27.08.2021

Haftung der Gemeinde für Abschrankungskette an stark befahrener Straße?

Urteil des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 18. November 2020 – 4 U 47/20

Haftung der Gemeinde für Abschrankungskette an stark befahrener Straße?

Urteil des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 18. November 2020 – 4 U 47/20

Kommt jemand im öffentlichen Raum zu Schaden, haftet grundsätzlich derjenige, der die Gefahr schafft, etwa durch die Anbringung einer Stahlkette zwischen mehreren Metallpfosten. Dies gilt jedoch nicht, wenn das Hindernis gut sichtbar war und es der Verletzte bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt unschwer hätte erkennen können.

Ausgangsfall

Ein achtjähriger Junge war mit seinem Vater auf dem Gehweg einer innerörtlichen Straße unterwegs. Vor dem Straßenübergang blieb er stehen und entdeckte das Fahrzeug seines Vaters, das auf einem Parkplatz unmittelbar gegenüber geparkt war. Er vergewisserte sich noch, dass kein Fahrzeug auf der Straße unterwegs war und rannte los; hierbei übersah er jedoch eine Kette, die entlang des Gehwegs, auf dem er sich befand, gespannt war. Er rannte gegen diese, stürzte und wurde durch den Sturz schwer verletzt. Er musste nahezu einen Monat im Klinikum behandelt werden, fünf Folgeoperationen waren erforderlich, da er schwere Ohrverletzungen erlitten hatte.

Die Kette, über die er gestürzt war, hatte in etwa die gleiche Farbe wie der Straßenbelag. Der Junge, vertreten durch seine Eltern, verlangte von der Stadt Schadenersatz und Schmerzensgeld. Beim Landgericht Nürnberg-Fürth hatte seine Klage zum Teil Erfolg; allerdings musste er sich ein Mitverschulden von 50 % anrechnen lassen.


Daraufhin ging er in Berufung beim Oberlandesgericht Nürnberg.[1]

Dessen Richter begaben sich zur Unfallstelle, führten also einen sog. Ortstermin durch. Bei diesem Termin herrschten die gleichen Lichtverhältnisse wie zum Unfallzeitpunkt. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass eine Haftung der Stadt für das Unfallereignis angesichts der vorgefundenen tatsächlichen Verhältnisse ausscheide.

Verkehrssicherungspflicht der Stadt ist nicht grenzenlos

Grundsätzlich haftet derjenige, – hier die Stadt – der eine Gefahr im öffentlichen Raum schafft, etwa durch die Anbringung einer Stahlkette zwischen mehreren Metallpfosten, wenn hierdurch jemand zu Schaden kommt. Diese Haftung ist jedoch nicht grenzenlos. Nämlich dann, wenn der Verletzte bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt ein Hindernis unschwer erkennen könne, entfalle eine Haftung. Die Stadt müsse lediglich solche Gefahren ausräumen oder vor ihnen warnen, die für hinreichend aufmerksame Verkehrsteilnehmer nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar seien. So auch hier.

Nachdem die Kette für einen sich auf dem Gehweg mit Schrittgeschwindigkeit bewegenden Fußgänger eindeutig erkennbar gewesen sei, habe die Stadt hier ihren Verkehrssicherungspflichten genügt, zumal durch die deutlichmarkierten rotweißen Metallpfosten.

Es wurde während des Ortstermins festgestellt, dass die Kette zwischen den Metallpfosten in einer Höhe von 76 – 93 cm durchhing. Die Kette diente der Absperrung des Fußwegs zu einer stark befahrenen Straße und sollte den Durchgang nur an besonders markierten Stellen ermöglichen. Sie war 57 cm von der Bordsteinkante entfernt auf dem 2,20 m breiten Gehweg. Das Gericht war davon überzeugt, dass die Kette auch bei den zum Unfallzeitpunkt herrschenden Lichtverhältnissen und auch unter der Berücksichtigung der Körpergröße des Kindes bei gebotener Aufmerksamkeit nicht zu übersehen sei. Damit entfalle eine Haftung der Stadt.

Besprochen in RdW 2021, Heft 10, Randnummer 184

[1] Urteil des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 18. November 2020 – 4 U 47/20

 

Klaus Krohn

Lektor im Fachbereich Steuerrecht, Richard Boorberg Verlag
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