01.08.2022

Übertragung der Corona-Kredite auf Klimafonds verfassungsgemäß? (2)

Klimaschutzmaßnahmen und Maßnahmen zur Transformation der Wirtschaft – Teil 2

Übertragung der Corona-Kredite auf Klimafonds verfassungsgemäß? (2)

Klimaschutzmaßnahmen und Maßnahmen zur Transformation der Wirtschaft – Teil 2

Ein Beitrag aus »Die Gemeindekasse« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
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Nach dem eingebrachten Nachtrag für den Bundeshaushalt 20212 sollen aus dem Haushalt 2021 Mittel aus veranschlagten, aber nicht benötigten Kreditermächtigungen für zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen und Maßnahmen zur Transformation der deutschen Volkswirtschaft genutzt werden (Teil 2).

2. Tatbestandliche Voraussetzungen der Kreditfinanzierung der Notstandsbekämpfung30

Das Grundgesetz legt Voraussetzungen fest, die für eine Kreditfinanzierung von  Bekämpfungsmaßnahmen zur Beseitigung der Ursachen des Staatsnotstandes erfüllt sein müssen.

a) Ausnahmecharakter der Notstandsfinanzierung


Bei der Regelung zur Aufnahme von Krediten zur Bekämpfung von Notlagen handelt es sich um eine Ausnahmeregelung. Das bedeutet, sie ist restriktiv auszulegen, im konkreten Fall, dass die Tatbestandsmerkmale und Voraussetzungen eng am Wortlaut zu definieren sind.

b) Kausalität zwischen kreditfinanzierten Maßnahmen zur Ursachenbeseitigung

Der Einsatz der kreditfinanzierten „Sondermittel“ muss kausal für den Erfolg der Bekämpfung der den Notstand auslösenden Ursachen sein. Es reicht nicht aus, dass sie dem Zweck förderlich sind. Es muss also notwendig sein, diese Mittel für die Ursachenbekämpfungsmaßnahmen einzusetzen. Ohne diese Maßnahmen ist die Bekämpfung oder zumindest Eingrenzung der Ursachen für den Notstand nicht möglich. Angesichts des Charakters der Ausnahmeregelung reicht es nicht, wenn sie zu deren Bekämpfung nützlich sein könnten, sondern sie müssen zwingend notwendig sein.

Danach ist die allgemeine Förderung der Konjunktur unzulässig. Dafür gibt es den Mechanismus der „atmenden Schuldenbremse“. Darüber hinaus ist die Konjunktursteuerung aus der Erfahrung der 70iger-Jahre ausdrücklich durch Abschaffung der Kreditfinanzierung von Investitionen, wie sie seit 196931 erlaubt war, verboten. Die Tatsache, dass eine verbesserte Konjunktur die Überwindung der Notlage erleichtert, ist nicht ausreichend.

Das gilt auch für andere Staatsaufgaben. Die Tatsache, dass ein höherer Digitalisierungsgrad der Gesellschaft für die Ursachenbekämpfung hilfreich ist, stellt die für den Ausnahmetatbestand geforderte Kausalität nicht her. Es müsste die Bekämpfung beispielsweise der Pandemieursachen ohne sie nicht möglich sein. Wenn ein Staat wie die Bundesrepublik Defizite bei einem Aufgabenfeld aufweist, kann der allgemeine Nachholeffekt nicht mit kreditfinanzierten Sondermitteln erfolgen. Die mangelnde Digitalisierung des Verkehrszulassungswesens oder des Einwohnermeldewesens sowie der Verwaltung staatlicher Leistungen, wie z. B. des Kindergeldes, hat nichts mit der Ursachenbekämpfung der durch die Pandemie verursachten staatlichen Notlage zu tun. Das gilt auch für den Nachholbedarf bei der CO2-Vermeidung und die notwendige Transformation der Gesellschaft in Richtung einer CO2-freien Gesellschaft.

Finanzminister Lindner führt als Begründung für die Aufstockung des geplanten Fonds aus: „… Damit können wir … einen kraftvollen Aufbruch in eine klimaneutrale und digitale Zukunft Deutschlands starten“32. Zwar nennt er in diesem Zusammenhang auch, dass man damit die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie bewältigen könne, aber das ist nur ein Nebenzweck. Damit macht der Finanzminister deutlich, dass die Mittel nicht kausal für die Beseitigung der Corona-Pandemie, also die Eingrenzung und möglicherweise Beseitigung des Corona-Virus genutzt werden. Der Fonds soll der Bewältigung der großen Herausforderungen zum Aufbruch in eine klimaneutrale und digitale Zukunft des Landes dienen. Die Tatsache, dass die kreditfinanzierten Maßnahmen zur Bekämpfung der coronabedingten Probleme für die allgemeine Stärkung der Wirtschaftskraft des Standortes Deutschland nützlich sind, reicht nicht aus. Sie müssen ursächlich für die Behebung der Probleme sein; ohne die kreditfinanzierten Maßnahmen darf es keine Lösung der staatskrisenbedingten Probleme geben. Das kann man weder von der positiven Beeinflussung der Konjunktur noch der Digitalisierung der Gesellschaft noch von der Transformation in eine klimaneutrale Gesellschaft sagen. Das sind alles wichtige staatspolitische Ziele, aber ihre Verwirklichung beseitigt nicht die Ursachen der Pandemieprobleme. Deshalb eröffnen sie nicht den Weg in die Zulässigkeit der Kreditfinanzierung des Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG.

