26.07.2021

Vorläufige Außervollzugsetzung der Schließung von Gastronomiebetrieben durch die Niedersächsische Corona-Verordnung (1)

NdsOVG, Beschl. v. 06.11.2020 – 13 MN 411/20 – Teil 1

Vorläufige Außervollzugsetzung der Schließung von Gastronomiebetrieben durch die Niedersächsische Corona-Verordnung (1)

NdsOVG, Beschl. v. 06.11.2020 – 13 MN 411/20 – Teil 1

Ein Beitrag aus »Niedersächsische Verwaltungsblätter« | © Mike Fouque - stock.adobe.com / RBV
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Nach der im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen und auch nur gebotenen summarischen Prüfung ist nicht offensichtlich, dass § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG und § 32 Satz 1 und 2 IfSG den Anforderungen an den verfassungsrechtlichen Grundsatz des Gesetzesvorbehalts nicht genügen. Teil 1 der Reihe beschäftigt sich u.a. mit der sog. „Doppelhypothese“, der Rechtsgrundlage für den Erlass und dem Begriff der „Schutzmaßnahmen“.

Der Antrag, § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Niedersächsischen Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus SARS-CoV-2 (Niedersächsische Corona-Verordnung) vom 30.10.2020 (Nds. GVBl. S. 368) vorläufig außer Vollzug zu setzen, ist unbegründet. Nach § 47 Abs. 6 VwGO kann das Gericht in Normenkontrollverfahren auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist.

Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind zunächst die Erfolgsaussichten eines Normenkontrollantrages im Hauptsacheverfahren, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen. Ergibt diese Prüfung, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht i. S. v. § 47 Abs. 6 VwGO zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag voraussichtlich Erfolg haben wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. Lassen sich die Erfolgsaussichten des Normenkontrollverfahrens nicht abschätzen, ist über den Erlass einer beantragten einstweiligen Anordnung im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden.


Rahmen der sog. „Doppelhypothese“

Gegenüberzustellen sind im Rahmen der sog. „Doppelhypothese“ die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Normenkontrollantrag aber erfolglos bliebe. Die für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe müssen die gegenläufigen Interessen deutlich überwiegen, mithin so schwer wiegen, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung – trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache – dringend geboten ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 30.04.2019 – BVerwG 4 VR 3.19 – juris Rn. 4 (zur Normenkontrolle eines Bebauungsplans); OVG Rh.-Pf., Beschl. v. 22.10.2019 – 6 B 11533/19 – juris Rn. 5 (zur Normenkontrolle einer Rechtsverordnung über die Freigabe eines verkaufsoffenen Sonntags); SächsOVG, Beschl. v. 10.07.2019 – 4 B 170/19 – juris Rn. 20 (zur Normenkontrolle einer Rechtsverordnung zur Bildung und Arbeit des Integrationsbeirats); NdsOVG, Beschl. v. 11.05.2018 – 12 MN 40/18 – juris Rn. 24 ff. (zur Normenkontrolle gegen die Ausschlusswirkung im Flächennutzungsplan) jeweils m. w. N.). Unter Anwendung dieser Grundsätze bleibt der Antrag auf vorläufige Außervollzugsetzung der in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Niedersächsischen Corona-Verordnung angeordneten Schließung von Gastronomiebetrieben für den Publikumsverkehr und Besuche ohne Erfolg. Der Senat vermag den Erfolg des in der Hauptsache gestellten bzw. noch zu stellenden Normenkontrollantrags derzeit nicht verlässlich abzuschätzen (a.). Die danach gebotene Folgenabwägung führt nicht dazu, dass die von dem Antragsteller geltend gemachten Gründe für die einstweilige Außervollzugsetzung die für den weiteren Vollzug der Verordnung sprechenden Gründe überwiegen (b.).

a. Derzeit ist offen, ob § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Niedersächsischen Corona-Verordnung in einem Hauptsacheverfahren für unwirksam zu erklären ist. Der Senat geht zwar davon aus, dass diese Verordnungsregelung auf einer tragfähigen Rechtsgrundlage beruht (1) und formell rechtmäßig ist (2). Zweifel an der materiellen Rechtmäßigkeit (3) bestehen auch nicht mit Blick auf das „Ob“ eines staatlichen Handelns (a) und die Notwendigkeit der infektionsschutzrechtlichen Maßnahme als solcher (b). Derzeit ist aber nicht verlässlich abzuschätzen, ob die Verordnungsregelung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu vereinbaren ist (c).

