13.06.2024

Passives Wahlrecht ab 16, Aufhebung von Altersgrenzen, Einführung der Stichwahl und einiges mehr

Die Kommunalwahlrechtsnovelle 2023 - Teil 1

Passives Wahlrecht ab 16, Aufhebung von Altersgrenzen, Einführung der Stichwahl und einiges mehr

Die Kommunalwahlrechtsnovelle 2023 - Teil 1

Alleiniger Souverän des Staates ist das Volk. | © Christian Schwier - Fotolia
Alleiniger Souverän des Staates ist das Volk. | © Christian Schwier - Fotolia

Der Landtag von Baden-Württemberg hat am 29.03.2023 das Gesetz zur Änderung kommunalwahlrechtlicher und anderer Vorschriften1GBl. S. 137, Nr. 8 vom 14.04.2023. beschlossen, das wesentliche Änderungen des Kommunalwahlrechts beinhaltet. Schwerpunkt des Gesetzes ist die Umsetzung verschiedener, im Koalitionsvertrag zwischen Bündnis 90/Die Grünen und der CDU2Koalitionsvertrag Bündnis 90/Die Grünen Baden-Württemberg und CDU Baden-Württemberg 2021–2026 „Jetzt für morgen“, S. 94, 95. vereinbarter Änderungen für Bürgermeisterwahlen3Im Interesse der besseren Lesbarkeit wird nicht ausdrücklich nach ge- schlechtsspezifischen Personenbezeichnungen differenziert. und die Wahlen kommunaler Gremien sowie damit zusammenhängender Vorschriften. Daneben enthält das Gesetz einige weitere Änderungen, mit denen insbesondere die Organisation und Durchführung von Kommunalwahlen in verschiedenen Punkten vereinfacht oder gesetzliche Regelungen angepasst werden. In diesem Beitrag sollen die wesentlichen Neuerungen dargestellt und erläutert werden.

I. Einleitung

Mit dem Gesetz vom 04.04.20234GBl. S. 137., das auch in der Öffentlichkeit durchaus mit Interesse wahrgenommen wurde, wurden einerseits die rechtlichen Grundlagen für die im Jahr 2024 stattfindenden Kommunalwahlen geschaffen. Zum anderen wurde das Bürgermeisterwahlrecht in einigen wesentlichen Punkten reformiert. Durch einige Änderungen des Regierungsentwurfs5LT-Drs. 17/4079. im parlamentarischen Verfahren wurden weitere Aspekte aus der kommunalen Praxis aufgegriffen.6LT-Drs. 17/4495.

Kernstück der Novelle ist sicherlich die – bundesweit bislang einmalige – Absenkung des Mindestalters für die Wählbarkeit in kommunale Gremien von 18 auf 16 Jahre. Zudem erhalten nunmehr wohnungslose Menschen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet der jeweiligen Körperschaft haben, das kommunale Wahl- und Stimmrecht. Eine weitere Änderung betrifft die Absenkung des Mindestalters für die Wählbarkeit zum Bürgermeister auf 18 Jahre und das Entfallen der Höchstalters- und der Ruhestandsaltersgrenze für Bürgermeister. Neu ist auch, dass zukünftig beim zweiten Wahlgang von Bürgermeisterwahlen die bisherige Neuwahl durch eine Stichwahl ersetzt wird. Für ehemalige Beamte, Richter und Tarifbeschäftigte des Landes wird ein Rückübernahmeanspruch nach Ende der Amtszeit als Bürgermeister eingeführt. Änderungen erfahren hat auch das Nebentätigkeitsrecht – hier wurde die Ablieferungspflicht für bestimmte Nebentätigkeiten aufgehoben und die Ablieferungsfreigrenze für Nebentätigkeiten deutlich angehoben. Den als bisweilen antiquiert empfundenen Begriff des „Amtsverwesers“ wird man zukünftig in den Gesetzen des Landes nicht mehr finden, er wird durch die Bezeichnungen „bestellter Bürgermeister“, „bestellter Landrat“ und „Amtsverwalter“ ersetzt.


Die Regelungen wurden – soweit geboten – auch auf die Landkreisebene sowie auf den Verband Region Stuttgart übertragen; dies wird an den entsprechenden Stellen der Darstellung angesprochen.

