15.04.2011

Kommunale Handlungsfähigkeit stärken

Kommunale Handlungsfähigkeit stärken

Wirkungsnetz-Organisation: In einer komplexen Umwelt muss die Verwaltung Zusammnehänge erkennen und nutzen. | © Foto-Ruhrgebiet - Fotolia
Wirkungsnetz-Organisation: In einer komplexen Umwelt muss die Verwaltung Zusammnehänge erkennen und nutzen. | © Foto-Ruhrgebiet - Fotolia

Wirtschaftskraft und Wohlstand – eine zweifelhafte (kommunale) Partnerschaft

Wirtschaftskraft und daraus abgeleiteter Wohlstand haben zu einem über Jahrzehnte verfestigten Anspruch auf ständig bessere Arbeits- und Lebensstandards geführt. Dieser Anspruch lässt sich in kontinuierlichen Wachstumsphasen sicher erfüllen. Finanzstarke Kommunen setzen diesen „Wohlstandsweg“ auch weiterhin oft unbekümmert und geradlinig fort. Anderen Kommunen, denen weniger investive Rücklagen für kommunale Projekte zur Verfügung stehen, bleibt nicht selten nur der Ausweg in die Inanspruchnahme von Bankkrediten, den Verkauf von Eigentum oder den Verkauf mit Rückmietung (CBL = Cross Border Leasing). Bei genauer Analyse lokaler und globaler Handlungsfelder zeigen sich aber sehr schnell die Grenzen dieser gängigen Verfahrensweise. Wie konnte es überhaupt dazu kommen?

Die klassischen hierarchischen Organisationsstrukturen

Klassische hierarchische Organisationsstrukturen und -abläufe in öffentlichen Verwaltungen spielen hierbei nicht selten eine entscheidende Rolle. Aus sachlich getrennten Arbeitsreferaten heraus werden – teils aufgabenübergreifend und nach einem Kompromiss suchend – Lösungen für spezifische kommunale Probleme erarbeitet. Diese werden – im Vorfeld praktischer Realisierung – kaum einer ganzheitlichen Qualitäts- und Quantitätskontrolle unterzogen. Zum Beispiel werden Aufgaben aus dem Sozialen Wohnungsbau so gut wie nie mit natürlichen, infrastrukturellen, kulturellen und weiteren kommunalen Einflüssen netzwerkartig verknüpft. Und doch sind diese in unterschiedlichen Rückkopplungen und Stärken vorhanden!

Unstreitig ist, dass auch für die Kommunen, die sich in einer komplex vernetzten Umwelt bewegen, gilt: Lösungen, die aus einer Analyse netzwerkartiger Verknüpfungen kommunaler – real vorhandener – Einflussgrößen resultieren, beugen Folge-Problemen vor. Kausale oder monokausale Schlussfolgerungen mit linearen Wenn-Dann-Lösungen vergrößern die Probleme dagegen. Zum Beispiel: Wenn der Innenstadtverkehr die Luft stark belastet, dann wird eine Umweltzone eingerichtet (Küppers, Umweltzone Hansestadt Bremen, kybernetische Lösung, präsentiert am 03. 11. 2009 vor Mitgliedern der Bremischen Bürgerschaft [unveröffentlicht]).


Trotz aller unterstützenden Messungen für Luftqualität etc. treibt diese kausale Logik die Investitionen unter Umständen in eine Richtung mit fragwürdigen kurzfristigen Vorteilen – aber sicher auch zu zeitversetzten belastenden Folgekosten für den kommunalen Haushalt. Beispielsweise führen wenig ganzheitlich durchdachte Geschwindigkeitsbegrenzungen an sogenannten Ausfallstraßen, zumal mit starkem Güterverkehr, zu lokal höheren Schadstoff- und Lärmbelastungen, was wiederum die Gesundheit von Kindern und Erwachsenen als Bewohner der Ausfallstraße angreift, die unter Umständen medizinische Hilfe benötigen usw.; wobei doch eigentlich durch die „Umweltzone“ Luftschadstoffe – auch Lärm – reduziert werden sollen. Hierbei können – systemisch kaum überraschende – Folgekosten unter Umständen die Bürger und den Haushalt mehr belasten als entlasten, weil sie den kurzfristigen Zielen der Umweltzone entgegenwirken. Dies ist nicht unbedingt im Sinne eines effizienten „Controlling“.