Die Rechtsgrundlage für den Erlass der Verordnung

(1) Rechtsgrundlage für den Erlass der Verordnung ist § 32 Satz 1 und 2 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG –) vom 20.07.2000 (BGBl. I S. 1045), in der hier maßgeblichen, zuletzt durch das Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Corona-Steuerhilfegesetz) vom 19.06.2020 (BGBl. I S. 1385) geänderten Fassung. Eine Verfassungswidrigkeit dieser Rechtsgrundlagen, insbesondere mit Blick auf die Bestimmtheit der getroffenen Regelungen und deren Vereinbarkeit mit dem Vorbehalt des Gesetzes, ist für den Senat – ebenso wie offenbar für das Bundesverfassungsgericht in seiner bisherigen Spruchpraxis betreffend die Corona-Pandemie (vgl. bspw. BVerfG, Beschl. v. 15.07.2020 – 1 BvR 1630/20 –; v. 09.06.2020 – 1 BvR 1230/20 –; v. 28.04.2020 – 1 BvR 899/ 20 – alle veröffentlicht in juris) – jedenfalls nicht offensichtlich (vgl. hierzu im Einzelnen: BayVerfGH, Entsch. v. 21.10.2020 – Vf. 26-VII-20 – juris Rn. 17 ff.; OVG Bremen, Beschl. v. 09.04.2020 – 1 B 97/20 – juris Rn. 24 ff.; HessVGH, Beschl. v. 07.04.2020 – 8 B 892/20.N – juris Rn. 34 ff.; OVG NRW, Beschl. v. 26.10.2020 – 13 B 1581/20.NE – juris Rn. 32 ff.; Beschl. v. 06.04.2020 – 13 B 398/20.NE – juris Rn. 36 ff.; BayVGH, Beschl. v. 30.03.2020 – 20 NE 20.632 – juris Rn. 39 ff.; Beschl. v. 30.03.2020 – 20 CS 20.611 – juris 17 f.; offengelassen: VGH BW, Beschl. v. 09.04.2020 – 1 S 925/20 – juris Rn. 37 ff.).

Der Vorbehalt des Gesetzes verlangt im Hinblick auf Rechtsstaatsprinzip und Demokratiegebot, dass der Gesetzgeber in grundlegenden normativen Bereichen alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen hat und nicht dem Handeln und der Entscheidungsmacht der Exekutive überlassen darf. Dabei betrifft die Normierungspflicht nicht nur die Frage, ob ein bestimmter Gegenstand überhaupt gesetzlich geregelt sein muss, sondern auch, wie weit diese Regelungen im Einzelnen zu gehen haben (sog. „Wesentlichkeitsdoktrin“, BVerfG, Urt. v. 19.09.2018 – 2 BvF 1/15 u. a. – juris Rn. 199). Inwieweit es einer Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber bedarf, hängt vom jeweiligen Sachbereich und von der Eigenart des betroffenen Regelungsgegenstands ab (vgl. BVerfG, Urt. v. 24.09.2003 – 2 BvR 1436/02 – juris Rn. 67 f. m. w. N.). Gesetze, die zu Rechtsverordnungen und Satzungen ermächtigen, können den Voraussetzungen des Gesetzesvorbehalts genügen, die wesentlichen Entscheidungen müssen aber durch den parlamentarischen Gesetzgeber selbst erfolgen. Das Erfordernis der hinreichenden Bestimmtheit der Ermächtigungsgrundlage bei Delegation einer Entscheidung auf den Verordnungsgeber aus Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG, wonach Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden müssen, stellt insoweit eine notwendige Ergänzung und Konkretisierung des Gesetzesvorbehalts und des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung dar. Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG führt als eine Ausprägung des allgemeinen Gesetzesvorbehalts den staatlichen Eingriff durch die Exekutive nachvollziehbar auf eine parlamentarische Willensäußerung zurück. Eine Ermächtigung darf daher nicht so unbestimmt sein, dass nicht mehr vorausgesehen werden kann, in welchen Fällen und mit welcher Tendenz von ihr Gebrauch gemacht werden wird und welchen Inhalt die aufgrund der Ermächtigung erlassenen Verordnungen haben können (vgl. BVerfG, Urt. v. 19.09.2018 – 2 BvF 1/15 u. a. – juris Rn. 198 ff. m. w. N.).