Das Gesetz ist in wesentlichen Teilen am 01.08.2023 in Kraft getreten.7Art. 12 Abs. 1 des Gesetzes vom 04.04.2023 (GBl. S. 137). Soweit hiervon abweichende Zeitpunkte des Inkrafttretens gelten – einzelne Änderungen sind bereits am 15.04.2023 bzw. am 01.05.2023 in Kraft getreten8Art. 12 Abs. 2 und 3 des Gesetzes vom 04.04.2023 (GBl. S. 137). – wird darauf bei der Erläuterung der konkreten Regelung eingegangen. Die Übergangsbestimmungen werden am Ende des Beitrags (VIII.) angesprochen.

II. Passives Wahlrecht ab 16 Jahren bei Gremienwahlen

Mit der Regelung zur Absenkung der Altersgrenze auf 16 Jahre beim passiven Wahlrecht betritt Baden-Württemberg gesetzgeberisches Neuland, da es eine vergleichbare Regelung in anderen Bundesländern bislang nicht gibt. Daher wurde diese Änderung im Gesetzgebungsverfahren und auch in der Öffentlichkeit durchaus kontrovers diskutiert.9Vgl. LT-Drs. 17/4079, S. 24 ff.; LT-Drs. 17/4341, S. 10 ff. (Anlage 3; Anhörung Die Gesetzesbegründung des Regierungsentwurfs trägt dem durch eine sehr ausführliche verfassungsrechtliche Bewertung im Allgemeinen Teil Rechnung und geht dabei auch auf vorgebrachte Kritikpunkte ein.10LT-Drs. 17/4079, S. 16 ff. Zudem werden in der Einzelbegründung zu den maßgeblichen Vorschriften einzelne Aspekte wie etwa die gesetzlichen Regelungen zur Schulpflicht und zum Jugendschutz sowie Fragen einer etwaigen Haftung thematisiert.11LT-Drs. 17/4079, S. 38 ff.

1. Wählbarkeit

Bislang stand das passive Wahlrecht bei den Kommunalwahlen ebenso wie bei den Parlamentswahlen in Deutschland nur Personen zu, die das 18. Lebensjahr vollendet haben. Durch eine Änderung in § 28 Abs. 1 der Gemeindeordnung (GemO) werden nun alle wahlberechtigten Bürger der Gemeinde bei der Wahl in den Gemeinderat wählbar. Erfasst sind damit auch Bürger ab Vollendung des 16. bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs, die bislang vom passiven Wahlrecht ausgenommen waren, denen das aktive Wahlrecht aber bereits seit einer Gesetzesänderung im Jahr 201312Gesetz vom 16.04.2013, GBl. S. 55. zustand.

Aus dem Umstand, dass das passive Wahlrecht nun ab dem 16. Lebensjahr eingeräumt wird, folgt, dass diese Bürger hinsichtlich der Wahl zum Gemeinderat in vollem Umfang handlungsfähig sind. Eine Zustimmung der Erziehungsberechtigten ist insoweit nicht erforderlich. Daher bedürfen Minderjährige insbesondere keiner Zustimmung der Erziehungsberechtigten für die Entscheidung, zur Wahl anzutreten und für die Abgabe der unwiderruflichen Erklärung der Zustimmung zur Aufnahme in den Wahlvorschlag (vgl. § 8 Abs. 1 Satz 4 des Kommunalwahlgesetzes (KomWG)). Der Fall, dass die Erklärung der Zustimmung zur Aufnahme in den Wahlvorschlag durch einen Minderjährigen abgegeben wird, konnte bereits nach bisherigem Recht eintreten, da die für die Wählbarkeit erforderliche Volljährigkeit erst am Wahltag vorliegen musste.

Erforderlich ist danach nun, dass der betreffende Bürger am Wahltag das 16. Lebensjahr vollendet haben muss, da dies insoweit der maßgebende Zeitpunkt ist. Daraus folgt, dass einer Bewerbung nicht die Tatsache entgegensteht, dass der Bewerber zum Zeitpunkt der Bewerbung noch 15 Jahre alt ist. Eine ausdrückliche Annahme der Wahl ist weder vorgeschrieben noch erforderlich, da die in den Gemeinderat gewählten Bürger, einschließlich der 16-und 17-Jährigen, zur Übernahme dieser ehrenamtlichen Tätigkeit verpflichtet sind (vgl. § 15 Abs. 1 GemO).

Für die Wählbarkeit in den Ortschaftsrat gilt Entsprechendes (§ 69 Abs. 1 Satz 4 GemO), ebenso für die Wahl zum Bezirksbeirat (§ 65 Abs. 1 Satz 1 GemO).13LT-Drs. 17/4079, S. 44.