Kontinuierliches quantitatives Wachstum ist kein Naturgesetz

Generell gilt: Kontinuierliches quantitatives Wachstum ist kein Naturgesetz! – Kontinuierliche Einnahmenüberschüsse kommunaler Haushalte sind es ebenso wenig. Und erst recht können aus lokal unvernetzten kommunalen Erfolgsinvestitionen, mögen sie auch noch so lange anhalten, keine Beweise für die dauerhafte Stärkung des komplexen Geschehens einer Kommune als Ganzes abgeleitet werden.

Kommunale Strukturen und darin verlaufende grundlegende „Flüsse“ bilden immer eine komplexe dynamische Einheit. Dazu zählen:

– Materialien (Baustoffe, Konsumgüter, Wohnungseinrichtungen, Verkehrsmittel, Maschinen, Werkzeuge etc.)
– Energien (verschiedene Energieträger und ihre verlustbehafteten Wandlungsprozesse mit Begleitumständen wie Energieautarkie, Reparaturen, Brandgefahren, Sicherheit, Gesundheitsgefahren etc.) und
– Informationen (Daten-, Informations- und Wissensnetze, zwischenmenschliche Kommunikation, Bibliotheken, kommunikative Dienstleistungen etc.)

Starke Einengung des Handlungsspielraums durch Nothaushalte

Zwischen Gemeinden, Städten, Regionen und Ländern sind zwar – hoheitlich und regierungsverantwortlich betrachtet – Grenzen gezogen. Aber andererseits sind Kommunen grundsätzlich immer offene Gemeinwesen, die durch natürliche, gesellschaftliche, interkommunale und hierarchisch übergeordnete externe Einflüsse beeinflusst werden, die jeweils mehr oder weniger mit Kosten für die Kommune verbunden sind. In den letzten 2 – 3 Jahren haben zahlreiche Kommunen und deren Kämmerer vermehrt mit Nothaushalten zu kämpfen. Die Folgen sind starke Einengungen ihrer eigenständigen Handlungsspielräume. Hier zeigen sich deutlich die Grenzen linearer, jährlich fortgeschriebener Kostenpositionen im Haushalt. Deren wechselseitige Beeinflussbarkeit wird kaum systemisch vernetzt auf Kostenwirksamkeit und Kosteneffizienz analysiert.

Daran ändert auch das neue eingeführte Kosteninstrument Doppik wenig, weil es weitgehend auf dieselben zeit- und kostenaufwendigen Strukturen in öffentlichen Verwaltungen aufbaut wie die über Jahrzehnte genutzte Kameralistik. Wenn Kommunen aus ihrer momentan belastenden Situation heraus erkennen, dass sie nicht nur Teile eines Raumbereiches politischer verwaltungstechnischer Grenzziehungen sind, sondern immer Teile einer dynamisch vernetzten Umwelt mit offenen Grenzen, dann führt der Weg kommunaler effizienter Verwaltungsstrukturen automatisch in Richtung einer adaptiven Wirkungsnetz-Organisation. Deren Ziel ist die Stärkung der Handlungsfähigkeit und Überlebensfähigkeit der Kommune. Dieses wird erfüllt durch realistische systemische Planung und Problemlösung, achtsame Strategien zu Fehlervermeidungen sowie fehlertolerante Folgen.

Kommunikationsmethode der Syntegration

Hier erscheint es angebracht, auf die Kommunikations-Methode der Syntegration (Beer, Kybernetik und Management, 3. erw. Aufl., 1967) hinzuweisen, die z. B. die Stadt Fürth (Ammon, Das Ressortdenken überwinden, Der Neue Kämmerer 01/ Feb. 2011, 6) zum geplanten Schuldenabbau nutzt. Im Kern wird eine Ziel-Aufgabe (Haushaltsdefizit ausgleichen) gestellt, Vorschläge zur Aufgabenlösung werden in wechselnd besetzten Sitzungen generiert. Kritisch anzumerken ist: Lösungen nach dieser Methode sind rein kommunikativ und vom speziellen Fachwissen des Personals gesteuert. Keineswegs werden jedoch überholte Organisationsstrukturen abgebaut, keineswegs Problemvorsorge im Sinne hoher Achtsamkeit getroffen, keineswegs funktionale wirkungsorientierte Vernetztheit optimiert und keineswegs werden Folgekosten zu vermeiden versucht!

