15.09.2012

Kettenbefristung als Rechtsmissbrauch

Der Kücük-Fall: 13 befristete Zeitverträge in elf Jahren

Kettenbefristung als Rechtsmissbrauch

Der Kücük-Fall: 13 befristete Zeitverträge in elf Jahren

Die \"Befristungskette\" – hält trotz Fehlens klarer Obergrenzen nicht unbegrenzt. | © monropic - Fotolia
Die \"Befristungskette\" – hält trotz Fehlens klarer Obergrenzen nicht unbegrenzt. | © monropic - Fotolia

Am 18.07.2012 hat das BAG entschieden, dass die Befristung eines Arbeitsverhältnisses trotz Vorliegens eines Sachgrundes für die Befristung rechtsmissbräuchlich sein kann. Die sog. Kettenbefristung, d.h. die zahllose Aneinanderreihung befristeter Arbeitsverträge zur Vertretung unterschiedlicher Mitarbeiter, wurde angegriffen.

Nach § 14 Abs. 1 TzBfG ist eine Befristung zulässig, wenn diese durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist. Welche Sachgründe dafür in Frage kommen, findet sich in § 14 Abs. 1 Satz 2 TzBfG. Ein häufig gewählter Sachgrund ist die Vertretung eines anderen Arbeitnehmers, der sich in Elternzeit oder Sonderurlaub befindet. Da in vielen Unternehmen oder öffentlich-rechtlichen Einrichtungen ein ständiger Vertretungsbedarf besteht, stellt sich die Frage, ob in diesem Fall überhaupt noch eine Befristung auf den Sachgrund der Vertretung gestützt werden kann. Schließlich könnte bei einem ständigen Vertretungsbedarf auch ein unbefristeter Arbeitsvertrag geschlossen werden. Unklarheiten bestanden zudem dahingehend, ob solche auf einen ständigen Vertretungsbedarf gestützte Befristungen überhaupt mit dem Unionsrecht vereinbar sind. Mit diesen Fragen musste sich das BAG – 7 AZR 443/09 in seiner Entscheidung auseinandersetzen.

Sachverhalt

In dem betreffenden Fall war die Klägerin beim Land Nordrhein-Westfalen aufgrund von insgesamt 13 befristeten Arbeitsverträgen von Juli 1996 bis Dezember 2007 ununterbrochen im Geschäftsstellenbereich des Amtsgerichts Köln tätig. Als Befristungsgrund diente fast durchgehend die Vertretung von anderen Justizangestellten, die sich in Elternzeit oder Sonderurlaub befanden. Mit der von ihr erhobenen Befristungskontrollklage ging die Klägerin gegen die Befristung des zuletzt im Dezember 2006 geschlossenen Vertrages vor. Das LAG Köln hatte die gegen die Entscheidung des Arbeitsgericht Köln eingelegte Berufung mit Urteil vom15.05.2009 – 4 Sa 877/08 zurückgewiesen.


Gang des Verfahrens

Im Rahmen des Revisionsverfahrens legte das BAG dem EuGH die Frage vor, ob es mit § 5 Nr. 1 der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28.06.1999 (im Folgenden: Rahmenvereinbarung) vereinbar sei, eine wiederholte Befristung eines Arbeitsvertrages auch dann auf den im nationalen Recht vorgesehenen Sachgrund der Vertretung zu stützen, wenn bei dem Arbeitgeber ein ständiger Vertretungsbedarf besteht, der durch unbefristete Einstellungen befriedigt werden könnte.

Die Vorgaben des EuGH

Diese Frage beantwortete der EuGH am 26.01.2012 (C-586/10 Bianca Kücüc/Land Nordrhein-Westfalen) dahingehend, dass aus dem Umstand, dass ein Arbeitgeber gezwungen sein mag, wiederholt oder sogar dauerhaft auf befristete Vertretungen zurückzugreifen, obwohl diese Vertretungen auch durch die Einstellung von Arbeitnehmern mit unbefristeten Arbeitsverträgen gedeckt werden könnten, nicht folge, dass kein sachlicher Grund gegeben sei. Ebenfalls führe dies nicht zum Vorliegen eines Missbrauchs im Sinne dieser Bestimmung.

In einer Verwaltung, die wie das beklagte Land über eine große Zahl von Mitarbeitern verfüge, sei es unvermeidlich, dass insbesondere aufgrund des Ausfalls von Beschäftigten, die unter anderem Krankheits-, Mutterschafts- oder Elternurlaub in Anspruch nehmen, häufig vorübergehende Vertretungen erforderlich seien. Automatisch den Abschluss unbefristeter Verträge zu verlangen, wenn die Größe des betroffenen Unternehmens oder der betroffenen Einrichtung und die Zusammensetzung des Personals darauf schließen lassen, dass der Arbeitgeber mit einem wiederholten oder ständigen Bedarf an Vertretungskräften konfrontiert ist, ginge über die Ziele der Rahmenvereinbarung hinaus und verletze den Wertungsspielraum der Mitgliedstaaten.

