15.09.2012

Staatshilfen für Staatsunternehmen

Beihilferechtliche Grenzen am Beispiel der Nürburgring-Insolvenz

Staatshilfen für Staatsunternehmen

Beihilferechtliche Grenzen am Beispiel der Nürburgring-Insolvenz

Dunkle Wolken über dem Nürburgring: Das Darlehen der ISB verstösst gegen EU-Beihilfenrecht. | © Jörg Engel - Fotolia
Dunkle Wolken über dem Nürburgring: Das Darlehen der ISB verstösst gegen EU-Beihilfenrecht. | © Jörg Engel - Fotolia

Der Nürburgring kommt nicht aus den Schlagzeilen. Nachdem die ursprünglich geplante Privatfinanzierung gescheitert war, stellte die rheinland-pfälzische Landesregierung Ende 2009 ein neues Modell vor: Die Nürburgring GmbH, an der das Land Rheinland-Pfalz zu 90% beteiligt ist, sollte einerseits alle Immobilien am Nürburgring, die noch in fremdem Eigentum standen, erwerben, andererseits aber den Betrieb des Nürburgrings und die Organisation der Formel 1-Rennen auf einen privaten Betreiber übertragen. Von der landeseigenen Investitions- und Strukturbank Rheinland-Pfalz (ISB) erhielt die Nürburgring GmbH ein Darlehen über 330 Mio. Euro. Um die Zahlungspflichten der Nürburgring GmbH aus dem Darlehensvertrag mit der ISB zu sichern, gewährte das Land Rheinland-Pfalz der ISB eine Landesgarantie über 330 Mio. Euro. Da die Nürburgring GmbH im Juli 2012 einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellen musste, hat der Landtag Anfang August beschlossen, eine sogenannte Haushaltsrücklage in Höhe von 254 Mio. Euro zu aktivieren, um die Landesgarantie bedienen zu können.

Die Vorgänge um die Insolvenz der Nürburgring GmbH werfen die Frage nach den unionsrechtlichen Grenzen staatlicher Unterstützungsmaßnahmen zugunsten von Staatsunternehmen auf.

Eröffnung des Prüfverfahrens

Die Vorgaben des Unionsrechts für staatliche Begünstigungen von Unternehmen sind eindeutig: Art. 107 Abs. 1 AEUV verbietet staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, soweit sie den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Dabei ist der Begriff der staatlichen Beihilfen weit zu verstehen. Er umfasst nicht nur Zahlungen durch den Staat, sondern auch die Gewährung von Darlehen durch staatliche Einrichtungen zu nicht marktkonformen Bedingungen sowie nicht marktübliche Sicherheiten von Seiten des Staates, z.B. Bürgschaften oder Garantien. Nach diesem Maßstab stehen sowohl das Darlehen zwischen der ISB und der Nürburgring GmbH über 330 Mio. Euro als auch die Landesgarantie zur Sicherung dieses Darlehens unter Beihilfeverdacht.


Das ist auch die vorläufige Auffassung der Europäischen Kommission. Sie hat der Bundesregierung mit Schreiben vom 21. März 2012 – C(2012) 1731 final corr. mitgeteilt, dass sie verschiedene Maßnahmen zur Stützung der Nürburgring GmbH auf ihre Vereinbarkeit mit dem EU-Beihilferecht prüft. Damit ist das förmliche Prüfverfahren eröffnet. Zu den geprüften Maßnahmen zählen nach Rdnr. 45 ff. dieses Schreibens u.a. die „Maßnahme 8 (ISB-Darlehen)“ sowie die „Maßnahme 9 (Garantieerklärung des Landes für das ISB-Darlehen)“. Die Kommission sieht in allen untersuchten Maßnahmen rechtswidrige staatliche Beihilfen.

Notifizierungspflicht und Durchführungsverbot

Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV verlangt, dass die Kommission von jeder beabsichtigten Einführung oder Umgestaltung von Beihilfen so rechtzeitig unterrichtet wird, dass sie sich dazu äußern kann (Notifizierungspflicht). Gemäß Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV darf die beabsichtigte Maßnahme – d.h. die Gewährung der staatlichen Beihilfe – nicht durchgeführt werden, bevor die Kommission einen abschließenden Beschluss erlassen hat (Durchführungsverbot). Das Durchführungsverbot ist unmittelbar anwendbares Unionsrecht. Sachlich beschränkt sich sein Geltungsbereich auf tatbestandsmäßige Beihilfen. Sobald die Kommission das förmliche Prüfverfahren eröffnet hat, ist das Durchführungsverbot aber in jedem Fall zu beachten, also auch dann, wenn der Mitgliedstaat oder die beihilfegewährende Stelle die Einstufung einer Maßnahme als Beihilfe bestreitet. In zeitlicher Hinsicht gilt das Durchführungsverbot bis zu einer abschließenden Genehmigungsentscheidung durch die Kommission. Inhaltlich wird verlangt, dass die beihilfegewährende Maßnahme vor einer solchen Entscheidung der Kommission vollständig unterbleibt.