2. Mandatsausübung

Die Absenkung des passiven Wahlrechts auf die Vollendung des 16. Lebensjahrs hat zur Folge, dass auch nach bürgerlichem Recht nicht voll geschäftsfähige Personen (vgl. §§ 104 ff. BGB) zur Wahl antreten und Mitglieder des Gemeinderats werden können. Der neu eingefügte § 32 Abs. 2 a GemO stellt daher klar, dass die Gemeinderäte, die noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet haben, hinsichtlich der Ausübung ihres Mandats handlungsfähig sind, soweit sich nicht aus Gesetz etwas anderes ergibt. Minderjährige Gemeinderäte bedürfen daher im Rahmen der Wahrnehmung ihres Mandats grundsätzlich nicht der Zustimmung der Erziehungsberechtigten. Sie sind bei der Ausübung ihres Mandats ebenso frei wie volljährige Gemeinderäte (vgl. § 32 Abs. 3 GemO). Dies gilt insbesondere für Redebeiträge und Abstimmungen in den gemeindlichen Gremien sowie für den Beitritt zu einer oder den Austritt aus einer Fraktion i. S. v. § 32 a GemO.14Anders aber der Beitritt eines Minderjährigen zu einer Partei, wofür unverändert die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters erforderlich ist, vgl. LT-Drs. 17/4079, S. 40. Minderjährige Gemeinderäte sind auch berechtigt, Niederschriften über Gremiensitzungen zu unterzeichnen (§ 38 Abs. 2 Satz 1 GemO).15LT-Drs. 17/4079, S. 39.

3. Einschränkungen bei der Mandatsausübung

Minderjährige Gremienmitglieder können indes nicht Mitglied des Aufsichtsrats einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) oder einer Aktiengesellschaft (AG) sein. Dies ergibt sich aus den bundesgesetzlichen Regelungen in § 52 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaft mit beschränkter Haftung und § 100 Abs. 1 Satz 1 des Aktiengesetzes.
Ausgeschlossen ist auch die Mitgliedschaft Minderjähriger in den Verwaltungsräten der Sparkassen; diese Änderung in § 15 Abs. 4 des Sparkassengesetzes wurde nach Durchführung der Anhörung in den Gesetzentwurf aufgenommen.16Art. 7 des Gesetzes vom 04.04.2023, GBl. S. 137; LT-Drs. 17/4079, S. 27, 56, 57.
Dagegen ist es möglich, dass minderjährige Gemeinderäte Mitglied im Verwaltungsrat einer selbstständigen Kommunal-anstalt sein können.17LT-Drs. 17/4079, S. 40.
Da die ehrenamtlichen Stellvertreter des Bürgermeisters als gesetzliche Vertreter der Gemeinde selbst geschäftsfähig sein müssen, wird durch § 48 Abs. 1 Satz 2 GemO nunmehr klargestellt, dass nur volljährige Gemeinderäte als Stellvertreter bestellt werden können.18LT-Drs. 17/4079, S. 43. Gleiches gilt in Bezug auf Ortsvorsteher und stellvertretende Ortsvorsteher (§ 71 Abs. 1 Satz 1 GemO).19LT-Drs. 17/4079, S. 45.
Eine Mitgliedschaft in einem Jugendgemeinderat oder einer anderen Jugendvertretung (vgl. § 41 a GemO) und eine Mitgliedschaft im Gemeinderat schließen sich nicht aus, so dass eine gleichzeitige Mitgliedschaft in beiden Gremien möglich ist.20LT-Drs. 17/4079, S. 40.

4. Änderungen auch für Landkreise und den Verband Region Stuttgart

Das Gesetz sieht gleichlautende Regelungen in der Landkreisordnung (§ 23 Abs. 1, § 26 Abs. 2 a LKrO) und dem Gesetz über die Errichtung des Verbands Region Stuttgart (§ 10 Abs. 1 GVRS) vor.

