Vervollständigung des Bauantrags
Art. 65 Abs. 2 BayBO
Vervollständigung des Bauantrags
Art. 65 Abs. 2 BayBO
Die Bauordnungsnovelle 20211Gesetz zur Vereinfachung baurechtlicher Regelungen und zur Beschleunigung sowie Förderung des Wohnungsbaus vom 23.12.2020, GVBl. S. 663. hat, nicht zuletzt mit Blick auf die neu eingeführte Genehmigungsfiktion, auch eine Änderung von Art. 65 Abs. 2 BayBO vorgenommen. Die Vorschrift über die Vervollständigung des Bauantrags wurde so umgestaltet, dass die Rücknahmefiktion nur greift, wenn die Bauaufsichtsbehörde den Antragsteller auf die Rücknahmefiktion als Rechtsfolge hingewiesen hat. In letzter Zeit kommt es häufiger zu Auseinandersetzungen darüber, ob Art. 65 Abs. 2 Satz 2 BayBO von der Bauaufsichtsbehörde zu Recht angewandt worden ist oder nicht. Zum Teil wird über diese Frage sogar die gerichtliche Auseinandersetzung gesucht2VG Würzburg, U.v. 15.12.2022 – W 5 K 22.59.. Dies gibt Anlass, der Frage nachzugehen, ob verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz gegen Vervollständigungsverlangen nach Art. 65 Abs. 2 Satz 2 BayBO erforderlich, sinnvoll und möglich ist.
I. Regelung in der BayBO
Art. 65 Abs. 2 BayBO lautet: „Ist der Bauantrag unvollständig oder weist er sonstige erhebliche Mängel auf, fordert die Bauaufsichtsbehörde den Bauherrn zur Behebung der Mängel innerhalb einer angemessenen Frist auf. Werden die Mängel innerhalb der Frist nicht behoben, gilt der Antrag als zurückgenommen, wenn der Antragsteller auf diese Rechtsfolge hingewiesen worden ist“. Die geltende Fassung hat die Vorschrift durch das Gesetz zur Vereinfachung baurechtlicher Regelungen und zur Beschleunigung sowie Förderung des Wohnungsbaus vom 23. Dezember 20203GVBl. S 663. gefunden.
Die Gesetzesbegründung führt zum neu eingefügten Halbsatz, nach dem die Rücknahmefiktion nur eintritt, wenn der Bauantragsteller mit dem Vervollständigungsverlangen ausdrücklich auf den Fiktionseintritt hingewiesen worden ist, aus: „Der neu an Satz 2 angefügte Halbsatz stellt sicher, dass die Rücknahmefiktion nur greift, wenn die Bauaufsichtsbehörde den Antragsteller zusammen mit dem Verlangen, die Bauantragsunterlagen zu vervollständigen, auf die Rücknahmefiktion hingewiesen hat. Die Regelung trägt nicht nur einem Bedürfnis der Vollzugspraxis Rechnung, sie steht auch im Zusammenhang mit der Fiktionsregelung in Art. 68 Abs. 2 (neu)4LT-Drs. 18/8547 S. 21.“. Der in der Begründung enthaltene Hinweis auf die Bedürfnisse der Vollzugspraxis hat folgenden Hintergrund: Vor der Bauordnungsnovelle 2021 wurde eine umfassende Abfrage des Änderungsbedarfs in der Bauordnung bei Verbänden, Kammern und Behörden durchgeführt. Dabei haben viele untere Bauaufsichtsbehörden berichtet, man mache von der Möglichkeit, die Art. 65 Abs. 2 BayBO eröffne, nur wenig Gebrauch, weil jedes Vervollständigungsverlangen unter Fristsetzung kraft Gesetzes die Rücknahmefiktion zur Folge habe. Die Neufassung der Vorschrift ermöglicht es den unteren Bauaufsichtsbehörden unter Fristsetzung das Nachreichen von Unterlagen zu verlangen. Die Rücknahmefiktion tritt nur noch ein, wenn ein ausdrücklicher Hinweis darauf erfolgt ist.