Die Ermächtigungsnorm muss in ihrem Wortlaut nicht so genau wie irgend möglich gefasst sein; sie hat von Verfassungs wegen nur hinreichend bestimmt zu sein. Dazu genügt es, dass sich die gesetzlichen Vorgaben mithilfe allgemeiner Auslegungsregeln erschließen lassen, insbesondere aus dem Zweck, dem Sinnzusammenhang und der Entstehungsgeschichte der Norm. Welche Anforderungen an das Maß der erforderlichen Bestimmtheit im Einzelnen zu stellen sind, lässt sich daher nicht allgemein festlegen. Zum einen kommt es auf die Intensität der Auswirkungen der Regelung für die Betroffenen an. Je schwerwiegender die grundrechtsrelevanten Auswirkungen für die von einer Rechtsverordnung potenziell Betroffenen sind, desto strengere Anforderungen gelten für das Maß der Bestimmtheit sowie für Inhalt und Zweck der erteilten Ermächtigung. Zum anderen hängen die Anforderungen an Inhalt, Zweck und Ausmaß der gesetzlichen Determinierung von der Eigenart des zu regelnden Sachverhalts ab, insbesondere davon, in welchem Umfang der zu regelnde Sachbereich einer genaueren begrifflichen Umschreibung überhaupt zugänglich ist. Dies kann es auch rechtfertigen, die nähere Ausgestaltung des zu regelnden Sachbereichs dem Verordnungsgeber zu überlassen, der die Regelungen rascher und einfacher auf dem neuesten Stand zu halten vermag als der Gesetzgeber (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.09.2016 – 2 BvL 1/15 – juris Rn. 54 ff. m. w. N.). Nach der im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen und auch nur gebotenen summarischen Prüfung ist für den Senat nicht offensichtlich, dass einerseits § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG und andererseits § 32 Satz 1 und 2 IfSG diesen Anforderungen nicht genügen könnten. Mit § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG hat der Bundesgesetzgeber bewusst eine offene Generalklausel geschaffen (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.03.2012 – BVerwG 3 C 16.11 – BVerwGE 142, 205, 213 – juris Rn. 26 unter Hinweis auf den Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Seu chengesetzes, BT-Drs. 8/2468, S. 27 f.), ohne aber den zuständigen Infektionsschutzbehörden eine unzulässige Globalermächtigung zu erteilen.

Der Bundesgesetzgeber hat für den fraglos eingriffsintensiven Bereich infektionsschutzrechtlichen staatlichen Handelns selbst bestimmt, dass die zuständigen Behörden nur dann, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden oder sich ergibt, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, „die notwendigen Schutzmaßnahmen“ treffen dürfen, und zwar insbesondere die in den §§ 29 bis 31 IfSG genannten, dies aber auch nur „soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist“. Der Begriff der „Schutzmaßnahmen“ ist dabei umfassend angelegt, um den Infektionsschutzbehörden insbesondere bei einem dynamischen, zügiges Eingreifen erfordernden Infektionsgeschehen ein möglichst breites Spektrum geeigneter Maßnahmen an die Hand zu geben (vgl. Senatsbeschl. v. 29.05.2020 – 13 MN 185/20 – juris Rn. 27; OVG Schl.-H., Beschl. v. 02.04.2020 – 3 MB 8/20 – juris Rn. 35).

