15.04.2011

Vergabe von Strom- und Gaskonzessionen

Der Leitfaden von Bundeskartellamt und Bundesnetzagentur

Vergabe von Strom- und Gaskonzessionen

Der Leitfaden von Bundeskartellamt und Bundesnetzagentur

Chance für die Kommunen? Viele Konzessionsverträge für Strom und Gas laufen in den nächsten Jahren aus. | © svitdoll - Fotolia
Chance für die Kommunen? Viele Konzessionsverträge für Strom und Gas laufen in den nächsten Jahren aus. | © svitdoll - Fotolia

Welche rechtlichen Vorgaben müssen Gemeinden bei der Neuvergabe von Strom- und Gaskonzessionen beachten? Diese Frage ist aktueller denn je: Bundesweit gibt es ca. 20.000 Konzessionsverträge, die in den nächsten Jahren auslaufen werden. Insofern ist die Frage auch für kommunale Unternehmen bedeutsam, die sich etwa im Rahmen einer Rekommunalisierung um Konzessionen bewerben wollen.

Die Vergabe solcher Konzessionsverträge wird im Wesentlichen in § 46 Abs. 2 bis 4 EnWG geregelt. Danach haben Gemeinden u. a. den Ablauf bzw. die Beendigung eines Konzessionsvertrags sowie die Entscheidung über eine Verlängerung oder Neuvergabe bekanntzumachen.

Hingegen beantwortet das EnWG nicht die Frage, wie das Verfahren zur Vergabe einer Konzession konkret auszugestalten ist.


Gegenstand des Leitfadens

Vor diesem Hintergrund haben das Bundeskartellamt (BKartA) und die Bundesnetzagentur (BNetzA) am 15. 12. 2010 einen Gemeinsamen Leitfaden zur Vergabe von Strom- und Gaskonzessionen und zum Wechsel des Konzessionsnehmers („Leitfaden“) veröffentlicht.

Gegenstand dieses Leitfadens sind insbesondere kartell- und vergaberechtliche sowie energiewirtschaftsrechtliche Fragestellungen, die sich im Zusammenhang mit der Vergabe von Konzessionsverträgen ergeben.

Kartell- und Vergaberecht bei Konzessionsvergabe

Nach gefestigter Rechtsprechung zum alten Konzessionsrecht vor der Novelle des EnWG 2005 sind Gemeinden bei der entgeltlichen Vergabe von Konzessionen unternehmerisch tätig und haben folglich das Kartellrecht zu beachten (vgl. BGH, Beschl. v. 15. 04. 1986 Az. KVR 5/85). Aufgrund der kommunalen Wegehoheit verfügten Gemeinden in Bezug auf die Konzessionsvergabe über eine monopolartige Stellung und seien somit Normadressaten des Missbrauchs- und Diskriminierungsverbots der §§ 19 und 20 GWB. Nach umstrittener Auffassung des BKartA und der BNetzA (Leitfaden, Rn. 22) ist ein Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung einer Gemeinde bei der Vergabe eines Konzessionsvertrages u. a. dann gegeben, wenn die Gemeinde

– die Konzession ohne die nach § 46 Abs. 3 EnWG erforderliche Bekanntmachung vergibt,
– die Auswahlkriterien gegenüber den Bietern nicht klar benennt, die netzrelevanten Daten für eine sachgerechte Bewerbung nicht diskriminierungsfrei zur Verfügung stellt (vgl. zu Informationsansprüchen gegenüber dem bisherigen Konzessionsnehmer Leitfaden, Rn. 48 ff.)
– oder einen Bieter, insbesondere mit der Gemeinde verbundene Unternehmen, ohne sachlichen Grund bevorzugt.