II. Im Gesetz angelegte Vorgehensweise
Das Baugenehmigungsverfahren ist ein antragsgebundenes Verfahren. Der Antragsteller setzt mit seinem Bauantrag nicht nur das Verfahren in Gang, er bestimmt auch den Antrags- und Verfahrensgegenstand. Damit Bauvorlagen in Übereinstimmung mit den für sie maßgeblichen Vorschriften des öffentlichen Rechts stehen, hat der Gesetzgeber in Art. 61 – 61b BayBO angeordnet, dass Vorlagen für die nicht verfahrensfreie Errichtung und Änderung von Gebäuden von dazu berechtigten Personen, den so genannten Bauvorlageberechtigten, eingereicht werden müssen5Vgl. z. B. Shirvani in Busse/Kraus, BayBO Art. 61 Rn. 11.. Diese Verpflichtung, einen Bauvorlageberechtigten einzuschalten, findet ihren Widerpart in Art. 51 BayBO. Art. 51 BayBO definiert die Pflichten des Entwurfsverfassers und hält in Abs. 1 Satz 2 fest: Er (der Entwurfsverfasser) „ist für die Vollständigkeit und Brauchbarkeit seines Entwurfs verantwortlich“. Es ist also nicht Aufgabe der Bauaufsichtsbehörde, Mängel der Bauvorlagen selbst zu beheben und etwa notwendige geplante Tekturen selbst zu fertigen6Shirvani in Busse/Kraus, BayBO Art. 65 Rn. 192..
Es ist Aufgabe des Entwurfsverfassers. In der Vollzugspraxis bedeutet das, dass Bauaufsichtsbehörden nach einer Vollständigkeitsprüfung der ihnen vorgelegten Unterlagen für den Fall, dass diese vollständig sind, mit der inhaltlichen Prüfung des Bauantrags beginnen. Diese Prüfung endet mit der verfahrensabschließenden Entscheidung – im Regelfall der Erteilung der Baugenehmigung oder aber der Ablehnung des Antrags. Für den Fall, dass die Antragsunterlagen unvollständig sind, macht die Bauaufsichtsbehörde von Art. 65 Abs. 2 Gebrauch. Sie wird im Regelfall den Entwurfsverfasser als Vertreter des Bauherrn auffordern, bestimmte Unterlagen nachzureichen. Es ist Pflicht der Bauaufsichtsbehörde, diese Unterlagen so genau wie möglich zu bezeichnen. Im Regelfall wird sie eine Frist zur Erfüllung der Verpflichtung setzen und erst im Fall des erfolglosen Verstreichens der Frist ein nochmaliges fristgebundenes Verlangen mit Hinweis auf die Rechtsfolge des Art. 65 Abs. 2 BayBO stellen, Art. 65 Abs. 2 Satz 2 BayBO. Wird der Antrag dann immer noch nicht vervollständigt, führt der Fristablauf zum Eintritt der Rücknahmefiktion.
Art. 65 Abs. 2 Satz 2 BayBO ordnet die zwingende Rechtsfolge an: Der Antrag gilt als zurückgenommen. Mit der Rücknahme des Bauantrags endet das Baugenehmigungsverfahren7Kopp/Ramsauer, VfVwfG, § 9 Rn. 37. kraft Gesetzes. In der Praxis üblich ist der Ausspruch, dass das Verfahren eingestellt wird. Dieser Ausspruch ist nicht erforderlich8Kopp/Ramsauer, VwVfG § 9 Rn. 37 unter Verweis auf BVerwG, DVBl. 2020, 186/189, wo das für eine asylrechtliche Rücknahmefiktion entschieden worden ist., macht aber gleichwohl Sinn, weil er mit der auf jeden Fall erforderlichen Kostenentscheidung verbunden werden kann. Die Kostenentscheidung ist verbindlich in Art. 8 Abs. 2 Kostengesetz (KG) vorgeschrieben. Art. 8 Abs. 2 Satz 3 KG gibt einen Kostenrahmen vor und sieht eine Mindestgebühr von 15,00 Euro und, abhängig vom Verfahrensstand, einen Rahmen von einem Zehntel bis zu drei Viertel der Baugenehmigungsgebühr vor.
