15.04.2011

Gender-Ranking deutscher Großstädte

Politische Unterrepräsentanz von Frauen in der Kommunalpolitik

Gender-Ranking deutscher Großstädte

Politische Unterrepräsentanz von Frauen in der Kommunalpolitik

Gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil sind Frauen in der Kommunalpolitik nach wie vor unterrepräsentiert. | © ernsthermann - Fotolia
Gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil sind Frauen in der Kommunalpolitik nach wie vor unterrepräsentiert. | © ernsthermann - Fotolia

Wenn im internationalen Vergleich eine angemessene Frauenrepräsentanz in der Politik als Indikator für Modernität gilt, dann leidet die deutsche Parteienlandschaft offensichtlich unter einem Modernisierungsrückstand.

Folgt man den gängigen Erklärungsfaktoren für politische Unterrepräsentanz von Frauen in den Parlamenten im Allgemeinen, dann wird diese vor allem mit der Situation der Frauen selbst, ihrer geschlechtsspezifischen Sozialisation und der Arbeitsteilung begründet. Der Abbau der Unterrepräsentanz wird danach ein langfristiges Projekt, das zunächst auf gesellschaftliche Lern- und Wandlungsprozesse setzt, die mehr gleichberechtigte Teilhabe zunächst in jede Familie bzw. in jeden Haushalt bringen. Durchaus erklärungsbedürftig ist allerdings die Frage, wie es nach der hier vorgestellten Studie der Partei Bündnis 90/Die Grünen bundesweit bei „nur“ ca. 16.000 weiblichen Mitgliedern gelingt, ihre Mandate und Ämter weitgehend paritätisch zu besetzen, während es weder die SPD (ca. 170.000 weibliche Parteimitglieder) noch die CDU (ca. 140.000 weibliche Parteimitglieder) schaffen. Wenig Erklärungssubstanz liefern die Parteien selbst, wenn sie immer wieder auf unzureichend politisch interessierte und motivierte Frauen für die Räte in den Kommunen und für politische Führungsfunktionen verweisen. Ausgangshypothese dieser Studie ist hingegen, dass die Parteien die zentralen Weichensteller für politische Karrieren sind. In der Studie richtet sich der Blick primär auf die Quotenparteien SPD (40 %), Bündnis 90/Die Grünen (50 %) und Die Linke (50 %) sowie auf die CDU mit ihrem empfohlenen Quorum von 33,3 %. Dabei liegt der Fokus auf den deutschen Großstädten.

Frauenrepräsentanz in den Großstadtparlamenten

Unserer These zufolge ist es vor allem für Großstädte unwahrscheinlich, dass sich hier Frauen nicht in ausreichendem Maße für die kommunalen Räte finden lassen, so wie es die Parteien immer wieder behaupten. Hier zumindest könnte man am ehesten annehmen, dass sich rein statistisch betrachtet und bei entsprechender Ansprache seitens der Parteien genügend Frauen (unter mehreren 10.000 Einwohnerinnen) interessieren und motivieren lassen.


Ein Zeitreihenvergleich zwischen den Jahren 1980 und 2010 zur Entwicklung der Frauenrepräsentanz in deutschen Großstädten zeigt zunächst einen kontinuierlichen Anstieg bis ca. Mitte der 1990er Jahre. Im dann folgenden Jahrzehnt bis heute allerdings stagniert die Frauenrepräsentanz in den Räten bei ca. einem Drittel.

Abbildung 1: Entwicklung der Frauenrepräsentanz in westdeutschen
Großstadtparlamenten

Schauen wir auf den sprunghaften Anstieg der Frauen in den Räten ab den 1980er Jahren, dann sind folgende Ereignisse zu berücksichtigen: 1983: Die Grünen ziehen mit ihrer 50 %-Quote in den Bundestag. 1988: Die SPD macht sich auf dem Weg zur 40 %-Quote. 1990: Die PDS (LINKE ab 2005) beschließt ihre 50 %-Quote. 1996: Die CDU empfiehlt das Quorum (33 %).

Offensichtlich haben die Grünen die Parteien unter Anpassungsdruck gesetzt und waren im Parteienwettbewerb um vorwiegend weibliche Wählerstimmen Auslöser und Ansporn für eine Quotendebatte, dem sich selbst die CDU nicht gänzlich entziehen konnte.

Gender-Ranking deutscher Großstädte

Nach einem Superwahljahr 2009, in dem nahezu in allen deutschen Großstädten die Karten neu gemischt wurden, liegt die Frage auf der Hand, ob sich im Vergleich zu unserem ersten Gender-Ranking 2008 der Frauenanteil in der Kommunalpolitik verändert hat. Deshalb starteten wir 2010 ein zweites Gender-Ranking deutscher Großstädte. Während in anderen Ländern – wie Norwegen – dieser Vergleich schon eine lange Tradition hat, um einen Wettbewerb zwischen den Kommunen zur stärkeren Berücksichtigung von Fraueninteressen zu initiieren, gibt es in Deutschland hierzu noch keine Vorbilder.

