29.07.2021

Über Richtiges lernen und richtiges Lernen (2)

Strategisch zum Erfolg

Über Richtiges lernen und richtiges Lernen (2)

Strategisch zum Erfolg

Systemorientiertes Lernen. | © BillionPhotos.com - stock.adobe.
Systemorientiertes Lernen. | © BillionPhotos.com - stock.adobe.

Fortsetzung und Ende des ersten Teils:

Bis dass der Tod Euch scheidet (LZ)

Vom Kurzzeitspeicher aus gelangt ein Teil der Informationen in den Langzeitspeicher (auch: Langzeitgedächtnis). Dabei kann man zwischen mindestens zwei Gedächtnissen unterscheiden: einem mittelfristigen Gedächtnis über Minuten bis zu Tagen (auch sekundäres Gedächtnis genannt) und einem langfristigen Gedächtnis (auch tertiäres Gedächtnis), das die Informationen zeitlich und quantitativ praktisch unbegrenzt hält.

Im Gegensatz zu den Informationen, die im Kurzzeitspeicher sind, kann man auf die Informationen im Langzeitspeicher nicht mehr unmittelbar zugreifen. Man braucht vielmehr Hinweise oder Adressen, um das Material abrufen zu können. In diesem Zusammenhang liest man oft den Vergleich mit einer Bibliothek, in der viele tausend Bücher stehen. Die Bücher (als Gedächtniseinheiten) sind nur dann zugänglich, wenn sie Adressen haben (Signaturen) und an dem ihnen zugedachten Platz stehen. Gäbe es keine Ordnung für die Bücher, könnten sie nicht mehr gefunden werden (das gilt natürlich auch für die vielen Dateien, die auf Festplatten rumliegen).


Das Langzeitgedächtnis kann deshalb auch sehr viele Informationen beherbergen, die für uns nicht mehr abrufbar sind, weil wir die Ordnungsprinzipien nicht (mehr) wissen, weil wir Dinge falsch verstanden und deshalb falsch eingeordnet hatten. Umgekehrt ist dieses Gedächtnis umso nutzbringender, je besser die Ordnung und Struktur der gespeicherten Wissenselemente und je besser die Adressen sind. Es zeigt sich dabei auch, dass ein Informationselement mehr als eine Adresse hat. Je mehr solcher Adressen vorhanden sind, desto besser und leichter ist das Element verfügbar.

Bsp.: Ein Gebäude, das nur zu einer Straße hin grenzt, hat nur eine Adresse (Schlossallee 7). Man muss genau diese Adresse kennen und finden. Liegt das Gebäude aber am Schnittpunkt von zwei Straßen (zusätzlich Parkstraße 1), genügt es, eine von zwei Adressen zu kennen. Ideal natürlich, wenn man beide kennt. Ist es ein Gebäude, das von vier Straßen (zusätzlich Badstraße 2 und Turmstraße 3) umzingelt ist (wird ziemlich laut sein), hat man vier Zugriffsmöglichkeiten.

Jetzt machen wir was draus

Effektive Gedächtnisnutzung und damit effektives Lernen muss nach diesen Grundsätzen beim Kurzzeitspeicher beginnen. Wenn die Informationen von dort in den Langzeitspeicher kommen, dann werden dort die entscheidenden Weichen gestellt.

Bsp.: Wer ein Buch kauft und es in seine Bibliothek bringt, muss sich Gedanken über die Ablage des Buches machen, bevor er das Buch abgelegt hat. Ist das Buch erst einmal ungünstig abgelegt, findet man es vielleicht gar nicht mehr wieder – und muss ein neues kaufen.

Dabei muss man berücksichtigen, dass nicht viel Zeit bleibt: maximal 30 Sekunden stehen die jeweiligen aktuellen Inhalte zur Verfügung, bevor sie von den neuen Inhalten rausgeworfen werden. Die effektive Nutzung des Kurzzeitspeichers ist deshalb vor allem mit einer Erhöhung der Verarbeitungsgeschwindigkeit verbunden. Je mehr ich in den maximal 30 Sekunden schaffe, umso besser. Die Verarbeitungsgeschwindigkeit kann man u. a. durch die folgenden drei Möglichkeiten erhöhen:

  • Bildung von Superzeichen, Verdichtungen (chunking).
  • Einsatz von Strategien.
  • Automatisierung von Strategien zu Operationen.