Dennoch müssten bei der Anwendung der nationalen Vorschrift objektive und transparente Kriterien für die Prüfung herausgearbeitet werden, ob die Verlängerung der Verträge tatsächlich einem echten Bedarf entspräche und ob sie zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet und erforderlich sei. Bei der Beurteilung der Frage, ob die Verlängerung befristeter Arbeitsverträge durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt sei, müssten die Behörden der Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeiten alle Umstände des Falles einschließlich der Zahl und der Gesamtdauer der in der Vergangenheit mit demselben Arbeitgeber geschlossenen befristeten Arbeitsverträge oder -verhältnisse berücksichtigen.

Diese Vorgaben hat das BAG nunmehr umgesetzt und ist dabei zu dem Ergebnis gelangt, dass bei 13 Befristungen in einem Zeitraum von elf Jahren die Befristung rechtsmissbräuchlich gewesen sei.

Anforderungen für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs

Aus der Begründung wird ersichtlich, dass das BAG insgesamt sehr hohe Anforderungen an das Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs stellt. Es müssten dabei, wie bereits der EUGH entschieden hatte, alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere aber Gesamtdauer und Anzahl der in der Vergangenheit mit demselben Arbeitgeber geschlossenen aufeinander folgenden befristeten Verträge berücksichtigt werden.

Bei 13 befristeten Arbeitsverträgen in 11 Jahren hielt das BAG diese Voraussetzungen für erfüllt. Es gab der Klage jedoch nicht statt, sondern verwies den Rechtsstreit an das LAG Köln zurück, damit das Land Nordrhein-Westfalen noch die Möglichkeit habe, Umstände vorzutragen, die gegen einen Rechtsmissbrauch sprechen könnten.

In einem ähnlich gelagerten Fall entschied das BAG am selben Tag (BAG, Urt. v. 18.07.2012 – 7 AZR 783/10), dass kein Rechtsmissbrauch vorliege. In diesem Fall hatte eine bei einem Einzelhandelsunternehmen beschäftigte Frau geklagt. Mit ihr wurden in einem Zeitraum von sieben Jahren vier befristete Arbeitsverträge abgeschlossen. Die zuletzt angegriffene Befristung erfolgte zur Vertretung eines in Elternzeit befindlichen Arbeitnehmers.

Konsequenzen

Anhand dieser zwei Entscheidungen lässt sich feststellen, dass für die Wirksamkeit einer Befristung nicht nur entscheidend ist, ob bei dem Abschluss des angegriffenen zuletzt geschlossenen Arbeitsvertrages tatsächlich ein sachlicher Grund für die Befristung, wie ein Vertretungsbedarf, vorlag. Es sind zwar auch wiederholte auf einen Vertretungsbedarf gestützte Befristungen möglich, selbst wenn in einem Unternehmen oder einer öffentlich-rechtlichen Einrichtung faktisch ein ständiger Vertretungsbedarf besteht. Solche Kettenbefristungen können hingegen rechtsmissbräuchlich sein, sind aber nicht automatisch unwirksam.

Da das BAG in seinen Entscheidungen keine genaue Zahl aufstellt, wann eine Befristung noch zulässig ist und ab wann sie rechtsmissbräuchlich wird, können die dort beurteilten Zeiträume und die Anzahl der Befristungen nur als Richtwerte fungieren.

Die vom EuGH geforderten objektiven und transparenten Kriterien lassen sich der Entscheidung nicht entnehmen. Allerdings hatte bereits das LAG Köln in seiner Urteilsbegründung ausgeführt, dass die Entwicklung einer absoluten zeitlichen Höchstgrenze gerade im Bereich des öffentlichen Dienstes ein zweischneidiges Schwert wäre, da bei Erreichen der zeitlichen Höchstgrenzen die jeweiligen befristeten Arbeitsverträge dann im Zweifel nicht mehr verlängert würden, womit zahlreichen langfristig im öffentlichen Dienst tätigen Arbeitnehmern die Beschäftigungsmöglichkeit genommen werden würde.

Arbeitgeber sollten sich nach der Entscheidung des BAG daher bei wiederholten Befristungen bewusst sein, dass diese nicht ohne Ende wiederholbar sind und abwägen, ob sie stattdessen einen unbefristeten Vertrag abschließen. Welche Kriterien, die gegen einen Rechtsmissbrauch trotz langer Dauer und wiederholten Befristungen sprechen, vom LAG Köln letztendlich anerkannt werden, bleibt abzuwarten.

 

Dr. Martin Römermann

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, SKW Schwarz, Berlin
 

Tabea Stenzel

Rechtsanwältin, SKW Schwarz Rechtsanwälte, Berlin
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