15.03.2011

Schluss mit vorzeitigen Ernennungen!

BVerwG stärkt übergangene Bewerber im Beamtenkonkurrentenstreit

Schluss mit vorzeitigen Ernennungen!

BVerwG stärkt übergangene Bewerber im Beamtenkonkurrentenstreit

Der Grundsatz der Ämterstabilität wackelt. | © photobility - Fotolia
Der Grundsatz der Ämterstabilität wackelt. | © photobility - Fotolia

Das Bundesverwaltungsgericht hat mit dem Urteil vom 04.11.2010 (Az. 2 C 16.09) einen seit Jahren währenden Konkurrentenstreit um die Präsidentenstelle beim Oberlandesgericht Koblenz beendet (vgl. schon OVG Koblenz, DVBl. 2009, 659; zum Eilrechtsschutz siehe BVerfG, NVwZ 2008, 70; OVG Koblenz, NVwZ 2008, 99). Das Gericht kassierte dabei nicht nur die Auswahlentscheidung, sondern auch die beamten- bzw. richterrechtliche Ernennung des ausgewählten Kandidaten durch die Landesregierung von Rheinland-Pfalz. Dabei zeigte das Gericht auf, dass es zukünftig Art. 19 Abs. 4 GG den Vorrang vor dem Grundsatz der Ämterstabilität einräumen wird, wenn der Dienstherr die ausgewählten Beamten oder Richter befördert oder sonst ernennt, obwohl die unterlegenen Bewerber verwaltungs- und verfassungsrechtlichen Rechtsschutz nicht ausschöpfen konnten.

Bisher war der Konkurrentenstreit zwischen Richtern und Beamten geprägt von dem Rechtssatz, dass die Ernennung des ausgewählten Kandidaten für den übergangenen Bewerber nicht angreifbar ist. Die Ernennung oder Beförderung stellte einen die Mitbewerber nicht betreffenden Verwaltungsakt dar (BVerwGE 80, 127; BVerwG, Buchholz 232 § 8 BBG Nr. 49). An diese These knüpfte einerseits die Begründung für den Anordnungsgrund des Konkurrenteneilantrags an, der auf die Verhinderung und Untersagung der Stellenbesetzung durch Ernennung und Planstelleneinweisung gerichtet war. Kehrseite war andererseits die Folgerung, dass der Rechtsschutz des unterlegenen Bewerbers mit der endgültigen Besetzung einer Stelle in sich zusammenfällt; der Verwaltungsakt, mit dem die Bewerbung eines nicht berücksichtigten Beamten abschlägig beschieden werde, erledige sich (BVerwG, Buchholz 310 § 113 Nr. 23; Buchholz 232 § 8 BBG Nr. 4 und 49; NVwZ 1986, 374; Beschl. v. 24. 07. 1984 – 2 B 77.83, juris; BVerwGE 80, 127; Urt. v. 21. 11. 1996 – 2 A 3/96, juris; so auch die Vorinstanz OVG Koblenz, DVBl 2009, 659 m.w.N.).

Damit blieb der Rechtsschutz im beamtenrechtlichen Konkurrentenstreit bisher hinter den Anforderungen zurück, die das Bundesverfassungsgericht aus Art. 19 Abs. 4 GG für einen effektiven Rechtsschutz insbesondere im grundrechtsrelevanten Bereich ableitet. Diese Verfassungsbestimmung schließe irreversible Entscheidungen grundsätzlich aus (BVerfGE 35, 263 [274]; 37, 150 [153]; 67, 43 [58]; 69, 220 [227 f.]; BVerfG, NJW 1990, 501).


Seit Jahren achtet das BVerfG darauf, die Ausgestaltung des Auswahlverfahrens – insbesondere im Vorfeld der Stellenbesetzung – diesen Erwartungen anzupassen, indem es etwa die auswählenden Dienstherren nicht nur zur Offenlegung der Auswahlbegründung, sondern vor allem zur Bekanntgabe der Auswahlentscheidung vor Vollzug der Stellenbesetzungsentscheidung verpflichtet. Während die Gerichte mit der Überprüfung einer Auswahlentscheidung befasst waren, durfte die darauf gestützte Stellenbesetzung nicht vorweggenommen werden. Lag eine einstweilige Anordnung zur Untersagung der Stellenbesetzung vor, war der Dienstherr zu ihrer Befolgung verpflichtet (BVerwGE 118, 370). Zwischen den Instanzen hatte der Dienstherr auch im Falle seines Obsiegens im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren die Beschwerdefrist abzuwarten. Nach Abschluss des Beschwerdeverfahrens war noch eine angemessene Frist zuzuwarten, ob der Antragsteller auch verfassungsgerichtlichen (Eil-)Rechtsschutz ergreift.

