15.03.2011

Mehr Wettbewerb im Eisenbahnverkehr

BGH: Allgemeine Ausschreibungspflicht für S-Bahnen und Regionalbahnen

Mehr Wettbewerb im Eisenbahnverkehr

BGH: Allgemeine Ausschreibungspflicht für S-Bahnen und Regionalbahnen

S-Bahn-Leistungen in Nordrhein-Westfalen müssen ab 2019 neu ausgeschrieben werden. | © fuxart - Fotolia
S-Bahn-Leistungen in Nordrhein-Westfalen müssen ab 2019 neu ausgeschrieben werden. | © fuxart - Fotolia

Der Bundesgerichtshof hat in einem für Aufsehen erregenden Beschluss (BGH, Beschl. v. 08. 02. 2011, Az.: X ZB 4/10) im Bereich des SPNV-Vergaberechts nunmehr festgestellt, dass eine Direktvergabe des Verkehrsverbunds Rhein-Ruhr (VRR) an die Deutsche Bahn unzulässig war und der Betrieb von Nahverkehr auf der Schiene ausgeschrieben werden muss. Die Entscheidung des BGH stellt damit eine weitreichende Grundsatzentscheidung für mehr als 30 aktuell bevorstehende direkte Streckenvergaben vor allem bei Verkehrsleistungen für S-Bahn und Regionalverkehr dar.

Verkehrsvertrag – Vergleichsvertrag – Änderungsvertrag

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Im Jahr 2004 schlossen der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) und DB Regio einen Verkehrsvertrag, durch den die DB Regio zu Verkehrsleistungen im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) über anfänglich 44 Millionen Zugkilometer im Regional-Express- bzw. Regionalbahn- und im S-Bahn-Verkehr verpflichtet wurde. Im Gegensatz zu den Leistungen des S-Bahn-Verkehrs sollten die RE- und RB-Verkehre teilweise heruntergefahren und jeweils neu im Wettbewerb vergeben werden. So wurden dann auch bis Anfang 2009 rund 7 Millionen Zugkilometer aus dem Vertrag herausgenommen. Die DB Regio verpflichtete sich zur Erneuerung ihres Fahrzeugparks. Nach dem Verkehrsvertrag war vorgesehen, dass die DB Regio die Fahrscheinerlöse erhält. Hinzu kommt ein über den VRR gezahlter Zuschuss pro gefahrenen Zugkilometer. Die Finanzmittel fließen dem VRR durch das Land Nordrhein-Westfalen nach Maßgabe des nordrheinwestfälischen Gesetzes über den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNVG NRW) zu. Nachdem die Mittel für Zuwendungen an die Länder auf der Grundlage des Regionalisierungsgesetzes 2006 tatsächlich gekürzt wurden, kam Streit zwischen dem VRR und DB Regio über die gegenseitigen Pflichten auf. Folge war die Kündigung des Vertrags durch den VRR und verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten; es wurden aber auch Vergleichsverhandlungen zwischen den Vertragspartnern geführt. Zur Beilegung ihrer Streitigkeiten schlossen der VRR und die DB Regio 2009 einen Änderungsvertrag zum Verkehrsvertrag.

Änderungsvertrag war unwirksam

Nach der Auffassung der Abellio Rail NRW GmbH (Abellio) war die Übertragung des S-Bahn-Betriebs auf DB Regio über den Zeitraum nach Dezember 2018 hinaus unwirksam. Sie vertrat die – jetzt auch vom BGH bestätigte – Auffassung, dass der Dienstleistungsauftrag hätte ausgeschrieben werden müssen. Aufgrund des Nachprüfungsantrags der Abellio hat die Vergabekammer Münster den Änderungsvertrag für unwirksam erklärt (Beschluss vom 18. 03. 2010, Az: VK 1/10).


AEG war nicht vorrangig anzuwenden

Auch der Vergabesenat des OLG Düsseldorf hielt im Beschwerdeverfahren den im November 2009 geschlossenen Vertrag für vergaberechtswidrig. Die Bahnleistungen hätten nicht freihändig an die DB Regio vergeben werden dürfen. Sie hätten vielmehr ausgeschrieben werden müssen. Solche Änderungsverträge sind immer dann als Neuvergaben anzusehen, wenn sich der Vertragsinhalt so wie die Laufzeit des Vertrages grundlegend ändere. Auch das OLG Düsseldorf hielt den § 15 Absatz 2 Allgemeines Eisenbahngesetz (AEG), der eine Ausschreibung in das Ermessen der zuständigen Behörde stellt, nicht für vorrangig. Diese Vorschrift schließe die Anwendbarkeit vergaberechtlicher Vorschriften daher auch nicht aus. Zwangsläufig musste das OLG Düsseldorf von einer Entscheidung des OLG Brandenburg abweichen (Beschluss vom 02. 09. 2003, Az. Verg W 3/03 und Verg W 5/03). Das OLG Brandenburg hatte eine Ausschreibungspflicht wegen § 15 Absatz 2 AEG in derartigen Fällen verneint. Daher legte das OLG Düsseldorf mit Beschluss vom 21. 07. 2010 (Az. VII-Verg 19/10) die Sache dem BGH im Rahmen einer Divergenzvorlage zur Entscheidung vor.

