05.06.2023

Windenergieanlagen im Wald

Beschluss des Bundesverfassungsgerichts

Windenergieanlagen im Wald

Beschluss des Bundesverfassungsgerichts

Ein Beitrag aus »Die Gemeindeverwaltung Rheinland-Pfalz« | © emmi - Fotolia / RBV
Ein Beitrag aus »Die Gemeindeverwaltung Rheinland-Pfalz« | © emmi - Fotolia / RBV

Eine Regelung im Thüringischen Waldgesetz, welche die Errichtung von Windenergieanlagen im Wald verbietet, ist verfassungswidrig. Für eine solche Regelung fehlt dem Landesgesetzgeber die Gesetzgebungskompetenz. Für die Zuweisung von Flächen zur Errichtung von Windenergieanlagen im Außenbereich hat der Bundesgesetzgeber von seiner Gesetzgebungskompetenz für das Bodenrecht im Baugesetzbuch (BauGB) Gebrauch gemacht.

Eine Öffnung, aus der der Landesgesetzgeber eine Kompetenz für einen generellen Ausschluss von Windenergieanlagen auf Waldflächen herleiten könnte, enthält das BauGB nicht. Dies hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden.

Zum Sachverhalt

Rd. 34 % der Fläche Thüringens sind Waldflächen. Ein nennenswerter Teil des Waldes besteht aus sog. Kalamitätsflächen, bei denen eine forstwirtschaftliche Nutzung wegen Waldschäden, z. B. aufgrund von Sturmfolgen oder Schädlingen, nicht oder nur eingeschränkt möglich ist. Die Beschwerdeführer sind Eigentümer solcher Kalamitätsflächen. Da sie auf den Flächen Windenergieanlagen errichten wollten, haben sie sich mit einer Verfassungsbeschwerde gegen die Regelung des § 10 Abs. 1 Satz 2 Thüringer Waldgesetz (ThürWaldG) gewandt.


Diese Vorschrift verbietet ausnahmslos die Änderung der Nutzungsart von Waldflächen zur Errichtung von Windenergieanlagen und verhindert damit den Bau von Windenergieanlagen in Waldgebieten. Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde als begründet erachtet und entschieden, dass § 10 Abs. 1 Satz 2 ThürWaldG mit dem Grundgesetz (GG) unvereinbar und damit nichtig sei, da die Regelung des § 10 Abs. 1 Satz 2 ThürWaldG in das von Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Eigentumsrecht der beschwerdeführenden Waldeigentümer ohne Rechtfertigung eingreife.

Keine Gesetzgebungskompetenz des Freistaats Thüringen

Die angegriffene Regelung des ThürWaldG ist nach der Entscheidung des BVerfG schon aus formellen Gründen verfassungswidrig. Dem Freistaat Thüringen fehlt es – so das BVerfG – bereits an der Gesetzgebungskompetenz. Für das Waldrecht als eigene Rechtsmaterie regelt das GG eine Gesetzgebungszuständigkeit nicht. Der unmittelbare Regelungsgegenstand des § 10 Abs. 1 Satz 2 ThürWaldG spricht für eine Zuordnung zur Materie des Bodenrechts. Unmittelbarer Gegenstand der angegriffenen Regelung sind Grund und Boden. Bodenrechtstypisch klärt die Norm lt. BVerfG als flächenbezogene Regelung – hier negativ – die Nutzungsfunktion von Grund und Boden, indem sie die Nutzung von Waldflächen für die Errichtung von Windenergieanlagen ausschließt.

Insofern ist nach Feststellung des BVerfG die Regelung des § 10 Abs. 1 Satz 2 ThürWaldG der Gesetzgebungszuständigkeit für das Bodenrecht zuzuordnen. Von dieser hat jedoch der Bund insbesondere durch die bauplanungsrechtliche Privilegierung von Windenergieanlagen im Außenbereich in § 35 Abs. 1 Nr. 5 und Abs. 3 Satz 3 Baugesetzbuch (BauGB) abschließend Gebrauch gemacht. Es spricht – so das BVerfG – nichts dafür, dass das BauGB daneben bodenrechtliche Regelungen der Länder zulassen wollte, die – wie § 10 Abs. 1 Satz 2 ThürWaldG – ihrerseits die Flächennutzung zur Errichtung von Windenergieanlagen im Wald ausschließen.

