14.03.2011

Änderung des KStG ohne Spur im BGBl

Folgen eines förmlichen Prüfverfahrens der EU-Kommission

Änderung des KStG ohne Spur im BGBl

Folgen eines förmlichen Prüfverfahrens der EU-Kommission

Begünstigte Steuerpflichtige müssen sich auf Rückforderungen einstellen. | © K.-U. Häßler - Fotolia
Begünstigte Steuerpflichtige müssen sich auf Rückforderungen einstellen. | © K.-U. Häßler - Fotolia

Wenn sich ein deutsches Bundesgesetz ändert, erwartet der gemeine Rechtsunterworfene, dass das im Bundesgesetzblatt steht. Aber ein steuerrechtlicher Sachverhalt mit europarechtlicher Überlagerung hat 2010 ein Beispiel dafür gegeben, dass das BGBl. als Quelle für das geltende Bundesrecht nicht immer ausreicht. Dies mag nicht jedermanns Vorstellung von Rechtsstaatlichkeit und Transparenz entsprechen. Dennoch war die sogenannte Sanierungsklausel des § 8c Abs. 1 a KStG vorläufig nicht anzuwenden, auch schon vor der Entscheidung der Europäischen Kommission vom 26.01.2011 (Az. IP/11/65).

Hintergrund

§ 8c Abs. 1 a KStG war Gegenstand eines von der Europäischen Kommission am 24.02 .2010 nach Art. 108 Abs. 2 AEUV eingeleiteten förmlichen Verfahrens. Das Schreiben zur Eröffnung des Verfahrens wurde im ABl. EU Nr. C 90 vom 08.04 .2010 unter dem Aktenzeichen C 7/10 (ex NN 5/10) publiziert und ist im BStBl. I 2010 S. 482 ff. wiedergegeben. Das BMF hatte dazu in einem Schreiben vom 30.04.2010 (BStBl. I S. 488) Stellung genommen und mitgeteilt, dass die Sanierungsklausel in § 8c Abs. 1a KStG bis zu einem abschließenden Beschluss der Kommission nicht anzuwenden sei. Betroffene Bescheide waren unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO) zu erlassen. Begünstigte Steuerpflichtige mussten sich also von vornherein auf Rückforderungen gefasst machen. Zwischenzeitlich hat die Europäische Kommission die Unvereinbarkeit der deutschen Regelung zum Verlustvortrag angeschlagener Unternehmen mit den EU Beihilferegeln festgestellt (Entscheidung vom 26.01.2011, Az. IP/11/65).

Verlustvortrag

Steuerrechtlich geht es in der Sache um die Möglichkeit zum Verlustvortrag: Wer in einem Steuerjahr Verluste gemacht hat, im Folgejahr aber wieder Gewinn macht, hat den Vorjahresverlust noch immer in den Büchern, bzw. er fehlt auf dem Konto. Daher gebietet das steuerliche Leistungsfähigkeitsprinzip, dass das steuerpflichtige Einkommen des Folgejahres durch Verrechnung mit dem Vorjahresverlust gesenkt wird. Dieses Prinzip der Verringerung der künftigen Steuerlast durch einen Verlustvortrag gilt auch für Körperschaften, jedenfalls im Grundsatz. Dies ergibt sich aus Ver- weisungsvorschriften des KStG auf des EStG, insbesondere auf § 10d EStG.


Mantelkauf

Aus dieser Möglichkeit haben findige Köpfe Steuersparmodelle entwickelt, die über die Absicht des Gesetzgebers hinausgehen. Wenn eine verschuldete Gesellschaft den Geschäftsbetrieb einstellt, aber auf dem Papier weiterbesteht, entsteht eine sogenannte Mantelgesellschaft. Die Anteile an dieser Mantelgesellschaft können nun auf einen florierenden Erwerber übertragen werden. Dieser kann dann seine aktuellen Gewinne mit den mit-erworbenen Verlusten gegenüber dem Finanzamt verrechnen und so Steuern sparen. Auf diesen „Trick“ reagiert der Gesetzgeber seit 1997 mäßigend, indem er eine gewisse betriebliche Identität fordert zwischen dem früheren Verlustemacher und dem späteren Steuerpflichtigen. Die Bremse für den „Missbrauch“ von Mantelkäufen war zuerst in § 8 Abs. 4 KStG geregelt, ab 18. 08. 2007 dann im eigens geschaffenen § 8c KStG. Seither sind nach einem Mantelkauf ungenutzte Verluste nicht mehr abziehbar, wenn über 50 Prozent der Anteile (oder der Stimmrechte oder der Mitgliedschaftsrechte …) an einen Erwerber übertragen worden sind. Waren es zwischen 25 und 50 Prozent, sind ungenutzte Verluste nur anteilig abziehbar.

