15.04.2011

Riskante Zinswetten: „real und ruinös“

Spektakuläre Grundsatzentscheidung des BGH zu Zinsswap-Geschäften

Riskante Zinswetten: „real und ruinös“

Spektakuläre Grundsatzentscheidung des BGH zu Zinsswap-Geschäften

Rettunsgring für die Kunden: BGH normiert strenge Beratungspflichten der Banken. | © mipan - Fotolia
Rettunsgring für die Kunden: BGH normiert strenge Beratungspflichten der Banken. | © mipan - Fotolia

Aufatmen bei einer Vielzahl von privaten Anlegern, aber auch und gerade bei Kommunen und kommunalen Unternehmen: Der XI. (Banken-)Senat des Bundesgerichtshofs hat die Deutsche Bank am 22. 03. 2011 in einer spektakulär zu nennenden Grundsatzentscheidung zur Zahlung von Schadensersatz wegen der Verletzung von Beratungspflichten beim Abschluss von Zinsswap-Geschäften verurteilt (Az.: XI ZR 33/10 – www.bundesgerichtshof.de/pressemitteilungen).

Betrifft „CMS Spread Ladder Swap“ und vergleichbare Derivate

Zwar liegen die schriftlichen Entscheidungsgründe noch nicht vor; aus der am gleichen Tage herausgegebenen Pressemitteilung geht aber bereits klar hervor, dass Dreh- und Angelpunkt dieses neuen, anlegerfreundlichen Urteils des Bankensenats der unterlassene Hinweis der Bank auf den negativen Marktwert in Höhe von ca. 4 % der Bezugssumme ist, den das Zinsswap-Geschäft zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu Lasten der dortigen Klägerin aufwies.

Dabei handelt es sich auch nicht etwa um eine individuelle Variante der konkret streitbefangenen, derivativen Anlage, sondern vielmehr um ein Strukturmerkmal des „CMS Spread Ladder Swap“, dessen komplizierter Mechanismus bereits in PUBLICUS 3/2010, S. 6 („Kommunale Derivatgeschäfte vor Gericht“) und jetzt auch noch einmal in der Pressemitteilung zu dem BGH-Urteil vom 22. 03. 2011 beschrieben worden ist. Das daraus für den Anleger – nicht aber für die Bank – resultierende Verlustrisiko ist, so der BGH, nicht nur ein „theoretisches“, sondern kann „real und ruinös“ sein. Das trifft, um dies gleich klarzustellen, nicht etwa für sämtliche Formen von Zinsswap-Geschäften zu, bei denen ein variabler Zinssatz gegen einen festen Zinssatz getauscht wird, sondern nur für den „CMS Spread Ladder Swap“ und vergleichbare Derivate.


Da sich jedoch nicht nur die Deutsche Bank, sondern auch etwa die West LB oder die amerikanische Großbank J.P. Morgan nachhaltigst in diesem hochspekulativen Anlagebereich betätigt haben, drohen auch diesen Banken jetzt Rückzahlungs- und Schadensersatzansprüche in noch unabsehbarer Höhe.

Aufklärungsbedürftig: schwerwiegender Interessenkonflikt der Bank

Zurück zu dem aktuellen BGH-Urteil: Der von der beklagten Bank, so der BGH, bewusst strukturierte negative Marktwert sei „Ausdruck eines schwerwiegenden Interessenkonfliktes“, weil sich für die Bank die Eingehung der „Zinswette“ mit ihrem Kunden nur dann als günstig erweise, wenn ihr Vertragspartner Verluste erleide, sie, die Bank, als Beraterin ihres Kunden jedoch gleichzeitig verpflichtet sei, dessen Interessen zu wahren. Über diesen Interessenkonflikt hätte die Bank die Klägerin insbesondere deshalb aufklären müssen, weil sie das „bewusst zu Lasten der Anlegerin“ gestaltete Risiko unmittelbar nach Abschluss des Vertrages gewinnbringend durch „Hedge-Geschäfte“ an andere Marktteilnehmer weiterveräußert habe. Die Deutsche Bank ist deshalb dazu verurteilt worden, den ihrer Kundin deswegen in beachtlicher Höhe entstandenen Zinsverlust zu erstatten.

In einer ersten Reaktion ist die Entscheidung des BGH vom 22. 03. 2011 von der F.A.Z. (Ausgabe vom 23. 03. 2011, S. 9) als „hanebüchen“ bezeichnet worden. Verantwortlich dafür und zugleich ein „Konstruktionsfehler“ sei die Rechtsprechung zu den ungeschriebenen oder konkludenten Beratungsverträgen zwischen Bank und Bankkunden bei Abschluss von Bankgeschäften.

