Passives Wahlrecht ab 16, Aufhebung von Altersgrenzen, Einführung der Stichwahl und einiges mehr
Die Kommunalwahlrechtsnovelle 2023 - Teil 2
Passives Wahlrecht ab 16, Aufhebung von Altersgrenzen, Einführung der Stichwahl und einiges mehr
Die Kommunalwahlrechtsnovelle 2023 - Teil 2
Fortsetzung des ersten Teils.
V. Stichwahl statt Neuwahl bei Bürgermeisterwahlen
Erhält bei einer Bürgermeisterwahl im ersten Wahlgang keine Person die erforderliche absolute Mehrheit der gültigen Stimmen, soll im dann erforderlichen zweiten Wahlgang zukünftig anstelle einer Neuwahl eine Stichwahl stattfinden (§ 45 Abs. 2 GemO). Damit wird eine baden-württembergische Besonderheit im Bürgermeisterwahlrecht durch eine Regelung ersetzt, wie es sie bereits in den meisten anderen Bundesländern gibt.1Vgl. Lange (Fn. 31), Kap. 8 Rn. 10 m. w. N. Der Unterschied zwischen diesen beiden Wahlformen besteht darin, dass bei der bislang vorgesehenen Neuwahl alle Bewerber der ersten Wahl und auch neue Bewerber teilnehmen konnten, während die neu eingeführte Stichwahl nur zwischen den beiden Personen stattfindet, die bei der ersten Wahl die meisten Stimmen erhalten haben. Dieser Änderung liegt die Überlegung zugrunde, dass durch die Stichwahl sichergestellt wird, dass die Entscheidung über das Amt des Bürgermeisters tatsächlich zwischen den von den Wählern favorisierten Personen fällt. Damit sind taktische Absprachen zwischen den Bewerbern, wer zum zweiten Wahlgang antritt oder ggf. seine Bewerbung zurücknimmt, wie es sie in der kommunalen Praxis in der Vergangenheit gegeben hat, nicht mehr möglich. Da im zweiten Wahlgang die einfache Stimmenmehrheit entscheidet, erhöht sich zudem der demokratische Rückhalt für die gewählte Person, denn bei einer Stichwahl zwischen zwei Personen stellt jede Mehrheit zugleich die absolute Mehrheit der gültigen Stimmen dar.2LT-Drs. 17/4079, S. 21. Das Zeitfenster zur Durchführung der Stichwahl (zweiter, dritter oder vierter Sonntag nach der ersten Wahl) bleibt unverändert.
Zugleich entfällt die Möglichkeit, die Bewerbung nach der ersten Wahl zurückzunehmen. Bewerbungen gelten damit zugleich auch für die Teilnahme an einer etwaigen Stichwahl; dies wird im neuen § 10 a Abs. 1 KomWG geregelt.3LT-Drs. 17/4079, S. 50; zur Kritik an dieser Regelung vgl. LT-Drs. 17/ 4079, S. 31. Der Gesetzgeber hat sich für diese Variante entschieden, da er davon ausgeht, dass von einer Person, die sich für das Amt des Bürgermeisters bewirbt, erwartet werden kann, dass sie sich im Falle einer erforderlichen Stichwahl dieser Wahl auch tatsächlich stellt. Dadurch, dass diese Person im ersten Wahlgang die meisten bzw. die zweitmeisten Stimmen erhalten hat, zeige sich auch, dass ein ausreichender Rückhalt in der Bürgerschaft gegeben sei, sodass in der Regel auch kein Grund für einen Rückzug bestehe. Auch eine Bewerbung erst zum zweiten Wahlgang ist – da mit dem Wesen einer Stichwahl nicht vereinbar – zukünftig nicht mehr möglich.4LT-Drs. 17/4079, S. 21.
Eine Zustimmung zur Teilnahme an der Stichwahl ist nur bei Personen vorgesehen, die sich nicht für die Wahl beworben haben, aber bei der ersten Wahl durch Eintrag in die freie Zeile des Stimmzettels (vgl. § 24 Abs. 3 Satz 2 der Kommunalwahlordnung) gewählt wurden (§ 10 a Abs. 2 KomWG).5Vgl. LT-Drs. 17/4079, S. 50, 51. Damit soll gewährleistet werden, dass die in der Stichwahl zur Wahl stehenden Personen auch tatsächlich bereit sind, im Falle ihres Wahlerfolgs das Amt des Bürgermeisters zu übernehmen.6LT-Drs. 17/4079, S. 21. Der Gemeindewahlausschuss beschließt förmlich über die Zulassung von Bewerbern, die der Teilnahme an der Stichwahl nach § 10 a Abs. 2 KomWG zugestimmt haben (§ 10 a Abs. 3 Satz 1 KomWG); die öffentliche Bekanntmachung richtet sich in diesem Fall nach §10aAbs.4 KomWG.7Vgl. LT-Drs. 17/4079, S. 51.