Das macht diese Methode zwar partiell kurzfristig wirksam, aber ganzheitlich und nachhaltig gesehen untauglich für die Erfassung der wirklichen Problemzusammenhänge in der Kommune. Folgen sind nach wie vor vorprogrammiert, kostenaufwendige Überraschungen ebenso! Eine realitäts-nahe rückgekoppelte Vernetzung der Aufgabenbereiche innerhalb kommunaler Hierarchien findet nicht statt. Die unweigerliche Konsequenz daraus ist das Anwachsen zeitversetzter Folgekosten (Schulden, Kredite, Einnahmenrückgänge, Reparaturkosten etc.) und (scheinbar) überraschender Ereignisse (Steuerreduzierung bzw. Zuschusswegfall aus übergeordneten Stellen, Weltfinanzkrise etc.). Nicht selten wirken auch selbstverursachte Fehler (u. a. CBL-Verträge) daran mit. Das Instrument des linear wirkenden „Controlling“ mit dem Ziel, die Haushaltsschulden in komplexer Umwelt nachhaltig lösen zu wollen, lässt das Unterfangen zu einer Sisyphusarbeit werden. Die von Kämmerern oft benutzte Methode zur Problemlösung „Handeln durch Vereinfachung bzw. Linearisierung von komplexen Zusammenhängen“ ist exakt der richtige Weg, noch mehr Folgeprobleme zu erzeugen.

Wirkungsnetz-Organisation mit nachhaltiger Handlungsstärke: Zusammenhänge erkennen und nutzen

Systemisches „Controlling“ innerhalb einer wirkungsnetzstrukturierten Organisation ist demgegenüber der Garant dafür, die Wirklichkeit einer Kommune, das heißt die tatsächlich vorhandenen Verknüpfungen von Vorgängen materieller und immaterieller Art zwischen sozialen, wirtschaftlichen kulturellen, natürlichen und anderen Aktivitäten zu erkennen und ganzheitlich bewerten zu können: Kalkulierter Wohnungsleerstand wird beispielsweise nicht nur durch im Bauamt tätiges Fachpersonal kontrolliert, stoffliche Entsorgungsprozesse privater Haushalte werden nicht ausschließlich durch behördlich bewilligte, zunehmende Zahl farbiger Abfall(?)-Tonnen gesteuert! Bei diesen beispielhaft genannten kommunalen Problembereichen führt das gewohnte monokausale Denken und Handeln nur zu noch mehr Konflikten in der Kommune. Im systemischen „Controlling“ werden stattdessen die – immer vorhandenen – rückgekoppelten Beziehungen analysiert. Stärken und Schwächen der Einflüsse untereinander werden qualitativ und quantitativ bewertet. In einem kommunalen Gewerbegebiet können z. B. gezielt Unternehmen, Zulieferer, Handwerksbetriebe, Freiberufler, Konsumdienstleister und andere eine symbiotische Gemeinschaft bilden, die selbstorganisiert bisher getrennte und zu entsorgende „Abfallstoffe“ als wiederverwertbare Rohstoffe nutzt, energetische Strom- und Wärmeverbünde schafft und auf diese Weise für die Kommune Energie spart, neue Wege branchenübergreifender Weiterbildung beschreitet und vieles mehr.

Nur wenn diese rückgekoppelten bislang unbeachteten Wirkungsbeziehungen konsequent erfasst werden, wird es möglich sein, die gewachsenen Probleme einer Kommune Schritt für Schritt zu reduzieren und zukünftigen Problemen vorbeugend entgegenzuwirken. Hierbei ist ein wesentliches Element der Wirkungsnetz-Organisation die Hochachtsamkeit gegenüber kleinsten und kleinen scheinbar nebensächlichen oder unbedeutenden Fehlern.

Anmerkung der Redaktion: Eine ausführlichere Beschreibung der wirkungsnetzorientierten Organisationsstrategie lesen Sie in der Mai-Ausgabe 2011 der Zeitschrift „Ausbildung/Prüfung/Fachpraxis“.

 

Dr.-Ing. E. W. Udo Küppers

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