15.03.2011

Verunsicherung in den eigenen Reihen

Wie sollen die Gemeinden mit einem verfassungswidrigen Gesetz umgehen?

Verunsicherung in den eigenen Reihen

Wie sollen die Gemeinden mit einem verfassungswidrigen Gesetz umgehen?

Neues Kommunalabgabengesetz: Auch „Altanschließer“ werden zur Kasse gebeten. | © Eisenhans - Fotolia
Neues Kommunalabgabengesetz: Auch „Altanschließer“ werden zur Kasse gebeten. | © Eisenhans - Fotolia

Durch Art. 5 Nr. 4 Buchstabe f) aa) des Zweiten Gesetzes zur Entlastung der Kommunen von pflichtigen Aufgaben vom 17.12.2003 (GVBl. I S. 294, 296) wurde § 8 Abs. 7 Satz 2 Kommunalabgabengesetz für das Land Brandenburg (BbgKAG) dahingehend geändert, dass die sachliche Beitragspflicht für die öffentliche Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung (erst) entsteht, sobald das Grundstück an die Einrichtung oder Anlage angeschlossen werden kann, frühestens jedoch mit dem Inkrafttreten der rechtswirksamen Satzung. Dies hat zur Folge, dass insbesondere Eigentümer von Grundstücken, die – wie ein altangeschlossenes Grundstück – seit Jahrzehnten bereits an die Einrichtung angeschlossen sind, nunmehr erstmals damit rechnen müssen, dass der für sie zuständige Aufgabenträger eine rechtswirksame Satzung erlässt, auf Grundlage derer Beiträge für eine bereits vor Jahren betriebsfertig hergestellte und ebenso langgenutzte leitungsgebundene öffentliche Einrichtung erhoben werden können. Betroffen sind insbesondere alle Eigentümer, deren Grundstücke schon vor dem 03.10.1990 an das Wasserversorgungsnetz oder das Abwassernetz angeschlossen waren.

Die Gesetzesänderung hat zu großem Unmut bei vielen Wohnungsgesellschaften und privaten Hauseigentümern geführt. Betroffen sind nicht nur die Brandenburger Hauseigentümer. Die rückwirkende Inanspruchnahme sog. Altanschließer ist vielmehr auch in den anderen neuen Bundesländern ein Problem. Und nicht nur dort! Das Problem stellt sich auch in den alten Bundesländern im Hinblick auf bereits vor mehreren Jahrzehnten hergestellte und ebenso langgenutzte leitungsgebundene öffentliche Einrichtungen.

Verjährte Beitragsforderungen

Dies gilt jedenfalls für den Fall, dass die Beitragsforderungen im Zeitpunkt der Bekanntgabe der Beitragsbescheide infolge Ablaufs der Festsetzungsfrist bereits erloschen waren.


Nach § 12 Abs. 1 Nr. 4 lit. b) BbgKAG in Verbindung mit § 169 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) ist eine Abgabenfestsetzung nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Diese Frist beträgt vier Jahre (§ 169 Abs. 2 Nr. 2 AO) und beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Abgabe entstanden ist (§ 170 Abs. 1 AO). Dies ist nach § 12 Abs. 1 Nr. 2 lit. b) BbgKAG in Verbindung mit § 37 Abs. 1 AO und § 38 AO der Fall, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an dem das Gesetz die Leistungspflicht knüpft (OVG Brandenburg, Urt. v. 08.06.2000 – 2 D 29/98 NE, Rn. 48). Die danach für den Beginn der Festsetzungsverjährung maßgebliche Vorschrift des § 8 Abs. 7 Satz 2 BbgKAG über die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht sah in ihrer ursprünglichen Fassung und entsprechend deren Auslegung durch das OVG Brandenburg in seinem Urteil vom 08.06.2000 vor, dass die Beitragspflicht ab dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, in dem eine Beitragssatzung unbeschadet ihrer rechtlichen Wirksamkeit in Kraft tritt.

Wesentlich ist das gewollte Inkrafttreten der ersten Satzung

Maßgeblicher Zeitpunkt für das Entstehen der Beitragspflicht ist somit der Tag des (gewollten) Inkrafttretens der ersten Satzung. Nach der Rechtsprechung des OVG Brandenburg kommt es für das Entstehen der Beitragspflicht dabei nicht auf das Inkrafttreten der ersten gültigen Satzung an, sondern vielmehr auf den Zeitpunkt, in dem die Gemeinde oder der Zweckverband erstmals eine Beitragssatzung in Kraft setzen wollte (OVG Brandenburg, Urt. v. 08.06.2000 – 2 D 29/98 NE, Rn. 43). Der Leitsatz dieser Grundsatzentscheidung ist insoweit eindeutig, die Begründung des Urteils auch.

