15.04.2011

Arbeitnehmerüberlassung – Quo vadis?

Straffere Reglementierung der Leiharbeit betrifft auch öffentliche Hand

Arbeitnehmerüberlassung – Quo vadis?

Straffere Reglementierung der Leiharbeit betrifft auch öffentliche Hand

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit muss auch in der Öffentlichen Verwaltung gelten. | © DeVIce - Fotolia
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit muss auch in der Öffentlichen Verwaltung gelten. | © DeVIce - Fotolia

Der Einsatz von Leiharbeitnehmern ist für viele Unternehmen ein wichtiges Instrument, um flexibel auf Nachfragespitzen und Auftragsflauten reagieren zu können. Die Zeitarbeitsbranche erweist sich nach der Wirtschaftskrise als „Jobmaschine“. Fast eine Million Leiharbeitnehmer sind in Deutschland beschäftigt. Gleichzeitig bleibt Leiharbeit sozialpolitisch umstritten. Kritiker werfen Unternehmen „Lohndumping“ vor und fordern „gleichen Lohn für gleiche Arbeit“. Nach einer Phase der Deregulierung unter der Regierung Schröder steht jetzt wieder eine straffere Reglementierung der Arbeitnehmerüberlassung bevor.

Reform des AÜG beschlossen

Der Bundestag hat ein Gesetz zur Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) beschlossen. Mit den Änderungen sollen noch in diesem Jahr Vorgaben der europäischen Leiharbeitsrichtlinie umgesetzt und Missbrauch der Arbeitnehmerüberlassung unterbunden werden. Die bevorstehenden Änderungen betreffen jedoch nicht nur die Privatwirtschaft, sondern auch Personalgestellungen der öffentlichen Hand, insbesondere im Zusammenhang mit Privatisierungen.

Erlaubnispflicht wird erweitert

Bislang benötigen nur Verleiher, die Arbeitnehmerüberlassung gewerbsmäßig, d. h. mit Gewinnerzielungsabsicht, betreiben, eine behördliche Erlaubnis. Konzerninterne Personalführungsgesellschaften, Unternehmen der öffentlichen Hand und gemeinnützige Unternehmen, die ihr Personal auf Selbstkostenbasis gestellen, können dies noch ohne Erlaubnis tun. Künftig wird jede Arbeitnehmerüberlassung im Rahmen der „wirtschaftlichen Tätigkeit“ eines Unternehmens erlaubnispflichtig. Auf eine Gewinnerzielungsabsicht kommt es nicht mehr an. Die Än- derung betrifft insbesondere reine Personalführungsgesellschaften und Personalgestellungsmodelle der öffentlichen Hand. Auch gemeinnützige Werkstätten für behinderte Menschen und Integrationsprojekte gelangen in den Anwendungsbereich des AÜG, sofern behinderte Menschen als Arbeitnehmer in einem Integrationsprojekt beschäftigt sind; die bloße Beschäftigung im Rahmen einer Rehabilitation ist von der Rechtsänderung nicht betroffen.


Hat ein Verleiher die erforderliche Erlaubnis nicht, sind seine Verträge mit Leiharbeitnehmern und Entleihern unwirksam. Ver- und Entleiher handeln ordnungswidrig. Die im Betrieb des Entleihers eingesetzten Leiharbeitnehmer werden kraft Gesetzes zu Arbeitnehmern des Entleihers.

Einsatz beim Entleiher nur noch vorübergehend möglich

Das AÜG bestimmte bislang keine zeitliche Obergrenze für die Überlassung eines Leiharbeitnehmers. In der neuen Fassung heißt es nunmehr, dass die Überlassung nur „vorübergehend“ erfolgt. Nach der Gesetzesbegründung handelt es sich um eine Klarstellung mit Rücksicht auf die Begriffsdefinitionen in der europäischen Leiharbeitsrichtlinie.

In der Praxis werden Leiharbeitnehmer nicht selten über Jahre hinweg bei demselben Entleiher eingesetzt. Insbesondere Personalgestellungen im Rahmen einer Privatisierung sind oft auf lange Zeit – um nicht zu sagen auf Dauer – angelegt. Ob die Bundesagentur für Arbeit und die Arbeitsgerichte den Begriff „vorübergehend“ künftig eng auslegen werden oder eine theoretisch mögliche Rückkehr des gestellten Personals zum Vertragsarbeitgeber genügen lassen, bleibt abzuwarten. Unklar ist auch, welche Rechtsfolgen an eine nicht nur vorübergehende Überlassung geknüpft werden. Das Gesetz enthält hierzu keine ausdrückliche Regelung. Ein kraft Gesetzes entstehendes Arbeitsverhältnis zwischen einem gestellten Arbeitnehmer und dem Entleiher widerspräche bei typischen Personalgestellungsmodellen den Interessen aller Beteiligten, auch der Arbeitnehmer.

