09.08.2021

Vorläufige Außervollzugsetzung der Schließung von Gastronomiebetrieben durch die Niedersächsische Corona-Verordnung (3)

NdsOVG, Beschl. v. 06.11.2020 – 13 MN 411/20 – Teil 3

Vorläufige Außervollzugsetzung der Schließung von Gastronomiebetrieben durch die Niedersächsische Corona-Verordnung (3)

NdsOVG, Beschl. v. 06.11.2020 – 13 MN 411/20 – Teil 3

Ein Beitrag aus »Niedersächsische Verwaltungsblätter« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
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Nach der im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen und auch nur gebotenen summarischen Prüfung ist nicht offensichtlich, dass § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG und § 32 Satz 1 und 2 IfSG den Anforderungen an den verfassungsrechtlichen Grundsatz des Gesetzesvorbehalts nicht genügen. Der letzte Teil der Reihe beschäftigt sich mit dem Infektionsumfeld der „Speisestätten“ und flächendeckenden Betriebsschließungen.

(α) Der Verordnungsgeber verfolgt mit der Verordnungsregelung das legitime Ziel, die Bevölkerung vor der Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus zu schützen, die Verbreitung der Krankheit COVID-19 zu verhindern und eine Überlastung des Gesundheitssystems infolge eines ungebremsten Anstiegs von Ansteckungen und Krankheitsfällen zu vermeiden. Zur Vorbeugung einer akuten nationalen Gesundheitsnotlage sollen die Kontakte in der Bevölkerung drastisch reduziert werden, um das Infektionsgeschehen insgesamt zu verlangsamen und die Zahl der Neuinfektionen wieder in durch den öffentlichen Gesundheitsdienst nachverfolgbare Größenordnungen zu senken.

(β) Zur Erreichung dieses legitimen Ziels ist die Verordnungsregelung auch geeignet, weil sie die Kontaktmöglichkeiten in den Gastronomiebetrieben beschränkt und verhindert, dass sich wechselnde Gäste oder Gästegruppen zu dieser Zeit in den Einrichtungen einfinden. Zudem werden die Kontaktmöglichkeiten auf dem Weg von und zu gastronomischen Einrichtungen und die erhöhte Attraktivität des öffentlichen Raums bei geschlossenen gastronomischen Einrichtungen reduziert (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 26.10.2020 – 13 B 1581/20.NE – juris Rn. 54 ff.; BayVGH, Beschl. v. 19.06.2020 – 20 NE 20.1127 – juris Rn. 40).


(γ) Der Verordnungsgeber darf die getroffene Regelung unter Berücksichtigung des ihm zukommenden Einschätzungsspielraums auch für erforderlich halten.

(αα) Mildere Mittel im Hinblick auf das tätigkeitsbezogene Infektionsgeschehen drängen sich dem Senat nicht auf. Für den Senat steht nach seiner bisherigen Rechtsprechung außer Zweifel, dass Zusammenkünfte in geschlossenen Räumen, mit einer Vielzahl regelmäßig einander unbekannter Personen und längerer Verweildauer ein signifikant erhöhtes Infektionsrisiko mit sich bringen (vgl. nur Senatsbeschl. v. 24.08.2020 – 13 MN 297/20 – juris Rn. 30 ff. (Kinos); v. 14.08.2020 – 13 MN 283/20 – juris Rn. 52 ff. (Feiern mit mehr als 50 Personen); v. 29.06.2020 – 13 MN 244/20 – juris Rn. 35 (Clubs, Diskotheken und ähnliche Einrichtungen) und v. 14.05.2020 – 13 MN 156/20 – juris Rn. 31 (Fitnessstudios)). Dies gilt naturgemäß – und wie zahlreichen Medienberichten über konkrete Ausbruchsgeschehen zu entnehmen war – auch für den Aufenthalt zahlreicher Personen in einem Gastronomiebetrieb zum Zwecke des Konsums von Speisen und Getränken (vgl. Senatsbeschl. v. 29.10.2020 – 13 MN 393/20 – juris Rn. 61). Belastbare widerstreitende Erkenntnisse sind dem Bericht des RKI zum „Infektionsumfeld von COVID-19-Ausbrüchen in Deutschland“ nicht zu entnehmen. Das RKI konnte in einer „Quellensuche“ (Datenstand: 11.08.2020) von insgesamt 202 225 übermittelten Fällen nur 55 141 Fälle bestimmten Ausbruchsgeschehen zuordnen und feststellen, in welchen von 30 unterschiedlichen, verschiedenste Lebensbereiche erfassenden Infektionsumfeldern sich diese ereignet haben (vgl. RKI, Infektionsumfeld von COVID- 19-Ausbrüchen in Deutschland, in: Epidemiologisches Bulletin v. 17.09.2020, S. 3 ff., veröffentlicht unter: https://www.rki.de/ DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2020/Ausgaben/38_20.pdf?__ blob=publicationFile). Von diesen 55 141 Fällen sind bis zur 29. Meldewoche zwar lediglich 293 Fälle dem Infektionsumfeld der „Speisestätten“ (beinhaltet „Speisestätten, unspezifisch“, „Restaurant, Gaststätte“, „Kantine“ und „Imbiss“) zuzuordnen, d. h. 0,53 %.

