15.09.2012

Klimaschutz im Zeichen der Energiewende

Teil 2: Berücksichtigung im Naturschutzrecht

Klimaschutz im Zeichen der Energiewende

Teil 2: Berücksichtigung im Naturschutzrecht

Unverzichtbare Abwägung: Ausbau regenerativer Energien und ökologische Erhaltungsinteressen im Widerstreit. | © Cmon - Fotolia
Unverzichtbare Abwägung: Ausbau regenerativer Energien und ökologische Erhaltungsinteressen im Widerstreit. | © Cmon - Fotolia

Die stetig zunehmende Gefahr des Klimawandels und der beschlossene Atomausstieg machen nicht nur die absolute, sondern in drängendem Maße auch die zeitgerechte Steigerung des Anteils erneuerbarer Energien an der Energieerzeugung notwendig. Zur Umsetzung der Energiewende bedarf es faktisch u.a. der vermehrten und zeitgerechten Zulassung von Anlagen zur regenerativen Energieerzeugung.

Bei Zulassungsentscheidungen insb. für Windenergie- und Wasserkraftanlagen kollidieren die Interessen der regenerativen Energieerzeugung mit „klassischen“ ökologischen Belangen wie dem Gewässer-, Habitat- und Artenschutz. In Teil 1 des Beitrags (PUBLICUS 2012.8 S. 4 ff.) wurde dargelegt, dass die Klimaschutzbelange in den ggf. anzustellenden Ermessensentscheidungen und Abwägungen Verfassungsrang und ein hohes faktisches Gewicht haben.

Zudem wurde anhand des Wasserrechts gezeigt, dass – vorbehaltlich der Umstände des Einzelfalls – die regenerative Energieerzeugung ein Belang ist, der Ausnahmen von den strengen Bewirtschaftungsgrundsätzen begründen kann.


Dieser Beitrag widmet sich nun den entsprechenden Normen des Naturschutzrechts.

Berücksichtigung des Klimaschutzes im Naturschutzrecht

Im Naturschutzrecht hat der verfassungsrechtlich gebotene Klimaschutz im Rahmen der Grundsätze und Ziele (§ 1 Abs. 3 Nr. 4 BNatSchG) eine ausdrückliche Ausformung gefunden

– als in die allgemeine naturschutzrechtliche Abwägung einzustellender Abwägungsgrundsatz von besonderer Bedeutung,
– konkretisiert in Bezug auf die besonders bedeutsame Nutzung sich erneuernder Naturgüter,
– in Gestalt des Aufbaus einer nachhaltigen Energieversorgung, und zwar
– auf dem Wege der zunehmenden Nutzung erneuerbarer Energien.

Unzulässigkeit von Projekten

Nach dem habitatschutzrechtlichen Verbotstatbestand des § 34 Abs. 2 BNatSchG ist ein Projekt unzulässig, wenn es ein Natura 2000-Gebiet (d.h. FFH- oder Vogelschutzgebiet) erheblich beeinträchtigt; dahingehend kommt der Behörde ein naturschutzfachlicher Beurteilungsspielraum zu. Diese Hürde ist hoch: Ein Projekt ist bereits dann unverträglich, wenn anhand objektiver Umstände eine Beeinträchtigung nicht ausgeschlossen werden kann. Die Behörde darf ein Projekt nur dann zulassen, wenn sie Gewissheit darüber hat, dass dieses sich nicht nachteilig auf das Gebiet als solches auswirkt. Diese Gewissheit liegt nur dann vor, wenn aus wissenschaftlicher Sicht kein vernünftiger Zweifel daran besteht, dass solche Auswirkungen nicht auftreten werden.

Das gemeinschaftsrechtliche Vorsorgeprinzip verlangt allerdings nicht, die FFH-Verträglichkeitsprüfung auf ein Nullrisiko auszurichten. Verbleibt kein vernünftiger Zweifel, dass nachteilige Auswirkungen auf das Schutzgebiet vermieden werden, ist das Vorhaben zulässig. Eventuell verbleibenden Unsicherheiten kann durch Beobachtungsmaßnahmen im Rahmen eines Monitoring abgeholfen werden.

Zudem ist das artenschutzrechtliche Tötungsverbot relevant, das immer dann greift, wenn nach naturschutzfachlicher Bewertung eine Anlage das Tötungsrisiko für Individuen der geschützten Arten signifikant erhöht.