Konzernprivileg wird eingeschränkt

Nach geltender Rechtslage sind die Regelungen des AÜG nicht anzuwenden auf Arbeitnehmerüberlassung zwischen Konzernunternehmen, wenn der Leiharbeitnehmer seine Arbeit „vorübergehend“ nicht bei seinem Vertragsarbeitgeber leistet. Künftig wird Arbeitnehmerüberlassung per se als „vorübergehend“ definiert; dieses Merkmal kann deshalb nicht mehr das entscheidende Abgrenzungskriterium für das Konzernprivileg sein. In der neuen Fassung des AÜG erstreckt sich das Konzernprivileg ausschließlich auf die Überlassung von Arbeitnehmern, die nicht zum Zwecke der Überlassung eingestellt und beschäftigt werden. Nach der Begründung des Gesetzes kommt es nicht allein auf den bei Abschluss des Arbeitsvertrags festgelegten Leistungsinhalt an, sondern auch darauf, dass die Arbeitnehmer später nicht zum Zwecke der Überlassung beschäftigt werden. Für Arbeitnehmerüberlassung durch Personalführungsgesellschaften und auf Dauer angelegte Personalgestellungsmodelle entfällt somit das Konzernprivileg.

Equal-Pay-Prinzip wird ausgeweitet

Grundsätzlich hat ein Leiharbeitnehmer ab dem ersten Tag der Überlassung Anspruch auf das gleiche Arbeitsentgelt und die gleichen sonstigen wesentlichen Arbeitsbedingungen wie vergleichbare Arbeitnehmer aus der Stammbelegschaft des Entleihers. Höchstrichterlich nicht entschieden war bislang die Frage, ob dieser Gleichstellungsgrundsatz nur für die gewerbsmäßige oder auch die nicht gewerbsmäßige Überlassung gilt. Da es nach der Neuregelung auf diese Unterscheidung nicht mehr ankommen wird, erstreckt sich der Gleichstellungsgrundsatz auf jede Form der Arbeitnehmerüberlassung.

Die Möglichkeit, durch tarifliche Regelungen vom Equal-Pay-Prinzip abzuweichen, bleibt mit folgender Einschränkung erhalten: Leiharbeitnehmer, die in den letzten sechs Monaten vor der Überlassung an den Entleiher aus einem Arbeitsverhältnis bei diesem oder einem anderen Unternehmen desselben Konzerns ausgeschieden sind, haben stets einen Anspruch auf Gleichstellung.

Diese Regelung ist eine Reaktion auf den „Drehtür-Effekt“ im Fall Schlecker. Bis dato muss ein Leiharbeitnehmer Equal-Pay vom Verleiher verlangen. In Zukunft wird der Verleiher auch ohne Verlangen des Leiharbeitnehmers zur Gleichstellung verpflichtet. Ein Verstoß gegen diese Pflicht kann als Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeld in Höhe von bis zu 25.000 Euro geahndet werden.

Pflichten des Entleihers

Künftig müssen Entleiher die Leiharbeitnehmer über Arbeitsplätze, die im Unternehmen besetzt werden sollen, informieren. Die Information kann durch allgemeine Bekanntgabe an geeigneter, dem Leiharbeitnehmer zugänglicher Stelle im Betrieb des Entleihers erfolgen, z. B. am Schwarzen Brett. Eine Verletzung dieser Informationspflicht kann als Ordnungswidrigkeit mit Geldbuße bis zu 2.500 Euro geahndet werden. Das Reformgesetz sieht vor, dass der Entleiher einem Leiharbeitnehmer Zugang zu Gemeinschaftseinrichtungen und -diensten im Unternehmen zu den gleichen Bedingungen gewähren muss wie vergleichbaren Mitarbeitern der Stammbelegschaft. Hier kann es z. B. um Kinderbetreuungseinrichtungen, Gemeinschaftsverpflegung und Transportdienste gehen. Bei Pflichtverletzung handelt er ordnungswidrig.

Gesetzlicher Mindestlohn

Bund und Länder haben sich darauf verständigt, einen Mindestlohn für die gesamte Zeitarbeitsbranche einzuführen. Basis soll der jeweilige tarifliche Mindestlohn sein. Das sind derzeit 7,59 Euro in den alten und 6,65 Euro in den neuen Bundesländern. Der Mindestlohn soll bereits am 1. Mai 2011 in Kraft treten und vor Dumpinglöhnen für Leiharbeitnehmer aus Ost- und Mitteleuropa schützen, die ab 1. Mai 2011 Freizügigkeit genießen.

Fazit

Konzernverbundene, öffentliche und gemeinnützige Unternehmen, die Arbeitnehmerüberlassung nicht gewerbsmäßig, sondern auf Selbstkostenbasis betreiben, benötigen künftig eine Erlaubnis der Bundesagentur für Arbeit. Das Equal-Pay-Prinzip wird gestärkt. Entleiher müssen über offene Stellen informieren und Gemeinschaftseinrichtungen und -dienste für Leiharbeitnehmer öffnen. Ein gesetzlicher Mindestlohn soll vor Lohndumping infolge der Arbeitnehmerfreizügigkeit für Ost- und Mitteleuropäer schützen. Unklar ist, wann der Einsatz eines Leiharbeitnehmers von einer vorübergehenden in eine dauerhafte Überlassung umschlägt und welche Rechtsfolgen daraus entstehen.

 

Ralf-Dietrich Tiesler

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht bei Menold Bezler
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