5. Umgang mit der Neuregelung in der kommunalen Praxis

Wie die kommunale Praxis mit der Neuregelung umgehen wird, muss sich zeigen. Es bleibt zunächst abzuwarten, wie viele Gemeinderäte unter 18 Jahren den Sprung in die kommunalen Gremien tatsächlich schaffen werden. Zu bedenken ist dabei auch, dass die genannten einschränkenden Regelungen dann maximal für zwei Jahre gelten werden, denn mit Vollendung des 18. Lebensjahrs entfallen die Beschränkungen, und es bestehen keine Unterschiede zu einem bereits zum Zeitpunkt der Wahl volljährigen Gemeinderat. Weitere (gesetzliche) Regelungen zur Umsetzung des neuen Rechts in den Kommunen sind nicht erforderlich. Etwaige auftretende Problemstellungen können in der Praxis sachgerecht gelöst werden.21LT-Drs. 17/4579, zu Ziffer I. 1. Wichtig erscheint aber, dass die besondere Situation minderjähriger Gemeinderäte bei der Planung der Gremiensitzungen (insbesondere hinsichtlich der Terminierung und der Dauer der Sitzungen), aber auch der übrigen Gremienarbeit angemessen Berücksichtigung findet, um Konfliktfälle möglichst zu vermeiden.22Vgl. LT-Drs. 17/4079, S. 40. Hier sind sämtliche Beteiligten gefordert und dazu aufgerufen, das Ihrige zur reibungslosen Umsetzung der gesetzlichen Neuerung beizutragen. Möglicherweise kann Baden-Württemberg hier wieder einmal Vorbild für andere Bundesländer sein.

III. Wahlrecht von wohnungslosen Personen

Für das kommunale Wahlrecht ist es bisher u. a. erforderlich, dass man seit mindestens drei Monaten im jeweiligen Wahlgebiet wohnt bzw. bei mehreren Wohnungen seine Hauptwohnung dort hat. Damit Menschen, die keine Wohnung haben, zukünftig ihre Stimme auch bei kommunalen Wahlen abgeben können, sieht das Gesetz mit der Neuregelung in § 14 Abs. 3 GemO vor, dass diese Personen – analog zu den Bestimmungen des Landtagswahlrechts – bei den Gemeindewahlen (Gemeinderats-, Ort-schaftsrats- und Bürgermeisterwahlen) aktiv und passiv wahlberechtigt werden, wenn sie seit mindestens drei Monaten ihren gewöhnlichen Aufenthalt im jeweiligen Wahlgebiet haben und die übrigen Wahlrechtsvoraussetzungen erfüllen.

Das neugeschaffene Wahlrecht aufgrund gewöhnlichen Aufenthalts im Wahlgebiet betrifft nur Menschen, die keine Wohnung haben, also insbesondere solche Personen, die auf der Straße leben; insoweit ist maßgeblich der melderechtliche Wohnungsbegriff (vgl. § 20 Abs. 1 des Bundesmeldegesetzes).23LT-Drs. 17/4079, S. 15. Von der Neuregelung nicht erfasst sind solche Menschen, die längerfristig in einer Obdachlosenunterkunft untergebracht sind, in einer sozialen Einrichtung lebende Personen oder Menschen ohne eigene Wohnung, die vorübergehend bei Verwandten aufgenommen werden und jeweils seit mindestens drei Monaten mit (Haupt-)Wohnung in der Gemeinde gemeldet sind. Denn diese Personen sind bereits nach geltendem Recht als Bürger der Gemeinde für kommunale Wahlen wahlberechtigt und werden von Amts wegen in das Wählerverzeichnis eingetragen.24LT-Drs. 17/4079, S. 15, 16.

Die betreffenden wohnungslosen Personen sollen – wie auch beim Parlamentswahlrecht – auf Antrag in das Wählerverzeichnis eingetragen werden. Die entsprechenden Regelungen zum Antragsverfahren werden in der Kommunalwahlordnung getroffen; dabei ist auch vorgesehen, etwaige Regelungen zur Verringerung der Missbrauchsgefahr zu treffen, wie etwa die Abgabe einer entsprechenden Versicherung.

Ein entsprechendes Wahlrecht wurde auch für die Kreistagswahlen (§ 10 Abs. 7 LKrO) und die Wahl der Regionalversammlung des Verbands Region Stuttgart eingeführt (§ 9 Abs. 4 GVRS). Die für die Gemeindewahlen zukünftig wahlberechtigten wohnungslosen Menschen können dann auch Einwohneranträge und Bürgerbegehren unterzeichnen und bei Bürgerentscheiden abstimmen.25LT-Drs. 17/4079, S. 37.