Allerdings werden auch solche deftigen Kommentare das Rad dieser Rechtsprechungs-Entwicklung nicht mehr zurückdrehen können. Gleichzeitig ist zu berücksichtigen, dass der BGH in seinem aktuellen Urteil vom 22. 03. 2011 nicht nur den unterlassenen Hinweis auf den anfänglichen negativen Marktwert des Anlageprodukts, sondern in diesem Zusammenhang auch noch die Verletzung weiterer Beratungspflichten in den Raum gestellt hat (ohne sie letztlich entscheidungstragend werden zu lassen). Nämlich zum einen die Verletzung der Pflicht, bei der Anlageberatung vor Abgabe der Empfehlung die Risikobereitschaft des Anlegers zu erfragen, die auch nicht allein aus dessen beruflicher Qualifikation gefolgert werden könne (Erfordernis der anlegergerechten Beratung); und zum anderen die Verletzung der Pflicht zu einer verständlichen und nicht verharmlosenden „Risikodarstellung des Anlageprodukts“ (Erfordernis der anlageobjektgerechten Beratung), wobei dem Kunden klar vor Augen geführt werden müsse, dass das nach oben nicht begrenzte Verlustrisiko für ihn „real und ruinös“ sein könne, während die ihn beratende Bank ihr Verlustrisiko von vornherein durch eine entsprechende Gestaltung des Zinsswap-Geschäftes eng begrenzt habe.

Strenge und umfassende Beratungspflichten

Es spricht einiges dafür, dass weder die Deutsche Bank noch sonstige Bankinstitute, die Zinsswap-Geschäfte der hier interessierenden Art abgeschlossen haben, in der Lage sein werden, den Nachweis zu führen, dass sie ihren danach sehr strengen und umfassenden Beratungspflichten sämtlich nachgekommen sind, insbesondere auch über den negativen Ausgangswert des „CMS Spread Ladder Swap“ aufgeklärt haben. Das sind gute Nachrichten für diejenigen, die sich bereits in Rechtsstreitigkeiten wegen solcher Zinsswap-Geschäfte befinden, vor einem entsprechenden Gerichtsgang stehen oder sich auch nur fragen, ob sie diese Geschäfte nicht (jetzt) rückgängig machen sollten. Für diejenigen hingegen, wie etwa die Stadt Hagen, die sich lt. Pressemeldungen (vgl. www.derwesten.de/Lokales/Hagen) bei einem Verlust von ca. 50 Mio. Euro, der aus Zinsswap-Geschäften mit der Deutschen Bank resultierte, mit einem Vergleichsbetrag in Höhe von € 5 Mio. „abspeisen“ ließ, dürfte die Entscheidung des BGH vom 22. 03. 2011 jedoch zu spät kommen – es sei denn, sie können sich im Nachhinein noch darauf berufen, den von ihnen abgeschlossenen Zinsswap-Geschäften bzw. den deswegen abgeschlossenen Gerichtsvergleichen stünden kommunalverfassungsrechtliche Nichtigkeitsgründe („Spekulationsverbot“ bzw. „ultra-vires-Doktrin“, vgl. erneut PUBLICUS 3/2010) entgegen. Für die Gerichtsverfahren, die von Kommunen gegen „CMS Spread Ladder Swaps“ oder vergleichbare Derivate aktuell geführt oder noch anhängig gemacht werden, kann jedoch prognostiziert werden, dass die damit befassten Zivilgerichte – wie bereits das OLG Stuttgart, auf die Klage eines oberschwäbischen Abwasserverbands, vgl. Urt. v. 27. 10. 2010, WM 2010, 2169 – jetzt erst recht dazu tendieren werden, diese Fälle vorrangig über eine Verletzung von Beratungspflichten zu lösen und das ihnen ohnehin nicht so vertraute Kommunalverfassungsrecht außen vor zu lassen.

Darüber hinaus wäre noch Folgendes zu berücksichtigen: Dem etwaigen Einwand einer Verjährung der Schadensersatzansprüche nach § 37 a WPHG (a.F.) kann aufgrund der Formulierung in dem hier besprochenen, aktuellen BGH-Urteil vom 22. 03. 2011, die Bank habe die Risikostruktur des Anlagegeschäfts „bewusst zu Lasten des Anlegers gestaltet“, möglicherweise das Vorliegen einer vorsätzlich begangenen Straftat (Untreue, Betrug) entgegengehalten werden, was zu der Erstreckung der Verjährung nach Maßgabe des Deliktsrechts (§ 852 BGB a.F.) führen würde. In diesem Sinne hat sich ganz aktuell der Bankensenat des OLG Stuttgart zur Verjährung von Schadensersatzansprüchen wegen unterbliebener Aufklärung über Rückvergütungen („Kickback“) bei der Anlageberatung im Zusammenhang mit Finanzkommissionsgeschäften artikuliert (Urt. v. 16. 03. 2011 – 9 U 129/10, www.olgstuttgart.de/Entscheidungen = juris).

Anmerkung der Redaktion: Siehe hierzu auch den Beitrag von Prof. Dr. Heinz-Dieter Assmann in Deutscher AnwaltSpiegel 7/2011, S. 3 (www.deutscher-anwaltspiegel.de).

 

Prof. Dr. Christian Kirchberg

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Karlsruhe
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