Stimmt eine der beiden Personen mit den höchsten Stimmenzahlen, die sich nicht beworben hat, der Teilnahme an der Stichwahl nicht zu, findet die Stichwahl nur mit dem anderen Bewerber statt, verbunden mit der Möglichkeit, auch eine andere wählbare Person durch Eintrag in die freie Zeile des Stimmzettels zu wählen. Haben zwei Personen, die sich nicht beworben haben, die höchsten Stimmenzahlen erhalten und sind beide nicht zur Teilnahme an der Stichwahl bereit, findet die Wahl mit leerem Stimmzettel statt.8Zur Stimmabgabe vgl. § 19 Abs. 4 KomWG, zur Ungültigkeit der Stimmabgabe vgl. § 24 Abs. 5 KomWG sowie LT-Drs. 17/4079, S. 52. Insofern gilt hier nichts anderes als nach bisherigem Recht bei Bürgermeisterwahlen, für die weder zur Hauptwahl noch zur Neuwahl eine Bewerbung eingeht.
Findet hingegen eine Stichwahl mit zwei Bewerbern statt, entfällt die freie Zeile auf dem Stimmzettel, sodass nur diese beiden Personen zur Wahl stehen.9LT-Drs. 17/4079, S. 21.
Nach § 45 Abs. 3 GemO findet die Stichwahl nicht statt, wenn einer der Teilnehmer zwischen der ersten Wahl und dem Tag der Stichwahl stirbt oder die Wählbarkeit verliert. Das Wahlverfahren ist dann ohne Ergebnis abgeschlossen. Die (vollständig neue) Wahl des Bürgermeisters (mit neuer Stellenausschreibung) ist dann innerhalb von drei Monaten durchzuführen; die näheren Regelungen hierzu werden in der Kommunalwahlordnung getroffen.10LT-Drs. 17/4079, S. 42.
VI. Einführung eines Rückkehrrechts für Landesbeschäftigte nach der Amtszeit als Bürgermeister
Für hauptamtliche Bürgermeister (nicht aber für Beigeordnete nach § 49 GemO), die zuvor Beamte, Richter oder Tarifbeschäftigte des Landes waren, wird durch den neu eingefügten § 52 a GemO ein Anspruch auf Rückübernahme in den Landesdienst zum Ende der Amtszeit geschaffen.11Für Landräte vgl. § 40 Abs. 2 LKrO. Dadurch soll nach Einschätzung des Gesetzgebers die Attraktivität des Bürgermeisteramts für Beamte und Tarifbeschäftigte des Landes erhöht und deren Bereitschaft maßgeblich gesteigert werden, sich für ein solches Amt zu bewerben. Durch die Wahl und die Amtszeit als Bürgermeister wird ein Beamtenverhältnis auf Zeit begründet; der Gewählte wird Beamter der Gemeinde. Dabei ist zugleich ein schon bestehendes Beamtenverhältnis auf Lebenszeit oder auf Probe zum bisherigen Dienstherrn regelmäßig kraft Gesetzes beendet (vgl. § 22 Abs. 2 Satz 1 des Beamtenstatusgesetzes). Ein privatrechtliches Arbeitsverhältnis zum Land ist ebenfalls vor Amtsantritt als Bürgermeister zu beenden. Mit dem neu geschaffenen Rückübernahmeanspruch sollen dem Fürsorgegedanken und dem Sicherheitsbedürfnis insbesondere der verbeamteten Kandidaten Rechnung getragen und Versorgungslücken vermieden werden.12LT-Drs. 17/4079, S. 21, 22.
Die Neuregelung wurde im Gesetzgebungsverfahren von verschiedener Seite kritisiert.13Vgl. hierzu LT-Drs. 17/4079, S. 32, 33. Hauptkritikpunkt war dabei, dass das Rückkehrrecht nur für Landes-, nicht aber für kommunale Bedienstete gelten soll. Die Einbeziehung kommunaler Beschäftigter wurde jedoch von der Landesregierung mit dem Argument abgelehnt, dass dies personalwirtschaftliche Schwierigkeiten hervorrufen würde, insbesondere bei einer Rückkehr in kleinere Gemeinden. Soweit vorgeschlagen wurde, dass ehemalige Kommunalbedienstete anstelle eines Rückkehranspruchs nach Ende der Amtszeit als Bürgermeister in den Landesdienst übernommen werden könnten, wurde dies als zu weitgehend zurückgewiesen. Zudem seien Übernahmen in den Landesdienst nach den für eine Neueinstellung geltenden Regeln ausdrücklich nicht ausgeschlossen.14LT-Drs. 17/4079, S. 32, 33. Der Gesetzgeber ist dieser Argumentationslinie gefolgt und hat das Rückkehrrecht auf Landesbedienstete beschränkt; ob es zukünftig zu einer Ausdehnung auf kommunale Bedienstete kommen wird, bleibt abzuwarten.