Sanierungsklausel

Diese Regeln erschienen der wirtschaftspolitischen Mehrheit nun wieder zu streng für Fälle, in denen ein angeschlagenes Unternehmen durch „übertragende Sanierung“ wieder aufgepäppelt werden soll: Krisenmanager sollten den schlummernden Steuervorteil aus Altverlusten einem möglichen Erwerber nahezu unvermindert als Morgengabe anbieten können. Zu diesem Zweck wurde mit dem Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung vom 16.07. 2009 (BGBl. I S. 1959) die Sanierungsklausel des § 8c Abs. 1 a ins KStG eingefügt. Sie lockert die Beschränkung des Verlustabzugs beim Erwerb einer Beteiligung an einem wirtschaftlich angeschlagenen, aber noch werbenden Unternehmen. Für den (näher definierten) Sanierungsfall können alte Verluste von der übernehmenden Körperschaft steuerlich wirksam gegen neue Gewinne aufgerechnet werden. Ob das nun ein Steuervorteil oder die Nichtauferlegung eines Nachteils ist, darüber kann man trefflich streiten. Aus Sicht der Europäischen Kommission ist es sogar eine staatliche Beihilfe. Dies hatte sie dem deutschen Außenminister mit Schreiben vom 08. 04. 2010 mitgeteilt (ABl. EU, Az. C 70/2010, abgedruckt in BStBl. I 2010 S. 482).

EU-Beihilferecht

Einer der Kerne des Pudels ist Art. 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union in der Fassung des Vertrags von Lissabon vom 13.12. 2007 (ABl. Nr. C 83 vom 30.03. 2010 S. 47), der auszugsweise lautet:

Artikel 108 AEUV – (ex-Artikel 88 EGV)

(1) Die Kommission überprüft fortlaufend in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten die in diesen bestehenden Beihilferegelungen. (…)

(2) Stellt die Kommission fest, nachdem sie den Beteiligten eine Frist zur Äußerung gesetzt hat, dass eine von einem Staat oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfe mit dem Binnenmarkt nach Artikel 107 unvereinbar ist oder dass sie missbräuchlich angewandt wird, so beschließt sie, dass der betreffende Staat sie binnen einer von ihr bestimmten Frist aufzuheben oder umzugestalten hat. (…)

(3) Die Kommission wird von jeder beabsichtigten Einführung oder Umgestaltung von Beihilfen so rechtzeitig unterrichtet, dass sie sich dazu äußern kann. Ist sie der Auffassung, dass ein derartiges Vorhaben nach Artikel 107 mit dem Binnenmarkt unvereinbar ist, so leitet sie unverzüglich das in Absatz 2 vorgesehene Verfahren ein. Der betreffende Mitgliedstaat darf die beabsichtigte Maßnahme nicht durchführen, bevor die Kommission einen abschließenden Beschluss erlassen hat.

(4) (…)

Mitgliedstaaten der EU müssen die Kommission über neue Beihilfen also von sich aus vorab unterrichten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch Freistellungen und Ermäßigungen von Abgaben als mögliche Beihilfen in Betracht kommen. Dies erklärt sich aus dem EU-rechtlichen Konzept der „Maßnahmen gleicher Wirkung“ und aus dem Gedanken, dass der von der Kommission gehütete Wettbewerb ebenso durch eine einseitige Ersparnis wie durch eine asymmetrische Förderung beeinträchtigt werden kann. Artikel 107 AEUV (ex-Artikel 87 EGV) erklärt dazu in Absatz 1 „staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen,“ für mit dem Binnenmarkt unvereinbar; die unvermeidlichen Ausnahmen und Befreiungen stehen in den Folgeabsätzen. Ein Mitgliedstaat darf die beabsichtigten Maßnahmen nicht durchführen, bevor die Kommission eine abschließende Entscheidung erlassen hat (aufschiebende Wirkung). Beihilfen, die gewährt werden, ohne bei der Kommission angemeldet und von dieser genehmigt worden zu sein, sind rechtswidrig und mit sehr eingeschränktem Ermessensspielraum zurückzufordern. Denn Artikel 14 der VO EG 659/1999 des Rates ist strenger als § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO und verlangt, „dass der betreffende Mitgliedstaat alle notwendigen Maßnahmen ergreift, um die Beihilfe vom Empfänger zurückzufordern.“