Ausnahmen nach §§ 34 Abs. 2, 45 Abs. 7 BNatSchG

§§ 34 Abs. 2 sowie 45 Abs. 7 BNatSchG sehen Ausnahmeregelungen vor. Die Vorschriften dieses Ausnahmeverfahrens sind eng auszulegen. Es handelt sich um ein striktes Vermeidungsgebot, das jedoch unter zwei Vorbehalten steht, nämlich zum einen der Zielbestimmungskompetenz des Vorhabenträgers, zum anderen der Grenze der Zumutbarkeit. Ausnahmen greifen gem. § 34 Abs. 3 BNatSchG unter zwei Voraussetzungen:

– Notwendigkeit aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses (Nr. 1): Öffentliche Interessen i.S.d. Nr. 1 sind alle Allgemeinbelange einschließlich der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Anforderungen. Dass diese Gründe zwingend sind, verlangt lediglich ein durch Vernunft und Verantwortungsbewusstsein geleitetes staatliches Handeln. Maßnahmen gegen den globalen Klimawandel, insb. der Ausbau regenerativer Energieerzeugung, sind von legitimen und gewichtigen öffentlichen Interessen getragen, denen wegen ihrer Langfristigkeit besondere Bedeutung zukommt. Nach der Rechtsprechung handelt es sich bspw. bei dem öffentlichen Interesse, das mit der Errichtung von Windenergieanlagen verfolgt wird, grundsätzlich um ein in die Abwägung mit hohem Gewicht einzustellendes, qualifiziertes Interesse. Der Auslegungsleitfaden der EU-Kommission nennt ausdrücklich die „Förderung der allgemeinen Ziele der langfristigen Energiepolitik eines Landes“. Gerade darum handelt es sich beim Ausbau der regenerativen Energieerzeugung post Fukushima, Atomausstieg und Energiewende. Dieses öffentliche Interesse muss schließlich das Bestands- und Kohärenzinteresse des Natura-2000-Rechts überwiegen. Dies hat die Rspr. in einem Einzelfall etwa für das Interesse an der Gewährleistung der Energieversorgung, das ein Gemeinschaftsinteresse höchsten Ranges darstelle, bejaht.
– keine zumutbaren Alternativen, den mit dem Projekt verfolgten Zweck an anderer Stelle ohne oder mit geringeren Beeinträchtigungen zu erreichen (Nr. 2): Eine Alternative ist vorhanden, wenn sich die vom Vorhabenträger verfolgten Ziele, die von zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses getragen sind, naturverträglicher erreichen lassen. Weder die Nullvariante ist in diesem Sinne eine Alternative, noch eine Variante, die auf ein anderes Projekt hinausläuft. Insofern kann es eine Rolle spielen, ob einem privaten Investor andernorts Grundstücke zur Verfügung stehen, die zur Erreichung des Projektziels geeignet sind. Dabei kann eine Standortalternative auch mangels wirtschaftlicher Realisierbarkeit ungeeignet sein. Ebenso wenig braucht sich ein Vorhabenträger auf eine Alternativlösung verweisen zu lassen, die etwa unter FFH- und vogelschutzrechtlichen Gesichtspunkten ebenso problematisch ist wie die beantragte. Die Alternativlösung steht unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit. Das Übermaßverbot ist bspw. in einem Falle verletzt, in dem Realisierung nur mit einem – auch finanziellen – Mehraufwand realisierbar ist, der in keiner Relation mehr zu den Vorteilen des Naturschutzes steht. Unter dem Strich wird bei der Alternativenprüfung im Einzelfall von entscheidender Bedeutung sein, inwieweit das zur Genehmigung gestellte Projekt nach Maßgabe der Zielsetzung des Vorhabenträgers substituierbar ist und ob eine solche Alternative tatsächlich geringere naturschutzrechtliche Konflikte aufwirft und zugleich in zumutbarer Weise realisierbar ist.
– Kohärenzsicherungsmaßnahmen (Abs. 5): Gem. § 34 Abs. 5 sind, sofern ein Projekt über die Ausnahmeklauseln des Abs. 3 oder 4 zugelassen werden soll, die zur Sicherung des Zusammenhangs des Netzes „Natura 2000“ notwendigen Maßnahmen (sog. Kohärenzsicherungsmaßnahmen) vorzusehen, bspw. die Wiederherstellung des beeinträchtigten oder die Verbesserung des verbleibenden Lebensraums, die Neuanlage eines Lebensraums und die Beantragung der Eingliederung eines neuen Gebiets in das Netz „Natura 2000“.
– Im Fall der Betroffenheit prioritärer Lebensraumtypen oder Arten ist die Ausnahme-Entscheidung nach Maßgabe des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL durch den Abs. 4 des § 34 BNatSchG weiter eingeschränkt.

Resümee

Sowohl im Wasserrecht als auch im Naturschutzrecht können und müssen die unions- und verfassungsrechtlich hoch bewerteten Belange des Klimaschutzes und des Ausbaus regenerativer Energieerzeugung mit dem ihnen zukommenden Gewicht in evtl. Ermessens- oder Abwägungsentscheidungen eingestellt werden. Hierfür kommen insb. die Ausnahmeregelungen (von wasserrechtlichen Bewirtschaftungszielen bzw. naturschutzrechtlichen Verboten) in Betracht. Der Ausbau der regenerativen Energieerzeugung kann diese Ausnahmeklauseln grundsätzlich auslösen, jedoch ist eine genaue Einzelfallprüfung samt Abwägung mit den ökologischen Erhaltungsinteressen unverzichtbar.

 

Prof. Dr. Thorsten Attendorn

Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW, Dortmund
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