c) Beeinträchtigung der Staatsfinanzen

Eine weitere Tatbestandsvoraussetzung ist, dass die Staatsfinanzen durch die Notlagensituation „erheblich beeinträchtigt“ werden. Dieses Tatbestandsmerkmal erfordert für die Zulässigkeit einer Kreditfinanzierung, dass ohne die zusätzlichen Kredite die Funktionsfähigkeit des Staates nicht mehr gegeben ist. Eine Beeinträchtigung reicht angesichts des Erfordernisses der „erheblichen Beeinträchtigung“ nicht aus. Das Parlament muss im Rahmen der Beratung einer möglichen Kreditaufnahme deutlich machen und abwägen, dass existentielle Staatsaufgaben nicht mehr erfüllbar wären.

Davon kann angesichts der Tatsache, dass es schon jetzt nicht gelingt, die für  Infrastrukturinvestitionen und zur Problemlösung bereitgestellten Mittel zu verausgaben, keine Rede sein. Auch die Tatsache, dass im Haushaltsjahr 60 Mrd. € der für die Corona-Bekämpfung zur Verfügung gestellten Mittel nicht gebraucht wurden, spricht nicht dafür, dass es notwendig ist, sie in das nächste Jahr zu übertragen.

Zum anderen darf von einer Ausnahmeregelung nur dann Gebrauch gemacht werden, wenn keine anderen Möglichkeiten zur Verfügung stehen. Damit ergibt sich eine Nachrangigkeit der Kreditfinanzierung. Das entspricht der Wertordnung der im Grundgesetz vorgesehenen Finanzierungswege für Bundesausgaben. Wenn es andere Finanzierungsmöglichkeiten gibt, dann darf nicht zum Mittel der Kreditfinanzierung gegriffen werden.

Solange der Bundeshaushalt zur Finanzierung der Bekämpfung des Staatsnotstandes noch Reserven hat oder solche durch Umschichtung erschlossen werden können, ist der Weg zur Kreditfinanzierung von Bekämpfungsmaßnahmen verschlossen. Zwar wird man in Krisenzeiten nicht die Zeit zum langfristigen Umbau des Staatshaushaltes haben. Aber vorhandene Mittel, wie z. B. Rücklagen, müssen vorrangig eingesetzt werden.

Solange also noch Rücklagen vorhanden sind, darf nicht zum Mittel der Kreditfinanzierung gegriffen werden. Vorrangig sind die Rücklagen aufzulösen33. In den Haushalten 2015 bis 2019 wurden Rücklagen von insgesamt 48,2 Mrd. € angesammelt34.

Hier wird sogar eine Rücklage für andere Zwecke als der Corona-Bekämpfung erst aufgebaut werden. Das ist erst recht nicht zulässig.

3. Fazit

Damit ergibt sich, dass schon die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Übertragung der nicht verbrauchten Mittel in den neuen Fonds nicht gegeben sind. Darüber hinaus ist die Kreditfinanzierung der Infrastrukturmaßnahmen auch aus Gründen der Generationengerechtigkeit und wegen Unwirtschaftlichkeit unzulässig und unverantwortlich.

4. Die Doppik könnte pragmatische Lösung schaffen

Wenn man die Frage der Kreditaufnahme aus der ideologischen Diskussion herausnehmen will und zu einem sachlichen Umgang mit dem Thema „Staatsverschuldung“ kommen will, dann muss man für den Gesamtstaat ein doppisches Haushaltssystem einführen. Dieses muss sowohl alle Aufwände und Verbräuche als auch zukünftig entstehende Zahlungsverpflichtungen rechnerisch abbilden. Es müssen alle Haushaltsrisiken realistisch aufgezeigt werden. Das wäre eine qualitativ bessere Lösung als die Schuldenbremse, setzt aber voraus, dass alle Verbräuche und Haushaltsrisiken einschließlich der aus Personalaufwand (Pensionsverpflichtungen) und Sozialversicherungssystemen resultierenden Verpflichtungen realistisch abgebildet werden, auch wenn mit ihnen gegenwärtig kein Zahlungsstrom verbunden ist.

 

Entnommen aus GK, 3/2022, Rn. 19.

 

30 Vgl. dazu auch: Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages, Grenzen der Notlagenverschuldung gemäß Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG im Zusammenhang mit kreditfinanzierten Rücklagen, Deutscher Bundestag, WD-4-096-21-.

31 Bis zur Haushaltsreform von 1969 siehe FN 9.

32 Bundesfinanzminister Lindner, https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Pressemitteilungen/Finanzpolitik/2021/12/2021-12-13-zweiter-nachtragshaushalt-2021.html.

33 Vgl. Bundesrechnungshof, Schriftliche Stellungnahme zur Öffentlichen Anhörung über das Verfahren zum Entwurf des Zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes 2020 (BT-Drs. 19/20000) und zum Entwurf eines Gesetzes über begleitende Maßnahmen zur Umsetzung des Konjunktur- und Krisenbewältigungspakets (BT-Drs. 19/20057).

34 Bundesrechnungshof, a. a. O.

 

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Die Serie: Übertragung der Corona-Kredite auf Klimafonds verfassungsgemäß?

 

 

 

Jochen-Konrad Fromme

Rechtsanwalt, Mitglied des Deutschen Bundestags a. D., Haverlah
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