15.03.2011

Streikrecht für Beamte?

Eine Kritik der Demontage des Berufsbeamtentums aus aktuellem Anlass

Streikrecht für Beamte?

Eine Kritik der Demontage des Berufsbeamtentums aus aktuellem Anlass

Demnächst auch Beamte? | © hati - Fotolia
Demnächst auch Beamte? | © hati - Fotolia

Die politische Labilität des Berufsbeamtentums

Das Berufsbeamtentum genießt keinen guten Ruf. Beamte sind ein beliebtes Objekt von Vorurteilen. Für die Comedian-Branche ist der Beamte ein willkommenes „Opfer“. Doch nicht nur der Boulevard, auch die politische Klasse ist dem Berufsbeamtentum häufig nicht wohl gesonnen. Dafür einige Beispiele:

Das zunehmend verbreitete Outsourcing von Gesetzentwürfen aus den Ministerien in große Rechtsanwaltskanzleien desavouiert das öffentliche Vertrauen in die Leistungsfähigkeit des Berufsbeamtentums. Wozu eigentlich Beamte in den Ministerien, wenn privatwirtschaftlich arbeitende „LawFirms“ auch zur Verfügung stehen?

Zweites Beispiel: Der politische Beamte, also ein Beamter, der jederzeit grundlos in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden kann, ist zwar nichts Neues. Der exzessive Gebrauch, den die Politik von diesem Instrument macht, dürfte jedoch zu einem erheblichen Ansehensverlust des Berufsbeamtentums und seiner Grundprinzipien führen: Ist doch der politische Beamte stets mit dem Verdacht parteipolitischer Ämterpatronage verbunden. Die allfällige Berichterstattung in Tageszeitungen über hochdotierte „Spaziergänger im Ruhestand“ verfehlt ihre kompromittierende Wirkung zumeist nicht.


Schließlich stellt die politisch beliebte, oft unkritische Übernahme ökonomisch orientierter Personalführungskonzepte aus der Privatwirtschaft in das Berufsbeamtentum dessen Grundprinzipien (Lebenszeitprinzip, amtsangemessene Alimentation, persönliche Unabhängigkeit und lediglich fachliche (!) Weisungsgebundenheit) in Frage.

Die verfassungsrechtliche Stabilität des Berufsbeamtentums

Gleichwohl weist das Berufsbeamtentum eine beachtliche verfassungsrechtliche Stabilität auf. Die durch Art. 33 Abs. 5 des Grundgesetzes geschützten Grundsätze des Berufsbeamtentums werden vom Bundesverfassungsgericht in einer eindrucksvollen, dem Zeitgeist trotzenden Rechtsprechung bestätigt und gefestigt. Insbesondere das Essentialium des Berufsbeamtentums, nämlich das Prinzip der persönlichen Unabhängigkeit, befördert durch das Lebenszeitprinzip und den Grundsatz der amtsangemessenen Alimentation, wird vom obersten deutschen Gericht hochgehalten. Maßgeblich die Entscheidung zur Verfassungswidrigkeit von Führungspositionen auf Zeit (BVerfG, Beschl. v. 28.05.2008, Az. 2 BuL 11/07) ist ein nicht hoch genug zu schätzendes Zeichen von verfassungsrechtlicher Prinzipientreue und verfassungsgerichtlichem Verantwortungsbewusstsein. Das Bundesverfassungsgericht zeigt in dieser Entscheidung deutlich die rechtsstaatliche und grundrechtssichernde Funktion einer gegenüber politischen Funktionsträgern persönlich unabhängigen Beamtenschaft auf.