Nach § 52 a Abs. 1 GemO ist der Übernahmeanspruch ausdrücklich an das Ende der Amtszeit gekoppelt und kann nicht während einer laufenden Amtszeit als Bürgermeister geltend gemacht werden. Er besteht nur dann, wenn die (erste oder jede weitere) Amtszeit jeweils regulär beendet ist, das Amt des Bürgermeisters also nicht vorzeitig vor Ablauf der jeweiligen Amtszeit endet. Die allgemeinen für eine Übernahme in das Beamtenverhältnis geltenden Voraussetzungen müssen im Zeitpunkt der Wiederernennung erfüllt sein; dies gilt jedoch nicht für die haushaltsrechtlichen Altersgrenzen für eine Einstellung in den Landesdienst (§ 48 der Landeshaushaltsordnung). Der Anspruch ist durch einen Antrag geltend zu machen, der spätestens drei Monate nach Ablauf der Amtszeit bei der bis zur Beendigung des früheren Beamten- oder Richterverhältnisses zuständigen obersten Dienstbehörde zu stellen ist. Nach Ablauf der Frist erlischt der Übernahmeanspruch.
Nach § 52 a Abs. 2 GemO gilt ein Verschlechterungsverbot. Dem Beamten ist bei Rückübernahme ein Statusamt zu übertragen, das dem entspricht, welches er zum Zeitpunkt der Beendigung des Beamtenverhältnisses zum Land innehatte. Es besteht allerdings kein Anspruch auf die Übertragung eines bestimmten konkret-funktionalen Amts.
Nach § 52 a Abs. 3 GemO gelten die Regelungen in § 52 a Abs. 1 und 2 GemO auch für Tarifbeschäftigte des Landes, denen daher ebenfalls ein entsprechender Anspruch auf Rückübernahme zusteht.15LT-Drs. 17/4079, S. 44.
Der Regelungsbereich des § 52 a GemO betrifft keine länderübergreifenden Sachverhalte, d. h. dieser gilt nicht für Landesbeschäftigte, die das Amt des Bürgermeisters in einem anderen Bundesland außerhalb Baden-Württembergs ausgeübt haben und nach Ende der Amtszeit wieder in den Landesdienst in Baden-Württemberg zurück möchten. Dies ergibt sich bereits aus systematischen Erwägungen aufgrund der Verortung der Regelung im 3. Abschnitt des 2. Teils der Gemeindeordnung, in dem die Rechtsstellung baden-württembergischer Bürgermeister geregelt wird. Aber auch nach dem Sinn und Zweck der Neuregelung, nämlich einen Anreiz für Beamte und Tarifbeschäftigte des Landes zu setzen, sich für ein Bürgermeisteramt im Land Baden-Württemberg zu bewerben, ist die Regelung auf derartige länderübergreifende Fallgestaltungen nicht zugeschnitten.
Mit Blick auf die haushaltsrechtliche Absicherung wurde das neu eingeführte Rückkehrrecht bereits im Staatshaushaltsgesetz 2023/2024 verankert16Vgl. § 3 Abs. 17 StHG 2023/2024., auch wenn die Bestimmung im Hinblick auf den neuen § 52 a GemO frühestens in acht Jahren (Dauer der Amtszeit eines Bürgermeisters) benötigt wird. Die Regelung soll dann jeweils für die Folgejahre fortgeschrieben werden, um sicherzustellen, dass bei Bedarf entsprechende Stellen für „Rückkehrer“ zur Verfügung stehen.
Die Regelung zum Rückkehrrecht für Landesbedienstete ist am 15.04.2023 in Kraft getreten17Art. 12 Abs. 2 des Gesetzes vom 04.04.2023 (GBl. S. 137); LT-Drs. 17/ 4079, S. 59. und findet keine Anwendung auf Bürgermeister, die an diesem Tag bereits im Amt sind.18Art. 11 § 2 Abs. 1 des Gesetzes vom 04.04.2023 (GBl. S. 137). Der neu geschaffene Rückkehranspruch findet demnach nur Anwendung auf Landesbedienstete, die ihr Amt als Bürgermeister erst nach dem 15.04.2023 antreten bzw. angetreten haben.19LT-Drs. 17/4079, S. 58.
