23.07.2021

Über Richtiges lernen und richtiges Lernen (1)

Strategisch zum Erfolg

Über Richtiges lernen und richtiges Lernen (1)

Strategisch zum Erfolg

Systemorientiertes Lernen. | © BillionPhotos.com - stock.adobe.
Systemorientiertes Lernen. | © BillionPhotos.com - stock.adobe.

Sieht man von wenigen Exoten ab, die das Jurastudium um seiner selbst willen betreiben, liegt das Endziel der meisten Studierenden eher hinter diesem Studium: bei den Gerichten, der Anwaltschaft, der Verwaltung usw.

Um in dieser Liga volljuristisch mitspielen zu können, braucht es eine „erste Prüfung“ zum Abschluss des Studiums und eine „zweite Staatsprüfung“ zum Abschluss der Referendarzeit. Was Gegenstand des Studiums und damit auch der ersten Prüfung ist, regelt § 5a Abs. 2 und 3 DRiG in groben Zügen, für die Details verweist Abs. 4 auf Landesrecht. In NRW wären das etwa die §§ 2 und 7 des JAG NRW und vor allem dessen § 11. Ausschließlich das Ergebnis der ersten Prüfung entscheidet darüber, ob das Studium den erstrebten Erfolg hat oder ob es nur zum netten Sieger der Herzen reicht. Deshalb eines zu Beginn: Im Jurastudium und in der ersten Prüfung wird man danach bewertet, wie man mit Rechtsproblemen in Klausuren, Vorträgen und in den mündlichen Prüfungen umgeht.

Unendlich viele Probleme, begrenzt viele Wege und Methoden: das Richtige lernen

Es gibt unendlich viele mögliche Probleme und man kann nur endlich viel lernen. Eher früher als später im Studium kommen deshalb Probleme, die man nicht kennt und deren konkrete Lösung man nicht gelernt hat.


Zwingende Konsequenz: Man kann und muss nicht alle möglichen Einzelprobleme lernen, sondern eine überschaubare Zahl allgemeiner Wege, auf denen man Problemen begegnen kann, und eine überschaubare Zahl allgemeiner Methoden, Probleme zu lösen. Und was ist ein Problem?

Ein Problem ist immer die Abweichung von etwas Normalem. Um in einer Fallgestaltung ein Problem überhaupt erkennen und dann lösen zu können, muss man daher das Normale kennen. Was normal ist, kann man aber erst dann beurteilen, wenn man Zusammenhänge kennt. Die Summe aller Zusammenhänge ist das System, mit dem heute das Recht gestaltet wird.

Aus diesen wenigen Überlegungen ergibt sich schon, dass nur ein systemorientiertes Vorgehen, nur ein systemorientiertes Lernen auch ein sinnvolles, ein arbeitsökonomisches Vorgehen und Lernen sein kann. Um verstehen zu können, was man lernt, muss man also wissen, wo und wie in einem System es einzuordnen ist – (nur) wer Ordnung hält, den hält die Ordnung.

So wenig wie möglich: richtiges Lernen

Optimal ist ein Lernen, das mit geringstmöglichem Aufwand das bestmögliche Ergebnis erzielt. Solches Lernen ist den allermeisten zu Beginn des Studiums aber nicht zugänglich. Der Grund hierfür liegt schlicht darin, dass im Normalfall nirgends gelehrt wird, wie man am besten lernt.

Psychologische Untersuchungen haben gezeigt, dass man umso besser lernt, je mehr man über den Vorgang des Lernens weiß. Das ist an sich eine Binsenweisheit. Wenn ich ein Wissen darüber habe, dass manche Vorgehensweisen mehr Effekt zeigen als andere, wenn mir weiter daran gelegen ist, diesen Effekt zu erzielen, dann werde ich natürlich die Vorgehensweise wählen, die den meisten Effekt zeigt. Ein paar Vokabeln:

  • Lernen ist ein Vorgang.
  • Das Ergebnis dieses Vorgehens ist Wissen.
  • Wissen ist gespeichert im Gedächtnis.

Insgesamt lässt sich Lernen als ein Speicherungsprozess beschreiben, der dafür sorgt, dass aktuelle Bewusstseinsinhalte den Augenblick überdauern. Gespeichertes Wissen ist für sich genommen aber ziemlich uninteressant. Damit kann ich in einer Klausur nichts anfangen. Spannend wird es erst, wenn ich das Gespeicherte wieder ins Bewusstsein hole. Das Abrufen des Wissens ist Erinnern. Der Weg von der Aufnahme des Lernmaterials bis zum Wissen wird klassisch über drei Prozessebenen beschrieben, die folgende Namen tragen:

  • Sensorischer Informationsspeicher (Ultrakurzzeitgedächtnis UKZ)
  • Kurzzeit- oder Arbeitsspeicher (Kurzzeitgedächtnis KZ)
  • Langzeitspeicher (Langzeitgedächtnis LZ).