Streikverbot hat Gemeinwohlfunktion

Vor diesem Hintergrund verfassungsrechtlicher Stabilität und politischer Labilität des Berufsbeamtentums ist jüngst ein zentrales Element des Berufsbeamtentums unter Beschuss geraten, nämlich das Streikverbot für Beamte. Dieses gehört bislang zu den nicht hinterfragten Grundsätzen, gewissermaßen zu den Tabus des Beamtenrechts. Es war auch in der Rechtsprechung bislang gänzlich unbestritten, dass der Beamte weder selbst streiken darf noch sich an Streiks oder streikähnlichen Maßnahmen beteiligen darf. Das sich unmittelbar aus der Verfassung (Art. 33 Abs. 5 GG) ergebende Streikverbot für Beamte hat eine doppelte Funktion: Es dient der Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit einer dem Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten verpflichteten öffentlichen Verwaltung, gerade in Krisenzeiten und bei Streiks nicht verbeamteter Angehöriger des öffentlichen Dienstes. Neben der Gemeinwohlfunktion hat das Streikverbot eine wichtige Bedeutung im Zusammenhang mit anderen tragenden Säulen des Berufsbeamtentums, die ihrerseits verfassungsrechtlich fundiert sind. Gemeint ist insbesondere das Alimentationsprinzip. Danach ist es Aufgabe des Gesetzgebers, die Höhe der Besoldung festzulegen. Materieller Maßstab dafür ist der Grundsatz der Amtsangemessenheit. Mit diesem besoldungsrechtlichen Gesetzesvorbehalt wird die Beamtenbesoldung dem in der Privatwirtschaft üblichen Tarifmechanismus der Entlohnungsfindung entzogen. Das Beamtentum soll aus dem Tariffindungs- und insbesondere aus dem Arbeitskampfsystem herausgehalten werden. Grund: Das Paradigma der Unabhängigkeit des Beamten soll (gerade auch von der Bevölkerung) nicht in Frage gestellt werden. Was wäre das für ein groteskes Bild: Der Beamte streikt nicht nur gegen seinen Dienstherrn, sondern auch gegen das Parlament (das die Besoldung durch Gesetz festlegt) und damit eigentlich gegen das Volk! Das soll das Streikverbot gerade verhindern. Es ist gewissermaßen einer der letzten Akzeptanzanker des Berufsbeamtentums, der auch in der Bevölkerung anerkannt und geschätzt wird. Gerade deswegen müssten die Gegner des Berufsbeamtentums am Streikverbot den Hebel ansetzen, um das System insgesamt zu kippen.

Der Tabubruch: Streikrecht für Beamte

Diese beamtenverfassungsrechtliche und auch psychologische Schlüsselfunktion des Streikverbots für Beamte muss man vor Augen haben, um die Sprengkraft einer jüngst in Literatur und Rechtsprechung vertretenen These richtig einschätzen zu können. Diese These lautet: Ein generelles Streikverbot für Beamte sei mit der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht vereinbar. Von besonderer Brisanz ist dabei eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf (VG Düsseldorf, Urt. v. 15.12.2010 -Az. 31 K 3904/10.O).

Worum ging es in dieser Entscheidung? Eine verbeamtete Lehrerin hatte sich an Warnstreiks beteiligt. Deswegen wurde gegen sie eine Disziplinarverfügung erlassen und ihr eine Geldbuße in Höhe von 1.500 Euro auferlegt. Das VG Düsseldorf hat die angefochtene Disziplinarverfügung mit folgender Begründung aufgehoben: In der Teilnahme an einem Warnstreik liege zwar ein Dienstvergehen, weil es zu den im Grundgesetz verankerten Grundsätzen des Berufsbeamtentums gehöre, dass Beamte nicht streiken dürften. Nach einer jüngeren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verstoße die Verhängung von Disziplinarmaßnahmen gegen bestimmte Beamtengruppen, insbesondere Lehrer, wegen Teilnahme an Streiks jedoch gegen die in der Europäischen Menschenrechtskonvention garantierte Koalitionsfreiheit. Das generelle beamtenverfassungsrechtliche Streikverbot stelle einen Verstoß gegen Art. 11 EMRK dar. Zwar ändere die Europarechtswidrigkeit des deutschen Beamtenrechts nichts daran, dass dieses Recht weiterhin gültig sei, da die EMRK nur im Range eines Bundesgesetzes gilt (Art. 59 Abs. 2 GG), das Streikverbot aber Verfassungsrang habe. Jedoch könnte der Gesetzgeber verpflichtet sein, durch Verfassungsänderung auch das Beamtenrecht für Streiks zu öffnen. Jedenfalls seien die Disziplinarbehörden gehindert, wegen der Teilnahme an Streiks von Beamten Disziplinarverfügungen zu verhängen. Das Disziplinarrecht sei völkerrechtsfreundlich auszulegen. Ein Paukenschlag!