Infektionsumfeld der „Speisestätten“

Diese Zahlen finden als solche eine gewisse Bestätigung im täglichen Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) vom 27.10.2020 (dort S. 12 f.; veröffentlicht unter: www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/ Situationsberichte/Okt_2020/2020-10-27-de.pdf?__blob=publica tionFile), wonach dem Infektionsumfeld der „Speisestätten“ auch bis zur 43. Kalenderwoche keine signifikante Anzahl von COVID- 19-Fällen zuzuordnen ist. Hieraus kann aber nicht verlässlich geschlossen werden, dass in Gastronomiebetrieben kein signifikantes Infektionsrisiko besteht. Hiergegen spricht schon die sehr hohe Zahl von Fällen, in denen ein Infektionsumfeld gerade nicht festgestellt werden konnte. Dies lässt zwar nicht den Schluss zu, dass – etwa wegen einer mangelhaften Erfüllung der Pflicht zur Kundenkontaktdatenerhebung (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der vorausgegangenen Niedersächsischen Corona-Verordnung v. 07.10.2020) – diese sehr hohe Zahl von Fällen dem gastronomischen Bereich überwiegend oder gar ganz zuzurechnen wäre. Es mindert aber den Erkenntniswert der zahlenmäßig festgestellten Infektionsumfelder ganz erheblich. Dahinstehen lassen kann der Senat, ob der Verordnungsgeber alles ihm Mögliche und Zumutbare unternommen hat, um bessere Erkenntnisse über die Verbreitungswege und Infektionsumfelder zu erlangen.

Denn selbst verneinendenfalls führte dies nach dem Dafürhalten des Senats nicht dazu, dass infektionsschutzrechtliche Schutzmaßnahmen auf der seit Pandemiebeginn nahezu unverändert dürftigen Erkenntnislage gar nicht mehr getroffen werden dürften und die Infektionsschutzbehörden gehalten wären, dem Geschehen seinen Lauf zu lassen. In Bezug auf das tätigkeitsbezogene Infektionsgeschehen mildere Mittel ergeben sich auch nicht aus bloßen Beschränkungen des Gastronomiebetriebs, etwa auf der Grundlage von Hygienekonzepten und deren notfalls zwangsweiser behördlicher Durchsetzung. Der Senat verkennt nicht, dass die Betreiberinnen und Betreiber der Gastronomiebetriebe in den vergangenen Monaten erhebliche Arbeitskraft und finanzielle Mittel in die Umsetzung dieser Konzepte investiert haben. Ein regelmäßiges Vollzugsdefizit, dem – in gewissen Grenzen – durch verstärkte behördliche Kontrollen entgegengewirkt werden könnte (vgl. hierzu Senatsbeschl. v. 28.08.2020 – 13 MN 307/20 – juris Rn. 32), ist nicht zu erkennen. Eine gewisse Wirksamkeit der Konzepte ist nicht zu leugnen, auch wenn diese mangels belastbarer tatsächlicher Erkenntnisse zum konkreten Infektionsumfeld nicht konkretisiert werden kann. Es ist angesichts der derzeitigen Infektionsdynamik aber nicht festzustellen, dass diese Konzepte infektionsschutz rechtlich eine vergleichbare Effektivität aufweisen wie die Betriebsschließungen.