Begriff der „Schutzmaßnahmen“

Zugleich ist der Begriff der „Schutzmaßnahmen“ nach Inhalt und Zweck der Rechtsgrundlage mithilfe allgemeiner Auslegungsregeln hinreichend zu begrenzen. Danach umfasst er auch Untersagungen oder Beschränkungen von unternehmerischen Tätigkeiten in den Bereichen Industrie, Gewerbe, Handel und Dienstleistungen (vgl. Senatsbeschl. v. 14.05.2020 – 13 MN 165/20 – juris Rn. 38 (Untersagung der Erbringung von Dienstleistungen in Tattoo-Studios); Senatsbeschl. v. 14.05.2020 – 13 MN 156/20 – juris Rn. 28 (Schließung von Fitness-Studios); VGH BW, Beschl. v. 13.05.2020 – 1 S 1281/20 – juris Rn. 17; Senatsbeschl. v. 05.05.2020 – 13 MN 124/20 – juris Rn. 31 (jeweils zum Verbot des Präsenzbetriebs von Nachhilfeeinrichtungen); VGH BW, Beschl. v. 07.05.2020 – 1 S 1244/20 – juris Rn. 16 (Untersagung des Betriebs von Spielhallen); OVG Bremen, Beschl. v. 07.05.2020 – 1 B 129/20 – juris Rn. 20; Senatsbeschl. v. 29.04.2020 – 13 MN 120/20 – juris Rn. 33 (jeweils zur Beschränkung der Verkaufsfläche von Einzelhandelsgeschäften); Senatsbeschl. v. 24.04.2020 – 13MN 104/20 – juris Rn. 30 (Schließung von Zoos und Tierparks); Senatsbeschl. v. 16.04.2020 – 13 MN 67/20 – NdsVBl. 2020, 212, juris Rn. 43 (Verbot des Verkaufs von Blumen und anderen Pflanzen auf Wochenmärkten); Senatsbeschl. v. 14.04.2020 – 13MN63/20 – juris Rn. 53 (Schließung von Autowaschanlagen); BayVGH, Beschl. v. 30.03.2020 – 20 CS 20.611 – juris Rn. 11 ff. (Schließung von Einzelhandelsgeschäften). Darüber hinaus sind dem behördlichen Einschreiten durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Grenzen gesetzt (vgl. OVG Bremen, Beschl. v. 09.04.2020 – 1 B 97/20 – juris Rn. 30). Dass diese durch Auslegung bestimmten Grenzen nicht vom Willen des Bundesgesetzgebers gedeckt wären, vermag der Senat nicht zu erkennen. Vielmehr hat der Bundesgesetzgeber mit dem Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27.03.2020 (BGBl. I S. 587) den Satz 1 des § 28 Abs. 1 IfSG um den zweiten Halbsatz „sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten“ ergänzt und gleichzeitig den bis dahin geltenden Satz 2 Halbs. 2 gestrichen.

Unabhängig von der Frage, ob es sich bei dieser Änderung um eine bloße Anpassung aus Gründen der Normenklarheit handelt, besteht für den Senat kein vernünftiger Zweifel, dass damit der Gesetzgeber selbst hinreichend bestimmt zum Ausdruck gebracht hat, dass über punktuell wirkende Maßnahmen hinaus allgemeine oder gleichsam flächendeckende Verbote erlassen werden können. Dafür spricht nicht nur der Wortlaut von § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 IfSG. Auch der Umstand, dass es sich bei der Gesetzesänderung um eine Reaktion auf das aktuelle Bedürfnis zum Erlass von landesweit geltenden Schutzmaßnahmen handelt, trägt dieses Auslegungsergebnis, zumal der Gesetzgeber in Kenntnis der bereits erlassenen Länderverordnungen bei gleichzeitig bestehender Kritik an der ursprünglichen Gesetzesfassung gehandelt hat (so ausdrücklich OVG NRW, Beschl. v. 06.04.2020 – 13 B 398/20.NE – NWVBl 2020, 251, juris Rn. 52 m. w. N.). Eine weitergehende Konkretisierung der Eingriffsgrundlagen erscheint angesichts der Besonderheiten des Infektionsschutzrechts, die bei Eintritt eines Pandemiegeschehens kurzfristige Reaktionen des Verordnungsgebers auf sich ändernde Gefährdungslagen erforderlich machen können, verfassungsrechtlich nicht geboten. Genügt danach § 28 Abs. 1 IfSG den an eine gesetzliche Rechtsgrundlage für staatliche Eingriffe zu stellenden verfassungsrechtlichen Anforderungen an Inhalt, Zweck und Ausmaß, gilt dies auch für die Verordnungsermächtigung in § 32 Satz 1 und 2 IfSG. Denn diese Verordnungsermächtigung knüpft hinsichtlich der materiellen Voraussetzungen auch an § 28 Abs. 1 IfSG an und ermächtigt die Landesregierungen bzw. von ihr befugte Stellen nur dazu, „unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31 maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen“.

Der Gesetzgeber gibt also nicht verordnungstypisch einen Regelungsbereich in bestimmten Grenzen aus der Hand, um diesen der Exekutive zur eigenverantwortlichen abstrakten Ausfüllung zu übertragen. Die Verordnungsermächtigung nach § 32 Satz 1 und 2 IfSG stellt lediglich ein anderes technisches Instrument zur Verfügung, um konkret notwendige Schutzmaßnahmen im Sinne des § 28 Abs. 1 IfSG zu erlassen und insbesondere bei flächendeckenden Infektionsgeschehen nicht auf Einzel- oder Allgemeinverfügungen angewiesen zu sein, denen aber durchaus eine vergleichbare flächenhafte Wirkung zukommen kann.

Anmerkung der Redaktion: Der Beitrag wird fortgesetzt.

VBlNds 2/2021

 

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