Kritische Betrachtung

Diese Argumentation des VG Düsseldorf wäre allenfalls dann schlüssig, wenn sich aus der EMRK tatsächlich ein Streikrecht für Beamte oder zumindest für bestimmte Gruppen von Beamten (im Sinne des deutschen Beamtenrechts!) ableiten ließe. Ein solches ergibt sich jedoch aus dem Text der EMRK (einschlägig ist Art. 11 EMRK) nicht. Das VG Düsseldorf bezieht sich in seiner Begründung auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), wonach ein generelles Streikverbot für Beamte konventionswidrig sei. Eine nähere Analyse dieser Entscheidung, die den öffentlichen Dienst in der Türkei zum Gegenstand hatte, zeigt jedoch, dass diese Schlussfolgerung zu kurz greift. Der EGMR hält lediglich ein Streikverbot für den gesamten öffentlichen Dienst für mit Art. 11 EMRK nicht vereinbar.

Von einem solchen generellen Streikverbot für den öffentlichen Dienst kann in der Bundesrepublik Deutschland aber gar keine Rede sein. Der öffentliche Dienst in Deutschland besteht zu einem erheblichen Anteil aus Angestellten, denen das Streikrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG (weitgehend unstreitig) zukommt. Lediglich eine Teilgruppe des öffentlichen Dienstes, nämlich die Beamten, dürfen nicht streiken.

Das ist auch aus sachlichen Gründen gerechtfertigt: Die Gruppe der Beamten ist eine formalgesetzlich abgrenzbare Gruppe der Angehörigen des öffentlichen Dienstes. Ihre besondere Funktion im Hinblick auf die Funktionsfähigkeit des Rechtsstaates und die damit verbundene besondere Rechte- und Pflichtenstellung stellt ein hinreichendes materielles Abgrenzungskriterium dar, das eine Herausnahme der Beamten aus dem von Art. 11 EMRK verbürgten Streikrecht rechtfertigt. Lediglich eine Erstreckung des Streikverbots auf den gesamten öffentlichen Dienst in Deutschland dürfte nach den Maßstäben des EGMR konventionswidrig sein.

Ausblick auf das weitere Verfahren

Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat die Berufung gegen sein Urteil nach § 124 a Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe. In diesem Punkt wenigstens ist dem VG Düsseldorf zuzustimmen. Die Entscheidung des OVG Münster bleibt mit Spannung abzuwarten. Die Prognose, dass in der Berufungsinstanz das Verfahren noch nicht abgeschlossen werden kann, ist nicht gewagt. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass sich das Bundesverwaltungsgericht und schlussendlich irgendwann auch einmal der EGMR damit zu befassen hat. Zweifellos ist das am VG Düsseldorf begonnene Verfahren eines der Schlüsselverfahren für das deutsche Beamtenverfassungsrecht insgesamt. Denn mit dem Streikverbot steht letztlich das System des Beamtenrechts als solches im Feuer.

Hinweis der Redaktion: Zu dem umstrittenen Thema Outsourcing der Gesetzgebung an Anwaltssozietäten vgl. auch den Beitrag von Degenhart, Deutscher AnwaltSpiegel 9/2009 (www.deutscher-anwaltspiegel.de).

 

Prof. Dr. Josef Franz Lindner

Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Medizinrecht und Rechtsphilosophie, Universität Augsburg; Geschäftsführender Direktor des Instituts für Bio-, Gesundheits- und Medizinrecht (IBGM)
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