(ββ) Mildere Mittel sind auch im Hinblick auf das gebietsbezogene Infektionsgeschehen nicht ersichtlich. Der Verordnungsgeber hat die Erforderlichkeit der Betriebsschließung – anders als bei den zuvor angeordneten Beherbergungsverboten (vgl. Senatsbeschl. v. 15.10.2020 – 13 MN 371/20 – juris Rn. 59) und Sperrzeiten im Gastronomiebereich (vgl. Senatsbeschl. v. 29.10.2020 – 13 MN 393/20 – juris Rn. 57) – ersichtlich nicht nur anhand der 7-Tage-Inzidenz, also der Zahl der Neuinfizierten im Verhältnis zur Bevölkerung je 100 000 Einwohnerinnen und Einwohner kumulativ in den letzten sieben Tagen, beurteilt, sondern, wie in dem von der Niedersächsischen Landesregierung erstellten „Handlungskonzept zur Bekämpfung des Infektionsgeschehens in der COVID 19 Pandemie“ (veröffentlicht unter: www.stk. niedersachsen.de/startseite/presseinformationen/vorsorglicheshandlungskonzept- zur-bekampfung-eines-gegebenenfalls-weiteransteigenden- infektionsgeschehens-in-der-covid-19-pandemie- 193263.html, Stand: 05.10.2020) vorgesehen, auch alle anderen für das Infektionsgeschehen relevanten Umstände in seine Bewertung einbezogen (vgl. zu dieser Verpflichtung zuletzt: Senatsbeschl. v. 29.10.2020 – 13 MN 393/20 – juris Rn. 57). Diese Bewertung rechtfertigt es, landesweit einheitliche infektionsschützende Maßnahmen zu ergreifen. Landesweit beträgt die 7-Tage-Inzidenz mehr als 100. Der weit überwiegende Teil der Landkreise und kreisfreien Städte weist eine 7-Tage-Inzidenz von mehr als 50 auf, welche die Grenze markiert, bis zu der die öffentliche Gesundheitsverwaltung in Deutschland zu einer Rückverfolgung der Infektionsketten maximal in der Lage ist und so das wichtige und legitime Ziel der Verhinderung der weiteren Ausbreitung durch Fallfindung mit Absonderung von Erkrankten und engen Kontaktpersonen mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko noch erreicht werden kann (vgl. Senatsbeschl. v 05.06.2020 – 13 MN 195/20 – juris Rn. 33).

Wird diese Grenze in einem bestimmten Gebiet überschritten, bestehen auch nach dem Dafürhalten des Senats durchaus tatsächliche Anhaltspunkte für ein dynamisches Infektionsgeschehen und eine erhöhte Infektionswahrscheinlichkeit. Hinzu kommt ein landesweit diffuses Infektionsgeschehen. Auch wenn es deutliche regionale Unterschiede in der Verteilung gibt, steigen die Zahlen von Neuinfektionen flächendeckend an und sind die Ausbruchsgeschehen weit überwiegend keinen bestimmten Ereignissen oder Örtlichkeiten mehr zuzuordnen. Die örtlichen Gesundheitsämter sind trotz personeller Verstärkung häufig nicht mehr in der Lage, Infektionsketten nachzuverfolgen. Die Verdoppelungsrate hat sich von weit über 30 Tagen im Sommer auf nun sieben Tage reduziert. Die Zahl infizierter und erkrankter Menschen, die älter als 60 Jahre sind und die ein höheres Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf haben, ist drastisch angestiegen. Auch die Sterbefallzahlen und die Auslastung medizinischer und insbesondere intensivmedizinischer Kapazitäten steigen stetig an, wobei der Antragsgegner seine Maßnahmen nicht erst dann treffen darf, wenn diese (nahezu) erschöpft sind (vgl. hierzu im Einzelnen die Angaben des Niedersächsischen Landesgesundheitsamtes unter https://www.nieder sachsen.de/Coronavirus/aktuelle_lage_in_niedersachsen/ und des RKI im täglichen Lagebericht unter: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Gesamt. html?nn=13490888).

Weitreichende flächendeckende Betriebsschließungen

Im Hinblick auf die aktuelle Entwicklung durfte der Antragsgegner den vollzogenen Strategiewechsel weg von bisherigen bloßen Betriebsbeschränkungen hin zu weitreichenden flächendeckenden Betriebsschließungen und ergänzenden Betriebsbeschränkungen als derzeit einzig verlässliches effektives Mittel und damit für erforderlich erachten. In Bezug auf das gebietsbezogene Infektionsgeschehen mildere Mittel ergeben sich nicht daraus, dass neben den hier streitgegenständlichen Betriebsschließungen weitere, bisher nicht betroffene Bereiche von Industrie, Gewerbe, Handel und Dienstleistungen geschlossen oder weiter beschränkt werden könnten. Ungeachtet der Effektivität eines solchen Vorgehens handelt es sich gegenüber den von diesen Maßnahmen betroffenen Rechtsträgern jedenfalls nicht um mildere Mittel. Auch eine Beschränkung der Schutzmaßnahmen auf besonders schutzbedürftige (Risiko-)Gruppen von Personen ist angesichts der Größe und nur begrenzt möglichen Konkretisierung dieser Gruppen und der jedenfalls nicht verlässlichen Effektivität einer solchen Beschränkung kein milderes Mittel.

