Wählbarkeit zum Integrationsbeirat auch bei nicht gesichertem Aufenthaltsrecht gegeben
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 29.11.2022 – 8 CN 1.22
Wählbarkeit zum Integrationsbeirat auch bei nicht gesichertem Aufenthaltsrecht gegeben
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 29.11.2022 – 8 CN 1.22

Das Ziel, eine kontinuierliche Mitwirkung im Integrationsbeirat zu gewährleisten, rechtfertigt es nicht, die Wählbarkeit von Personen mit Migrationshintergrund von einem gesicherten Aufenthaltsrecht abhängig zu machen. Das hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) im Rahmen einer Revision zugunsten zweier Antragsteller mit Duldungsstatus entschieden. Das BVerwG sieht das Grundrecht auf Gleichbehandlung verletzt.
Zum Sachverhalt
Im Oktober 2015 bildete der Landkreis Leipzig einen Integrationsbeirat. Nach der dazu erlassenen Vorschrift gehörten zu den zu wählenden Mitgliedern u. a. zwei im Landkreis lebende Personen mit Migrationshintergrund. Im September 2018 wurde die Vorschrift dahin geändert, dass zum Integrationsbeirat drei Einwohner mit Migrationshintergrund zu wählen seien, die über die deutsche Staatsangehörigkeit oder ein gesichertes Aufenthaltsrecht verfügen, nämlich eine Aufenthalts- oder Niederlassungserlaubnis oder eine unionsrechtliche Freizügigkeitsberechtigung. Der Aufenthalt der im Landkreis wohnenden Antragsteller wird seit vielen Jahren geduldet.
OVG lehnt Normenkontrollantrag ab
Das Oberverwaltungsgericht (OVG) hat den Normenkontrollantrag gegen die Einschränkung der Wählbarkeit zum Integrationsbeirat abgelehnt. Die Benachteiligung von Personen ohne gesichertes Aufenthaltsrecht ist nach Ansicht des OVG am Willkürverbot zu messen. Sie sei nicht zu beanstanden, weil bei Ausländern ohne gesichertes Aufenthaltsrecht grundsätzlich nicht davon ausgegangen werden könne, dass sie mittel- oder längerfristige Vorhaben der Integrationsarbeit begleiten könnten.
BVerwG: Kriterium gesicherten Aufenthaltsrechts untauglich
Diese Einschätzung teilt das BVerwG nicht. Die hier vorgenommene Beschränkung der Wählbarkeit zum Integrationsbeirat verletzt das Grundrecht auf Gleichbehandlung und ist deshalb unwirksam. Die Beschränkung sei nicht nur am Willkürverbot, sondern am strengeren Maßstab des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu messen, weil sie an ein für die Betroffenen kaum zu beeinflussendes Merkmal – den rechtlichen Aufenthaltsstatus – anknüpfe. Die angegriffene Regelung benachteiligt demnach Personen mit Migrationshintergrund, die über kein gesichertes Aufenthaltsrecht verfügen. Sie diene zwar einem verfassungsrechtlich legitimen Zweck, weil sie darauf ziele, eine kontinuierliche Mitwirkung der Gewählten im Beirat zu sichern. Das Unterscheidungskriterium des gesicherten Aufenthaltsrechts sei aber nicht geeignet, dieses Ziel zu verwirklichen.
Merkmal lässt keine Rückschlüsse auf Aufenthaltsdauer zu
Das BVerwG weist darauf hin, dass das Unterscheidungsmerkmal „gesichertes Aufenthaltsrecht“ keine Rückschlüsse auf die voraussichtliche Dauer des Aufenthalts im Landkreis erlaubt. So würden die für die Aufenthaltsdauer wesentlichen rechtlichen Möglichkeiten zur Verlängerung und Verfestigung des Aufenthalts ausgeblendet. Gleiches gilt für die tatsächlichen Umstände des Aufenthalts. So könne sich bei einer Duldung zu Ausbildungszwecken oder wegen eines langjährigen Kriegs oder Bürgerkriegs im Herkunftsstaat ebenfalls eine voraussichtlich längere Aufenthaltsdauer ergeben.
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 29.11.2022 – 8 CN 1.22 –.
Entnommen aus Gemeindeverwaltung Rheinland-Pfalz 16/2023, Rn. 162.