Eine Auslegung der Vorschrift, wonach es auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens einer in formeller wie in materieller Hinsicht gültigen Satzung ankomme, widerspricht dem objektiven Sinngehalt der Vorschrift, eine Ausnahme von der Regel des Entstehens der Beitragspflicht mit der Anschlussmöglichkeit nur bis zum Erlass der ersten Satzung machen zu wollen (OVG Brandenburg, Urt. v. 08.06.2000 – 2 D 29/98 NE, Rn. 48 – zitiert nach juris). Sie führt zudem zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit hinsichtlich des Zeitpunkts des Entstehens und der Verjährung von Beitragsforderungen, wenn und soweit Zweifel an der Gültigkeit des einschlägigen Satzungsrechts bestehen. Sinn und Zweck des § 8 Abs. 7 Satz 2 BbgKAG ist es gerade nicht, den Kommunen bei verzögertem Erlass der Beitragsbescheide einen Anreiz zu geben, sich entgegen dem Zweck des Erlasses von Beitragssatzungen – als Grundlage der Beitragserhebung innerhalb der Verjährungsfrist zu dienen – auf eine Ungültigkeit ihres Satzungsrechts zu berufen; die Ausnahmevorschriften des § 8 Abs. 7 Satz 2, 1. HS und 2. HS BbgKAG bekämen damit eine nicht gesetzesmäßige Zielrichtung.

Es ist vielmehr davon auszugehen, dass der Gesetzgeber bei seiner Regelung lediglich den Erlass wirksamer Satzungen als „Normalfall“ im Blick und schon aus diesem Grund keinen Anlass hatte, dem Satzungsgeber in § 8 Abs. 7 Satz 2 BbgKAG a. F. die Möglichkeit zu eröffnen, die Beitragspflicht erst mit dem Inkrafttreten der ersten gültigen Satzung, ggf. Jahre nach dem ersten – fehlerhaften – Satzungserlass, entstehen zu lassen (OVG Brandenburg, Urt. v. 08.06.2000 – 2 D 29/98 NE, Rn. 48 – zitiert nach juris).

Nach Ablauf der Verjährung kein Beitragsbescheid mehr

Für all jene Grundstücke, die bereits im Zeitpunkt des Inkrafttretens der ersten (unwirksamen) Beitragssatzung anschließbar oder angeschlossen waren, bedeutet dies, dass sie im Einklang mit den oben genannten Vorschriften für die Festsetzungsverjährung nur dann rechtmäßigerweise veranlagt werden konnten, wenn bereits ein Beitragsbescheid innerhalb der vier Jahre erlassen worden war, die auf das Ende des Jahres folgten, in dem die erste (unwirksame) Satzung beschlossen worden war. Nach Ablauf dieser vier Jahre ist der erstmalige Erlass von Beitragsbescheiden für „altangeschlossene“ Grundstücke hingegen unzulässig.

Den Eintritt der Festsetzungsverjährung für solche Fälle hat das OVG Berlin-Brandenburg in Übereinstimmung mit dem vorausgegangenen erstinstanzlichen Urteil des VG Frankfurt (Oder) ausdrücklich bestätigt (OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 12.12.2007 – 9 B 44.06, Rn. 52 – zitiert nach juris). Wörtlich heißt es:

„Die Vorschrift (§ 8 Abs. 7 Satz 2 BbgKAG a. F.) war und ist nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Brandenburg wie auch des erkennenden Senats dahingehend auszulegen, dass es für die Festlegung des Zeitpunkts des Entstehens der Beitragspflicht nicht auf die formelle und materielle Gültigkeit der ersten erlassenen Satzung, sondern ausschließlich auf den formalen Akt des Satzungserlasses ankam. […] An dieser im Wesentlichen auf Erwägungen zum Sinn und Zweck des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a. F. und den systematischen Zusammenhang zur Bestimmung des § 8 Abs. 7 Satz 1 KAG […] gestützten Rechtsprechung hält der Senat fest.“

Mit dem Eintritt der Festsetzungsverjährung ist die Beitragsschuld gem. § 12 KAG in Verbindung mit §§ 47, 169 Abs. 1 Satz 1 AO erloschen. Die Vorschrift des § 8 Abs. 7 Satz 2 BbgKAG n. F. kann verfassungskonform daher nur bei einer Auslegung sein, die ihr keine Rückwirkung beimisst. Diese Feststellung kann getroffen werden, auch ohne dass es darauf ankommt, ob die Eigentümer der angeschlossenen oder anschließbaren Grundstücke auf den Eintritt der Festsetzungsverjährung und damit das Erlöschen der Abgabenforderung vertrauen durften. Die Festsetzungsverjährung knüpft an (objektive) Rechtstatsachen an; ihre Rechtsfolge tritt grundsätzlich ein, ohne dass der Betroffene von Beginn und Ende des Laufs der Frist Kenntnis hatte oder Kenntnis haben muss. Der Abgabengläubiger ist gehalten, innerhalb eines bestimmten Zeitraums von seiner Festsetzungsbefugnis Gebrauch zu machen. Der Eintritt der Festsetzungsverjährung ist daher von Amts wegen zu beachten.

Folgerungen für die Kommunen

Unabhängig davon zwingen die landesrechtlichen Kommunalabgabengesetze die Gemeinden und Zweckverbände dennoch – zum Teil gegen ihre Überzeugung –, zu handeln und das entsprechende Gesetz umzusetzen. Rechtsstreitigkeiten, Frust und Enttäuschung bei allen Beteiligten sind die Folge.

 

Dr. Antje Demske

Rechtsanwältin, Fachbereich Öffentliches Wirtschaftsrecht, SKW Schwarz Rechtsanwälte, Berlin
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