15.09.2012

Zwischen Marktplatz und Internet

Im kommunalen Umfeld wächst eine neue Beteiligungskultur

Zwischen Marktplatz und Internet

Im kommunalen Umfeld wächst eine neue Beteiligungskultur

Bestandteil der neuen Beteiligungskultur sind die Kommunikationsmöglichkeiten des Web 2.0. | © kebox - Fotolia
Bestandteil der neuen Beteiligungskultur sind die Kommunikationsmöglichkeiten des Web 2.0. | © kebox - Fotolia

Bürger wollen sich zunehmend bei politischen Entscheidungen einbringen. Ende 2011 sahen 79 Prozent der Befragten laut einer Umfrage des Forsa-Instituts ihre Interessen bei großen Bauprojekten zu wenig berücksichtigt. Aber was genau erwarten Bürger von einer Beteiligung? Auf der einen Seite wünschen sich die meisten weitere Möglichkeiten zur Beteiligung an Planungs- und Entscheidungsprozessen, auf der anderen Seite sind viele Beteiligungsverfahren nicht bekannt, noch weniger werden sie genutzt. Informationsbedarf besteht über Rechte und Möglichkeiten bei der Bürgerbeteiligung. Die Entscheidungsstrukturen sind vielen Bürgern unklar. Beklagt wird, dass keine ausreichende Aufklärung über die Gründe von Entscheidungen erfolgt. Nur wenige Bürger sind der Auffassung, dass sie etwas beeinflussen können. Unzufriedenheit herrscht über fehlendes Feedback, unzureichende Information und mangelnde Umsetzung von Beteiligungsergebnissen. Kommunikation soll vollständig und verständlich sein, soll nach einem Beteiligungsverfahren nicht abbrechen und keine Alibifunktion haben.

Der Präsident des Deutschen Städtetags, Münchens Oberbürgermeister Christian Ude, hat im Mai 2011 erklärt, dass sich die Kommunen mit Bürgerprotest, Politikverdrossenheit, Information, Kommunikation und Partizipation sowie neuen Formen direkter Demokratie stärker befassen müssen. Die größte Verdrossenheit gebe es zwar auf Bundesebene. Allerdings seien Misstrauen gegen Amtsinhaber, politische Entscheidungen und behördliche Planungen auch ein kommunales Thema. Dieses Thema nehmen die Kommunen ernst. Gerade Kommunalpolitik und Kommunalverwaltung machen Demokratie erlebbar. Schon im Jahr 2001 hat der Deutsche Städtetag in seiner Leipziger Resolution für die Stadt der Zukunft ausgeführt, dass kommunale Selbstverwaltung von den Mitgestaltungs- und Entscheidungsmöglichkeiten der Bürger lebt und eine Stärkung der örtlichen Demokratie eine Neubestimmung der politischen Beteiligung der Bürger erfordert. Deshalb sei es sinnvoll, über eine Ergänzung der repräsentativen Demokratie durch plebiszitäre und kooperative Elemente nachzudenken. Die Kommunen sind dabei mehr als die anderen politischen Ebenen Vorreiter. Neben den gesetzlichen Verfahren haben sie nicht nur eine Vielzahl freiwilliger Beteiligungsformen entwickelt. Sie praktizieren diese auch täglich. Eine Umfrage von Infratest dimap bestätigt, dass auf Gemeindeebene jeder Zweite gute Möglichkeiten sieht, sich zu beteiligen, auf Bundesebene dagegen nur jeder Fünfte.

Bekenntnis zur repräsentativen Demokratie und zum Gemeinwohlauftrag

Der Bayerische Städtetag hat die Bürgerbeteiligung in seiner Vollversammlung am 18. und 19. Juli 2012 in Schweinfurt in den Fokus genommen. In einem Diskussionspapier (http://www.bay-staedtetag.de/index.php?id=0,121) wird nicht nur auf die Grundlagen der Beteiligung eingegangen, sondern anhand von 22 Praxisbeispielen auch ein Einblick in das breite Spektrum der kommunalen Beteiligungsmöglichkeiten gegeben. Der Vorsitzende des Bayerischen Städtetags, Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly, Nürnberg, machte deutlich, dass Bürgerbeteiligung die repräsentative Demokratie ergänzen kann, sie aber nicht in Frage stellen darf. Demokratisch gewählte Mandatsträger sorgen dafür, dass Jahr für Jahr in tausenden Entscheidungen die Grundbedürfnisse der Gemeinschaft sichergestellt werden. Bürgerbeteiligung kann das Verhältnis von Bürgerschaft, Verwaltung und Politik verbessern. Maly: „Gerade im Kommunalen lebt die Demokratie – hier entwickelt sich Bürgerbeteiligung weiter und wächst eine neue Beteiligungskultur.“ Bürgerbeteiligung – sei es real im Gespräch auf dem Marktplatz oder virtuell über Internet – lässt Verständnis und Vertrauen wachsen. Demokratie entwickelt sich in einem ständigen Lernprozess fort. Zu bedenken ist allerdings, dass die Vertreter von Bürgerinitiativen, Schlichter oder Vermittler weder demokratische Legitimation besitzen noch Verantwortung gegenüber der Allgemeinheit für ihre Entscheidungen tragen müssen. Demokratisch legitimierte Volksvertreter stehen in der Pflicht, ihre Entscheidungen am Gemeinwohl zu orientieren und einen Ausgleich der Interessen zu finden. Maly: „Das ist die Königsdisziplin der repräsentativen Demokratie.“ Die Mitwirkung an Entscheidungsprozessen ist ihnen bei persönlicher Beteiligung kraft Gesetzes verwehrt. Bei der Bürgerbeteiligung ist persönliche Betroffenheit meist die Triebfeder für das politische Engagement.