Personen ohne Wohnung, die nach § 14 Abs. 3 GemO aktiv wahlberechtigt sind, sind unter den gleichen Voraussetzungen wie die Bürger auch in den Gemeinderat wählbar. Sie sind – anders als die Bürger – indes nicht zur Übernahme einer ehrenamtlichen Tätigkeit verpflichtet. Werden sie in ein kommunales Gremium gewählt oder übernehmen sie eine sonstige ehrenamtliche Tätigkeit (z. B. als Wahlhelfer), gelten für sie grundsätzlich die gleichen Regelungen wie für ehrenamtlich tätige Bürger.26LT-Drs. 17/4079, S. 37. Gleiches gilt für Wahlen in den Kreistag und die Regionalversammlung des Verbands Region Stuttgart, vgl. LT-Drs. 17/ 4079, S. 46, 47.

IV. Wegfall der Altersgrenzen für Kandidaten bei Bürgermeisterwahlen

Das Mindestalter für die Wählbarkeit zum Bürgermeister wird vom vollendeten 25. Lebensjahr auf das vollendete 18. Lebensjahr (Volljährigkeit) abgesenkt. Zugleich soll die bisherige Höchstaltersgrenze (noch keine 68 Jahre alt) entfallen. Hierfür wurde § 46 GemO entsprechend geändert. Dieser Änderung liegt der Gedanke zugrunde, dass das Wahlamt des Bürgermeisters zeitlich begrenzt ist und durch eine demokratische Wahl begründet wird, sodass auf Altersgrenzen verzichtet werden kann. Rechtlich erforderlich ist nur ein Mindestalter von 18 Jahren, da der Bürgermeister als gesetzlicher Vertreter der Gemeinde uneingeschränkt geschäftsfähig sein muss. Im Übrigen kann es nach dem Willen des Gesetzgebers der Entscheidung der Wähler überlassen bleiben, ob sie jüngere oder ältere Bewerber für das Amt des Bürgermeisters für geeignet halten.27LT-Drs. 17/4079, S. 20.

Es ist danach möglich, sich bereits im Alter von 17 Jahren für das Amt des Bürgermeisters zu bewerben, wenn man spätestens am Wahltag das 18. Lebensjahr vollendet. Eine Zustimmung der Erziehungsberechtigten zur Bewerbung ist nicht erforderlich.

Gleichzeitig entfällt aufgrund der genannten Erwägungen die beamtenrechtliche Ruhestandsaltersgrenze, mit deren Erreichen Bürgermeister kraft Gesetzes in den Ruhestand treten; diese wurde bislang bei Vollendung des 73. Lebensjahrs erreicht (vgl. § 36 Abs. 5 des Landesbeamtengesetzes (LBG)).28LT-Drs. 17/4079, S. 20; diese Regelung gilt auch für bestellte Bürgermeister nach § 48 Abs. 3 GemO. Für zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes im Amt befindliche Bürgermeister gilt indes noch die bisherige Ruhestandsaltersgrenze.29Art. 11 § 2 Abs. 2 des Gesetzes vom 04.04.2023 (GBl. S. 137).

Unabhängig von diesen Neuregelungen können – wie auch bisher – Bürgermeister bei Eintritt von Dienstunfähigkeit während der Amtszeit nach beamtenrechtlichen Vorschriften von der Rechtsaufsichtsbehörde in den Ruhestand versetzt werden. Außerdem können Bürgermeister nach Vollendung des 63. Lebensjahrs und Erfüllung einer versorgungsrechtlichen Wartezeit jederzeit und ohne besondere Voraussetzungen ihre Versetzung in den Ruhestand beantragen. Für ehrenamtliche Bürgermeister gilt Entsprechendes.30LT-Drs. 17/4079, S. 21.

Für Landräte und Beigeordnete bleibt es bei der bisherigen Altersgrenze für die Wählbarkeit (vgl. § 38 Satz 1 LKrO, § 50 Abs. 1 a GemO) und der Ruhestandsaltersgrenze (vgl. § 36 Abs. 4 LBG n. F.). Insoweit sah der Gesetzgeber keine Veranlassung zur Vornahme von Änderungen.

In Baden-Württemberg wird auch weiterhin – anders als in den meisten anderen Bundesländern31Vgl. Lange, Kommunalrecht, 2. Aufl. 2019, Kap. 8 Rn. 31 ff. – die Abwahl eines amtierenden Bürgermeisters nicht möglich sein. Die Fraktion der SPD hatte zwar im Gesetzgebungsverfahren einen entsprechenden Änderungsantrag gestellt, dieser erhielt jedoch nicht die erforderliche Mehrheit.32LT-Drs. 17/4495, Ziffer I 4.