Erstes Ergebnis ist, dass Frauen durchschnittlich gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil in allen Positionen nach wie vor unterrepräsentiert sind. Je wichtiger diese Ämter in der Kommunalpolitik werden, desto stärker ist diese Unterrepräsentanz ausgeprägt. Aber damit nicht genug: die aktuellen Zahlen belegen, dass der Frauenanteil in politischen Spitzenpositionen seit 2008 z. T. deutlich gesunken ist. Stagniert der Frauenanteil unter allen Ratsmitgliedern in deutschen Großstädten bei ca. 33 %, so sinkt ihr Anteil auf dem Oberbürgermeisterposten um 5 % auf nur noch 12,7 %.

Abbildung 2: Frauen in politischen Führungspositionen im
Vergleich

Der Frauenanteil sinkt ebenfalls bei den Ausschussvorsitzenden (von 25,9 % in 2008) auf 22,4 % und bei den Fraktionsvorsitzenden von 20,6 % auf 18,9 %. Einzig auf der Dezernentenebene zeigt sich ein positiver Saldo – hier stieg der Frauenanteil von 18,5 % auf 19,9 % in 2010.

Der interkommunale Vergleich

Auch beim zweiten deutschen Gender-Ranking führt die Stadt Frankfurt a. M. die Tabellenspitze der 79 deutschen Großstädte an. In Frankfurt sind 40 % der Ratsmitglieder und der Dezernentinnen/Dezernenten weiblich. Hinzu kommt in der Wertung die Oberbürgermeisterin Petra Roth und dass 50 % der Ausschussvorsitze mit Frauen besetzt sind. Damit schneidet Frankfurt a. M. bei fast allen Positionen mit der höchsten Punktzahl ab.

Hinter Frankfurt liegen auf den Plätzen zwei bis vier Stuttgart, Münster und München. Die Stadt Stuttgart ist damit die Aufsteigerin des Jahres; sie hat sich von Platz 38 auf Platz 2 vorgearbeitet, was vor allem mit den neuen Mehrheitsverhältnissen im Rat seit der Kommunalwahl 2009 zu erklären ist. Seither sind Bündnis 90/Die Grünen mit 16 Mandaten die stärkste Fraktion mit neun Frauen und sieben Männern.

Tabellenletzte bleibt auch 2010, wie bereits im ersten Gender-Ranking 2008, die Stadt Salzgitter. Sie kommt mit der minimal möglichen Punktzahl auf den 79sten und damit letzten Platz. Im Kommunalparlament dieser Großstadt sind nur 17 % der Ratsmitglieder weiblich. Bei den Fraktionsvorsitzenden, Dezernenten, wesentlichen Ausschussvorsitzenden und auf dem Bürgermeisterstuhl ist nicht eine Frau ausfindig zu machen.

Vor Salzgitter platzieren sich Iserlohn, Duisburg und Bergisch Gladbach. Hagen, Standort der FernUniversität, erreicht Platz 75 und fiel damit um 20 Plätze zurück. Damit schneiden NRW und hier insbesondere das Ruhrgebiet besonders schlecht im Ranking ab. Das heißt, hier entscheiden weit weniger Frauen an der politischen Spitze mit als noch 2008. Unsere Ergebnisse zeigen, dass die deutschen Großstädte in weiten Teilen den Rückwärtsgang hinsichtlich der Partizipation von Frauen in politischen Spitzenpositionen eingelegt haben.

Französisches Vorbild – das Paritätsgesetz

Neben der Quote und dem (an dieser Stelle nicht weiter ausgeführten) Wahlrecht gibt es allerdings eine durchaus schnelle und konsequente Lösung, um die Frauenrepräsentanz in der Politik wirksam zu steigern: das Paritätsgesetz nach französischem Vorbild. In Frankreich müssen die Parteien zu den Kommunalwahlen 50 % Frauen auf ihren Wahllisten aufstellen, wobei sich die Quotierung auch auf die oberen Listenplätze beziehen muss. Können oder wollen die Parteien die Kandidatinnenquote nicht erfüllen, werden sie nicht zur Wahl zugelassen. Damit ist der Anreiz für die Parteien ungleich höher, Kandidatinnen aufzustellen als in Deutschland.

Waren vor dem französischen Paritätsgesetz in den Kommunen mit mehr als 3.500 Einwohner/-innen in 1995 nur 25,7 % der Kommunalparlamentarier weiblich, verdoppelte sich 2001 der Frauenanteil nahezu und blieb auch 2008 mit 48,5 % auf konstant hohem Niveau.

Insgesamt geben die Ergebnisse unserer Studie Hinweise auf die wesentlichen Schlüsselfaktoren, die die Repräsentanz von Frauen beeinflussen: So spielt z. B. die Frauen-Quote der Parteien eine wesentliche Rolle, wenn es um die Anschlussfähigkeit Deutschlands im Vergleich zu unseren europäischen Nachbarn geht.

 

Prof. Dr. Lars Holtkamp

Leiter des Lehrgebiets „Politik und Verwaltung“ am Institut für Politikwissenschaft der FernUniversität Hagen
 

Dr. Elke Wiechmann

Wissenschaftliche Angestellte im Lehrgebiet „Politik und Verwaltung“ am Institut für Politikwissenschaft der FernUniversität Hagen
n/a