12.06.2024

Verbot einer propalästinensischen Demonstration

Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg

Verbot einer propalästinensischen Demonstration

Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg

Eingriffe in die Versammlungsfreiheit sind nur zum Schutz gleichgewichtiger anderer Rechtsgüter unter strikter Wahrung der Verhältnismäßigkeit zulässig. © dddd-01 - Fotolia.com
Eingriffe in die Versammlungsfreiheit sind nur zum Schutz gleichgewichtiger anderer Rechtsgüter unter strikter Wahrung der Verhältnismäßigkeit zulässig. © dddd-01 - Fotolia.com

Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat das Verbot einer propalästinensischen Demonstration nach § 15 Abs. 1 VersG als „Ultima Ratio“ ohne den Einsatz milderer Mittel als ungerechtfertigt beurteilt.

Mit Verfügung vom 19.10.2023 hatte eine baden-württembergische Großstadt eine auf ihrem Marktplatz für den 21.10.2023 angemeldete Versammlung zum Motto „Gegen Krieg, Besatzung, Gewalt und Unterdrückung in Palästina und Israel“ verboten.

Zur Begründung hatte sie im Wesentlichen ausgeführt, dass nach § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz (VersG) die zuständige Behörde eine Versammlung oder einen Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen kann, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist.


Dabei umfasst der Begriff der öffentlichen Sicherheit den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen.

Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung

Unter Abänderung eines Beschlusses des Verwaltungsgerichts (VG) vom 20.10.2023 hatte dann der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH) am 21.10.2023 auf die Beschwerde der Veranstalterin hin festgestellt, dass ein Versammlungsverbot nicht von vornherein schon dann gerechtfertigt ist, wenn die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit in erster Linie darin besteht, dass durch die Versammlungsteilnehmer Äußerungsdelikte begangen werden oder antisemitische Parolen einen unfriedlichen Verlauf der Versammlung provozieren könnten.

In diesem Fall ist als milderes Mittel der Erlass einer Auflage zu prüfen, die das Rufen und Zeigen dieser Parolen untersagt, sofern der Veranstalter zur Unterbindung der Äußerungen willens ist.

Demzufolge wurde die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Veranstalter gegen die Verfügung der Stadt vom 19.10.2023 mit der Maßgabe wiederhergestellt, dass auf der auf dem Marktplatz angemeldeten Versammlung keine Parolen wie: „From the river to the sea“, „Israel Kindermörder“ u. a. gerufen oder gezeigt werden dürfen.

Eingriffe in die Versammlungsfreiheit

Die Versammlungsleiterin hat zudem Personen, die gröblich gegen diese Auflage verstoßen, zum Verlassen der Versammlung aufzufordern. Nach den grundsätzlichen Ausführungen des VGH sind die Tatbestandsvoraussetzungen von § 15 Abs. 1 VersG unter Beachtung der durch Art. 8 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit auszulegen.

Nach Art. 8 Abs. 2 GG kann dieses Recht für Versammlungen unter freiem Himmel durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden.

Eingriffe in die Versammlungsfreiheit sind nur zum Schutz gleichgewichtiger anderer Rechtsgüter unter strikter Wahrung der Verhältnismäßigkeit zulässig. Solche Eingriffe kommen nur dann in Betracht, wenn die öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährdet ist, d. h., wenn der von der Versammlungsbehörde anzustellenden Gefahrenprognose konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte zugrunde liegen, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben.

Beweislast liegt bei der Behörde

Bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen für sich allein dagegen nicht aus. Für die Gefahrenprognose können Ereignisse im Zusammenhang mit früheren Versammlungen als Indizien herangezogen werden, soweit sie bzgl. des Mottos, des Ortes, des Datums sowie des Teilnehmer- und Organisationskreises Ähnlichkeiten zu der geplanten Versammlung aufweisen.

Dabei liegt nach den allgemeinen Regeln des Verwaltungsrechts, die auf die Konzeption der Grundrechte als Abwehrrechte abgestimmt sind, die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von freiheitseinschränkenden Maßnahmen bei der Behörde. Von diesen Maßstäben war auch das VG zutreffend ausgegangen.