Nach ganz einhelliger Meinung (Leitfaden, Rn. 14) findet das GWB-Vergaberecht (§§ 97 ff. GWB) hingegen keine Anwendung auf die Vergabe von Konzessionsverträgen. Zwar sind die Gemeinden öffentliche Auftraggeber (§ 98 Nr. 1 GWB). Bei den Konzessionsverträgen handelt es sich jedoch nicht um öffentliche Aufträge im Sinne des § 99 Abs. 1 GWB, da sie weder die Beschaffung von Bau- noch die Beschaffung von Dienst- und Lieferleistungen zum Inhalt haben. Vielmehr gewährt der Konzessionsvertrag dem Konzessionsnehmer das Recht, die öffentlichen Verkehrswege für die Verlegung und den Betrieb von Leitungen für die Energieversorgung der Allgemeinheit entgeltlich zu nutzen.

Einem Konzessionsvertrag kommt daher eher der Charakter einer Dienstleistungskonzession zu (vgl. Schau, RdE 2011, 1, 3; a.A. Niehof, RdE 2011, 15, 17), die zwar nicht vom GWB-Vergaberecht erfasst wird, bei deren Vergabe nach der Rechtsprechung des EuGH aber die Grundregeln des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und damit insbesondere das Diskriminierungsverbot, der Transparenz- und Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten sind (EuGH, Urt. v. 07. 12. 2000, C-358/98, Rn. 50; Urt. v. 10. 03. 2011, C-274/09, Rn. 49).

Nach dem Transparenzgebot ist die Gemeinde verpflichtet, zugunsten potenzieller Bewerber einen angemessenen Grad an Öffentlichkeit bei der Konzessionsvergabe sicherzustellen (EuGH, Urt. v. 09. 09. 2010, C-64/08, Rn. 50.), d. h. Unternehmen müssen die Möglichkeit haben, von einer bevorstehenden Vergabe Kenntnis zu erlangen (vgl. § 46 Abs. 3 Satz 3 EnWG). Des Weiteren ergibt sich aus dem Transparenzgebot und dem Diskriminierungsverbot die Pflicht der Gemeinden, für die Auswahl des künftigen Konzessionsnehmers diskriminierungsfreie Kriterien aufzustellen und diese gegenüber allen Bietern bekannt zu machen. Von den bekannt gemachten Kriterien dürfen die Gemeinden im Laufe des Vergabeverfahrens nicht abweichen. Eine Pflicht zur Gleichbehandlung aller Bewerber um eine Konzession ergibt sich darüber hinaus aus Art. 3 Grundgesetz. Insofern bedient sich der Leitfaden der allgemeinen Rechtsgrundsätze.

Sofern die Gemeinden bei der Konzessionsvergabe die vorgenannten Vorgaben beachten, liegt es mit Blick auf die kommunale Selbstverwaltung im Ermessen der Gemeinde, für welchen Konzessionsnehmer sie sich entscheidet.

Offene Fragen bei der Konzessionsvergabe

Nach § 46 Abs. 2 Satz 2 EnWG ist der bisherige Konzessionsnehmer verpflichtet, seine für den Betrieb der Netze der allgemeinen Versorgung im Gemeindegebiet notwendigen Verteilungsanlagen dem neuen Konzessionsnehmer zu überlassen. Unklar in diesem Zusammenhang ist, ob dieser Überlassungsanspruch eine Eigentumsübertragung verlangt oder ob eine bloße Besitzrechtsverschaffung – etwa in Form eines Pachtmodells – ausreicht. Diese Streitfrage lässt der Leitfaden ausdrücklich – im Sinne eines „offenen Dissens“ zwischen Bundeskartellamt und Bundesnetzagentur – unentschieden und regt eine gesetzliche Klärung an.

Schwierigkeiten in der Praxis bereitet auch die Frage nach dem Umfang des Überlassungsanspruchs, d. h. welche Verteilungsanlagen konkret zu überlassen sind (vgl. Theobald/Danner, EnWG, § 46 Rn. 30 f.). Streit entsteht insbesondere bezüglich Leitungen, die sowohl der Verteilung als übergeordneten Zwecken dienen (multifunktionale Leitungen; Britz/Hellermann/Hermes, EnWG, § 46 Rn 74.)