Das Volk der Dichter

Mehrere Einzelinformationen werden durch eine Sammelinformation ersetzt (Verdichtung).

Bsp.: Die Pflichten des Käufers beim Kaufvertrag sind: Der Käufer ist verpflichtet, den vereinbarten Kaufpreis an den Verkäufer zahlen und die gekaufte Sache abzunehmen. Das kann man in einer ersten Stufe verdichten in: Kaufpreiszahlungspflicht und Kaufsachabnahmepflicht.

Das ist eine Reduktion von ursprünglich 17 Wörtern auf 3 Wörter. In einer nächsten Stufe wird so verdichtet: 433 II. Diese Verdichtung ist extrem. Denn immerhin ist schon die ursprüngliche Fassung eine verdichtete gewesen. So setzen die Begriffe Käufer, Verkäufer, Kaufpreis und gekaufte Sache voraus, dass ein – gar nicht ausdrücklich erwähnter, also in der Verdichtung enthaltener! – Kaufvertrag vorliegt. Dieser wiederum ist selbst eine Verdichtung, die aus Angebot und Annahme gemacht wurde, usw. Die Bildung einer Sammelinformation macht aber natürlich nur dann einen Sinn, wenn die damit vorgenommene Verdichtung umkehrbar ist. Es ist zwar klasse, von 433 II zu reden, aber weniger gut, wenn ich nicht weiß, wie ich aus der Sammelinformation wieder die Einzelinformationen gewinne. Die Bildung von Superzeichen setzt damit Beweglichkeit voraus: vorwärts und rückwärts.

Superzeichen können u. a. mit Strategien gebildet werden. Strategien sind willentlich eingesetzte geistige Aktivitäten.

Täglich grüßt …

Wiederholt man das Lernmaterial aktiv (laut oder leise), so verlängert man die Verweildauer der Lerneinheiten im Kurzzeitspeicher über die normalerweise maximal 30 Sekunden hinaus. Genauer gesagt: Man gibt immer wieder dieselben Einheiten neu ein. Es bleibt mehr Zeit für Verarbeitungsprozesse, die zu einer Einspeicherung ins Langzeitgedächtnis führen. Hilfreich ist es, beim Wiederholen Rhythmen zu wählen. Diese Strategie wird oft benutzt, wenn man sich Telefonnummern merken will.

In Ordnung(en) bringen

Erheblich wirksamer ist es aber, das zu lernende Material nach logischen oder anderen Kriterien zu strukturieren, bzw. zu konstruieren.

Im juristischen Bereich bieten sich stammbaumähnliche Gruppierungen an: Man kann alles danach ordnen, in welches Rechtsgebiet es gehört (Privatrecht/ öffentliches Recht). Im öffentlichen Recht kann man alles danach ordnen, ob es zum Strafrecht, zum Verwaltungsrecht oder zum Verfassungsrecht gehört. Im Strafrecht kann man alles danach konstruieren, ob es zum materiellen Recht oder zum Prozessrecht gehört. Im materiellen Recht kann man alles danach konstruieren, ob es zum AT oder zum BT gehört.

Um einwandfreie Re-Konstruktionen zu ermöglichen, sollte man sich an die 7er- Regel erinnern. Der Kurzzeitspeicher ist auf 7 Elemente begrenzt, die gleichzeitig drin sein können. Modelle, die mehr als 7 Elemente auf einer Ebene enthalten (in denen man also mehr als 7 Elemente [zu-]gleich braucht), führen zu Lern- und Abrufschwierigkeiten.

Optimal ist es, wenn man eine Gruppierung nicht einfach übernimmt, sondern sich selbst herleitet, ausdenkt etc., mindestens aber von ihrem Ansatz her nachvollzieht.