Gegen eine etwaige Durchbrechung der in § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB geregelten Privilegierung der Windkraft im Außenbereich spricht laut dem BVerfG zudem, dass der Ausbau der Nutzung der Windkraft einen faktisch unverzichtbaren Beitrag zu der verfassungsrechtlich durch Art. 20 a GG und durch grundrechtliche Schutzpflichten gebotenen Begrenzung des Klimawandels leistet und zugleich die Sicherung der Energieversorgung unterstützt.

Das BVerfG stellt sodann fest, dass auch § 9 Abs. 3 Nr. 2 Bundeswaldgesetz (BWaldG) das Bundesrecht nicht für eine Regelung wie die des § 10 Abs. 1 Satz 2 ThürWaldG öffnet. Nach § 9 Abs. 3 Nr. 2 BWaldG können die Länder zwar bestimmen, dass die Umwandlung von Wald weiteren Einschränkungen unterworfen oder, insbesondere bei Schutz- und Erholungswald, gänzlich untersagt wird.

Jedoch ergibt sich daraus – so das BVerfG – nicht, dass die Länder auf dieser Grundlage die im BauGB geregelte Privilegierung von Windenergieanlagen im Außenbereich auf sämtlichen Waldflächen durchbrechen können. Pauschale Umwandlungsverbote durch den Landesgesetzgeber widersprechen nach Feststellung des BVerfG vielmehr § 9 BWaldG konzeptionell, da dieser eine Abwägungsregel enthält, nach der spezifische forstrechtliche Interessen – Walderhalt und -ökologie, Forstwirtschaft, – aber auch die Interessen der Waldeigentümer zu einem Ausgleich zu bringen sind.

Die Landesgesetzgeber können laut BVerfG allenfalls bestimmte Waldgebiete aufgrund ihrer konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz für Naturschutz und Landschaftspflege (Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 GG) unter Schutz stellen. Dies gilt, sofern diese Gebiete aufgrund ihrer ökologischen Funktion, ihrer Lage oder auch wegen ihrer Schönheit schutzwürdig und -bedürftig sind. In Thüringen hat der Gesetzgeber – so das BVerfG – von dieser Möglichkeit schon vor der Einführung von § 10 Abs. 1 Satz 2 ThürWaldG durch verschiedene Regelungen Gebrauch gemacht.

Prägend für diese Regelungen ist aber nach der Entscheidung des BVerfG ein über den generellen Bedarf nach unbebauter Natur und Landschaft hinaus gehender spezifischerer Bedarf, konkrete Teile von Natur und Landschaft wegen ihrer besonderen Funktion, Lage oder Schönheit zu erhalten oder auch zu entwickeln. Diese Voraussetzung erfüllt § 10 Abs. 1 Satz 2 ThürWaldG im Ergebnis jedoch nicht.

Die Entscheidung hat über den Freistaat Thüringen hinaus grundsätzliche Bedeutung.

Die Bundesländer werden nun ihre Waldgesetze daraufhin überprüfen müssen, ob sie durch vergleichbare Regelungen Windenergie im Wald pauschal ausschließen. Mit § 10 Abs. 1 Satz 2 ThürWaldG vergleichbare Regelungen werden im Licht der Entscheidung anzupassen sein. Anzumerken ist, dass das BVerfG auch in dieser Entscheidung, die im Ergebnis auf die formelle Kompetenzverteilung nach dem GG abstellt, auf seine jüngste Rechtsprechung zu Art. 20 a GG verweist und dem Ausbau der Windenergienutzung einen „unverzichtbaren Beitrag“ zum Klimaschutz zuspricht. Im Wald dürften daher insbesondere Kalamitätsflächen als zu entwickelnde Windenergiestandorte in Betracht kommen.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 27.09.2022 – 1 BvR 2661/21 –.

 

Entnommen aus der Gemeindeverwaltung Rheinland-Pfalz 3/2023, Rn. 30.

 

Dr. Daniela Franke

Geschäftsführende Direktorin, Landkreistag Rheinland-Pfalz
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