VII. Weitere Änderungen
1. Ersetzen der Bezeichnung „Amtsverweser“ durch modernere Bezeichnungen
Aufgrund eines Änderungsantrags der Fraktionen Grüne, CDU und SPD wurde die in verschiedenen Regelungen verwendete, aber als veraltet und nicht mehr zeitgemäß anmutende Bezeichnung des „Amtsverwesers“ durch die Begriffe „bestellter Bürgermeister“ und „Amtsverwalter“ ersetzt.20LT-Drs. 17/4495, S. 1 ff. Danach wird zukünftig für die Fälle des § 48 Abs. 3 Satz 1 GemO, in denen eine zum Bürgermeister gewählte Person, die ihr Amt aufgrund einer Wahlanfechtung noch nicht antreten kann und vom Gemeinderat zum Bürgermeister bestellt wird, die Bezeichnung „bestellter Bürgermeister“ verwendet. Im Gegensatz dazu wird – aufgrund der anderen Rechtsstellung – für die Fälle des § 48 Abs. 2 GemO, wenn die Stelle des Bürgermeisters voraussichtlich längere Zeit unbesetzt ist oder der Bürgermeister voraussichtlich längere Zeit an der Ausübung seines Amtes verhindert ist (z. B. aufgrund einer Krankheit) die Bezeichnung „Amtsverweser“ durch die Bezeichnung „Amtsverwalter“ ersetzt.
Ergänzend hierzu soll in § 39 Abs. 6 LKrO die Bezeichnung „Amtsverweser“ durch die Bezeichnung „bestellter Landrat“ ersetzt werden.
Durch die Änderung der Bezeichnungen ändert sich die kommunalrechtliche und beamtenrechtliche Stellung der betreffenden Amtsträger nicht. Insbesondere ist mit der Bestellung zum bestellten Bürgermeister nach § 48 Abs. 3 GemO – wie bisher – kein Stimmrecht im Gemeinderat und seinen Ausschüssen verbunden, das dem durch rechtsgültige Volkswahl gewählten Bürgermeister vorbehalten ist.21LT-Drs. 17/4495, S. 10; vgl. auch LT-Drs. 16/6753 zu Ziffer 4. Zur entsprechenden Forderung siehe LT-Drs. 17/4079, S. 34. Das Gesetz vom 04.04.202322GBl. S. 137. enthält ergänzende Übergangsbestimmungen für (ehemalige) Amtsverweser.23Art. 11 § 2 Abs. 4 und 5 des Gesetzes vom 04.04.2023 (GBl. S. 137).
2. Klarstellung zur Weiterführung der Geschäfte durch den bisherigen Amtsinhaber
Steht der bisherige Bürgermeister nicht erneut zur Wahl und kann der neu gewählte Bürgermeister aufgrund einer Wahlanfechtung das Amt vorerst nicht antreten, kommt für die Interimszeit sowohl eine Fortführung der Geschäfte durch den bisherigen Amtsinhaber (§ 42 Abs. 5 Satz 1 GemO) als auch die Bestellung des gewählten Nachfolgers zum bestellten Bürgermeister in Betracht (§ 48 Abs. 3 GemO). Durch die Neuregelung in § 42 Abs. 5 Satz 3 GemO wird klargestellt, dass die Bestellung durch den Gemeinderat nach § 48 Abs. 3 GemO Vorrang hat. In diesem Fall führt der bisherige Amtsinhaber die Geschäfte auch noch nach Ablauf seiner Amtszeit, jedoch nur bis zum Amtsantritt des bestellten Bürgermeisters, weiter.24LT-Drs. 17/4079, S. 41. Gleiches gilt nach § 37 Abs. 3 LKrO, vgl. LT-Drs. 17/4079, S. 46. Mit dieser Regelung wird eine Lücke geschlossen, die sich in der Praxis gezeigt hatte.25Vgl. hierzu LT-Drs. 16/1678 zu Ziffer 3; Fleckenstein, VBlBW 2017, 323, 325
3. Schaffung einer Rechtsgrundlage zur Aufschiebung einer Bürgermeisterwahl
Die Erfahrungen während der Coronapandemie und die Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen haben gezeigt, dass es außergewöhnliche Situationen geben kann, die es notwendig machen, dass Bürgermeisterwahlen über das in § 47 Abs. 1 Satz 1 GemO vorgegebene Zeitfenster für den Wahltag hinaus verschoben werden können. Für diese Fälle wurde nun in § 47 Abs. 1 Satz 2 GemO eine Rechtsgrundlage geschaffen. Danach kann die Wahl um bis zu höchstens sechs Monate nach Ende des für die betreffende Wahl geltenden gesetzlichen Zeitfensters aufgeschoben werden, wenn aufgrund einer Naturkatastrophe, aus Gründen des Infektionsschutzes oder wegen einer sonstigen außergewöhnlichen Notsituation eine ordnungsgemäße Durchführung der Wahl voraussichtlich nicht möglich ist. Die Aufschiebung kann vor oder nach der öffentlichen Bekanntmachung der Wahl erfolgen.