Bestandteil der neuen Beteiligungskultur sind die Kommunikationsmöglichkeiten des Web 2.0. Der virtuelle Marktplatz tritt neben den klassischen Marktplatz als neuer Raum für die öffentliche Debatte. Ohne Computertechnik und deren Beherrschung ist ein Zutritt in diesen Raum nicht möglich. Menschen, die soziale Netzwerke nicht nutzen können oder wollen, bleiben ausgeschlossen.

Bei demokratischen Entscheidungsprozessen darf es zu keiner digitalen Spaltung kommen. Zudem drängt sich die Frage auf, in welchem Ausmaß sich die Nutzer der neuen Kommunikationsplattformen in die Abhängigkeit privater Betreiber begeben.

Folgerungen / Forderungen des Bayerischen Städtetags

– Regeln des Ablaufs klarmachen
Die Entwicklung einer erfolgreichen Beteiligungsstrategie und der Aufbau einer Beteiligungskultur setzt voraus, dass klar ist, warum, wofür, wann, womit, wie lange und mit wem ein Beteiligungsprozess stattfindet. In den kommunalen Entscheidungsgremien sollte eine Verständigung erfolgen, wie Beteiligungsergebnisse eingebracht, behandelt und deren Umsetzung mit der Öffentlichkeit kommuniziert werden. Der Ressourcenbedarf ist vor Beginn zu klären.
– Frühzeitig beginnen
Eine Beteiligung sollte frühzeitig erfolgen, bevor formelle Verfahren stattfinden und bevor Vorhaben so konkretisiert sind, dass Alternativen ausscheiden. Ein Beteiligungsprozess sollte lösungs- und nicht kritikorientiert sein.
– Aktive Rolle behalten
Die Kommune sollte eine dauerhafte aktive Rolle auch in der Kommunikation mit den Bürgern im Web 2.0 übernehmen. Die Beteiligung darf sich nicht auf das Web 2.0 beschränken, sondern muss zugleich weiter von Mensch zu Mensch auf dem Marktplatz stattfinden.
– Verantwortlichkeit des Rats betonen
Die Kommune sollte deutlich machen, dass Ratsmitglieder und Bürgermeister über eine Legitimation durch allgemeine Wahlen verfügen. Sie sind zuständig, Entscheidungen für das örtliche Gemeinwesen zu treffen, sie stehen dafür rechtlich in der Verantwortung. Kommunale Mandatsträ-ger sollten sich selbstbewusst und offensiv zu ihrem Gestaltungsauftrag bekennen.
– Verständlich und offen informieren
Auf transparente Information und verständliche Sprache ist insbesondere bei komplexen Verfahren zu achten. Visualisierungen und interaktive Möglichkeiten sollten genutzt und Unterlagen online zur Verfügung gestellt werden.
– Sagen, was geht und was nicht geht
Es sollte klar aufgezeigt werden, in welcher Phase sich ein Projekt befindet, welche Entscheidungen bereits getroffen wurden und welche Entscheidungsspielräume noch bestehen. Der rechtliche Rahmen und die Grenzen der Einflussnahme sollten kommuniziert werden. Bürgerbeteiligung führt nicht automatisch zu einvernehmlichen oder allseits akzeptierten Entscheidungen; Mehrheitsentscheidungen gehören zur Demokratie, die von der „unterlegenen“ Seite zu respektieren sind.
– Aus einer Hand informieren und kommunizieren
Zu empfehlen ist die Einrichtung einer zentralen Anlaufstelle in der Verwaltung. Auch im Internetauftritt einer Kommune sollte der Beteiligung ein zentraler Platz eingeräumt werden. Für öffentliche Diskussionen im Internet bieten sich moderierte kommunale Foren an.
– Auf situationsgerechte Ausgestaltung und repräsentative Ergebnisse achten
Beteiligungsprozesse sollten mit Blick auf Anlass, Gegenstand und unterschiedliche Interessenlagen situationsgerecht ausgestaltet werden und zu repräsentativen Ergebnissen führen. Dafür steht ein breites Spektrum an informellen Beteiligungsmethoden zur Verfügung.
– Regelungen für Umgang mit sozialen Medien treffen
Die Nutzung des Web 2.0 erfordert organisatorische und personelle Weichenstellungen sowie die Anpassung von Verwaltungsabläufen. Es muss klar sein, wer was darf. Neben den verwaltungsinternen Fragen sind die Bedingungen für eine Teilnahme an Online-Plattformen zu regeln (z.B. Ausschluss bei diskriminierenden, beleidigenden oder verletzenden Äußerungen). Bei Online-Abstimmungen sind Vorkehrungen gegen Mehrfachvoten zu treffen.

Bund und Land sollten

– Planungsverfahren verständlicher und bürgerfreundlicher gestalten,
– Informationen auf zentralen Internetseiten über Beteiligungsmöglichkeiten anbieten und Einflussmöglichkeiten aufzeigen,
– Verantwortlichkeiten für Beteiligungsprozesse deutlich machen,
– kommunale Beteiligungsergebnisse respektieren,
– Beteiligungsverfahren kontinuierlich evaluieren,
– Ressourcen für die Bürgerbeteiligung zur Verfügung stellen sowie
– die Voraussetzungen für eine landesweite und sichere Beteiligung im Web 2.0 schaffen.

 

Dr. Manfred Riederle

Stellvertretender Geschäftsführer des Bayerischen Städtetags, München
n/a