Verfahrenseinleitung

Da die Kommission nach einer vorläufigen Prüfung festgestellt hatte, dass „die Maßnahme“ Anlass zu Bedenken hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht gibt, musste sie das förmliche Prüfverfahren nach Art. 108 Abs. 2 AEUV (früher: Art. 88 Abs. 2 EGV) einleiten. Die Kommission betrachtet die erweiterte Möglichkeit des Verlustvortrags im Sanierungsfall wegen der dadurch möglichen Steuerersparnis für gewisse Unternehmen als unzulässige selektive staatliche Beihilfe im Sinne des Artikels 107 AEUV (ausführlich BStBl. I 2010 S. 482 ff.). Daher hatte sie ein förmliches Prüfverfahren gegen die Bundesrepublik wegen der Sanierungsklausel in § 8c Abs. 1a KStG eröffnet. Nach Artikel 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV war damit die Vorschrift einstweilen nicht anwendbar. Am 26.01. 2011 stellte die Kommission schließlich die Unvereinbarkeit der deutschen Regelung zum Verlustvortrag angeschlagener Unternehmen mit den EU Beihilferegeln fest. Damit besteht eine Pflicht der Bundesrepublik zur Rückforderung der erzielten Steuerersparnisse. Außerdem besteht die Pflicht, die Rechtsunterworfenen über das Prüfverfahren zu informieren, um das Vertrauen auf eine wahrscheinlich europarechtswidrige Rechtslage nicht aufrechtzuerhalten. Der Umsetzung dieser Pflicht dient unter anderem die deklaratorische nachträgliche Veröffentlichung im BStBl.

Konsequenzen

Rein inhaltlich erscheint es klar: Ober sticht Unter, die KStG-Klausel von 2009 trat erst einmal nicht in Kraft. Und die Finanzämter mussten von Unternehmen in Krisensituationen einen Steuervorteil zurückfordern, den diese kaum als Liquiditätsreserve vorrätig haben dürften. Hartes Brot für Berater und Beratene, allerdings auch für die Beamten in den zuständigen Behörden. Formal und rechtstechnisch al- lerdings bleiben Fragen. Warum erschien mit monatelanger Verzögerung eine Nachricht im BStBl., während die Inkraftsetzung des § 8c Abs. 1 a KStG aus dem BGBl. in diesem Verkündungsorgan unwiderrufen blieb? Eine innerstaatliche Verfassungsgerichtsentscheidung gegen ein Gesetz ist von geringerem Rang in der Normenhierarchie als Art. 108 AEUV in Verbindung mit einer Verfahrenseinleitung durch die Europäische Kommission. Jene findet aber ins Bundesgesetzblatt, diese nicht. Eine Vorgabe aus dem Schreiben der Kommission lautete gemäß Verordnung (EG) Nr. 659/1999 vom 22.03.1999 (ABl. L 83 vom 27.03.1999, S. 1, insbesondere Art. 14), eventuelle Vertrauenstatbestände nicht entstehen zu lassen, um die effektive Anwendung der Wettbewerbsregeln nicht durch einen Rückforderungsausschluss zu konterkarieren. Mag sein, dass ein Aufsatz im BStBl. dafür genügte, eine Klarstellung im BGBl. wäre aber wirksamer gewesen und hätte dem Transparenzgebot aus dem Rechtsstaatsprinzip besser entsprochen. An dieser Stelle hätte die dargestellte steuer- und EU-rechtliche Fallkonstellation Rechtsberater zu verfassungsrechtlichen Erwägungen veranlassen können, schon um dem Rechtsweg gegen drohende Rückforderungen eine Instanz hinzuzufügen.

 

Dr. Alexander Konzelmann

Leiter der Boorberg Rechtsdatenbanken RDB, Stuttgart
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