Hinsichtlich der Prognose, ob die Durchführung der Wahl am ursprünglich vorgesehenen Wahltag voraussichtlich nicht ordnungsgemäß möglich sein wird, besteht ein gewisser Spielraum. Die Voraussetzungen der Neuregelung müssen zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Aufschiebung mit hoher Wahrscheinlichkeit vorliegen, lediglich die Möglichkeit hierfür reicht nicht aus. Eine erneute Stellenausschreibung ist im Falle der Aufschiebung nicht erforderlich.
Die Entscheidung über die Aufschiebung der Wahl trifft der Gemeinderat, die Rechtsaufsichtsbehörde (§ 119 GemO) muss der Entscheidung zustimmen. Der bisherige Bürgermeister führt nach Maßgabe von § 42 Abs. 5 GemO die Geschäfte so lange weiter.26LT-Drs. 17/4079, S. 43.
4. Erweiterung der Regelung zur Absage einer kommunalen Wahl um Fälle höherer Gewalt oder sonstige Gründe
Aus den gleichen Erwägungen wie hinsichtlich der Schaffung einer Rechtsgrundlage zur Aufschiebung einer Bürgermeisterwahl wurde auch § 29 KomWG ergänzt. Es hat sich gezeigt, dass es außergewöhnliche Situationen geben kann, in denen die Wahl nicht durchgeführt werden kann, ohne dass ein Wahlmangel im eigentlichen Sinn vorliegt, der eine Absage der Wahl durch die Rechtsaufsichtsbehörde zur Folge hat. Auch bei einer Naturkatastrophe ist es denkbar, dass eine Wahl wegen Zerstörung der Infrastruktur komplett oder in Teilen des Wahlgebiets nicht durchgeführt werden kann. Die Regelung des § 29 KomWG zur Absage der Wahl durch die Rechtsaufsichtsbehörde wurde daher für diese Fälle erweitert. Die Absage der Wahl kann sich auch nur auf einzelne Wahlkreise oder Wahlbezirke beziehen, wenn sich der Wahlmangel nur auf diese bezieht oder die Wahl nur dort nicht durchgeführt werden kann.27LT-Drs. 17/4079, S. 52.
5. Vorlage von Unterstützungsunterschriften für Bewerbungen zur Bürgermeisterwahl auch in Gemeinden mit bis zu 20 000 Einwohnern
Durch einen Änderungsantrag der Fraktionen Grüne, CDU und SPD wurde das – im Gesetzgebungsverfahren insbesondere von den kommunalen Landesverbänden und dem Bürgermeisterverband thematisierte28LT-Drs. 17/4079, S. 34. – Erfordernis eingeführt, zukünftig auch bei Bewerbungen zur Bürgermeisterwahl in Gemeinden mit bis zu 20 000 Einwohnern eine gewisse Anzahl von Unterstützungsunterschriften vorlegen zu müssen. Nach dem geänderten § 10 Abs. 2 KomWG müssen Bewerbungen zur Bürgermeisterwahl zukünftig in Gemeinden bis zu 10 000 Einwohnern von zehn und in Gemeinden bis zu 20 000 Einwohnern von 25 im Zeitpunkt der Unterzeichnung der Bewerbung wahlberechtigten Personen unterzeichnet sein.29 LT-Drs. 17/4495, S. 6. Für Bewerbungen in Gemeinden mit über 20 000 Einwohnern bleibt es bei der bisher jeweils geltenden – gestaffelten –Anzahl von Unterstützungsunterschriften.
Diese Änderung wurde eingeführt, um – so die Begründung des Änderungsantrags – die zunehmende Zahl von Dauer- und Spaßkandidaturen in kleineren Gemeinden zurückzudrängen. Es sei den Bewerbern um das Amt des Bürgermeisters zumutbar, zumindest einmal vor der Wahl in der Gemeinde präsent zu sein und in Kontakt mit der Bürgerschaft zu treten, um Unterstützungsunterschriften zu sammeln.30LT-Drs. 17/4495, S. 11. Es bleibt abzuwarten, ob durch die Neuregelung die erwartete Reduzierung der Anzahl nicht ernsthafter Bewerbungen tatsächlich erreicht werden kann, wie dies durch eine Gesetzesänderung im Jahr 199731Gesetz vom 20.03.1997, GBl. S. 101. bzgl. Bewerbungen in Gemeinden mit über 20 000 Einwohnern gelungen ist.