III. Rechtsschutz des Antragstellers
Es ließe sich nun trocken festhalten, das Vervollständigungsverlangen ist eine Verfahrenshandlung, die gemäß § 44a VwGO nicht selbstständig anfechtbar ist, sodass der Bauantragsteller Rechtsschutz nur durch eine Anfechtungsklage gegen die Kostenentscheidung erlangen kann. Im Zuge der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Kostenentscheidung muss das Verwaltungsgericht prüfen, ob die der Kostenentscheidung zugrunde liegende Amtshandlung, Art. 1 Abs. 1 Satz 1 KG, rechtmäßig ist. Das ist sie nur, wenn das Vervollständigungsverlangen, das die Rücknahme ausgelöst hat, seinerseits rechtmäßig ist. Weit gefehlt: Das VG Würzburg9VG Würzburg, U.v. 15.12.2022 – W 5 K 22.59. hält fest: Gegen ein Schreiben der unteren Bauaufsichtsbehörde, das eine Aufforderung zur Vorlage eines aktualisierten Abstandsflächenplans enthält, sei die Anfechtungsklage statthaft10VG Würzburg a. a. O. Rn. 17.. Es führt dazu aus11VG Würzburg a. a. O. Rn. 18.: „Zwar wird im Falle der Rücknahmefiktion teilweise vertreten, dass der Bauherr nur die Möglichkeit habe, sich die Baugenehmigung mit der Verpflichtungsklage zu erstreiten. Teilweise wird auch vertreten, dass der Bauherr eine allgemeine Leistungsklage, gerichtet auf die Fortführung des Baugenehmigungsverfahrens, erheben müsse oder den (Nicht-)Eintritt der Fiktion zum Gegenstand einer Feststellungsklage machen könne (…). All dem schließt sich die Kammer jedoch nicht an. Vielmehr stellt die behördliche Aufforderung zur Nachbesserung des Bauantrags beziehungsweise der Bauvorlagen einen mit der Anfechtungsklage angreifbaren Verwaltungsakt im Sinn von Art. 35 Satz 1 BayVwVfG dar(…). Im Weiteren ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der (…) Aufforderung zur Mängelbehebung im Sinn von Art. 65 Abs. 2 BayBO zwar um eine Verfahrenshandlung handelt, gegen die gemäß § 44a VwGO grundsätzlich nur mit der Klage gegen die Sachentscheidung vorgegangen werden kann. Allerdings ist eine isolierte Anfechtbarkeit dann möglich, wenn die Verfahrenshandlung – wie hier – selbst unmittelbare Rechtswirkungen zu Lasten des Bauherrn über das Genehmigungsverfahren hinaus, innerhalb dessen sie vorgenommen wird, entfaltet, indem sie zur Rücknahmefiktion führt. Davon unabhängig besteht für den Bauherrn freilich die weiter reichende Möglichkeit, eine Verpflichtungsklage auf Erteilung der Baugenehmigung in Form der Untätigkeitsklage (…) zu erheben, etwa mit der Begründung, dass der Bauantrag vollständig sei beziehungsweise keine erheblichen Mängel aufweise (…)“. Diese Auffassung, das Rücknahmeverlangen nach Art. 65 Abs. 2 sei ein mit der Anfechtungsklage anfechtbarer Verwaltungsakt, teilt die Kommentarliteratur12Weinmann in Beck OK BauordnungsR Bayern, Art. 65 Rn. 60 unter Berufung auf Shirvani in Busse/Kraus, BayBO Art. 65 Rn. 197 und Jäde in Jäde/Dirnberger/Bauer/Weiß, Art. 65 Rn. 52 […] weitgehend. Ob diese Auffassung den Erfordernissen der Praxis entspricht und ob sie rechtlich wirklich zwingend ist, wie die zitierten Fundstellen annehmen, ist kritisch zu hinterfragen. Das gilt umso mehr, als das VG Würzburg ebenso wie die Kommentarliteratur keine wirklich tragende Begründung gibt, sondern vielmehr dem Bauherrn die Wahl lässt, welche Klage er erhebt.