(δ) Die getroffene Regelung ist voraussichtlich auch angemessen. Dabei verkennt der Senat nicht, dass die Betriebsschließungen tief greifend und wiederholt in die Berufsausübungsfreiheit der Betreiberinnen und Betreiber von Gastronomiebetrieben eingreifen und ihnen die Berufsausübung für einen erheblichen Zeitraum nahezu unmöglich machen, und dies nach einer Phase, in der sie erhebliche Arbeitskraft und finanzielle Mittel in die Umsetzung von infektionsschutzrechtlichen Hygienekonzepten investiert haben. Das Gewicht dieses „Sonderopfers“ wird aber dadurch gemildert, dass ihnen staatlicherseits Kompensationen für die zu erwartenden Umsatzausfälle in durchaus erheblichem Umfang in Aussicht gestellt worden sind (vgl. Beschluss der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder v. 28.10.2020: „Für die von den temporären Schließungen erfassten Unternehmen, Betriebe, Selbständige, Vereine und Einrichtungen wird der Bund eine außerordentliche Wirtschaftshilfe gewähren, um sie für finanzielle Ausfälle zu entschädigen. Der Erstattungsbetrag beträgt 75 % des entsprechenden Umsatzes des Vorjahresmonats für Unternehmen bis 50 Mitarbeiter, womit die Fixkosten des Unternehmens pauschaliert werden. Die Prozentsätze für größere Unternehmen werden nach Maßgabe der Obergrenzen der einschlägigen beihilferechtlichen Vorgaben ermittelt. Die Finanzhilfe wird ein Finanzvolumen von bis zu 10 Milliarden haben.“; veröffentlicht unter: https://www.bundesregierung.de/resource/blob/997532/1805024/ 5353edede6c0125ebe5b5166504dfd79/2020-10-28-mpk-beschlusscorona- data.pdf?download=1, Stand: 04.11.2020). Mit Blick auf die gravierenden, teils irreversiblen Folgen eines weiteren Anstiegs der Zahl von Ansteckungen und Erkrankungen für die hochwertigen Rechtsgüter Leib und Leben einer Vielzahl Betroffener sowie einer Überlastung des Gesundheitswesens ist dieser Eingriff indes von ihnen hinzunehmen.

(c) Derzeit ist aber nicht verlässlich zu klären, ob die in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Niedersächsischen Corona-Verordnung angeordnete Schließung von Gastronomiebetrieben für den Publikumsverkehr und Besuche mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu vereinbaren ist. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. BVerfG, Beschl. v. 07.02.2012 – 1 BvL 14/07 – BVerfGE 130, 240, 252 – juris Rn. 40; Beschl. v. 15.07.1998 – 1 BvR 1554/89 u. a. – BVerfGE 98, 365, 385 – juris Rn. 63). Es sind nicht jegliche Differenzierungen verwehrt, allerdings bedürfen sie der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen reichen die Grenzen für die Normsetzung vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse. Insoweit gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 18.07.2012 – 1 BvL 16/11 – BVerfGE 132, 179, 188 – juris Rn. 30; Beschl. v. 21.06.2011 – 1 BvR 2035/07, BVerfGE 129, 49, 69 – juris Rn. 65; Beschl. v. 21.07.2010 – 1 BvR 611/07 u. a. – BVerfGE 126, 400, 416 – juris Rn. 79). Hiernach sind die sich aus dem Gleichheitssatz ergebenden Grenzen für die Infektionsschutzbehörde weniger streng (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.04.2020 – OVG 11 S 22/20 – juris Rn. 25). Auch kann die strikte Beachtung des Gebots innerer Folgerichtigkeit nicht eingefordert werden (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 26.03.2020 – 5 Bs 48/20 – juris Rn. 13).