6. Änderungen beim Nebentätigkeitsrecht
Ebenfalls aufgrund eines Änderungsantrags der Fraktionen Grüne, CDU und SPD wurden zwei wesentliche Änderungen beim Nebentätigkeitsrecht eingeführt, die sich nicht nur auf kommunale Bedienstete beschränken, sondern für alle Beamten gelten.32Art. 10 des Gesetzes vom 04.04.2023 (GBl. S. 137); LT-Drs. 17/4495, S. 7 ff. Damit wurde auch entsprechenden Forderungen von kommunaler Seite entsprochen, die im Anhörungsverfahren geltend gemacht worden waren.33LT-Drs. 17/4079, S. 36. Zum einen wurde der in § 64 Abs. 3 Nr. 3 LBG geregelte Ablieferungstatbestand aufgehoben, wodurch eine diesbezügliche Ablieferungspflicht entfällt. Durch diese Regelung bestand bislang eine Ablieferungspflicht für Vergütungen für mit Rücksicht auf die dienstliche Stellung übertragene Nebentätigkeiten. Dies betraf insbesondere Beamte, von denen aufgrund ihrer Funktion erwartet wurde, dass sie diese Nebentätigkeiten übernehmen. Genannt wird insoweit bspw. die Mitwirkung in Aufsichtsräten privater Unternehmen oder in Expertenforen. Der Aufhebung dieses Ablieferungstatbestands liegt die Überlegung zugrunde, dass einerseits an der Übernahme dieser Nebentätigkeiten regelmäßig ein Interesse des Dienstherrn bestehen dürfte, die Übernahme einer zeitaufwändigen Nebentätigkeit andererseits aber nicht erwartet werden kann, wenn die Vergütung in vollem Umfang abzuliefern ist, da die Höchstgrenze bereits anderweitig ausgeschöpft wurde.34LT-Drs. 17/4495, S. 11.
Mit einer weiteren Änderung wurde die in § 5 Abs. 3 der Landesnebentätigkeitsverordnung (LNTVO) geregelte Ablieferungsfreigrenze für die Vergütung von Nebentätigkeiten nach § 64 Abs. 3 LBG einheitlich für alle Beamten (unabhängig von der Besoldungsgruppe) auf 9600 € pro Jahr angehoben.35LT-Drs. 17/4495, S 9. Begründet wird diese Änderung damit, dass die Freigrenzen für Nebentätigkeitsvergütungen in Baden-Württemberg seit dem Jahr 1973 unverändert geblieben und lediglich im Jahr 2005 auf Euro-Beträge angepasst worden seien. Der während der zwischenzeitlich erreichten Geltungsdauer der Regelung zu verzeichnende Verlust an Kaufkraft rechtfertige eine adäquate Anhebung der bisherigen Freibeträge. Die Differenzierung nach Besoldungsgruppen wurde aufgehoben, da die bisherige Regelung zur Folge haben konnte, dass die Ausübung identischer Nebentätigkeiten durch Beamte mit unterschiedlichen Besoldungsgruppen hinsichtlich der Ablieferungspflicht ungleich behandelt wurde. Die Regelung einer einheitlichen Höchstgrenze sei auch verfassungsrechtlich unbedenklich.36LT-Drs. 17/4495, S. 11, 12.
Die (neue) Ablieferungsfreigrenze nach § 5 Abs. 3 LNTVO gilt erstmals für Vergütungen für Nebentätigkeiten, die im (gesamten) Kalenderjahr 2023 ausgeübt wurden. Die Ablieferungspflicht für Vergütungen für Nebentätigkeiten, die einem Beamten mit Rücksicht auf die dienstliche Stellung übertragen wurden (§ 64 Abs. 3 Nr. 3 LBG a. F.) entfällt erst ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes, also dem 01.08.2023. 37Art. 12 Abs. 1 des Gesetzes vom 04.04.2023 (GBl. S. 137).Vergütungen für Nebentätigkeiten, die vor diesem Zeitpunkt ausgeübt wurden, unterliegen der Ablieferungspflicht.
7. Verbesserungen beim Besoldungszuschlag für langgediente Landräte und Bürgermeister
Entsprechend dem bei der Anhörung des Gesetzentwurfs geäußerten Wunsch der kommunalen Landesverbände und des Bürgermeisterverbands wurden die Regelungen zum im Jahr 2014 eingeführten Besoldungszuschlag nach § 6 Abs. 2 des Landeskommunalbesoldungsgesetzes (LKomBesG)38Vgl. Gesetz vom 21.10.2014, GBl. S. 493. angepasst, um die Attraktivität der kommunalen Wahlämter weiter zu steigern.39LT-Drs. 17/4079, S. 28. Zum einen entfällt nunmehr die bisher geltende Voraussetzung, dass für die Gewährung des Zuschlags zwei volle (achtjährige) Amtszeiten abgeleistet werden müssen. Der Anreizzuschlag in Höhe von 8 % des festgesetzten Grundgehalts wird Landräten und hauptamtlichen Bürgermeistern nun stets ab Beginn des 17. Jahres in einem entsprechenden Wahlamt gewährt. Der Wechsel in ein anderes kommunales Wahlamt vor Ablauf einer Amtszeit (etwa die Wahl eines Bürgermeisters zum Bürgermeister einer größeren Gemeinde oder zum Landrat) soll den Zeitpunkt, ab dem der Zuschlag gewährt wird, nicht mehr beeinflussen. Maßgeblich ist nunmehr die Gesamtdienstzeit, die –ggf. auch in wechselnden Verwendungen – im betreffenden Wahlamt abgeleistet wird, wobei zeitliche Unterbrechungen zwischen zwei entsprechenden Verwendungen unschädlich sind. Zeiten als bestellter Bürgermeister oder bestellter Landrat sind entsprechend zu berücksichtigen, nicht dagegen etwaige Vordienstzeiten als Beigeordneter.40LT-Drs. 17/4079, S. 57.