Ergänzend zur Neuregelung der Altersgrenzen für Bürgermeister wurde § 1 Abs. 6 des Landesbeamtenversorgungsgesetzes (LBeamtVG) geändert, da es bislang keine versorgungsrechtliche Regelung für Fälle gab, in denen keine gesetzliche Altersgrenze existiert. Soweit danach keine Altersgrenze für den Eintritt in den Ruhestand besteht, gilt bei Anwendung dieses Gesetzes der Ablauf des Monats, in dem der Beamte das 67. Lebensjahr vollendet, als Altersgrenze. Damit wird die bisherige versorgungsrechtliche Rechtslage bezüglich des Versorgungsabschlags für den betroffenen Personenkreis aufrechterhalten.33LT-Drs. 17/4079, S. 57.

Der Beitrag wird fortgesetzt.

Dieser Beitrag stammt aus den VBlBW Heft 9/2023, S. 353.

 

Ministerialrat Gerd Armbruster

Leiter des Referats Kommunales Verfassungsrecht und Dienstrecht beim Innenministerium Baden-Württemberg.
----------
  • 1
    GBl. S. 137, Nr. 8 vom 14.04.2023.
  • 2
    Koalitionsvertrag Bündnis 90/Die Grünen Baden-Württemberg und CDU Baden-Württemberg 2021–2026 „Jetzt für morgen“, S. 94, 95.
  • 3
    Im Interesse der besseren Lesbarkeit wird nicht ausdrücklich nach ge- schlechtsspezifischen Personenbezeichnungen differenziert.
  • 4
    GBl. S. 137.
  • 5
    LT-Drs. 17/4079.
  • 6
    LT-Drs. 17/4495.
  • 7
    Art. 12 Abs. 1 des Gesetzes vom 04.04.2023 (GBl. S. 137).
  • 8
    Art. 12 Abs. 2 und 3 des Gesetzes vom 04.04.2023 (GBl. S. 137).
  • 9
    Vgl. LT-Drs. 17/4079, S. 24 ff.; LT-Drs. 17/4341, S. 10 ff. (Anlage 3; Anhörung
  • 10
    LT-Drs. 17/4079, S. 16 ff.
  • 11
    LT-Drs. 17/4079, S. 38 ff.
  • 12
    Gesetz vom 16.04.2013, GBl. S. 55.
  • 13
    LT-Drs. 17/4079, S. 44.
  • 14
    Anders aber der Beitritt eines Minderjährigen zu einer Partei, wofür unverändert die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters erforderlich ist, vgl. LT-Drs. 17/4079, S. 40.
  • 15
    LT-Drs. 17/4079, S. 39.
  • 16
    Art. 7 des Gesetzes vom 04.04.2023, GBl. S. 137; LT-Drs. 17/4079, S. 27, 56, 57.
  • 17
    LT-Drs. 17/4079, S. 40.
  • 18
    LT-Drs. 17/4079, S. 43.
  • 19
    LT-Drs. 17/4079, S. 45.
  • 20
    LT-Drs. 17/4079, S. 40.
  • 21
    LT-Drs. 17/4579, zu Ziffer I. 1.
  • 22
    Vgl. LT-Drs. 17/4079, S. 40.
  • 23
    LT-Drs. 17/4079, S. 15.
  • 24
    LT-Drs. 17/4079, S. 15, 16.
  • 25
    LT-Drs. 17/4079, S. 37.
  • 26
    LT-Drs. 17/4079, S. 37. Gleiches gilt für Wahlen in den Kreistag und die Regionalversammlung des Verbands Region Stuttgart, vgl. LT-Drs. 17/ 4079, S. 46, 47.
  • 27
    LT-Drs. 17/4079, S. 20.
  • 28
    LT-Drs. 17/4079, S. 20; diese Regelung gilt auch für bestellte Bürgermeister nach § 48 Abs. 3 GemO.
  • 29
    Art. 11 § 2 Abs. 2 des Gesetzes vom 04.04.2023 (GBl. S. 137).
  • 30
    LT-Drs. 17/4079, S. 21.
  • 31
    Vgl. Lange, Kommunalrecht, 2. Aufl. 2019, Kap. 8 Rn. 31 ff.
  • 32
    LT-Drs. 17/4495, Ziffer I 4.
  • 33
    LT-Drs. 17/4079, S. 57.
n/a