15.09.2012

Großvorhaben: Bürgerbeteiligung stärken

Zur Einbindung der Öffentlichkeit im Planfeststellungsverfahren

Großvorhaben: Bürgerbeteiligung stärken

Zur Einbindung der Öffentlichkeit im Planfeststellungsverfahren

Mehr Öffentlichkeitsbeteiligung geplant: Lehren aus Stuttgart 21, damit die Bürger künftig mehr als \"Bahnhof\" verstehen. | © PANORAMO - Fotolia
Mehr Öffentlichkeitsbeteiligung geplant: Lehren aus Stuttgart 21, damit die Bürger künftig mehr als \"Bahnhof\" verstehen. | © PANORAMO - Fotolia

Großvorhaben wie der Ausbau von Flughäfen, Bahntrassen (z.B. Stuttgart 21) und Autobahnen oder auch Energieprojekte wie Stromtrassen für Erneuerbare Energien haben meist erhebliche Auswirkungen auf ihre Umgebung. Neben der Veränderung des Landschaftsbildes und des Eingriffs in die Natur gehen von ihnen oftmals Lärm-, Schmutz- und Geruchsbelästigungen aus. Die von diesen Auswirkungen betroffenen Anwohner lehnen die Projekte deshalb häufig ab. Die Proteste zum Projekt „Stuttgart 21“ sowie der negative Volksentscheid betreffend die dritte Start- und Landebahn des Münchener Flughafens – um nur zwei Beispiele der jüngeren Vergangenheit zu nennen – können hierfür exemplarisch angeführt werden. Nicht unmittelbar Betroffene bringen zusätzlich die Umweltverträglichkeit ins Spiel. Um die Akzeptanz von Großvorhaben durch eine Bürgerbeteiligung zu verbessern, beschloss die Bundesregierung am 29.02.2012 auf Vorlage des BMI den „Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung und Vereinheitlichung von Planfeststellungsverfahren“ (BR-Drs. 171/12; BT-Drs. 17/9666), zu welchem die Länder am 11.05.2012 Stellung bezogen haben (BR-Drs. 171/12B). In der ersten Lesung am 24.05.2012 wurde bereits erhebliche Kritik vorgebracht.

Vorverlagerung der Beteiligung

Nach geltender Rechtslage erfolgt die Öffentlichkeitsbeteiligung erst im förmlichen Verwaltungsverfahren, d.h. zu einem Zeitpunkt, zu dem die Planung schon in wesentlichen Teilen abgeschlossen ist. Ziel des neuen Gesetzes ist es, eine Öffentlichkeitsbeteiligung bereits im Vorfeld, also vor dem eigentlichen Verwaltungsverfahren zu erreichen. Der „Vorhabenträger [soll] Einwände und Anregungen … in seiner Planung noch vor der förmlichen Antrags- und Planeinreichung berücksichtigen [können]“ (BT-Drs. 17/9666, B, zu Nr. 3), da das Vorhaben zu diesem Zeitpunkt noch gestaltet werden kann.

Die frühe Öffentlichkeitsbeteiligung soll dann erfolgen, wenn „die Planung eines Vorhabens nicht nur unwesentliche Auswirkungen auf eine größere Zahl von Dritten haben wird“ (BT- Drs. 17/9666, B, zu Nr. 3), wie etwa bei Infrastrukturvorhaben oder bei Anlagen, die immissionsschutzrechtlich zu genehmigen sind.


Als „Öffentlichkeit“ versteht der Gesetzesentwurf einen größeren Kreis Beteiligter als im anschließenden Verwaltungsverfahren, in dem nur „unmittelbar Betroffene“ geschützt sind. Als Öffentlichkeit werden „alle Personen, deren Belange durch das geplante Vorhaben und das anschließende Verwaltungsverfahren berührt werden können“, verstanden (BT-Drs. 17/9666, B, zu Nr. 3).

Ziele

Ziel der frühzeitigen Beteiligung ist es, Transparenz zu schaffen, den Dialog zu fördern und damit letztlich die Akzeptanz des Projektes zu erhöhen. Die Vorstellungen der Betroffenen können infolge eines frühen Informationsaustausches in den Entscheidungsprozess einbezogen werden. Durch das Erkennen möglicher Konflikte soll ihnen in einem frühen Stadium entgegengewirkt werden können. So hat etwa der Vorhabenträger u.U. die Möglichkeit, seine Planung noch vor der förmlichen Antrags- oder Planeinreichung entsprechend zu ändern und zu optimieren, was im Ergebnis Zeit und Kosten erspart und letztlich zu einer früheren Fertigstellung führen kann. Auch die Anfechtungen von Behördenentscheidungen und die gerichtlichen Verfahren sollen reduziert werden. Zudem können die gewonnenen Erkenntnisse in das spätere formelle Verfahren Einfluss finden und frühzeitig berücksichtigt werden.