Keine Anhaltspunkte für konkrete Gefahren

Der VGH teilte jedoch nicht die Auffassung des VG, dass hier so gravierende Gefahren für die öffentliche Sicherheit bestehen, dass ein Versammlungsverbot nach § 15 Abs. 1 VersG als „Ultima Ratio“ ohne den Einsatz milderer Mittel gerechtfertigt wäre.

Der VGH verkennt dabei nicht, dass aufgrund der durch das Massaker der „Hamas“ an der israelischen Bevölkerung verursachten Eskalation des Nahostkonflikts derzeit bei propalästinensischen Demonstrationen ein sehr hohes Mobilisierungs- und Emotionalisierungspotenzial besteht und jederzeit mit einer dynamischen Veränderung der Stimmungslage der Teilnehmer zu rechnen ist.

Dies ergibt sich aus der Gefährdungsbewertung des zuständigen Polizeipräsidiums vom 18.10.2023. Gleichwohl führt auch diese Gefährdungsbewertung aus, dass konkrete gefährdungsrelevante Erkenntnisse aktuell nicht vorliegen.

Einsatz von Ordnern geplant

Auch im Übrigen sind aufgrund der Gefahrenprognose im angefochtenen Bescheid, der von der Stadt vorgelegten Unterlagen und des gesamten Akteninhalts keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass von der Versammlung Gefahren für Leib, Leben oder bedeutende Sachwerte ausgehen.

Die Veranstalterin hat glaubhaft gemacht, dass eine friedliche Versammlung beabsichtigt ist, und insoweit keine strafrechtlichen und sonstigen Störungen der öffentlichen Sicherheit provoziert werden sollen. Zu diesem Zweck hat sie den Einsatz von ca. 40 Ordnern geplant. Parolen sollen nicht gerufen werden.

Verbot durch Umstände nicht gerechtfertigt

Die Demonstrationsregeln sollten zu Beginn der Versammlung bekannt gemacht werden. Personen, die radikalislamischen Gruppierungen nahestehen, seien nicht erwünscht und sollen von der Versammlung ausgeschlossen werden. Hierzu hat die Veranstalterin, wenn auch spät, Demonstrationsregeln veröffentlicht und am 12.10.2023 ein entsprechendes Statement im Internet abgegeben.

Es trifft zu, dass sie bei den Kooperationsgesprächen teilweise sehr ausweichend war und von einer Bewerbung der Versammlung im Vorfeld trotz einer entsprechenden Bitte der Versammlungsbehörde nicht abgesehen hatte.

Es fällt auch auf, dass die Versammlung unter einem anderen Motto beworben wird, als sie angemeldet wurde. Weiter trifft es zu, dass die Anzahl der Teilnehmer möglicherweise weit über die angemeldete Zahl von 300 Teilnehmern hinausgeht.

Gleichwohl können aus diesen Umständen keine hinreichend konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte entnommen werden, dass es aus der Versammlung heraus zu einer Gefährdung für hochwertige Rechtsgüter wie Leib und Leben, etwa zu tätlichen Angriffen auf Polizeibeamte, kommen wird.

Trotz gewisser Zweifel kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Veranstalterin per se nicht bereit oder in der Lage ist, für die innere Ordnung der Versammlung zu sorgen.

Vielmehr handelt es sich um durchaus nicht von der Hand zu weisende Befürchtungen und Vermutungen der Stadt, die allerdings nicht auf einer hinreichenden Tatsachengrundlage beruhen. Auch aus den von der Stadt angeführten früheren Versammlungen ergeben sich keine hinreichenden Indizien für einen unfriedlichen Verlauf.

(…)

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschl. v. 21.10.2023 – 3 S 1669/23

Den vollständigen Beitrag lesen Sie in der Fundstelle Baden-Württemberg 10/2024, Rn. 118.

 

Andreas Raab

Oberbürgermeister a. D., Dinkelsbühl
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