Strategisch denken

Unter einer elaborativen Strategie versteht man ein Vorgehen, bei dem der zu lernende Stoff eine Zusatzinformation bekommt, die sowohl das Lernen als auch das spätere Abrufen erleichtert. Obwohl die Erfolge dabei verblüffend sind, bleibt eine motivatorische Hemmschwelle, die erst mal überwunden werden muss („Ich muss sowieso schon so viel lernen, wieso soll ich mir da noch mehr einprägen?“).

Beispiele für elaborative Strategien bieten einmal die Eselsbrücken, zum anderen aber auch Merksätze der Kategorie:

„Trenne nie ‚st‘, denn es tut ihm weh.“

Hier wird eine Information über eine Trennregel um eine für sich völlig nutzlose Zusatzinformation erweitert. Eine extrem wirkungsvolle Elaborationstechnik kannten schon die Griechen: die sog. loci-Technik (von locus = der Ort). Bei dieser Technik werden die zu lernenden Wissenseinheiten entlang einer räumlich gangbaren Strecke bildhaft an verschiedene Orte platziert. Es bietet sich an, eine Strecke zu wählen, die man gut kennt, zwingend ist das aber nicht. Wichtig ist die Möglichkeit bildhafter Assoziation. Als erstes vergegenwärtigt man sich die Strecke.

Bsp.: Als Strecke könnte man den morgendlichen Weg zur Uni nehmen. Man verlässt das Haus, geht auf die Straße, muss an dieser Ampel links abbiegen, an jener rechts, dann kommt eine Brücke, eine Unterführung, eine Straßenbahnhaltestelle etc.

Dann nimmt man die zu lernenden Wissenselemente, wandelt sie bildhaft um und platziert sie. Angenommen, man wollte die einzelnen Schuldverhältnisse des Schuldrecht BT auswendig lernen (keine besonders sinnvolle Aufgabe, denn sie stehen ja im Gesetz), dann könnte man in ihrer Reihenfolge so vorgehen:

Bsp.: An der Haustüre steht ein Händler, der mir eine Zeitung verkauft (Kaufvertrag), auf der Straße stehen zwei Jugendliche, die Raubkopien von Computerprogrammen tauschen (Tauschvertrag), an der Linksabbiegerampel sehe ich eine junge Frau mit einem riesigen Geschenkpaket (für mich? – Schenkungsvertrag), an der Rechtsabbiegerampel steht auf der Ecke ein Haus mit einem Plakat „Instandbesetzt“ (Mietvertrag), von der Brücke aus sehe ich in einen großen Obstgarten, in dem gerade geerntet wird (Pachtvertrag), vor der Unterführung sehe ich ein großes protziges Bankhaus (Darlehensvertrag), hinter der Straßenbahnhaltestelle … etc.

Wenn ich die einzelnen Schuldverhältnisse später abrufen will, muss ich nur noch in Gedanken den Weg abgehen, ich sehe dann den Zeitungsverkäufer, die Raubkopierer, die junge Frau mit dem Paket (für mich?), die Instandbesetzer etc. Und jeder steht für ein Schuldverhältnis. Die Anzahl der damit – extrem schnell und dauerhaft – zu lernenden Wissenselemente ist riesig. Wer alle ihm bekannten Strecken aufgefüllt hat, ist nicht gehindert rauszugehen und sich neue zu suchen. Man kann sogar ganz real draußen rumlaufen und sich an bestimmten Stellen Wissenselemente platzieren.

Fazit

Es genügt nicht, das Richtige zu lernen. Es genügt auch nicht, richtig zu lernen. Man muss das Richtige richtig lernen.

Hinweis der Redaktion: Der Beitrag entstammt aus dem »Der Wirtschaftsführer für junge Juristen«.

Um den Wirtschaftsführer auch unterwegs bequem lesen zu können, finden Sie hier unsere »Wirtschaftsführer-App«.

 

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Die Serie: Über Richtiges lernen und richtiges Lernen

 

 

 

Hartmut Braunschneider

Rechtsanwalt, Overath
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