Zudem wird der sog. Anreizzuschlag als ruhegehaltfähiger Zuschlag ausgestaltet. Dies rechtfertige sich mit der besonderen Stellung der Landräte und Bürgermeister und ihrer besonderen Verantwortung für das Gemeinwesen.41 LT-Drs. 17/4079, S. 57, 58.
Der Zuschlag wird nach dem insoweit klaren Wortlaut des neuen § 6 Abs. 2 Satz 1 LKomBesG sowohl für Bürgermeister und Landräte, die den Zuschlag bei Inkrafttreten der Neuregelung42Vgl. Art. 12 Abs. 3 des Gesetzes vom 04.04.2023 (GBl. S. 137). bereits erhalten, als auch für diejenigen, die aufgrund der Neuregelung zum Kreis der Anspruchsberechtigten hinzukommen (die also den Zuschlag bislang nicht erhalten haben, da er nach bisheriger Rechtslage erst nach Ablauf von zwei vollen Amtszeiten gewährt wurde) ruhegehaltfähig. Allerdings wird der Zuschlag für ehemalige Amtsinhaber, die den Zuschlag einstmals erhalten haben und bei Inkrafttreten der Neuregelung bereits im Ruhestand sind, nicht nachträglich ruhegehaltfähig.43LT-Drs. 17/4079, S. 60.
Für die Ruhegehaltfähigkeit des Zuschlags gilt keine Wartefrist, da in diesem Fall § 19 Abs. 3 LBeamtVG nicht greift. Denn mit der Gewährung des sog. Anreizzuschlags ist kein Wechsel eines statusrechtlichen Amts verbunden. Tritt ein zuschlagsberechtigter Amtsinhaber in den Ruhestand, wird der Zuschlag bei der Berechnung des Ruhegehalts also unabhängig davon berücksichtigt, wie lange er den Zuschlag bereits erhalten hat.
Die Änderungen im Hinblick auf den Zuschlag nach § 6 Abs. 2 LKomBesG sind am 01.05.2023 in Kraft getreten.44Art. 12 Abs. 3 und Art. 11 § 2 Abs. 3 des Gesetzes vom 04.04.2023 (GBl. S. 137).
8. Weitere Änderungen
Das Gesetz vom 04.04.202345GBl. S. 137. enthält über die angesprochenen Regelungen hinaus noch einige weitere Änderungen, die hier aber nicht im Einzelnen erläutert werden können. Diese betreffen insbesondere technische und organisatorische Vorgaben aus dem Bereich der Bürgermeisterwahlen, der Wahlen der kommunalen Gremien, Regelungen für alle kommunalen Wahlen sowie sonstige Änderungen. Hierzu wird auf die Darstellung im Gesetzentwurf der Landesregierung verwiesen.46LT-Drs. 17/4079, S. 22, 23.
VIII. Übergangsbestimmungen für Bürgermeisterwahlen
Das Gesetz vom 04.04.202347GBl. S. 137. trifft differenzierte Übergangsbestimmungen für Bürgermeisterwahlen48Art. 11 § 1 Abs. 1 und 2 des Gesetzes vom 04.04.2023 (GBl. S. 137). Danach ergibt sich Folgendes:
Ist die zu besetzende Stelle am 15.04.2023 bereits ausgeschrieben (also spätestens im Staatsanzeiger vom 14.04.2023), gilt bisheriges Recht, unabhängig davon, ob die Wahl vor oder nach dem 01.08.2023 stattfindet; dies gilt auch für eine etwaige Neuwahl.
Bei einer Stellenausschreibung nach dem 15.04.2023 gilt für Bürgermeisterwahlen, die vor dem 01.08.2023 stattfinden, bisheriges Recht. Dies gilt auch für eine etwaige Neuwahl, selbst wenn diese erst nach dem 01.08.2023 stattfindet.
Bei einer Stellenausschreibung nach dem 15.04.2023 findet für Bürgermeisterwahlen, die nach dem 01.08.2023 stattfinden, neues Recht Anwendung.