[…]
VII. Möglicher Rechtsschutz des Klägers
Folgt man der hier vertretenen Auffassung, wonach eine Anfechtungsklage gegen das Vervollständigungsverlangen nach Art. 65 Abs. 2 BayBO nicht statthaft ist, bleibt die Frage zu beantworten, welche Rechtsschutzmöglichkeiten der Bauantragsteller hat. Die in der Praxis einfachste Möglichkeit ist, sich mit der unteren Bauaufsichtsbehörde rechtzeitig darüber zu verständigen, welche Unterlagen noch erforderlich sind. Das wird dem Antragsteller mindestens dadurch erleichtert, dass die untere Bauaufsichtsbehörde in ihrem Vervollständigungsverlangen nicht nur mitteilt, welche Unterlagen fehlen, sondern auch erläutert, warum diese Unterlagen notwendig sind. So wie es nur schwer verständliche und diesen Vorgaben nicht genügende Schreiben unterer Bauaufsichtsbehörden gibt, so gibt es Bauantragsteller, die sich lieber wochenlang herumstreiten, anstatt die verlangten Unterlagen einfach vorzulegen. Eine Anfechtungsklage scheidet bereits dem Grunde nach aus, da es an dem Klageziel „Aufhebung eines Verwaltungsakts“ in § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO fehlt. Verpflichtungsklage auf Erteilung der Baugenehmigung wird, ist die Rücknahmefiktion kraft Gesetzes eingetreten, schon am Rechtsschutzbedürfnis scheitern; es ist schlicht kein Antrag anhängig, über den entschieden werden könnte. Ist die Fiktion noch nicht eingetreten, fehlt einer Verpflichtungsklage in Gestalt der Untätigkeitsklage jedenfalls dann die Zulässigkeit, wenn der Bauantrag tatsächlich unvollständig ist13Laser in Schwarzer, BayBO, Art. 65 Rn. 23.. Ganz abgesehen davon, dass bis zu einer etwaigen mündlichen Verhandlung oder gar Entscheidung in der Sache, die Rücknahmefiktion in den allermeisten Fällen eingetreten sein wird. Letztendlich bleibt dem streitwilligen Bauantragsteller die Anfechtungsklage gegen den Kostenbescheid, der infolge der Beendigung des Verfahrens erlassen werden muss. Die Rechtmäßigkeit des Kostenbescheids setzt die Rechtmäßigkeit der ihm zugrunde liegenden Amtshandlung, hier der Rücknahme im Wege der Fiktion voraus. Die Rechtmäßigkeit dieser Rücknahme ist nur gegeben, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 65 Abs. 2 BayBO vorliegen. Zusammengefasst bedeutet dies, dass der Rechtsschutz gegen das Vervollständigungsverlangen eingeschränkt ist.
Den vollständigen Beitrag lesen Sie in BayVBl. 09/2024, S. 298.
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- 1Gesetz zur Vereinfachung baurechtlicher Regelungen und zur Beschleunigung sowie Förderung des Wohnungsbaus vom 23.12.2020, GVBl. S. 663.
- 2VG Würzburg, U.v. 15.12.2022 – W 5 K 22.59.
- 3GVBl. S 663.
- 4LT-Drs. 18/8547 S. 21.
- 5Vgl. z. B. Shirvani in Busse/Kraus, BayBO Art. 61 Rn. 11.
- 6Shirvani in Busse/Kraus, BayBO Art. 65 Rn. 192.
- 7Kopp/Ramsauer, VfVwfG, § 9 Rn. 37.
- 8Kopp/Ramsauer, VwVfG § 9 Rn. 37 unter Verweis auf BVerwG, DVBl. 2020, 186/189, wo das für eine asylrechtliche Rücknahmefiktion entschieden worden ist.
- 9VG Würzburg, U.v. 15.12.2022 – W 5 K 22.59.
- 10VG Würzburg a. a. O. Rn. 17.
- 11VG Würzburg a. a. O. Rn. 18.
- 12Weinmann in Beck OK BauordnungsR Bayern, Art. 65 Rn. 60 unter Berufung auf Shirvani in Busse/Kraus, BayBO Art. 65 Rn. 197 und Jäde in Jäde/Dirnberger/Bauer/Weiß, Art. 65 Rn. 52 […]
- 13Laser in Schwarzer, BayBO, Art. 65 Rn. 23.