsvorsorge unvereinbar.

Bürger müssen einen Anspruch darauf haben, spätestens in 20 Minuten Fahrzeit eine geeignete Anlaufstelle für diese Fälle erreichen zu können. Gerade Menschen mit einer chronischen Erkrankung oder Behinderung müssen sich auf eine solche Basisversorgung verlassen können. Unbestritten müssen wir für alle elektive Behandlungen Kompetenzen an zentralen Kliniken bündeln.

Allerdings gilt dies nicht für die Akutversorgung. Sie muss flächendeckend gewährleistet bleiben. Entsprechend wird über neue Konzepte nachzudenken sein, wie dieser Auftrag auch künftig umgesetzt werden kann. Neben der Nutzung telemedizinischer Unterstützung, mithilfe derer sich geschulte Notfallassistenten und weitergebildete Sanitäter am Unfall- oder Einsatzort mit einem zentral stationierten Notarzt in Verbindung und mit der Erstversorgung abstimmen können, braucht es auch eine Stärkung der Notfallambulanzen und Notfallpraxen in der Peripherie, welche beispielsweise in kommunalen Gesundheitshäusern untergebracht sind.


Ländlicher Raum muss berücksichtigt werden

Gerade im ländlichen Raum werden solche Einrichtungen fortan eine wichtige Rolle spielen, weshalb solche dezentralen Ansprechpartner system- und sektorenübergreifend funktionieren und eine breite Vielfalt an Akteuren im Gesundheitswesen einbeziehen sollten. Durch ihre niedrigschwellige Zugänglichkeit könnten sie ein vertrauensvoller und interdisziplinärer Dreh- und Angelpunkt in der Versorgung von morgen sein. In öffentlicher Trägerschaft besteht dann auch nicht die Gefahr einer weiteren Ökonomisierung und Profitorientierung durch außenstehende, meist private Investoren. Abseits der notfallmedizinischen Versorgung kommt den kommunalen Gesundheitszentren nicht nur eine wichtige Scharnierfunktion zu. Sie schließen insbesondere Lücken dort, wo sich die stationäre Versorgung zurückzieht und eine Ambulantisierung möglich ist.

Zeitgleich können die Einrichtungen Lotsen sein, um den Patienten bedarfsgerecht an die zuständigen Stellen zu verweisen und damit eine strukturierte Diagnostik und Behandlung zu ermöglichen, welche vornehmlich hausarztzentriert ist – um hierdurch auch etwaige Doppeluntersuchungen oder das Verweisen von einem Facharzt zum nächsten entsprechend zu reduzieren. Schlussendlich entstehen in Deutschland auch viele Kosten dadurch, dass die möglichen Lenkungsmechanismen, welche Erkrankte durch den Dschungel der Gesundheitsversorgung zu rascher und effizienter Hilfe bringen, oftmals aufgrund fehlender Koordination versagen.

Für die Versorgung in kommunalen Häusern sollten dort neben Notfallversorgung und Arztpraxen beispielsweise Apotheken, Hebammen, Logopäden, Physio- und Ergotherapeuten, Beratungsstellen, Sozialpädiatrische Zentren, Psychotherapeuten, Sozial- und Gemeindepsychiatrische Dienste, Gemeindeschwestern, Alltagshelfer, Pflegedienste, Selbsthilfegruppen oder präventiv-gesundheitsfördernde Einrichtungen unterkommen können.

Zusammenfassende Anregungen

Zusammenfassend wäre anzuregen, selektive Behandlungen in Kliniken der Maximal- oder Zentralversorgung und Fachkrankenhäusern zu bündeln, während die notfallmedizinische Grundversorgung auch in der Peripherie und im ländlichen Raum gewährleistet bleiben muss. Mit Blick auf die Rechte der Patienten sollte gewährleistet bleiben, dass auch künftig eine wohnortnahe Anlaufstelle für akute Notfälle zur Verfügung stehen muss.

Wenngleich durch die Unterstützung von Notfallhelfern und dem Telenotarzt eine Erstversorgung am Einsatzort gewährleistet werden kann, müssen Rettungsfahrzeuge und Notfalltransporte durch Privatpersonen Anlaufstellen zur Übergabe von Patienten an eine geeignete Notaufnahme in höchstens 20 Kilometer Entfernung erreichen können. Stationäre Diagnostik und Therapie chronischer Erkrankungen oder spezialmedizinische Eingriffe, die keiner Dringlichkeit unterliegen, können in größeren Krankenhäusern zusammengefasst werden.

Aber eine grundständige Notfallbehandlung gehört zum Schutzauftrag des Staates gegenüber dem Bürger, der grundgesetzlich festgehalten ist und nicht durch Zentralisierung aufgeweicht werden kann.  Menschen müssen im Ernstfall darauf vertrauen können, rechtzeitig einer adäquaten Behandlung zugeführt und nicht noch über lange Strecken transportiert werden zu müssen. Denn verstreichende Zeit kann in diesen Konstellationen lebensentscheidend sein. Insofern unterstützt wird, dass fachspezifische, zeitlich aufschiebbare Eingriffe in zentralisierten Kliniken stattfinden und es hierfür nicht in jeder kleineren Stadt ein geeignetes Krankenhaus geben muss.

Doch Notfallbehandlung zurückzufahren – und diesen Eindruck hat das Vorhaben aus dem Gesundheitsministerium erweckt –, ist auch im verfassungsrechtlichen Sinne bedenklich und abzulehnen. Dagegen ist eine Stärkung der Notfall-Luftrettung notwendig, damit auch komplizierte Unfallopfer oder Personen mit schwerwiegenden Akuterkrankungen im Zweifel über weitere Entfernung zeitnah einem Maximalversorger zugeführt werden können.

 

Dennis Riehle

Leiter der Anlaufstelle „Beratung mit Handicap“, Konstanz
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