Auswirkungen der Ge- und Verbote für die betroffenen Unternehmen

Zudem ist die sachliche Rechtfertigung nicht allein anhand des infektionsschutzrechtlichen Gefahrengrades der betroffenen Tätigkeit zu beurteilen. Vielmehr sind auch alle sonstigen relevanten Belange zu berücksichtigen, etwa die Auswirkungen der Ge- und Verbote für die betroffenen Unternehmen und Dritte und auch öffentliche Interessen an der uneingeschränkten Aufrechterhaltung bestimmter unternehmerischer Tätigkeiten (vgl. Senatsbeschl. v. 14.04.2020 – 13 MN 63/20 – juris Rn. 62). Auch die Überprüfbarkeit der Einhaltung von Ge- und Verboten kann berücksichtigt werden (vgl. Senatsbeschl. v. 09.06.2020 – 13 MN 211/20 – juris Rn. 41). Dies zugrunde gelegt, vermag der Senat im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes nur einen Verstoß der Verordnungsregelung gegen das Willkürverbot zu verneinen. Die in § 10 Abs. 1 und 2 der Niedersächsischen Corona-Verordnung angeordneten Betriebsverbote und -beschränkungen beruhen auf der jedenfalls nicht schlichtweg sachfremden Erwägung, dass ein ganz erheblicher Teil der für das Infektionsgeschehen relevanten sozialen Kontakte von vornherein verhindert werden muss und dass diese Verhinderung neben den ganz erheblichen Beschränkungen von Kontakten im privaten Bereich am gemeinwohlverträglichsten durch Verbote und Beschränkungen in den Bereichen Freizeit, Sport, Unterhaltung und körpernaher Dienstleistungen erreicht werden kann.

Ausgenommen sind grundrechtlich besonders geschützte Bereiche wie die Religionsausübung und öffentliche Versammlungen. Diese schlichte Beachtung des Willkürverbots ist angesichts des Umfangs der angeordneten Betriebsverbote und -beschränkungen und der damit verbundenen erheblichen Eingriffe in Grundrechte der Betriebsinhaber aber nicht ausreichend, um eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes verneinen zu können. Die vielmehr erforderliche Beurteilung, ob der Verordnungsgeber mit der getroffenen Auswahl von zu schließenden oder zu beschränkenden Betrieben unter Berücksichtigung des infektionsschutzrechtlichen Gefahrengrades der betroffenen Tätigkeiten und aller sonstigen relevanten Belange eine auf hinreichenden Sachgründen beruhende und angemessene Differenzierung tatsächlich erreicht hat, ist schon angesichts der Vielzahl und Vielgestaltigkeit von Fallkonstellationen aber in einem Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes nicht zu leisten. Sie muss vielmehr an dieser Stelle offenbleiben. Klarstellend weist der Senat darauf hin, dass eine rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung sich nicht daraus ergeben kann, dass andere Länder von den niedersächsischen Anordnungen abweichende Schutzmaßnahmen getroffen haben. Voraussetzung für eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG ist, dass die Vergleichsfälle der gleichen Stelle zuzurechnen sind. Daran fehlt es, wenn die beiden Sachverhalte von zwei verschiedenen Trägern öffentlicher Gewalt gestaltet werden; der Gleichheitssatz bindet jeden Träger öffentlicher Gewalt allein in dessen Zuständigkeitsbereich (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.05.1987 – 2 BvR 1226/83 – BVerfGE 76, 1, 73 – juris Rn. 151 m. w. N.).

Verletzung des Gleichheitssatzes?

Ein Land verletzt daher den Gleichheitssatz nicht deshalb, weil ein anderes Land den gleichen Sachverhalt anders behandelt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 08.05.2008 – 1 BvR 645/08 – juris Rn. 22 m. w. N.). b. Die wegen der danach offenen Erfolgsaussichten gebotene Folgenabwägung führt dazu, dass die von dem Antragsteller geltend gemachten Gründe für die vorläufige Außervollzugsetzung die für den weiteren Vollzug der Verordnung sprechenden Gründe nicht überwiegen. Würde der Senat die in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Niedersächsischen Corona-Verordnung angeordnete Schließung von Gastro- für den Publikumsverkehr und Besuche vollständig (vgl. zur Unzulässigkeit von Normergänzungen im Normenkontrollverfahren: Senatsbeschl. v. 14.05.2020 – 13 MN 156/20 – juris Rn. 5 m. w. N.) außer Vollzug setzen, bliebe der Normenkontrollantrag in der Hauptsache aber ohne Erfolg, könnte der Antragsteller zwar vorübergehend die mit der Schutzmaßnahme verbundene Schließung vermeiden. Ein durchaus wesentlicher Baustein der komplexen Pandemiebekämpfungsstrategie des Antragsgegners würde aber in seiner Wirkung deutlich reduziert (vgl. zur Berücksichtigung dieses Aspekts in der Folgenabwägung: BVerfG, Beschl. v. 01.05.2020 – 1 BvQ 42/20 – juris Rn. 10), und dies in einem Zeitpunkt eines äußerst dynamischen Infektionsgeschehens.