Der Input (UKZ)

Jeder Lerninhalt gelangt zunächst in den „sensorischen Informationsspeicher“. Das ist die etwas hochtrabende Bezeichnung dafür, dass das zu Lernende ja irgendwie reinkommen muss. Standard ist in der westlichen Zivilisation die Aufnahme über die Augen (visuelle Wahrnehmung, ca. 85 %). Mit Abstand folgen die Ohren (akustische Wahrnehmung, ca. 8 %). Der Rest ist weit abgeschlagen (Fühlen, Schmecken, Riechen). Der sensorische Informationsspeicher speichert Informationen nur für eine extrem kurze Zeit, gerade solange, wie nötig ist, um eine Mustererkennung und eine Auswahl wichtiger Merkmale vorzunehmen (bei visuellen Reizen: Millisekunden).

Kurz und knapp (KZ)

Aus diesem Speicher bedient sich der nächste. Man nennt ihn den Kurzzeit oder Arbeitsspeicher. Er ist der wichtigste, wenn man seine Lernvorgänge optimieren will. Er hält Informationen normalerweise über maximal 30 Sekunden, kann aber nicht mehr als knappe 7 plus/minus 2 Einheiten gleichzeitig aufnehmen.

Eine Einheit kann dabei verschiedene Formen annehmen. Kinder etwa, die gerade erst lesen lernen, sehen jeden einzelnen Buchstaben als eine Einheit (sie „buchstabieren“ Wörter). Ähnlich geht es Erwachsenen, die eine Fremdsprache lernen. Später erfasst man keine Buchstaben mehr, sondern komplette Wörter, noch später ganze Satzteile. Irgendwann erfasst man z. B. anhand einer Überschrift eine vollständige Geschichte in einer Einheit („Aschenputtel“). Derartige, durch Organisation entstandene Einheiten nennt man „Superzeichen“, bzw. chunks.

Am besten komprimiert

Geht man davon aus, dass nicht mehr als ca. 7 Einheiten gleichzeitig verarbeitet werden können, ist der im Vorteil, der sich seine 7 Einheiten nicht aus einzelnen Buchstaben zusammensetzt, sondern aus Wörtern, Sätzen oder noch komplexeren Gebilden (Superzeichen): Ihm stehen einfach mehr Informationen gleichzeitig zur Verfügung.

Superzeichen im Jurastudium sind oft die Paragraphenzahlen. Beliebte Dialoge gehen dann so: „Meinst Du, er kriegt sein Geld aus 433?“ – „Glaub nicht. Ich mach den Vertrag über 134 kaputt und lass ihn seinen Kram nach 812 zurückholen.“ – „Wenn das mal nicht an 818 III scheitert!“ Wollte man all das, was an Informationen in den 4 Zahlen drinsteckt, verbal übermitteln, wäre ungleich mehr Platz vonnöten.

Ganz schön eng hier

Nur das, was im Kurzzeitspeicher Platz hat, kann so bearbeitet werden, dass es eine Chance hat, in den Langzeitspeicher zu wechseln. Und auch alles, was man aus dem Langzeitspeicher abruft, landet zur weiteren Verarbeitung im Kurzzeitspeicher. Da ist also ein ziemliches Gedränge. Hinzu kommt, dass die Strategien, die man benutzt, um die Gedächtniseinheiten zu bearbeiten oder abzurufen, ebenfalls Speicherplatz benötigen. Die Analogie zum Computer drängt sich förmlich auf: Es gibt Einheiten, die sollen gespeichert werden. Das können z. B. Fotos sein, die man aufgenommen hat. Und es gibt Strategien, die zur Bearbeitung oder zum Abruf genutzt werden. Das kann dann z. B. ein Bildverarbeitungsprogramm sein. Je mehr Platz nun das Bildprogramm im Arbeitsspeicher belegt, umso weniger Platz ist für die Fotodateien, umso kleiner wird die Auflösung oder Anzahl der Fotos sein, die man bearbeiten kann, ohne dass die Kiste mit irgendeiner obskuren Fehlermeldung abstürzt.

Auf jeden Fall lässt sich aber eindeutig feststellen, dass die Verarbeitungsgeschwindigkeit mit zunehmendem Platzverbrauch kleiner wird. Es spielt dabei keine Rolle, wie groß das System ist. Bei größeren Systemen dauert es nur ein bisschen länger.

Anmerkung der Redaktion: Der Beitrag wird fortgesetzt.

Der Beitrag entstammt aus dem »Der Wirtschaftsführer für junge Juristen«.

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Die Serie: Über Richtiges lernen und richtiges Lernen

 

 

 

Hartmut Braunschneider

Rechtsanwalt, Overath
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