Gesetzliche Umsetzung: Ergänzung des § 25 VwVfG

Die frühe Öffentlichkeitbeteiligung soll durch einen neuen Absatz 3 im § 25 VwVfG eingeführt werden (vgl. zum genauen Wortlaut BR-Drs. 17/9666). Das Verfahren der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung erfolgt danach in drei Stufen, wobei auf eine konkrete Vorgabe der Ausgestaltung verzichtet wurde, um den Vorhabenträgern die nötige Flexibilität und Gestaltungsfreiheit je nach Projekt zu ermöglich:

1. Zunächst sollen die Betroffenen über (a) die Ziele des Vorhabens, sowie (b) über die Mittel, die es verwirklichen und (c) seine voraussichtlichen Auswirkungen unterrichtet werden.
2. In einem zweiten Schritt sollen die Betroffenen das Projekt – auch gemeinsam mit dem Vorhabenträger – erörtern und sich äußern können.
3. Sodann soll das Ergebnis der für die Planfeststellung oder Genehmigung zuständigen Behörde spätestens mit Antragstellung (bei späterer Öffentlichkeitsbeteiligung unverzüglich) mitgeteilt werden. Das Ziel besteht darin, „der Behörde alle für die Sachverhaltsermittlung relevanten Umstände“ bekannt zu geben und das Verfahren „zügig und effizient“ durchzuführen (BR-Drs. 17/9666, B, zu Nr. 3).

Frühe Beteiligung „light“?

Der Gesetzesvorschlag beinhaltet ein Beteiligungsrecht, aber keine Beteiligungspflicht des Vorhabenträgers zur Durchführung der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung. Deshalb wurde vom Bundestag in der ersten Lesung am 24.05.2012 der Sinn der geplanten Änderung in Frage gestellt (Plenarprotokoll 17/181). Auch in der Literatur sind insoweit erste kritische Stimmen zu vernehmen (Klinger, ZUR 2012, 201).

Wörtlich heißt es im geplanten Absatz 3 des § 25 VwVfG: „Die Behörde [wirkt] darauf hin, dass der Träger bei der Planung der Vorhaben … die betroffene Öffentlichkeit frühzeitig … unterrichtet“. Es existiert lediglich eine Hinwirkungspflicht. Die frühe Öffentlichkeitsbeteiligung selbst ist also nicht verpflichtend.

In der Gesetzesbegründung heißt es dazu, dass die „erforderliche Flexibilität gewahrt und unnötige Belastungen von Verwaltung und Wirtschaft vermieden [werden]“. Auch wird darauf hingewiesen, dass eine Pflicht zur frühen Öffentlichkeitsbeteiligung bei privaten Vorhabenträgern „einen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit“ darstelle. Diese Aussage dürfte erheblichen Diskussionsstoff liefern. So wird bereits diskutiert, aus welchen Gründen ein Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit gerechtfertigt sein könnte (Klinger, ZUR 2012, 201).

Es drängt sich förmlich die Frage auf, ob das Gesetz die eingangs genannten Probleme zu lösen vermag, zumal eine Beteiligung der Öffentlichkeit im Grunde bereits jetzt ohne ein solches Gesetz jederzeit durchgeführt werden kann. Im Sinne aller Betroffenen bleibt zu hoffen, dass das Gesetz auf die bestehenden Möglichkeiten aufmerksam macht und einen Anstoß zum Tätigwerden gibt. Zumindest wirkt die Behörde, sofern die Voraussetzungen für die Durchführung der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung vorliegen, auf deren Durchführung hin. Voraussetzung ist dabei, dass sie überhaupt Kenntnis erlangt. Allerdings ist bei Trägern von Großvorhaben durchaus damit zu rechnen, dass sie „im eigenen Interesse frühzeitig Kontakt mit der Verwaltung aufnehmen, um sich über erforderliche Nachweise … zu vergewissern“, da sie letztlich auch das Planungsrisiko tragen (BR-Drs. 17/9666, B, zu Nr. 3).

Handbuch

Im Herbst 2012 ist zusätzlich die Veröffentlichung eines Handbuchs für eine Bürgerbeteiligung geplant. Dieses enthält kurzfristig anwendbare Maßnahmen zur Verbesserung und Sicherung der Bürgerbeteiligung im Sinne des geplanten Gesetzes (z.B. Internetinformationen, Bürgerversammlungen oder ein Runder Tisch) und soll als Leitfaden bei künftigen Projekten dienen. Grundlage bildeten bereits abgeschlossene bzw. noch laufende Großvorhaben.

Fazit

Großvorhaben sind von erheblicher Bedeutung – auch über ihren Standort hinaus. Nicht nur im Hinblick auf ein funktionierendes Verkehrsnetz müssen Großprojekte möglich sein. Auch Energieprojekte wie etwa Stromtrassen für Erneuerbare Energien werden immer wichtiger. Hierbei ist es zwingend erforderlich, das Bewusstsein für die Bedeutung der Projekte zu stärken, sodass Deutschland „nicht nur das Land der Ideen, sondern … auch das Land der Umsetzung“ bleibt (so Bundesverkehrsminiser Peter Ramsauer in einer Pressemitteilung vom 28.03.2012). „Deutschland ist als Industriestandort und Exportnation auf eine moderne, leistungsfähige Infrastruktur angewiesen“ (so Helmuth Brandt (CDU) in der ersten Lesung zum Gesetzentwurf). Die Ziele des Gesetzesvorhabens – von der frühen Information über die frühzeitige Diskussion und die Erhöhung der gesellschaftlichen Akzeptanz bis hin zur Zeit- und Kostenersparnis bei der Planung und der Reduzierung gerichtlicher Verfahren – sind nicht zuletzt im Hinblick darauf sinnvoll. Daher bleibt zu hoffen, dass das Gesetzesvorhaben in seiner jetzigen – wenn auch nicht verpflichtenden – Ausgestaltung und die anhaltende Diskussion zumindest den richtigen Anstoß setzen und die Möglichkeit der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung wahrgenommen wird.

 

Dr. Isabella Toscano

Rechtsanwältin Kapellmann und Partner Rechtsanwälte, München
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