Zu beachten ist dabei, dass nach den Übergangsregelungen49Art. 11 § 1 des Gesetzes vom 04.04.2023 (GBl. S. 137). nur bisheriges Recht der genannten Vorschriften (§§ 45, 46 GemO, § 10 KomWG) gilt, also insbesondere hinsichtlich Altersgrenzen, Neuwahl und Unterstützungsunterschriften. Andere durch das Gesetz vom 04.04.202350GBl. S. 137. geänderte oder neu hinzugekommene Vorschriften gelten für alle Bürgermeisterwahlen ab dem 01.08.2023.
Dieser Beitrag stammt aus den VBlBW Heft 9/2023, S. 353.
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- 1Vgl. Lange (Fn. 31), Kap. 8 Rn. 10 m. w. N.
- 2LT-Drs. 17/4079, S. 21.
- 3LT-Drs. 17/4079, S. 50; zur Kritik an dieser Regelung vgl. LT-Drs. 17/ 4079, S. 31.
- 4LT-Drs. 17/4079, S. 21.
- 5Vgl. LT-Drs. 17/4079, S. 50, 51.
- 6LT-Drs. 17/4079, S. 21.
- 7Vgl. LT-Drs. 17/4079, S. 51.
- 8Zur Stimmabgabe vgl. § 19 Abs. 4 KomWG, zur Ungültigkeit der Stimmabgabe vgl. § 24 Abs. 5 KomWG sowie LT-Drs. 17/4079, S. 52.
- 9LT-Drs. 17/4079, S. 21.
- 10LT-Drs. 17/4079, S. 42.
- 11Für Landräte vgl. § 40 Abs. 2 LKrO.
- 12LT-Drs. 17/4079, S. 21, 22.
- 13Vgl. hierzu LT-Drs. 17/4079, S. 32, 33.
- 14LT-Drs. 17/4079, S. 32, 33.
- 15LT-Drs. 17/4079, S. 44.
- 16Vgl. § 3 Abs. 17 StHG 2023/2024.
- 17Art. 12 Abs. 2 des Gesetzes vom 04.04.2023 (GBl. S. 137); LT-Drs. 17/ 4079, S. 59.
- 18Art. 11 § 2 Abs. 1 des Gesetzes vom 04.04.2023 (GBl. S. 137).
- 19LT-Drs. 17/4079, S. 58.
- 20LT-Drs. 17/4495, S. 1 ff.
- 21LT-Drs. 17/4495, S. 10; vgl. auch LT-Drs. 16/6753 zu Ziffer 4. Zur entsprechenden Forderung siehe LT-Drs. 17/4079, S. 34.
- 22GBl. S. 137.
- 23Art. 11 § 2 Abs. 4 und 5 des Gesetzes vom 04.04.2023 (GBl. S. 137).
- 24LT-Drs. 17/4079, S. 41. Gleiches gilt nach § 37 Abs. 3 LKrO, vgl. LT-Drs. 17/4079, S. 46.
- 25Vgl. hierzu LT-Drs. 16/1678 zu Ziffer 3; Fleckenstein, VBlBW 2017, 323, 325
- 26LT-Drs. 17/4079, S. 43.
- 27LT-Drs. 17/4079, S. 52.
- 28LT-Drs. 17/4079, S. 34.
- 29LT-Drs. 17/4495, S. 6.
- 30LT-Drs. 17/4495, S. 11.
- 31Gesetz vom 20.03.1997, GBl. S. 101.
- 32Art. 10 des Gesetzes vom 04.04.2023 (GBl. S. 137); LT-Drs. 17/4495, S. 7 ff.
- 33LT-Drs. 17/4079, S. 36.
- 34LT-Drs. 17/4495, S. 11.
- 35LT-Drs. 17/4495, S 9.
- 36LT-Drs. 17/4495, S. 11, 12.
- 37Art. 12 Abs. 1 des Gesetzes vom 04.04.2023 (GBl. S. 137).
- 38Vgl. Gesetz vom 21.10.2014, GBl. S. 493.
- 39LT-Drs. 17/4079, S. 28.
- 40LT-Drs. 17/4079, S. 57.
- 41LT-Drs. 17/4079, S. 57, 58.
- 42Vgl. Art. 12 Abs. 3 des Gesetzes vom 04.04.2023 (GBl. S. 137).
- 43LT-Drs. 17/4079, S. 60.
- 44Art. 12 Abs. 3 und Art. 11 § 2 Abs. 3 des Gesetzes vom 04.04.2023 (GBl. S. 137).
- 45GBl. S. 137.
- 46LT-Drs. 17/4079, S. 22, 23.
- 47GBl. S. 137.
- 48Art. 11 § 1 Abs. 1 und 2 des Gesetzes vom 04.04.2023 (GBl. S. 137).
- 49Art. 11 § 1 des Gesetzes vom 04.04.2023 (GBl. S. 137).
- 50GBl. S. 137.