Gerichte zeigten sich unbeeindruckt

Schon in den vergangenen Jahren zeigten sich die Gerichte unbeeindruckt, wenn der Dienstherr unter Verletzung dieser Wartepflichten seinen Wunschkandidaten vorzeitig ernannte. Im Hauptsacheverfahren war die Klage auf Neuauswahl ungeachtet der eingangs genannten These zulässig (BVerwGE 118, 370; 115, 89 [94]; BAG, NZA 2003, 324). Das BVerfG nahm Verfassungsbeschwerden übergangener Bewerber auch nach Ernennung der ausgesuchten Mitbewerber an. Deren Ernennung blieb jedoch von diesen – sämtlich aus den Art. 19 Abs. 4 und 33 Abs. 2 GG abgeleiteten – Erleichterungen des Rechtsschutzes unberührt (vgl. etwa BVerfG, BayVBl 2007, 36, und NVwZ 2007, 691).

BVerwG zeigt neue Prämissen auf

Nachdem das BVerwG schon einmal erwogen hatte, dem unterlegenen Bewerber die Anfechtung der Ernennung des ausgewählten Bewerbers zuzugestehen (BVerwGE 115, 89; später sah es selbst diese Bedenken als „entkräftet“ an, vgl. BVerwGE 118, 370), zeigt das BVerwG mit Urteil vom 04.11.2010 nun neue Prämissen auf: Die Ernennung teile das rechtliche Schicksal der Auswahlentscheidung, die sie nur rechtsverbindlich umsetze. Sie stelle für den übergangenen Mitbewerber wie die Auswahlentscheidung einen Eingriff in seine Rechte aus Art. 33 Abs. 2 GG dar. Das BVerwG beschränkt die durch Art. 19 Abs. 4 i.V.m. Art. 33 Abs. 2 GG eröffnete grundsätzliche Anfechtbarkeit der Ernennung des ausgewählten Bewerbers aber sogleich wieder auf Fälle, in denen der Dienstherr den verwaltungs- oder verfassungsgerichtlichen Eilrechtsschutz verhindert oder vereitelt hat. Auch die neu vom BVerwG aufgezeigte Rechtsschutzmöglichkeit entlastet den unterlegenen Bewerber also nicht davon, zunächst zu versuchen, durch verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz eine Stellen- oder Dienstpostenbesetzung zu verhindern.

Erweiterung auf weitere Fallkonstellationen bleibt abzuwarten

Es bleibt abzuwarten, ob das BVerwG die Anfechtbarkeit der Ernennung des ausgewählten Konkurrenten auf weitere Fallkonstellationen erweitert. Dafür würde jedenfalls sprechen, dass eine vom Leistungsprinzip abweichende Auswahlentscheidung und Ernennung bzw. Beförderung grundsätzlich mit Art. 33 Abs. 2 GG unvereinbar ist, so dass es zumindest einer besonderen Rechtfertigung bedarf, weshalb gerade eine solche Stellenbesetzung nicht gerichtlich aufhebbar sein soll. Der Grundsatz der Ämterstabilität leitet sich aus dem Lebenszeitprinzip ab, einem hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums. Diesen Schutz genießt die Ernennung nicht um ihrer selbst willen. Das in Art. 33 Abs. 5 GG verankerte Lebenszeitprinzip und das Leistungsprinzip nach Art. 33 Abs. 2 GG dienen zuallererst dem öffentlichen Interesse an der bestmöglichen Besetzung der Stellen des öffentlichen Dienstes, dessen fachliches Niveau und rechtliche Integrität gewährleistet werden soll (BVerfG, NVwZ 2003, 200 [201]; BVerwGE 19, 252 [255]; 49, 214 [220]; 49, 232 [237]; 80, 123 [124]; 101, 112 [114]).

Dr. Klaus Herrmann

Prof. Dr. Klaus Herrmann

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Partner der Sozietät Dombert Rechtsanwälte, Potsdam
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