GWB war einschlägig

Der Bundesgerichtshof hat nunmehr in seinem Beschluss vom 08. 02. 2011 deutlich festgestellt, dass § 15 Abs. 2 Allgemeines Eisenbahngesetz (AEG) nicht unter dem Gesichtspunkt der Spezialität Vorrang vor den vergaberechtlichen Bestimmungen des GWB genießt, sondern vom GWB als dem jüngeren Gesetz verdrängt wird. Er hat dabei an seine bisherige Rechtsprechung angeknüpft, wonach der Anwendungsbereich der vergaberechtlichen Bestimmungen im Gesetz nach Vertragsarten und -gegenständen prinzipiell umfassend bestimmt und der Ausnahmekatalog in § 100 Abs. 2 GWB – unter den der S-Bahn-Betrieb nicht fällt – als abschließend anzusehen ist. Ein gesetzgeberischer Wille dahin, die Vergabe solcher Leistungen gleichwohl dem Anwendungsbereich des GWB zu entziehen, ist der Entstehungsgeschichte der gesetzlichen Regelung nicht zu entnehmen.

Der Bundesgerichtshof hat weiter entschieden, dass in solchen Situationen auch keine Dienstleistungskonzession vorliegt, die dem vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren entzogen wäre. Es handelt sich bei solchen Verkehrverträgen um Dienstleistungsaufträge. Er hat sich dabei an die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union angelehnt, wonach für Dienstleistungskonzessionen charakteristisch ist, dass der Konzessionär bei der Verwertung der ihm übertragenen Leistung den Risiken des Marktes ausgesetzt ist und das Betriebsrisiko ganz oder zumindest zu einem wesentlichen Teil übernimmt. Nach diesen Kriterien liegt eine Dienstleistungskonzession im Wesentlichen deshalb nicht vor, weil ein rentabler S-Bahn-Betrieb weitgehend durch die Zuzahlungen der öffentlichen Hand gesichert wird, die nach den Angaben von DB Regio rund 64 % der Gesamtkosten decken und die Einnahmen aus dem Fahrkartenerlös somit ganz deutlich übersteigen.

Folgen der BGH-Entscheidung

Diese Entscheidung des BGH führt zu einer Neubeurteilung vieler Direktvergaben, nicht nur bei den schienengebundenen öffentlichen Verkehrsleistungen, sondern auch bei Busverkehrsleistungen – auch im Zusammenhang mit den Ausnahmetatbeständen der VO (EG) 1370/2007. Auch nach Durchsicht der schriftlichen Entscheidungsgründe bleibt der durchaus interessante Aspekt offen, ob nämlich nicht über die Anwendung der Sektorenverordnung (SektVO) dennoch vor allem im schienengebundenen Verkehr die Möglichkeit einer Direktvergabe besteht.

Das OLG Düsseldorf hatte die Vergabestellen in dem entschiedenen SPNV-Fall in NRW noch als reguläre und nicht als Sektorenauftraggeber qualifiziert.

Direktvergabe über die Sektorenverordnung möglich?

Wäre die Sektorenverordnung aufgrund einer Tätigkeit des zukünftigen Betreibers in dem Sektor „Verkehr“ einschlägig, dann würden nach § 4 Abs. 2 SektVO nur die §§ 7, 12 Abs. 1 und § 15 SektVO gelten, da es sich bei SPNV-Leistungen um so genannte „nachrangige“ Dienstleistungen handelt. Die SektVO enthält keine Basisparagrafen, auch der Grundsatz der öffentlichen Ausschreibung ist nicht anwendbar. Eine Direktvergabe bedürfte keiner besonderen Rechtfertigung. Hält man jedoch mit dem OLG Düsseldorf die VOL/A für einschlägig, dann greift auch für nachrangige Dienstleistungen eine allgemeine Ausschreibungspflicht nach den Basisparagrafen Platz. Diese Einordnung des OLG Düsseldorfs ist problematisch, denn es trifft eine sachliche Aussage über die Nichtanwendbarkeit der Sektorenverordnung. Denn das OLG Düsseldorf suggeriert in seiner Begründung, dass die SektVO nur auf Vergabestellen nach § 98 Nr. 4 GWB (private Sektorenauftraggeber) zur Anwendung kommen könnte. Diese Bewertung zum persönlichen Anwendungsbereich ist mit § 1 Abs. 1 Satz 1 SektVO nicht vereinbar. Danach gilt die Sektorenverordnung für Auftraggeber nach § 98 Nummer 1 bis 4 GWB, also auch für solche nach § 98 Nr. 3 GWB wie im konkreten Fall in NRW.

Das OLG Düsseldorf definiert den sachlichen Anwendungsbereich des Sektors „Verkehr“ zu eng. Es fordert, dass der Sektorenauftraggeber auch immer Schienennetzbetreiber sein müsste. Dagegen steht aber der Anhang zu § 98 Nr. 4 GWB. In ihm sind unter „4. Verkehr“ im dritten Unterabsatz die Sektorentätigkeit „das Erbringen von Verkehrsleistungen“ und „die Bereitstellung oder das Betreiben von Infrastruktureinrichtungen zur Versorgung der Allgemeinheit im Eisenbahn-, Straßenbahn- oder sonstigen Schienenverkehr“ durch ein Komma getrennt als Alternativen aufgezählt. Daher muss ein Sektorenauftraggeber nicht notwendigerweise auch gleichzeitig Schienennetzbetreiber sein. Gegen diese Sichtweise spricht auch nicht, dass der BGH einfach von der Anwendung der VOL/A ausgeht, ohne die Einschlägigkeit der Sektorenverordnung zu prüfen.

 

Wolfgang Trautner

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht, HEUSSEN Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Frankfurt am Main
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