Das Land Rheinland-Pfalz hatte weder die Gewährung des ISB-Darlehens an die Nürburgring GmbH noch die Stellung der Landesgarantie zur Sicherung dieses Darlehens bei der Kommission notifiziert. Bereits das war rechtswidrig. Eine abschließende Entscheidung der Kommission über die Vereinbarkeit des ISB-Darlehens und der Landesgarantie mit den Vorschriften des EU-Beihilferechts liegt bisher nicht vor.

Konsequenz daraus ist, dass das Durchführungsverbot gilt. Auch allen weiteren Maßnahmen, die dem Vollzug dieser Beihilfen dienen, steht das Durchführungsverbot entgegen. Daher darf das Land Rheinland-Pfalz aufgrund der Landesgarantie keine Zahlungen leisten, solange die Kommission die Landesgarantie nicht abschließend als beihilferechtlich unbedenklich eingeordnet hat.

Förderbanken nicht generell „beihilfefrei“

Die rheinland-pfälzische Landesregierung will die Landesgarantie gleichwohl bedienen. Sie begründet dies damit, dass die Landesgarantie allenfalls eine staatliche Beihilfe zugunsten der Nürburgring GmbH sei, nicht aber zugunsten der ISB. Landesförderbanken seien „beihilfefrei“. Dies folge aus der sogenannten Verständigung II.

Diese Rechtsauffassung ist nicht richtig. Insbesondere ist das Verhältnis zwischen dem Land Rheinland-Pfalz und der ISB nicht etwa deshalb uneingeschränkt „beihilfefrei“, weil es sich bei der ISB um eine Förderbank handelt. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der sogenannten Verständigung II. Deren Inhalt ist im Dritten Teil des Schreibens der Kommission vom 27. März 2002 – C(2002) 1286 wiedergegeben. Nach Ziff. 1 betrifft die Verständigung II „rechtlich selbständige Förderinstitute in Deutschland, für die staatliche Haftungsinstitute wie Anstaltslast und / oder Gewährträgerhaftung und / oder Refinanzierungsgarantien“ gelten. Der Sache nach bezieht sich die Verständigung II auf „die beihilferechtlich relevanten, diesen staatlichen Haftungsinstituten für die Förderinstitute immanenten Vorteile“. Schon diese Formulierung zeigt, dass Anstaltslast und Gewährträgerhaftung zugunsten einer Förderbank grundsätzlich beihilferechtlich relevant sind und nur ausnahmsweise nicht unter das Beihilfeverbot fallen.

Nach Ziff. 2 der Verständigung II dürfen die Vorteile, die mit Anstaltslast und Gewährträgerhaftung verbunden sind, nur in abschließend aufgezählten Bereichen eingesetzt werden. Zu diesen Bereichen zählen etwa die Durchführung öffentlicher Förderaufgaben (z.B. Mittelstandsfinanzierung oder Finanzierung von Umweltschutzinvestitionen), Maßnahmen rein sozialer Art (z.B. Mitarbeiterdarlehen) oder die Exportfinanzierung. Um solche Bereiche geht es beim Projekt Nürburgring aber nicht. Das bedeutet: Das Verhältnis zwischen dem Land Rheinland-Pfalz und der ISB im Zusammenhang mit der Stellung der Landesgarantie zur Sicherung des ISB-Darlehens an die Nürburgring GmbH unterliegt in vollem Umfang den Vorschriften des EU-Beihilferechts.

Nichtigkeit

Die Rechtsfolgen einer Verletzung des Durchführungsverbots sind in der Rechtsprechung geklärt: Verträge, die unter Verstoß gegen Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV staatliche Beihilfen gewähren, sind nach § 134 BGB nichtig. Diese Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof im Jahr 2011 nochmals ausdrücklich bestätigt.

Das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 8. Dezember 2011 – C-275/10 („Residex Capital“) steht der Nichtigkeit nicht entgegen. Nach diesem Urteil sind die nationalen Gerichte gerade dazu befugt, eine Bürgschaft oder Garantie dann für nichtig zu erklären, wenn diese als Sicherheit für eine rechtswidrige staatliche Beihilfe gestellt wurde.

Genau diese Situation liegt in Rheinland-Pfalz vor: Die Nürburgring GmbH hat über die landeseigene ISB ein Darlehen erhalten, welches ihr unter Marktbedingungen nicht gewährt worden wäre. Mit der Landesgarantie sollen die Zahlungsverpflichtungen der Nürburgring GmbH aus diesem Darlehen gesichert werden. Der Gerichtshof der Europäischen Union überlässt es ausdrücklich den Mitgliedstaaten, über die Nichtigkeit einer Bürgschaft oder Garantie zu entscheiden. Auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesgerichtshof ist daher auch die Landesgarantie nichtig.

 

Dr. Clemens Antweiler

Mag. rer. publ. Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht, RWP Rechtsanwälte, Düsseldorf
n/a