Die Möglichkeit, eine geeignete und erforderliche Schutzmaßnahme zu ergreifen und so die Verbreitung der Infektionskrankheit zum Schutze der Gesundheit der Bevölkerung, einem auch mit Blick auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG überragend wichtigen Gemeinwohlbelang (vgl. BVerfG, Urt. v. 30.07.2008 – 1 BvR 3262/07 u. a. – BVerfGE 121, 317, 350 – juris Rn. 119 m. w. N.), effektiver zu verhindern, bliebe hingegen zumindest zeitweise bis zu einer Reaktion des Verordnungsgebers (irreversibel) ungenutzt. Würde hingegen die in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Niedersächsischen Corona-Verordnung angeordnete Schließung von Gastronomiebetrieben für den Publikumsverkehr und Besuche nicht vorläufig außer Vollzug gesetzt, hätte der Normenkontrollantrag aber in der Hauptsache Erfolg, wäre der Antragsteller vorübergehend zu Unrecht zur Befolgung der – für den Fall der Nichtbefolgung bußgeldbewehrten – Schutzmaßnahme verpflichtet und müsste seinen Gastronomiebetrieb grundsätzlich für den Publikumsverkehr und Besuche schließen. Der damit jedenfalls verbundene Eingriff in sein Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG würde für die Dauer der Verpflichtung, längstens für die Dauer eines Hauptsacheverfahrens, verfestigt. Dieser Eingriff ist nach Einschätzung des Senats fraglos von erheblichem Gewicht. Dieses Gewicht wird aber dadurch abgemildert, dass die Verordnung selbst Ausnahmen von der Betriebsschließung für den „Außer-Haus- Verkauf und die Abholung von Speisen zum Verzehr außerhalb der jeweiligen Einrichtung“, für „Gastronomiebetriebe in Heimen nach § 2 Abs. 2 des Niedersächsischen Gesetzes über unterstützende Wohnformen (NuWG) zur Versorgung der Bewohnerinnen und Bewohner“ und für „Gastronomiebetriebe in Beherbergungsstätten und Hotels zur Versorgung der zulässig beherbergten Gäste“ ausdrücklich vorsieht. Hinzu kommt, dass staatlicherseits Kompensationen für die zu erwartenden Umsatzausfälle in durchaus erheblichem Umfang in Aussicht gestellt worden sind. Der hiernach verbleibende Eingriff hat hinter dem mit der Maßnahme verfolgten legitimen Ziel eines effektiven Infektionsschutzes zurückzustehen und ist von dem Antragsteller vorübergehend hinzunehmen. Denn ohne diesen würde sich die Gefahr der Ansteckung mit dem Virus, der erneuten Erkrankung vieler Personen, der Überlastung der gesundheitlichen Einrichtungen bei der Behandlung schwerwiegender Fälle und schlimmstenfalls des Todes von Menschen auch nach den derzeit nur vorliegenden Erkenntnissen erheblich erhöhen (vgl. zu dieser Gewichtung: BVerfG, Beschl. v. 07.04.2020 – 1 BvR 755/20 – juris Rn. 10; Beschl. v. 28.04.2020 – 1 BvR 899/20 – juris Rn. 12 f.). In diese Folgenabwägung wird insbesondere auch eingestellt, dass die Verordnung gemäß ihres § 20 Abs. 1 mit Ablauf des 30.11.2020 außer Kraft tritt. Damit ist sichergestellt, dass die Verordnung unter Berücksichtigung neuer Entwicklungen der Corona- Pandemie fortgeschrieben werden muss. Hierbei hat der Antragsgegner – wie auch bei jeder weiteren Fortschreibung der Verordnung – hinsichtlich der im vorliegenden Verfahren relevanten Schließung zu untersuchen, ob es angesichts neuer Erkenntnisse etwa zu den Verbreitungswegen des Virus oder zur Gefahr einer Überlastung des Gesundheitssystems verantwortet werden kann, die Schließung unter – ggf. strengen – Auflagen weiter zu lockern (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.04.2020 – 1 BvQ 28/20 – juris Rn. 16).

VBlNds 2/2021

 

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