Maßstab für die Notwendigkeit ist dem Leitfaden zufolge die Gewährleistung der sicheren Versorgung im Gemeindegebiet (Leitfaden, Rn. 34 ff.). Eine notwendige Verteilungsanlage sei daher anzunehmen, wenn ohne sie die Versorgung bestimmter Letztverbraucher im Gemeindegebiet ausgeschlossen wäre. Demnach unterfielen auch multifunktionale Leitungen der Überlassungspflicht. Der Überlassungsanspruch umfasse in der Regel alle im Konzessionsgebiet gelegenen Anlagen des Verteilernetzes, mit Ausnahme solcher, die eindeutig überörtlichen Versorgungscharakter haben (siehe oben).

Gemäß § 46 Abs. 2 Satz 2 EnWG hat der bisherige dem zukünftigen Konzessionsnehmer die notwendigen Verteilungsanlagen gegen Zahlung einer wirtschaftlich angemessenen Vergütung zu überlassen. Der Leitfaden zieht als Maßstab für die Angemessenheit der Vergütung das sogenannte „Kaufering“-Urteil des BGH (BGH, Urt. v. 16. 11. 1999, Az. KZR 12/97) heran. Danach kann die Berechnung der wirtschaftlich angemessenen Vergütung grundsätzlich nach dem Sachzeitwert (der auf der Grundlage des Tagesneuwerts oder Wiederbeschaffungswerts unter Berücksichtigung des Alters und Zustandes ermittelte Restwert) erfolgen. Wenn der Sachzeitwert den Ertragswert jedoch nicht unerheblich übersteigt und damit eine prohibitive Wirkung für die Netzübernahme entfalten würde, ist allein auf den Ertragswert abzustellen (Leitfaden, Rn. 42 ff.; Britz/Hellermann/Hermes, EnWG, § 46 Rn. 80.). Faktisch werden so nach dem Leitfaden die Netzkaufpreise maßgeblich durch die im Rahmen der Anreizregulierung erzielbaren Erlöse und damit die dabei refinanzierbaren Kosten bestimmt (Leitfaden, Rn. 45). Offen lässt der Leitfaden allerdings, ob hierbei potenzielle Synergien des bisherigen Netzbetreibers oder eines neuen Netzbetreibers zu berücksichtigen sind oder ob – umgekehrt – ein ineffizienterer Netzbetrieb einen geringeren Kaufpreis rechtfertigen würde.

Im Zusammenhang mit der Neuvergabe der Konzession und der dafür erforderlichen Kaufpreisbestimmung besteht ein Bedürfnis der Gemeinde, gewisse Daten über das jeweilige Netz vom Alt-Konzessionär zu erlangen. Insoweit besteht derzeit Uneinigkeit, in welchem Umfang und zu welchem Zeitpunkt ein Auskunftsanspruch für die Gemeinde im Zuge der EnWG-Novelle eingeführt werden soll.

Bewertung des Leitfadens

Insgesamt wird der Leitfaden in der Branche eher kritisch gesehen. Dies wird zum einen damit begründet, dass die handelnden Akteure bei der Ausarbeitung nicht einbezogen worden sind. Zum anderen wird beanstandet, dass der Leitfaden eine behördliche Meinungsäußerung sei, für die letztlich keine gesetzliche Grundlage bestehe. So entfalte er zwar keinerlei Rechtswirkung, stelle aber – in Form der erwarteten und beabsichtigten Nutzung als Orientierungshilfe – eine unzulässige Einflussnahme dar.

Eigener Leitfaden der Energiebranche

Die Energiebranche hat bereits am 09.09.2010 über den BDEW einen eigenen Leitfaden „Konzessionsverträge und Konzessionsabgaben in der Strom- und Gasversorgung“ veröffentlicht und stellt damit eine alternative Hilfestellung zur Verfügung.

 

Karin Naujok

Rechtsanwältin, White & Case LLP, Düsseldorf
 

Dr. Tobias Woltering

Rechtsanwalt, White & Case LLP, Düsseldorf
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